Team: Nimmerland
Fandom: Tatort Münster
Rating: P12
Prompt: Krimi/Thriller/Horror: Alter Rivalen - für mich
Länge: 666
Zeit: ca. 60min
A/N: Irgendwie hab ich heute schreibtechnisch einen melancholischen Tag, glaub ich.
Boerne wurde bleich, als er das Leichentuch zurückschlug.
Das konnte nicht sein.
Das war doch wohl nicht wahr.
“Alles in Ordnung bei Ihnen, Chef?”, fragte Alberich.
Natürlich war es ungewohnt für sie, dass Boerne sich nicht sofort ans Werk machte, normalerweise zögerte er nicht, hatte das Diktiergerät in der Hand, noch bevor die Leiche vollständig auf dem Tisch lag. So auch heute, doch er hatte es wieder sinken lassen.
Nicht seine Art, überhaupt nicht.
Boerne zog den Hocker heran, der am Rand seines Arbeitsbereichs stand, und setzte sich, das Diktiergerät immer noch unbenutzt in der Hand.
“Kennen Sie den Mann?”, fragte Alberich leise, und er nickte nur.
“Ich sage Hansen Bescheid, dass er sich einen Assistenzarzt nehmen und mit ihm die Sektion durchführen soll”, sagte sie und war gleich darauf aus dem Raum verschwunden, ohne ihm Zeit für Protest zu lassen.
Er konnte das, das wusste er. Es wäre nicht der erste Bekannte, den er auf seinem Tisch aufgefunden hatte, und bei den anderen hatte er auch selbst das Messer angesetzt. Nur diesmal ging das irgendwie nicht, obwohl er sich so dazu zwang. Oder das jedenfalls wollte. Er unterdrückte den Impuls, Thiel anzurufen und ihm zu berichten, was hier gerade passierte, und verzog sich in sein Büro. Hansen war kompetent und die neuen Assistenzärztinnen und -ärzte, die er dieses Semester eingestellt hatte, waren nicht nur lernwillig, sondern hatten auch im Präpkurs herausragend abgeschnitten und waren deshalb mit den Instrumenten bestens vertraut. So sehr es ihm widerstrebte, diesen Fall nicht selbst lösen zu können, irgendwo tief im Inneren wusste er, dass Alberich recht hatte mit ihrer Entscheidung.
Als hätte sie seine Gedanken gehört, öffnete seine Sektionsassistentin in diesem Augenblick vorsichtig die Tür zu seinem Büro, trat ein und setzte sich ihm gegenüber.
“Ein alter Studienkollege”, beantwortete Boerne unaufgefordert die nicht gestellte Frage. “Bernhard Lobrecht. Ich habe ihn gehasst.”
Alberich zog die Augenbrauen hoch, sagte aber nichts.
“Er hat mir am laufenden Band die Posten weggeschnappt”, fuhr Boerne fort. “Im Präpkurs war er derjenige, der mit Abstand am häufigsten das Skalpell in der Hand hatte. Wenn wir uns beide gemeldet haben, wurde immer er als erster drangenommen. Er hat dann sogar die Assistenzarzt-Stelle bekommen, die ich haben wollte.” Und er war mein bester Freund gewesen, wollte er noch sagen, besann sich dann aber eines besseren. Es ging niemanden etwas an, wie oft Bernhard und er nach den Vorlesungen gemeinsam gelernt hatten, sich gegenseitig die Dinge erklärt, die der andere nicht verstanden hatte, dass Bernhard der erste gewesen war, vor dem Boerne sich getraut hatte, zu weinen.
Alberich nickte nur, und Boerne fuhr fort:
“Ich habe ihn vor einigen Monaten erst auf einer Konferenz wiedergesehen.” Und es war wie früher gewesen, sie hatten sich gegenseitig angestachelt, wer den besseren Vortrag halten konnte, und hinterher eine Flasche Wein gemeinsam geleert, als wäre es noch früher und als hätten sie sich nie aus den Augen verloren. “Wir haben Kontakt, immer mal wieder. Er ist, wie ich auch, ein rennomierter Rechtsmediziner, auch wenn er noch kein Institut leitet. Er war aber für Köln im Gespräch, wenn ich den Buschfunk richtig gedeutet habe.” Und Boerne hätte ihm die Stelle absolut gegönnt. Von niemandem in seiner gesamten Laufbahn hatte er so viel gelernt, fachlich wie menschlich. Niemanden hatte er über so lange Zeit so sehr gehasst, beneidet, gemocht.
Er wusste, dass Alberich sich denken konnte, dass er ihr nur das Nötigste erzählte und die wichtigen Details ausließ, aber es war ihm egal. Das hier waren seine Erinnerungen.
Als er dann einige Tage später das fertig abgetippte Obduktionsprotokoll in den Händen hielt, war er ganz froh darum, dass Hansen die Obduktion durchgeführt hatte und nicht er selbst. Bernhard war betäubt und dann erstochen worden, sieben Mal zwischen die Schulterblätter. Ohne sich wehren zu können. Ein hinterhältiger Mord also.
Er schluckte schwer, dann wählte er die Nummer von Thiel. Das war das letzte, was er noch für seinen alten Rivalen und Freund tun konnte: den besten Mann auf die Aufklärung seines Todes ansetzen, den er kannte.