Du hältst Alkohol für deinen besten Freund

Jan 19, 2018 23:33


Ficathon: write your darlings

Fandom: original, Nachts wenn alles schläft

Characters: Nash & Killua

Genre: angst, drama

Rating: P-16

Warning: alcohol, depression, drink/drive, dissociation, suicidal thoughts

Prompt: Wenn der Whiskey mir nicht hilft | Fahr ich nachts ohne Licht | Durch die Vorstadt auf der Suche | Nach dem, was du nicht bist von tears_into_wine

Wenn wir schweigen, dann machen wir uns lächerlich.

Wenn wir reden, dann wird alles schlimmer.

Es ist ein Teufelskreis. Nachts spielt das alles kaum mehr eine Rolle. Es ist so dunkel, dass ich die Straße kaum noch erkenne. Durch das heruntergelassene Fenster strömt viel zu kalte Luft. Meine Finger sind schon so klamm, dass ich die Flasche nicht mehr richtig halten kann und auch das Lenkrad sich anfühlt, als würde es mir entgleiten wollen. Gedanken am Rande, im Suff ertränkt. Irgendeine Stimme im Hinterkopf flüstert mir zu, wie falsch es ist, betrunken Auto zu fahren. Ich lache sie aus. Der Mond spiegelt sich auf der nassen Straße. Kein Scheinwerferlicht. Es ist egal, wie spät es ist. Ich bin raus aus der Stadt, hab seit Stunden keinen Menschen mehr gesehen. Oder sind es Minuten? Wie lange fahre ich schon hier draußen herum?

Ich schaue auf die Flasche Jack hinunter - ich kann den Boden unter der klaren Flüssigkeit sehen. Fast leer. Ich setze an, nehme diesen letzten Schluck und werfe sie aus dem Fenster. Ich kann das Klirren hören, als sie gegen eine Straßenlaterne kracht, und gebe mehr Gas. Eine Mauer. Ein Baum. Mit Fullspeed gegen eine Leitplanke. Doch die Straße ist endlos, zeitlos, schwarz wie das Loch in meinem Kopf. Oder weiter unten. Schlägt mein Herz noch? Ich schaue flüchtig in den Rückspiegel. Kein Auto hinter mir. Nur ab und zu Licht in einem Fenster. Ich weiß nicht einmal, in welchem verdammten Stadtteil ich bin. Bin ich schon so weit draußen?

An der Frage hängt sich mein Hirn auf. Eben noch ausreichend klare Konturen werden zu Schemen und … das Lenkrad bewegt sich schwammiger.

Ich sehe den Schatten vor mir zu spät und vermutlich sorgt nur der Schock dafür, dass ich in die Eisen gehe. Ich treffe auf Widerstand, schließe die Augen. Das war es. Der worst case. Betrunken gefahren und jemanden umgebracht. Horrorszenarien wie rasende Momentaufnahmen, verzögert, wie Hammerschläge. Als ich die Augen wieder öffne, ist der Schatten weg. Eine Bewegung im Augenwinkel. Die Tür wird aufgerissen. Weitere zuckende Bilder. Ein harter Griff. Kälte. Alles dreht sich. Irgendwo das Zuschlagen einer Tür. Der Boden ist hart, aber nur solange, wie es dauert, bis ich hart gegen meinen Wagen geworfen werde. Ich sehe nichts. Alles ist dunkel und furchtbar still. Wie kann das sein? Wie …

Schmerz explodiert in meinem Gesicht. Links. Mein Kopf ruckt herum, dann zur anderen Seite. Mir wird schlecht. Umrisse werden wieder schärfer. Ich hebe die Hände, um mich vor weiteren Schlägen zu schützen und hole Luft, um zu protestieren. Dann erkenne ich den Schatten. Und er sieht alles andere als glücklich aus.

»… Killua?« Ich bekomme noch eine gelangt - durch meine halbherzige Deckung hindurch. So hart, dass ich den Halt verliere. Schon wieder der nasse Boden. Unter meinen Fingerspitzen Kiesel und Dreck - viel zu intensiv. »Verfluchte Scheiße!«

»Bist du jetzt wieder halbwegs nüchtern, ja?«

Dieses Mal sehe ich die großen Hände, die nach mir greifen und mich auf die Füße zurückzerren. Sein Gesicht kommt meinem so nahe, dass ich seinen schnellen Atem spüren kann. Warum ist er so aus der Puste? Ich höre ein Knirschen und ich weiß, dass es von seinen Zähnen kommt. Woher auch immer. Ich schlucke.

»Killua, ich …«

»Du glaubst gar nicht, wie gern ich dir jetzt die Scheiße aus dem Leib prügeln will. Kannst du mir mal verraten, was du dir dabei gedacht hast, ohne Licht und betrunken durch die Stadt zu fahren? Hast du auch mal eine Sekunde darüber nachgedacht, was du eigentlich tust?«

Jedes Wort fühlt sich an wie ein Tritt in die Eier. Der Alkohol bringt alles durcheinander. Was er sagt … macht keinen Sinn. Wieder kurz Luft am Rücken. Dann eine weitere Erschütterung, die mir bis ins Mark geht. Ich habe nicht nachgedacht. Natürlich habe ich das nicht. Ich habe getrunken, dann ist der Raum um mich herum geschrumpft und wollte mich erdrücken, also musste ich raus, in meinen noch engeren Wagen, aber in die Freiheit der Nacht. Wie in einem Film sehe ich mich selbst Dinge tun, die ich … nicht getan haben kann und doch stehe ich genau hier … an meinem Wagen, in der Dunkelheit und meine eigene Alkoholfahne lässt mich würgen.

»Du brauchst dringend Hilfe, Nash. Dass ich dir ins Gewissen rede, scheint nichts zu bringen.«

»Was weißt du schon von einem Gewissen?« Immer noch nicht nachgedacht. Immer noch krampfhaft versuchen, ihm nicht auf die Schuhe zu kotzen. Immer noch der gleiche Idiot wie schon zuvor und bis in alle Ewigkeit. »Nein … ich … ich meine … ich weiß nicht. Ich musste raus und … habe wohl vergessen, mein Licht anzumachen.«

Das Knirschen seiner Zähne ist so unangenehm, dass ich mir die Ohren zuhalten will. Er hält meine Hände auf, drückt sie gegen das kalte Blech des Wagens und ich drehe den Kopf zur Seite. Ich will ihn nicht ansehen. Will nicht, dass er mir wie eine Made in den Kopf kriecht und dort alles sieht, was mir den Rest gegeben hat. Mal wieder.

»Sieh mich an, Nash …«

»Nein. Ich will nicht.«

»Warum nicht? Angst, mit deinen Dämonen konfrontiert zu werden?«

»Als ob ich dich dafür bräuchte …«

»Ja … das brauchst du wirklich nicht. Steig ein … ich bringe dich zurück nach Hause.«

Ich schüttle den Kopf. »Ich will nicht nach Hause.«

»Dann kommst du mit zu mir.«

Ich will ihm sagen, dass ich auch das nicht will, aber da bewegen sich meine Füße schon. Da sind Finger an meinem Oberarm und ich stütze mich viel zu schwer auf sie. Stehend ist alles schlimmer als sitzend. Laufen macht es nicht besser. Aber es dauert nicht lange, bis ich auf den Beifahrersitz gedrückt werde und sofort den Kopf an die Scheibe lehne, als die Tür wieder zu ist. Das Surren vom Gurt. Ich mache das nicht. Selbst das übernimmt er. Die Müdigkeit zerrt an mir, wie der Wind es eben noch getan hat. Druck auf der Brust, Brennen in den Augen. Erst, als sich eine kühle Hand auf meinen Oberschenkel legt, kriege ich mit, wie sehr ich zittere. Und ich höre mich selbst wimmern. Das alles ist ein böser Traum. Ich bin in irgendeiner Bar eingeschlafen und das alles hier wird gar nicht erst passieren, weil ich irgendwann aufwachen und nach Hause laufen werde.

Aber es ist kein Traum.

Es ist schlimmer. Und diese Erkenntnis hatte mein Unterbewusstsein längst, deswegen sitze ich hier wie ein jämmerlicher Haufen Elend und bemitleide mich selbst, während die Nacht an mir vorbeizieht, dabei langsam heller wird, weil New York noch immer die Stadt ist, die niemals schläft, und dann … wieder dunkler, bis der Wagen hält, Killua aussteigt und ich den Halt verliere, als er die Wagentür öffnet. Ich sehe das selbst. Als wäre ich gar nicht da, sondern würde über dem Fahrzeug im Nichts schweben. Ich … muss zurück. Nur wie?

»Wir sind gleich da. Nur ein paar Stufen noch. Reiß dich zusammen, Nash.«

Ich will gerade gar nichts mehr. Nur für immer schlafen. Nie wieder aufwachen. Ich denke immer noch an eine Mauer, einen Baum und eine Leitplanke. Alles grau. Stufen, Tür, noch mehr Stufen, noch eine Tür. Ein Bett. Sein Bett, sein Geruch. Das Miauen einer Katze. Er hat … eine Katze? Ich sehe nichts. Alles ist verschwommen. Der Untergrund ist weich. Ich rolle mich zusammen und sauge Killuas Duft auf, als würde mein Leben davon abhängen. Und so langsam erinnere ich mich daran, wie er mir vor einiger Zeit sagte, dass er es satt hat, mein Kindermädchen zu spielen. Ich habe das schon wieder herausgefordert. Und er hat mich abermals vom Schlimmsten abgehalten.

Ich kann nicht einmal sagen, wieso.

Nur dass es schlimmer ist, seit ich ihn kenne. Oder seit alles den Bach runtergegangen ist, weil ich irgendwann, an irgendeinem Punkt nicht die Schnauze halten konnte. Killuas Gewicht lässt sich hinter mir auf die Matratze sinken. Seine kühle Hand legt sich auf mein Gesicht, da wo er mich getroffen hat. Die Kälte tut gut.

»Du weißt, dass du so nicht weitermachen kannst, oder?«

Ich sage nichts. Der Alkohol rumort zu sehr. Alles dreht sich. Aber ich verstehe seine Worte und weiß, dass er recht hat. So viele haben mir das schon gesagt. Vor allem Natalie.

»Sie kann dir helfen«, murmelt er weiter, weil meine Gedanken für ihn immer noch ein offenes Buch sind und ich auch gar nicht das Bedürfnis habe, ihn aufzuhalten. Wenn jemand Ordnung in dieses Chaos bringen kann, dann er. Aber mein Pegel erschwert das Ganze.

»Sie darf mich nicht behandeln. Ich bin ein Familienmitglied. Und ich traue niemand anderem.«

»Mir hast du vertraut und das, obwohl du mich für einen Mörder gehalten hast.«

»Das bist du auch.«

»Aber ich war es nicht in diesem Fall.«

Das stimmt. Er ist ein Mörder, der uns dabei geholfen hat, einen anderen Mörder zur Strecke zu bringen. Seine Arbeit ist getan und plötzlich dämmert es mir. Er würde nie von sich aus vorschlagen, dass ich mich in psychologische Behandlung begeben soll, weil er davon nichts hält. Da gibt es einen anderen Grund. Ich schlucke hart und stemme mich in einen sitzenden Zustand zurück. Kurz dreht sich die Welt schneller, dann finde ich den Fokus in seinen roten Augen. Er weiß, dass ich es weiß.

»Du … wirst gehen, nicht wahr? Warum?«

»Nicht einmal der Alkohol kann deinem messerscharfen Verstand etwas anhaben, hm? Aber betrunken, ohne Licht durch die Stadt fahren … ich verstehe dich nicht, Nash. Und werde es vermutlich auch nie. Andere … können das besser als ich.«

»Du verstehst mich mehr als jeder andere.«

»Ja und deswegen habe ich es schlimmer gemacht. Das ist das zweite Mal gewesen, dass ich dich davon abgehalten habe, dir zu schaden. Weil ich nicht will, dass es passiert. Du bist mir zu wichtig, Nash. Das ist der Grund dafür, warum ich dir ans Herz lege, dir Hilfe zu suchen.«

»Aber es erklärt nicht, warum du gehen willst.«

Ich seh sein schmerzliches Lächeln und die Unsicherheit in seinen Augen. Beides passt nicht zu ihm. Ich strecke die Hand aus und berühre seine Wange. Wenn er nicht mehr da ist, dann …

»Vergiss nicht, Nash … du bist nicht allein. Du hast Menschen, die dich lieben. Menschen, die dich brauchen. Ich weiß … das sind die Standardsprüche, die man viel zu oft zu hören bekommt, obwohl sie rein gar nichts ändern, einfach weil der Kern der Sache damit außer Acht gelassen wird. Aber … ich weiß, dass du sie auch brauchst. Dass du sie brauchen willst. Du … weißt nur nicht, wo du anfangen sollst … oder wie. Du hältst Alkohol für deinen besten Freund, aber das ist er nicht. Johnny ist dein bester Freund und er kann dir beistehen, wenn du ihn nur lässt. Genauso wie Rory. Dieser verrückte Ire liebt dich mit Leib und Seele. Trinkt von mir aus zusammen, aber … redet auch. Rede … und wenn es wirres Zeug ist. Je mehr in deinem Kopf bleibt, desto mehr kann dir Ärger machen.«

»Jetzt klingst du wie ein Psychologe …«

»Die armen Klienten …«

Er schmunzelt, aber ich erwidere es nicht. Ich will nicht, dass er geht, aber … nehme an, dass er seine Gründe hat. »Wohin wirst du gehen?«

»Zurück nach Russland.«

»Warum?«

»Das hast du mich gerade schon einmal gefragt und ich habe dir nicht geantwortet. Das werde ich auch jetzt nicht tun. Wenn du scharf darüber nachdenkst, kommst du von selbst drauf.«

Ich kann es mir bereits denken, nur ergibt es keinen Sinn und ich bekomme Kopfschmerzen davon. Seit langem habe ich das Bedürfnis, tatsächlich Johnnys Nummer zu wählen, um mit ihm zu reden und kann mir nicht einmal sicher sein, ob das Gefühl wirklich von mir kommt oder ob Killua mir nur eintrichtert, dass es da ist. Ich spüre sein Kopfschütteln eher, als dass ich es sehe, denn ich blicke auf meinen Schoß hinunter, als sich etwas Schweres, Schnurrendes zwischen unsere Körper schiebt. Eine riesige Katze. Ich kenne die Rasse, aber ich komme nicht auf den Namen. Es spielt keine Rolle. Ich bekomme einen Stupser gegen das Kinn und das Gedankenwirrwarr lichtet sich langsam. Ich strecke mich wieder auf dem Laken aus, ziehe die Decke über mich und das riesige Fellbündel macht sich neben mir lang. Ein leises Seufzen folgt, als sich auch Killua hinlegt und sich an meinen Rücken drückt.

»Ich habe dich gern, Nash«, murmelt er leise gegen meinen Nacken und ich bekomme eine Gänsehaut. Er schlingt den Arm um mich und beginnt, die Katze ebenfalls zu streicheln. »Deswegen muss ich gehen.«

Mein Kopf wird schwerer und die Müdigkeit meldet sich ein weiteres Mal. Dennoch bäumt sich mein Herz nach diesen Worten auf, lässt meinen Puls rasen. Was zwischen diesen Worten liegt, geht so viel tiefer als alles, was ich bisher erlebt habe. Aber … es tut weniger weh, als ich erwartet habe. Er geht, aber … er verlässt mich nicht. Trotzdem gebe ich dem Brennen in meinen Augen nach, lasse mich fester drücken, bis es aufhört. Bis ich das Schnurren … nur noch aus weiter Ferne höre und nicht mal mehr weiß, ob es von der Katze oder von Killua kommt.

Wenn wir reden, machen wir uns vielleicht lächerlich.

Doch wenn wir schweigen, kann es schlimmer werden.

Langsam verstehe ich es.

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