Apr 23, 2008 17:36
Sarajevo - zum Zweiten
Letzte Woche war es wieder soweit. Meine Arbeit in Sarajevo, im letzten Jahr begonnen, konnte fortgesetzt werden.
Nachdem ich letztes Mal eine Evaluation der Milchindustrie für die Europäische Union durchgeführt hatte, stand diesmal ein Workshop zur Überwachung von Lebensmittelproduzenten auf dem Programm.
Noch mehr als letztes Jahr war zu spüren, wie groß der Druck ist, der auf den Menschen dort lastet. Sie müssen Arbeit auf hohem europäischen Niveau leisten, um konkurrenzfähig zu sein, und gleichzeitig ihr Leben organisieren. Bei ähnlichen Preisen wie hier (vielleicht etwa -25 %) verdient ein Staatsveterinär dort nur ein Viertel dessen, was man hier jeden Monat bekommt. Das bedeutet natürlich, es muss hinzu verdient werden. Insbesondere Energie und Krankenversorgung sind teuer.
Von dem Konflikt unter den verschiedenen Bevölkerungsgruppen habe ich diesmal weniger gespürt als beim letzten Mal. Mit jeden Jahr, das der Krieg weiter zurück liegt, vergisst man wieder ein bisschen - so wurde es mir gesagt.
Das Herz einer waschechten Tierärztin gehört natürlich wie immer auch besonders den Tieren:
Erschrocken haben mich die Zustände im Fleischmarkt. Ich habe mir die Schlachtkörper der Schafe sehr genau angesehen, Bolzenschussspuren gab es nicht. Natürlich könnte man der Illusion anhängen, dass alle Lämmer mit Elektrobetäubung geschlachtet wurden, aber die Wahrheit ist wohl eher, dass sie grausam geschächtet werden. Für diese brutale Tötungsmethode fehlt mir nach wie vor jedes Verständnis. Merlin sei dank ist das Schlachten bei vollem Bewusstsein bei uns in Deutschland (von wenigen bedauerlichen Ausnahmen abgesehen) verboten.
Über 97 % der Bevölkerung lehnen es ab, habe ich gelesen.
Herrenlose Hunde, wie man es in südlichen Ländern oft sieht, gab es in Sarajevo gar nicht. Ich habe überhaupt nur wenige Hunde gesehen, die meisten waren eher sehr klein und gehörten modischen Damen, die der Ansicht sind, dass der natürliche Lebensraum eines Pudels Frauchens Handtasche ist.
Auch Katzen gab es nur wenige, vorzugsweise an der großen Moschee, wo sie offenbar geduldet werden. Nach Einbruch der Dunkelheit flitzen sie durch die Altstadt und suchen zwischen den Buden und Lädchen nach Fressbaren, immer darauf bedacht, außerhalb der Reichweite tretender Menschenfüße zu bleiben.
Man konnte genau sehen, bei welchen Ladenbesitzern die Tiere freundlich aufgenommen wurden: Dort waren sie zutraulich und kamen auch zum schmusen.
Dass es nicht besonders geschickt ist, eine herrenlose, sichtlich verwurmte Katze zu streicheln und dann für andere das Essen zuzubereiten, will ich nicht bestreiten.
Beeindruckt war ich wie letztes Mal schon von der wunderschönen Altstadt, der unglaublichen Kunstfertigkeit der Silber- und Kupferschmiede und ihrer Geschäftstüchtigkeit und Sprachgewandheit. Egal, ob auf deutsch, englisch, schwedisch oder französisch - wie immer ich auch die Leute ansprach, sie antworteten mir in meiner vermeintlichen Muttersprache. Vor soviel Sprachtalent ziehe ich den Hut!
Wer mal eine besondere Stadt erleben will: Flüge nach Sarajevo gibt es sehr günstig von allen größeren Flughäfen in Deutschland, und man übernachtet für kleines Geld in den sauberen, zentral gelegenen Hotels der Altstadt, von wo man mit wenigen Schritten in einem bunten, munteren Treiben an der Schnittstelle zwischen Orient und Okzident eintauchen kann, und das nur eineinhalb Flugstunden von München entfernt.
Übrigens: Nicht nur Sarajevo, auch das Land Bosnien Herzegowina ist wunderschön. Malerische Berge und verträumte Täler laden ein zum Wandern und Entdecken (Minenkarten nicht vergessen, Teile des Landes sind immer noch vermint), und im Winter findet man an den Hängen rund um Sarajevo ein tolles Skigebiet.
Mein nächstes Projekt führt mich nach Litauen. Auch darauf bin ich schon sehr gespannt. Ich werde hier wieder berichten!