caecilia & cailéan » there's no place for me in this world

Aug 08, 2018 19:15

Story: RPG Storyverse
Genre: Hurt/Comfort & Romance mit sehr viel Drama oder so, idk?
Warnings: Blut, Gewalt/Missbrauch/Tötungsversuche (größtenteils nur angedeutet, letzteres speziell Ertränken, kinda explicit), Panikattacken, Flashbacks, Erinnerungslücken, Dissoziation, Stimmen im Kopf, selbstverletztendes & -zerstörerisches Verhalten, Suizidversuch, Menstruation (erwähnt), Schwangerschaft
Rating: P18
Charaktere: Caecilia & Cailéan (& Elessár)
Ficathon: not over, Prompt [1234]

Sonstiges: Well ... that escalated quickly. Hier ist dann also Part 2 zu den beiden. Bin selbst irgendwie nicht so ganz happy damit, aber besser wird's nicht mehr, so here we go.

there's no place for me in this world
Caecilia & Cailéan

There is earth
Which you won't dare to tread upon
Perhaps because of the multitude
Of beasts and serpents



I.

Cilia, Liebes. Denkst du wirklich, das ist der richtige Ort, um neu anzufangen?

Caecilia sieht flüchtige Schatten am Rande ihres Sichtfelds umherhuschen, Schatten, die ihr durch die Stadt zu folgen scheinen, schon seit sie mit Cailéan gemeinsam das Tor passiert hat. Sie blendet sie aus, so gut sie kann, und setzt einen Fuß vor den anderen, einfach einen Fuß vor den anderen, immer wieder, Schritt für Schritt, nackte Fußsohlen auf den gepflasterten Straßen, die in der Mittagsshitze glühen. Sie weiß, dass niemand sie wirklich beachtet; sie sind nur zwei Reisende, zwei von vielen neuen Gesichtern, die diese Stadt tagtäglich begrüßt und oftmals noch amselben Tag wieder verabschiedet. Und doch wird sie das Gefühl nicht los, dass ein Blick nach dem anderen sie durchleuchtet, ihr noch lange nachbrennt, nachdem sie vorbeigegangen ist, während das Getuschel der Leute ihr nachhallt, ein unverständliches Flüstern, das der laue Wind zu ihr heranträgt, nicht mehr und nicht weniger.

Nein, denkt sie. Das ist nicht der richtige Ort. Aber war es das je? Wird es das je sein? Caecilia kann sich nicht daran erinnern und sie kann es sich auch nicht vorstellen. Sich so zu fühlen, als sollte sie dort sein, wo sie ist, als sei es gut so, dass sie sich dort befindet - das scheint ihr so unwahrscheinlich, so befremdlich, beinahe unmöglich. Aber das hier ist die Erde, und irgendwo gibt es einen Platz für mich. Vielleicht keine Stadt. Vielleicht kein Haus. Aber …

Caecilia schließt die Augen und lauscht auf Cailéans Schritte, spürt seine Hand, die in ihrer ruht. Sie denkt, sie müsste nie wieder sehen, wohin sie geht, nie wieder wissen, dass ihr Ziel das richtige ist, wenn sie ihm nur ihr Leben lang folgen könnte; sie denkt, dass Cailéan die einzige Gewissheit ist, die sie braucht.

Und vielleicht ist er das wirklich.

II.

»Willkommen zu Hause«, flüstert Cailéan in ihr rabenschwarzes Haar. Er steht hinter ihr, hat vorsichtig seine Arme um sie gelegt, und jetzt wandert seine linke Hand nach oben, um ihr Haar aus ihrem Nacken zu streichen, damit seine Lippen einen hauchfeinen Kuss dort platzieren können.

Sie fühlt sich beinahe normal. Wie eine normale Frau, die in ein normales Haus am Rande einer neuen Stadt zieht, um sich mit dem Mann, den sie liebt, ein absolut normales Leben aufzubauen.

Er ist jetzt nicht mehr bloß der Henker und sie ist jetzt mehr als nur die Richterin, die alle verraten hat. Sie beide sind hier auf einmal viel mehr als das, was die Vergangenheit aus ihnen gemacht hat.

Caecilia schmiegt sich an ihren Mann, neigt den Kopf leicht zur Seite und reckt ihm ihren Hals entgegen, an dem kurz darauf seine Finger in einer federleichten Berührung vorbeifahren, ihrer stummen Aufforderung folgend. Dieselben Finger legen sich mit sanfter Bestimmtheit an ihr Kinn, drehen ihr Gesicht in seine Richtung, und seine Lippen verschließen ihre, bevor die zweifelnden Gedanken zu Worten werden und sich auf ihrer Zunge sammeln können.

Zu Hause, denkt Caecilia. Ich bin zu Hause angekommen.

Alles ist ganz normal. Wunderbar normal. Und sie ist zu Hause, genau hier, für jetzt und für immer.

Träum weiter, flüstert Elessár in ihren Gedanken. Es kommt ihr genauso real vor wie Cailéans Atem, der über ihre Ohrmuschel und ihren Haaransatz streift, und sie weiß nicht, was von beidem die Gänsehaut verursacht, die sie mit einem Mal überläuft.

III.

Manchmal ist es die Anonymität, die sie rettet.

Die Tatsache, dass die Bäckersfrau sie beim Einkauf anlächelt, als sei Caecilia wirklich die normale Frau, die sie vorgibt zu sein. Das Untergehen in der Menge, die ausbleibenden Fragen. Die Gewissheit, dass niemand in ihrem Umfeld je mehr über sie wissen wird, als sie preiszugeben bereit ist.

Caecilia lässt sich davon umspülen wie von einem wohltuenden warmen Bad, das den Schmutz der Vergangenheit von ihr abwäscht und ihr das Gefühl gibt, sie ließe es mit dem kalt gewordenen Wasser in den Boden sickern, nachdem sie aus der Wanne gestiegen ist.

Manchmal ist es die Anonymität, die sie fast umbringt.

Eine Bettlerin aus der Nachbarschaft hält ihre Hand einen Augenblick zu lange, als sie ihr ein Stück Brot überreicht, ihre Stimme überschlägt sich, als sie sich hastig bedankt, sie mit großen Augen ansieht und ihr sagt, sie sei eine gütige Frau, Gott hab sie selig. Die Nachbarskinder grüßen sie auf der Straße, das Mädchen umarmt sie manchmal sogar zur Begrüßung und zum Abschied, und die Eltern lächeln darüber, machen sich keine Sorgen, weil sie ihre Kinder bei ihr in Sicherheit wissen. Sie kommt mit allen gut zurecht, niemand will ihr etwas Böses, die Leute vertrauen ihr. Mögen sie. Und das ist es, was sie nicht begreift.

Sie sind freundlich zu ihr, weil sie nicht wissen, wer sie wirklich ist, und Caecilia will sie an den Schultern packen, schütteln und anschreien, bis sie erkennen: Die nette, normale Frau von nebenan ist nichts weiter als eine Illusion. Sie will die Farben ihrer schönen Maske abwaschen und sagen: Seht. Das ist mein wahres Gesicht. Das bin ich, und ihr solltet euch von mir fernhalten.

IV.

Caecilia kann nicht atmen; als läge ein Seil um ihren Hals und jemand schnürte ihr die Luftzufuhr ab. Sie ist sich sicher, sie könnte so viel röcheln wie sie wollte und es würde doch nichts in ihre Lungen strömen als der Dunst blanker Panik, der sich über sie gelegt hat wie die warmen Schwaden in einem Badehaus, deren Hitze einen zu erdrücken scheint und an einem klebt wie eine zweite Haut.

»Atme«, sagt Cailéan.

Aber sie kann nicht, kann nicht, kann nicht.

»Bitte, Cai«, stößt sie mühsam hervor, wohl wissend, dass er sofort begreift, was sie will. Ihr Blut. Sie würde ihm bereitwillig jeden Tropfen davon überlassen, wenn er nur die lähmende Angst aus ihrem Körper ziehen würde, wie er es früher so oft getan hat.

Cailéan hält kurz inne. »Nein«, sagt er dann. »Ich … - Nein. Nicht so oft. Und nicht … hier.« Er zieht sie von hinten an sich heran, und sie ist so starr, so hilflos, dass sie nichts dagegen tun könnte, selbst, wenn sie wollte. Seine Arme umfangen sie so vorsichtig, dass sie sich sicher ist, er weiß das: Sie kann nicht selbst entscheiden, nicht jetzt, und er muss ihr die Entscheidung abnehmen, aber will ihr die Möglichkeit lassen, sich loszumachen, falls er nicht in ihrem Sinne entschieden hat. Cailéan beugt sich vor, sein Kinn berührt ihre Schulter, und dann vergräbt er das Gesicht in ihrem Haar. Sie kann seine Atemzüge hören. Hören und spüren.

Ein. Aus. Tief ein. Lang aus. Immer wieder, so gleichmäßig und ruhig, dass es irgendwie ansteckend ist.

Caecilia schließt die Augen und vergisst, wo sie sind.

Sie vergisst das glühende Pflaster unter ihren Füßen; die Erde, auf der sie manchmal nicht zu wandeln wagt, aus Angst, was ihr dort begegnen möge. Sie vergisst die Leute um sie herum, die sie vielleicht ignorieren, vielleicht aber auch anstarren. Sie vergisst, wovor sie Angst hatte, vergisst all die Gefahren, die sie hinter jeder Ecke lauern sieht, vergisst sogar die Ecken, hinter denen sie lauern könnten.

Sie atmet.

Nur das, nicht mehr.

Manchmal - das hat Cailéan ihr beigebracht - kann man nur einen Schritt nach dem anderen tun, nicht alle auf einmal. Manchmal reicht es, einfach weiterzuatmen, und sonst muss man gar nichts tun; nur überleben, auch wenn die ganze Welt mit erwartungsvollen Augen zu einem aufblickt und so viel mehr zu verlangen scheint.

V.

Cilia, mein Herz, säuselt Elessár irgendwo in den Untiefen der Welt, die sie betritt, sobald sie mit ihren Gedanken allein ist. Ist es wirklich das, was du willst?

Caecilia liegt wach und hält die Augen geschlossen, um nicht schlaflos an die Decke starren zu müssen. In der Schwärze, in die sie blickt, sieht sie alles wieder vor sich, wirklich alles.

Sie sieht ihr zitterndes Spiegelbild auf der Wasseroberfläche, bevor Elessár ihren Kopf nach unten drückt. Sieht ihr Kinn und ihre Hände, mit ihrem eigenen Blut verklebt, im Spiegel, und ihre geschwollene, zerschnittene Zunge, als sie die Lippen öffnet und es nicht schafft, auch nur eine klare Silbe zu formulieren. Sie sieht ihre Kerkerzelle von innen, den Boden voller Urin und nassem Stroh, und sie sieht die alte Richterin vor sich, wie sie die Lippen schürzt, während ihr Blick sich in Caecilias bohrt und sie sagt: Schuldig.

Aber sie sieht auch, wie Elessár seinen Kelch an seine Lippen führt und sie über dessen Rand hinweg anlächelt; die Lippen violett vom Wein, sagt er, dass sie das Schönste ist, was er je betrachten durfte, und sein Daumen streicht so zart über ihre Wange, dass sie errötet und zugleich erschaudert. Sie sieht denselben Triumph in seinen eisblauen Augen, den sie auch selbst in ihrem Herzen spürt, als er den Vertrag unterzeichnet, welchen sie für ihre Stadt mit der benachbarten Siedlung ausgehandelt hat; sieht den Stolz, den er ausstrahlt, Stolz auf sich selbst und seine Stadt, aber auch auf sie, seine Frau, mit jeder Faser seines Seins. Sie sieht ihn, wie er den Arm um sie legt und ihre Schläfe küsst, und dann, wie ihr schwarz vor Augen wird und sie als fremde Person wieder aus ihrem eigenen Bewusstsein auftaucht; sieht sein irritiertes Blinzeln, sein Zögern, sein Zurückweichen, als sich ihre Lippen zu einem ungewohnt lasziven Lächeln verziehen und sie mit einer Stimme, die nicht ihr gehört, sagt: Hallo, schöner Mann. Wie erfreulich, dass wir uns endlich kennenlernen.

Sie hat keine Ahnung, woher die letzte Erinnerung kommt, die ihr durch den Kopf schießt. Es kommt ihr vor wie eine Szene aus einem Albtraum, der sich so tief eingebrannt hat, dass man ihn die ganze Zeit über verdrängt, aber nie wieder ganz vergessen kann.

Mit einem Zucken kehrt Caecilia in die Gegenwart zurück. Sie tastet hektisch nach Cailéan, tastet nach dem Pulsschlag an seinem Handgelenk, um sich daran zu erinnern, dass das hier echt ist, nicht die vergangenen Tage, in die ihr Kopf sie immer wieder zurückkatapultiert.

Ja, denkt sie, ohne weiter zu zögern. Das hier - ihr Leben mit Cailéan, ihr Leben in Frieden -, das ist zweifelsohne das, was sie will.

Doch noch während sie es denkt, drängt sich ihr dieselbe Frage auf, die Elessárs Stimme in ihrem Kopf wenig später ausspricht und die ihr einen kalten Schauer über den Rücken jagt, als stünde sie wieder unter dem Wasserfall in den Wäldern ihrer Heimat, am Morgen danach, am Morgen nach der endlos langen Nacht, in der sie hätte sterben sollen; sie und alles, was sie in sich trägt, mit ihr.

Aber was ist mit dem Teil von dir, dem das nicht genügt?

VI.

Caecilia glaubt beinahe, den Mondschein auf ihrer Haut spüren zu können. Da ist unter ihr das feuchte Moos, die krümelnde Erde, feine Blätter und Grashalme, die ihr in die Haut piksen; um sie herum die Nachtluft, die all die Gerüche des Waldes mit sich trägt, die sie in der Stadt so sehnlichst vermisst; und über ihr, da fühlt sie den silbrigen Schein durch die Blätterkronen brechen, jeder Strahl, der sie erreicht, ein wohliges Kribbeln auf ihrer Haut und in ihrem Inneren.

Die rechte Hand hat sie auf ihren Bauch gelegt. Fühlt ihrer Atmung nach, achtet ganz bewusst darauf, und schwört sich, sich genau einzuprägen, wie das funktioniert: Ruhig atmen. Sie wird lernen müssen, wie das geht, auch wenn sie nicht so entspannt ist wie jetzt gerade. Wie sie das von sich aus tun kann, ohne Cailéans Hilfe.

Die Finger der linken Hand hat sie mit Cailéans verschränkt, ganz locker nur, und doch fühlt es sich an, als sei das ihr Anker, der sie in der Realität hält, wenn sie, gleich einem hölzernen Floß auf viel zu stürmischer See, wegzudriften droht.

Genieß es, raunt eine wohlbekannte Stimme, von der sie mittlerweile weiß, dass sie nur noch in ihrem Kopf existiert. Solange du noch kannst.

»Woran denkst du gerade?«, fragt Cailéan, so leise, als wolle er den Wald nicht erschrecken, der sie so sicher und wohlig umfängt, als sei er ihr wahres Zuhause, und nicht die vier Wände ihres Hauses ein paar Meilen weiter in der Stadt, in der sie nun leben.

Caecilia denkt, dass Cailéan das beste ist, was ihr hätte passieren können.

Sie denkt daran, wie sie ihn vorhin wachgeküsst hat - viele kleine, zarte Küsse, die sie auf seinen Schultern verteilt hat, an seiner Wirbelsäule entlang nach unten und wieder zurück, über seinen Hals, seine Halsbeuge, bis er mit einem irritierten Hm? auf den Lippen erwacht ist.

Cai, hat sie ihm ins Ohr geflüstert - und es genossen, wie er beim Klang seines Namens aus ihrem Mund wohlig erschaudert, lass uns nach draußen gehen.

Ein leises Gähnen. Mitten in der Nacht?

Mitten in der Nacht. Ich will in den Wald, Cai. Mit dir. Bitte.

Und kann er ihr je eine Bitte ausschlagen?

Sie denkt daran, wie er sich von ihr hat mitziehen lassen, kaum verwirrt oder gar verärgert von diesem Anflug kindlicher Freude, von ihren seltsamen Ideen und scheinbar zufälligen Energieschüben. Ignorierend, dass er selbst eigentlich Schlaf gebraucht hätte, kein nächtliches Abenteuer, angesichts der Tatsache, dass er in wenigen Stunden aufstehen muss.

»An dich«, antwortet sie - gleichzeitig ausweichend und wahrheitsgemäß.

Das Mondlicht streichelt sie weiter, wie die beiläufige Berührung einer geliebten Person, die neben einem liegt und einen doch kaum anzufassen wagt, und Caecilia kann spüren, wie Cailéan ein wenig näher an sie heranrückt.

»So?« Er ist jetzt ganz nah, und dann ist er mit einem Mal über ihr, und sie öffnet sie Augen, damit sie in seine klaren, meerblauen Augen sehen kann, welche in diesem Moment im Schatten liegen und doch heller strahlen als die Sterne am Nachthimmel hinter ihm. »Was denkst du über mich, mo chridhe?«

Ist doch egal, hört sie Elessár spotten, und dazu sein bitterstes Lachen. Ist sowieso gelogen, egal, was du jetzt sagst.

Caecilia ignoriert es und sagt: »Dass du meine Erlösung bist.«

Cailéans Lippen zeigen ein leichtes Lächeln, während er sich zu ihr hinab beugt, und Caecilia kann es kaum erwarten, dass seine Lippen auf ihre treffen - denn selbst, wenn jedes einzelne Wort zwischen ihnen gelogen wäre, ist sie sich sicher, dass kein Kuss, der sich so anfühlt, jemals lügen könnte.

VII.

Es wird besser. Wird es wirklich.

Manchmal hat sie noch Angst vor allem, und meistens misstraut sie jedem, dem sie begegnet, aber sie kann damit umgehen, einigermaßen zumindest. Manchmal erinnert sie sich nur an die Hälfte ihres Tages, manchmal weiß sie nicht, wann und wie und wieso die Dinge passiert sind, mit denen sie konfrontiert wird, aber die meiste Zeit über lebt sie ihr Leben wie jede andere Frau an der Seite eines Manns, der tagsüber hart arbeitet, um ihr gemeinsames Leben zu finanzieren, und sie abends zur glücklichsten Frau der Welt macht, indem er sie einfach nur in seinen Armen einschlafen lässt. Ein traditionelles Leben in der Welt der Menschen, gänzlich anders als ihr altes, aber es schenkt ihr Frieden, und das sollte genügen.

Caecilia weiß nie, wie lange es besser bleibt. Nur, dass es nicht für immer so bleiben wird.

VIII.

Er heiratet sie in einer einfachen Zeremonie - nur sie beide und die Priesterin aus dem Tempel am Rande der Stadt. Es gibt keine prunkvolle Dekoration, keine Festgesellschaft, kein üppiges Buffet und keine ausgelassene Feier nach den Formalitäten. Es gibt nur die Ja-Worte, die ihnen so leise über die Lippen kommen, als müsse niemand jemals davon erfahren außer ihnen, und die Symbole, die eine Tempeldienerin ihnen einschneidet, Zugehörigkeitszeichen, wie die Eheringe an ihren Ringfingern, nur permanent - genau so, wie Caecilia es sich gewünscht hat.

Der hinabrieselnde Schnee kühlt ihre geröteten Wangen, als Caecilia die Augen schließt und nichts anderes mehr spürt; nur noch das Nachbrennen der Schnitte, die Schneeflocken auf ihrer Haut, Cailéans Hände, die ihre umfassen, und Cailéans Lippen, so vertraut, die sich an ihre schmiegen zu einem stillen Versprechen, von dem sie nicht dachte, dass sie je wieder daran glauben könnte: Für immer.

IX.

»Bitte entschuldigt«, sagt Cailéan, und Caecilia kann das Lächeln in seiner Stimme hören, dieses entwaffnende Lächeln, mit dem er jeden dazu bringen kann, über die kleine Unannehmlichkeit hinwegzusehen, für die er so freundlich um Verzeihung bittet, »meine Frau, sie ist manchmal -«

Sie hört nicht weiter zu. Eigentlich will sie gar nicht genau wissen, was er den Leuten erzählt; es würde sie nur noch nervöser machen, und es ist ihr schon unangenehm genug, dass er sich überhaupt ihretwegen vor anderen erklären muss - weil sie nicht normal sein kann. Weil sie anders funktioniert als alle anderen.

Solange sie mit Cailéan allein gelebt hat, abgeschieden von aller Welt, war das kein Problem; mit der Zeit ist es ihm sogar gelungen, ihr beizubringen, dass anders nicht schlecht bedeuten muss. Aber jetzt wohnen sie in der Stadt, und ihnen beiden war klar, dass nicht alle so damit umgehen würden wie er. Dass sie Rechtfertigungen brauchen würden. Geheimnisse. Viel Geduld mit ihrem Umfeld - und mit sich selbst.

»Die Ärmste!«, hört sie den Besuch im Nebenzimmer ausrufen. Dann Cailéan, der etwas murmelt. Dann: »Oh, selbstverständlich. Gewiss. Geht nur, kümmert Euch um Eure Frau. Es ist ganz wunderbar, wie Ihr -«

Und trotz der unangenehmen Situation kann sie sich eines kleinen Lächelns nicht erwehren.

Seine Frau.

Nichts macht sie glücklicher, als daran erinnert zu werden.

X.

»Alles ist gut«, flüstert Cailéan, während er sie fest an sich drückt und immer wieder über ihren Kopf und ihren Rücken streichelt.

Aber Caecilia spürt genau, dass nicht alles gut ist. Spürt es, weil er sich so verzweifelt an sie klammert, als sei sie wochenlang weg gewesen.

Und vielleicht war sie das wirklich. Es kommt ihr selbst genauso vor.

XI.

Caecilia isst nicht, schläft kaum, redet nur, wenn es unbedingt nötig ist, und geht nicht mehr nach draußen, seitdem sie es einmal versucht hat und nichts mehr so war wie vorher. Sie hasst es, zu wissen, dass Cailéan ihr etwas verschweigt, aber sie hasst es noch mehr, zu wissen, dass er recht damit hat; schließlich traut sie sich noch nicht einmal, nachzufragen, wieso alle sie plötzlich anders ansehen, anders mit ihr reden, sie anders behandeln.

Sie sitzt am Fenster, blickt in das Schneegestöber hinaus. Es sind Monate vergangen, seit sie hier angekommen sind. Der Winter ist über die Stadt hereingebrochen, hat draußen alles in Weiß getaucht, und Caecilia sitzt am Fenster und fragt sich, wann der Winter in ihrem Inneren kommt - wann sich endlich ein weißer Schleier über all ihre Gedanken legt, der sie plötzlich so neuartig und fremd erscheinen lässt, so unberührt und schön, als sei das ganze turbulente Jahr - ihr ganzes turbulentes Leben - nie passiert.

XII.

Das Morgenlicht schwappt grau und träge in ihrem Schlafzimmer hin und her, und Caecilia hat das Gefühl, der ganze Raum würde schwanken. In ihrem Kopf rutschen die Gedanken und Eindrücke von einer zur anderen Seite, ohne Halt zu finden, und es wundert sie nicht, dass sie sich auf den Dielenboden zu ihren Füßen übergibt, kaum dass sie die Beine über die Bettkante geschwungen hat.

Es ist irgendwann später.

Irgendwann eine ganze Weile nach ihrer Ankunft in einer Stadt, an deren Namen sie sich selbst heute nur in manchen Momenten erinnern kann, lange nach der Zeit, in der die Aussicht auf ein normales Leben alles in neuem Glanz erstrahlen ließ.

Zum ersten Mal ist es so, dass Caecilias Körper nicht blutet, obwohl sie es will. Zum zweiten Mal schon, wenn sie sich recht entsinnt. Vielleicht auch zum dritten Mal, wenn sie nach dem Datum geht und nicht nach den Monaten, an die sie sich erinnern kann.

Sie sieht dabei zu, wie Cailéan ihr Erbrochenes aufwischt, sorgenvoll zu ihr aufblickt, und schließlich, als er fertig ist, ihre Hand nimmt und fragt: »Ist alles in Ordnung mit dir, mo chridhe?«

Caecilia zuckt mit den Schultern. Sie merkt, dass ihre Augen vor Tränen überzulaufen drohen, obwohl sie nichts fühlt, keine Trauer, keine Wut, keine Verzweiflung, nichts, nur diese klaffende Leere in ihrem Brustkorb, als wäre ihr Herz eingeschlafen und taub geworden - und weiß nicht, was sie ihm sagen soll. Also sagt sie nichts.

XIII.

Ireth?, ruft Elessár unaufhörlich. Stundenlang manchmal, wie ein Wolf, der den Vollmond anheult. Ireth, meine Schöne, wo bist du? Komm zu mir.

Sie hat ihn noch nie so betteln gehört. Und sie hasst es, wenn er sie bei ihrem zweiten Vornamen nennt.

»Kommst du mit?«, fragt Cailéan.

Und Caecilia weiß gar nicht, wohin, aber sie sagt abrupt: »Nein.« Atmet einen Stoß viel zu lange angehaltener Luft aus. »Nein, ich komme nicht mit nach … da draußen.«

Sie starrt Cailéan an und sieht, dass seine Lippen sich bewegen, doch kein einziger Ton kommt bei ihr an. Es klingelt in ihren Ohren. Als sie aufstehen und weggehen will, wird ihr schwarz vor Augen, und noch während sie spürt, wie ihr Körper jegliche Spannung, jegliche Kraft verliert, blitzt in ihrem Kopf wieder eine Erinnerung auf, die nicht ihr gehört:

Ireth, hört sie sich selbst in einer seltsam unvertrauten Stimme sagen, und sie kann Elessárs Haut fast schmecken, so nah beugt sie sich dabei zu ihm vor. Mein Name ist Ireth.

XIV.

Alles ist gut.

Caecilia isst wieder (ein wenig mehr als früher sogar, immerhin isst sie jetzt für zwei), schläft wieder besser, spricht wieder mehr, geht wieder nach draußen, auch wenn ihr manche Leute immer noch seltsam abweisend begegnen, ohne dass sie weiß, wieso.

Caecilia sieht dabei zu, wie der Schnee über die Wochen dahinschmilzt und die Welt wieder freigibt - eine Welt, die, obwohl sie vor dem Winter genauso aussah, ganz neu und unberührt wirkt, wie sie da unter dem unwirklichen Schleier aus strahlend heller Kälte wieder auftaucht.

Wenn Cailéan fragt, ob sie glücklich ist (und mittlerweile fragt er das tatsächlich, ganz direkt, nicht nur in tausend unausgesprochenen Worten, die sich hinter anderen, unauffälligeren verstecken), sagt sie: »Ja, das bin ich.«

Und er glaubt ihr, wie es scheint.

Aber die Wahrheit ist: Caecilia ist eine sehr gute Schauspielerin geworden. Irgendwann zwischen ihrer Kindheit (dem Teil, an den sie sich selbst nicht erinnern will), dem Zusammenleben mit Elessár, den öffentlichen Auftritten in ihrer Heimat, der Flucht ins Ungewisse mit Cailéan und dem neuen Leben in der neuen Stadt hat sie gelernt, zu verstecken, was wirklich in ihrem Inneren vorgeht. Sie fängt wieder an, zu lügen, selbst Cailéan gegenüber; sie pinselt neue, bunte Schichten über ihre alten Masken, und mit jedem Tag wird sie glaubwürdiger, während sich hinter der perfekten Fassade nur eins abspielt: Pure Verzweiflung, die sie dem Abgrund Tag für Tag ein Stück weiter entgegentreibt, ausgelöst von den immer gleichen Gedanken -

Wie kann ich ein Kind in eine Welt setzen, in der ich noch nicht einmal für mich selbst einen Platz finden kann? Wie kann ich mein Kind auf dieser Erde wandeln lassen, auf die ich selbst kaum einen Fuß zu setzen wage, aus Furcht vor den Ungeheuern, die sie für mich bereithält?

Du stellst die falschen Fragen, Cilia, sagt Elessár ständig.

Caecilia kennt die richtigen Fragen, doch sie will sie nicht stellen, aus Angst, es könnte jemand darauf antworten, und sei es nur in ihrem Kopf.

Was, wenn mein Kind so wird wie ich? Was, wenn ich ihm kein Leben schenke, sondern es in derselben Hölle aussetze, in der auch ich mein Dasein abfriste?

XV.

»Ich könnte mir nichts Schöneres vorstellen«, sagt Cailéan (und er lächelt dabei und er meint es ehrlich, wie immer, er kann alles so aufrichtig voller Überzeugung sagen, dass es manchmal fast wehtut), »als der Vater deiner zukünftigen Kinder zu sein.«

Doch da ist dieser besorgte Zug um seine Augen, dieses Zögern, als er lächelt und ihr über den Bauch streichelt, mit den Fingerspitzen über die Haut fährt, die sich schon deutlich mehr spannt als noch vor einigen Wochen.

Er hat die gleichen Zweifel wie sie, und Caecilia hat keine Ahnung, wie sie sie ihm oder sich selbst nehmen soll.

Hab ich's dir nicht gesagt?, flüstert Elessár ihr zu. Für dich gibt es kein glückliches Ende. Kein 'Für immer'.

XVI.

Cailéan schläft mit ihrem Blut an seinen Lippen und Händen ein. Ein bisschen nur, und nur ganz selten - darauf haben sie sich geeinigt. Caecilia fragt sich, ob er gemerkt hat, dass sie ihn dieses Mal nicht wegen der Angst darum gebeten hat; dass da keine Furcht in ihrem Blut war, oder zumindest nicht die Furcht, die er für gewöhnlich braucht, um seine Kräfte wieder aufzuladen.

Dieses Mal war es kein Tauschgeschäft. Kein Du nimmst mir meine Angst und dafür gebe ich dir meine Energie. Es war ein Geschenk. Das Mindeste, was sie noch für ihn tun konnte, bevor …

Caecilia atmet tief durch. Einfach atmen. Sie steht auf und zieht sich an, durchquert das Schlafzimmer, den Flur. Schritt für Schritt. Cailéan hat ihr beigebracht, wie das geht.

Manchmal muss man nur atmen. Nur einen Schritt nach dem anderen tun.

Nichts weiter.

Nicht noch mal zurücksehen.

Nicht überprüfen, ob er wirklich so tief schläft.

Sich nicht verabschieden.

Nur atmen. Atmen und gehen. Es ist einer dieser Momente, in denen sie nichts weiter tun muss als das.

XVII.

Also glaubst du mir nun? Hast du endlich eingesehen, dass es keinen Ort für dich gibt, keine Bestimmung, kein Seelenheil?

Caecilia weiß nicht, was sie antworten soll. Sie will nicht zustimmen, aber für ein entschiedenes Nein fehlt es ihr an Kraft und Überzeugung. Also antwortet sie gar nicht.

Ihre Schritte auf dem feuchten Boden verhallen ungehört im Wald, und sie seufzt und vergräbt die Hände in den Manteltaschen. Wohin sie geht, weiß sie selbst nicht. Einfach irgendwo hin. Wenn man nirgendwo hin gehört, ist es egal, ob man sich überhaupt ein Ziel setzt, geschweige denn welches. Caecilia streicht nachdenklich über die Wölbung ihres Bauchs und denkt an das Zuhause, das sie zurücklässt. An Cailéan. An das Leben, das sein könnte. Aber vielleicht nicht sollte.

Es sollte keine Rolle spielen. Aber das tut es.

Caecilia beginnt, stumm zu weinen, aber sie geht weiter. Gehen. Das kann sie schaffen. Wenigstens das.

XVIII.

Sie sitzt am Ende eine Stegs und blickt auf einen See hinaus, den sie noch nie zuvor gesehen hat. Eigentlich ist es irrelevant, aber Caecilia fragt sich, ob der See wohl den Winter über zugefroren war; ob der Frühling ihn erst vor Kurzem wieder freigegeben hat, genauso wie den Rest der abscheulichen Welt. Es ist früh am Morgen, hinter ihr zwitschern die Vögel im Dickicht des Waldes, vor ihr geht am fernen Horizont hinter kantig verzweigten Baumwipfeln eine goldgelbe Sonne auf.

Caecilia prüft noch einmal den Knoten. Sie hat keine Ahnung von sowas, könnte vermutlich noch nicht einmal eine Schlinge knüpfen, an der man jemanden aufhängen kann, doch das Seil sitzt fest um ihre Fußgelenke, und das andere Ende sitzt ebenso fest um den Beutel, den sie mit Steinen gefüllt hat.

Sie hat die Knie nah an den Körper gezogen, schließt die Augen, lässt sich die Morgensonne aufs Gesicht scheinen und denkt, dass es seltsam ist, dass sie nichts fühlt. Dass sie etwas fühlen sollte, vielleicht Vorfreude, vielleicht Angst, irgendetwas; aber da ist nichts in ihr, außer der Gewissheit, dass es besser so sein wird - für sie und für die restliche Welt. Es gibt keinen Platz für sie auf Erden. Aber im Jenseits hat sie noch nicht gesucht, und vielleicht, so hofft sie, wird sie dort fündig werden.

Hast du mich vermisst?

Elessárs Flüstern erscheint ihr so echt, dass sie beinahe glaubt, er stünde direkt hinter ihr. Es scheint nicht nur in ihrem Kopf zu sein, sondern überall; so real, dass sie eine Gänsehaut überläuft, ein Schaudern, bei dem sie nicht genau weiß, ob es wohlig oder widerstrebend ist.

Caecilia streckt die Beine aus. Ihre Füße berühren die Kante des Stegs und sie hört, wie das Gewicht ein Stück weit über die Holzplanken schleift.

Wenigstens, denkt sie, gehört ihr letzter Gedanke nicht Elessár. Ihr letzter Gedanke ist die Entschuldigung, die Cailéan verdient hätte, auch wenn sie, selbst ausgesprochen oder niedergeschrieben, nichts von all dem, was sie getan hat, je wieder gutmachen könnte.

XIX.

Sie hat längst aufgehört zu zappeln, als jemand den Strick an ihren Füßen mit einem Jagdmesser durchtrennt. Den Beutel mit den Gewichten tritt er unachtsam über die Kante des Stegs, auf dem sie reglos liegt, die Augen weit aufgerissen, als wollte sie dem Tod, den sie sucht, direkt ins Gesicht sehen können, wenn er ihr begegnet.

Sie rührt sich keinen Millimeter weit. Es lässt sich kaum feststellen, ob sie überhaupt noch atmet.

Jemand geht neben ihr in die Hocke und betrachtet sie eingehend. Streicht ihr das nasse, pechschwarze Haar aus dem bleichen Gesicht und fährt mit dem Daumen über ihre Wangen, über ihre leicht geöffneten Lippen, die eben noch nach Luft gejapst haben und jetzt so still scheinen wie die einer Toten.

Caecilia starrt ihn an. Sie könnte nichts sagen, selbst wenn sie es wollte; selbst, wenn sie nicht noch unter Schock stünde und nur halb bei Bewusstsein wäre.

»Hast du mich vermisst, Cilia?«, fragt Elessár.

Sie starrt ihn an, sieht ihm direkt in die kalten, hellen Augen, die sie nie wieder sehen wollte, und an seinen Mundwinkeln zupft ein vages Lächeln, das diese Augen nicht erreicht.

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