Wichtelaktion:
write your darlings Wichteledition Wichtelkind:
nameonehero Wichtelwunsch: ein wütender/verletzter Nash & Killua
Wichtelprompt: +_350 aus it’s never the end)
Fandom: original, Storyverse: Nachts, wenn alles schläft
Characters: Nash & Killua
Genre: angst, drama
Rating: P-16 Slash
Warning: lightly spoiler warning, although this is not the planned end of the story but an alternative way how things could end up
Note: Liebe Thea! Ich hoffe sehr, der Wichtel gefällt dir. Für die Vorgaben hat sich dieses Szenario einfach angeboten, weil die beiden ja sonst nicht viel auf die Reihe kriegen. :'D Ich habe mich riesig über deine Vorschläge gefreut und habe gleich beide geschrieben, aber da das hier dein erster Wunsch war - tadaa! Much love und ich hoffe, ich konnte der queen of angst Ehre erweisen! <3
loving you isn't something i should do
shouldn't wanna spend my time with you
well, i should try to be strong
but baby, you're the right kind of wrong
Das Handy liegt auf dem Boden. Das Display ist längst schwarz. Der Anruf ist keine zwei Minuten her oder liegt er doch schon Stunden zurück? Es spielt keine Rolle. Mir ist schlecht, so als hätte ich seit Tagen nichts mehr gegessen, sondern nur getrunken und das bei persönlich perfektionierter Insomnia.
Das Urteil steht schon seit Tagen fest. Sein Urteil. Es ist eine unausweichliche Tatsache, dass er eingesperrt wird. Aber ich habe gerade erst erfahren, wohin sie ihn bringen werden. Ins ADX Florence - das sicherste Gefängnis nach Supermax Standard in den Vereinigten Staaten. Das 'Alcatraz' der Rocky Mountains. Fremont County, mitten in Colorado.
Das Whiskeyglas wird heiß zwischen meinen Fingern. Einbildung. Ich presse die Zähne aufeinander, hole aus …
Scherben mischen sich mit dem goldenen Inhalt. Ein bisschen Rot an den Rändern. Ich starre auf meine Hand hinunter. Ich habe das Glas schon zerdrückt, als ich es noch in der Hand hatte. Die Schnitte sind nicht tief, aber es reicht aus, um noch mehr Blut auf dem Boden zu verteilen. Scheiße. Ich will das nicht an mich heranlassen! Jede Faser meines Körpers weigert sich dagegen und doch …
Das Urteil war der erste Schlag in die Magengrube. Hat mich in die Knie gezwungen, ohne dass ich etwas dagegen tun konnte. Und nicht nur mich. Der halbe Gerichtssaal, vor allem die Kollegen, die den ganzen Fall begleitet haben, meine Familie, meine Freunde - sie alle waren entsetzt und da konnte er mir noch so oft sagen, dass alles gut werden wird. Ich habe es nicht geglaubt und tue es auch jetzt nicht. Gemieden habe ich ihn, obwohl er bis zu seiner Überführung noch bei uns in Untersuchungshaft sitzt. Dafür hat sich der Captain eingesetzt und im ersten Moment bin ich ihm dankbar dafür gewesen. Genutzt habe ich es aber nicht und jetzt sind es nur noch Stunden, bis sie Killua quer durch Amerika schicken. Nicht völlig unerreichbar, aber doch außerhalb meiner unmittelbaren Reichweite.
Ich … will das nicht.
Verdammt …
Ich lasse das Glas liegen, meine Hand bluten und greife nach meiner Jeans, nach dem Holster mit der Dienstwaffe und meiner Marke. Autoschlüssel. Das Lenkrad verschmieren. Alles egal. Ich muss ihn sehen.
-
Es ist mitten in der Nacht, was nichts heißt. Doch heute schiebt Rory keine Überstunden und auch den Wagen des Captains kann ich nicht auf dem Parkplatz entdecken. Das hätte mich auch gewundert. Nach der ganzen Sache hat er sich eine Auszeit genommen und wollte, dass ich es ihm gleich tue. Nichts lag mir ferner. Einen weiteren aufmerksamen Blick später weiß ich, dass auch Johnny nicht mehr im Departement herumschleicht. Er macht sich gut als Chef, kann seine Kollegen fast noch besser durch die Gegend scheuchen wie Williams und trotzdem hat sich nicht viel geändert. Beruflich nicht. Privat schon. Aber diese Gedanken will ich nicht zulassen. Nicht jetzt. Knappes Nicken am Empfangsbereich. Weiter hinten laufen mir Dylan und Judy über den Weg. Beiden schenke ich nicht die Aufmerksamkeit, die sie womöglich verdient haben. Ich lasse sie nur mit knappen Worten wissen, wohin ich gehen werde und verlasse mich darauf, dass sie es für sich behalten.
Als ich vor seiner Zelle stehenbleibe, kann ich hinter dem Sichtfenster keine Bewegung ausmachen. Dass das Licht in seiner Zelle auch bei Nacht nicht gelöscht wird, ist eine Anordnung des Gerichtes, um ihn unter Kontrolle zu halten. Mir läuft es jetzt noch kalt den Rücken hinunter, wenn ich an die Anklage zurückdenke und dass es gut eine Stunde gedauert hat, um sie zu verlesen. Dabei sind nicht einmal alle Dinge angesprochen worden. Nur die, die hier in den Staaten angefallen sind. Ein Gutes hat die ganze Sache dennoch. Europol hat sich bisher aus unseren Angelegenheiten herausgehalten, aber es wird nicht mehr lange dauern und auch sie werden sich eine Scheibe von Killua abschneiden wollen. Er stammt aus Europa. Dort hat alles angefangen. Dort ist er noch aktiver gewesen. Vor allem die Russen werden Druck machen.
Unruhig tigere ich vor seiner Zelle auf und ab, weil ich meine Beine nicht stillhalten kann und will. Bis ich das Blut auf dem Boden mit meinen Schuhsohlen verschmiere. Meine blutende Hand - ich habe sie vergessen. Ich denke an die medizinische Abteilung und daran, dass ich dort sicher Verbandsmaterial finden kann, aber es ist nur ein Gedanke. Es dauert, bis ich mich tatsächlich umdrehe und gehen will. Sein Schatten taucht im gleichen Moment am Fenster auf. Er lehnt seine Stirn an das Panzerglas. Dieser schöne, wilde Mann, der einfach nie Glück gehabt hat. Vielleicht ist das unsere größte Gemeinsamkeit, neben unseren völlig kaputten Gedankenwelten.
»Was hast du mit deiner Hand gemacht?« Kein 'Hallo' oder 'Schön, dass du hier bist'. Nichts. Und es schürt die Verzweiflung in mir. Mit Wucht knalle ich ihm meine zerschnittene Handfläche an die Scheibe. Er zuckt nicht einmal zusammen, blickt nur müde auf das Blut, dann an meinen Fingern vorbei direkt in meine Augen. »Das beantwortet meine Frage zwar nicht, aber gut. Ich kann nachvollziehen, dass du wütend und traurig bist. Verzweifelt. Ich … versteh das. Wirklich.«
»Nein! Nein, Killua - einen Dreck verstehst du! Du hättest …«
Meine Worte brechen ab und ich hebe hilflos die Arme, in der Hoffnung, dass es mir dabei hilft, den Rest auch noch auf die Reihe zu bekommen. Vergeblich. Der blutige Handabdruck an der Scheibe bleibt und es ist das wohl passendste Symbolbild dieser beschissenen Situation, das es geben kann. Die Flut an Möglichkeiten, die Killua gehabt hätte, um als freier Mann aus dem Gerichtssaal zu spazieren, übermannt mich. Und es sind genau diese Dinge, die mich in den letzten Nächten wachgehalten haben.
Was wäre gewesen, wenn …
Wenn ich mir sicher sein könnte, dass es auch nur den kleinsten Effekt hätte, dann würde ich ihm die Scheiße aus dem Leib prügeln und ihn wieder zur Besinnung bringen. Meine Sicht verschwimmt. Jegliche Kraft weicht aus meinen unruhigen Beinen. Neben seiner Zelle sinke ich zu Boden, kopfschüttelnd und mit brennenden Augen.
»Du weißt, wohin sie dich bringen werden?«, hake ich leise nach, um mich selbst daran zu hindern, in Tränen auszubrechen.
Er hört meine Frage aus den verwaschenen Worten heraus. »Nach Colorado. Hochsicherheitsgefängnis. Ein Käfig mit vier Wänden, aus dem ich nicht mal eben ausbrechen kann, wenn mir danach ist. Eine halbe Stunde Auslauf am Tag, jeden Tag eine warme Mahlzeit. Zum Glück bin ich ein Nachtmensch.«
Seine Worte machen es nicht besser. Ich kann den Sarkasmus heraushören, als er vom Essen spricht. Und von den dreißig Minuten Freigang am Tag. Für jemanden wie ihn, der stundenlang sprinten kann und will, ohne müde zu werden, ist das der Horror. Eingesperrt zu sein noch mehr. Er kann es als Banalität abtun, so sehr er will - ich weiß, wie schrecklich das für ihn sein muss. Und wieder schmeckt die Verzweiflung bitter und mein Herz krampft sich schmerzhaft zusammen, dann mein ganzer Körper.
»Warum … warum hast du den Richter nicht davon überzeugt, dass wir das alles ohne dich niemals hätten verhindern können? Warum … hast du deinen Klonen nicht die ganzen Morde angehängt? Deine ganzen Morde. Warum? Warum lässt du dich …«
Den Rest würge ich ab. Ein Schluchzen will raus. Danach Schnappatmung. Mein Puls pocht viel zu laut in meinen Ohren. Blutrauschen.
»Nash …« Seine Stimme klingt näher als zuvor. Vielleicht höre ich sie nur in meinem Kopf. Ich schüttle den Kopf, noch ehe er weitersprechen kann. »… mach die Zelle auf …«
Niemals. Ich will nicht, dass er mich anfasst und mir sagt, wie leid ihm das alles tut und dass er nur das tut, was er für richtig hält. Ich hätte gar nicht erst herkommen sollen.
»Nash …«
»Colorado«, schnaube ich, weil ich nicht mehr hören will, wie er meinen Namen sagt. Jedes Mal ist es wie ein Stich ins Herz. »Dort werden sie dich aushungern und du wirst wahnsinnig werden, nur wird dort niemand in deiner Nähe sein, den du manipulieren kannst, damit er dich rauslässt. Sag mir einfach nur, warum du dir das antust!«
Darauf antwortet er nicht. Nicht gleich. Ich sollte wirklich etwas gegen das Blut tun. Jetzt habe ich es in den Haaren, im Gesicht und der metallische Geruch sorgt dafür, dass mein Magen wieder rebelliert. Und der Whiskey in ihm. Ich heule wie ein verdammtes Kleinkind wegen einem Mann, an den ich nie mein Herz hätte verlieren sollen. Er hat es oft genug selbst gesagt.
Verliebe dich nicht in mich.
»Du hättest dich nie in mich verlieben sollen.«
Wieder ein Schluchzen. Flache Atmung. Er reißt mir das Herz aus der Brust und trampelt darauf herum. Seine Gabe, die er nicht genutzt hat, als sie am Nötigsten gewesen wäre, verleiht der ganzen Situation hier eine schmerzliche Ironie.
»Und ich mich nicht in dich …«
Es war ein Fehler herzukommen …
Ich schiebe mich an der Wand hoch, drehe mich um und entriegle die Tür, nur um dann haltlos in seine Arme zu fallen. Tränen hinterlassen dunkle Spuren auf dem orangenen Hemd, das er schon seit seiner Verurteilung trägt. Aber es spielt keine Rolle, als er mich an sich drückt. Es tut fast weh, dabei ist seine Kraft schon am Schwinden. Und es wird nicht besser werden. Nur am Rande taucht der Gedanke auf, dass es vielleicht nicht klug ist, ihm meine blutende Hand unter die Nase zu halten, aber er verblasst.
»Lügner …«, hauche ich gegen seine Schulter. »Wenn du mich lieben würdest, dann …«
»Ich bin müde, Nash.« Seine Stimme ist wärmer als er sich anfühlt. »Ich will nicht noch ein Leben zerstören. Und ich habe es satt, ständig davonzulaufen und jetzt, nachdem ich endlich einmal dafür sorgen konnte, dass Gerechtigkeit herrscht, will ich nur noch … Frieden finden. Und das kann ich nicht, wenn ich frei bin - so seltsam das auch klingen mag. Ich kann nicht ändern, wer ich bin und was ich tun muss, um zu leben.«
Frieden …
Dass er dieses Wort überhaupt kennt. Ich drücke mich von ihm weg und starre in die roten Augen, die mich schon vom ersten Augenblick an fasziniert haben und die mir trotzdem immer wieder meine eigenen tiefen Abgründe zeigen. Die Augen eines verruchten Bastards, der sich plötzlich hat bekehren lassen und den ich nicht mehr aus dem Kopf bekommen werde, egal, was er tut, um genau das zu erreichen. Als ich aushole und zuschlage, treffe ich sein Kinn punktgenau. Doch sein Kopf ruckt nur ein bisschen zur Seite. Was für eine unbefriedigende Scheiße!
»Frieden?! Hast du auch nur eine Sekunde darüber nachgedacht, dass du auch Frieden finden könntest, indem du diese Fähigkeiten, die dir nun einmal gegeben sind, dafür nutzt, um anderen Menschen zu helfen? Arbeite doch für die Polizei! Hilf dabei, vermisste Menschen wiederzufinden oder Drogenkartelle aufzudecken! Es gibt so viele sinnvolle Dinge, die du tun könntest und du … du entscheidest dich dafür, eingesperrt zu werden. Das, was du am meisten hasst!«
Ich kann sehen, wie sich seine Haltung ändert. Er verzieht das Gesicht. Seine Zähne werden in den Mundwinkeln sichtbar und seine Hände verkrampfen sich. Für einen erfahrenen Cop sind nur Bruchteile von Sekunden nötig, um das alles zu erfassen. Aber er geht nicht auf mich los. Was seinen Augen an Ausdruckskraft fehlt, macht er mit seinem Gesichtsausdruck wett.
»Und diese Gerechtigkeitssache starte ich damit, dass ich den Richter und die Geschworenen manipuliere, damit sie mich für die schlimmen Taten, die ich nun einmal begangen habe, freisprechen? Ist das deine Interpretation von Gerechtigkeit? Alles auf einer Lüge aufbauen und diese weiterleben, weil ich trotzdem nicht aufhören werde zu töten? Wie stellst du dir das vor? Hast du darüber mal nachgedacht?«
Ich lasse ja viel zu, was ihn angeht, aber ganz sicher werde ich mir von ihm nicht ans Bein pissen lassen. Soweit kommt es noch! »Du hast diese beschissene Welt vor einer Katastrophe bewahrt! Sie hätten dich nicht verurteilen sollen! Du hast doch selbst gehört, wie dein Anwalt andere Taten hervorgehoben hat. Die guten Dinge, die du getan hast. Es mögen nicht viele gewesen sein, aber sie hatten Gewicht!«
»Eine gute Tat macht viele schlechte nicht wett, das weißt du genauso gut wie ich. Du bist der Cop von uns beiden. Du hältst dich an das Gesetz und ein Verbrechen ist ein Verbrechen, egal mit welchen guten Absichten man es aufwiegt. Und genau das haben sie getan. Sie haben mich für schuldig gefunden, weil ich schuldig bin.«
Wo ist das verdammte Arschloch hin, das mir den Fick des Jahrhunderts geschenkt hat? Was ist mit dem Mann passiert, der stets seine eigene Haut im Sinn gehabt hat?
»Er ist einem Menschen begegnet, der an das Gute in ihm geglaubt hat …«
»Scheiße! Hör auf, meine Gedanken zu lesen! Raus aus meinem Kopf! Das Gute? Das Gute ist nie genug, wie es scheint. Nach solchen Urteilen zweifle ich daran, dass das Gute überhaupt existiert. Ich kann und werde das nicht akzeptieren! Ich will das nicht. Die Aussicht darauf, dich nie wiederzusehen … das … das ist …«
»Du könntest mich besuchen kommen.«
Sein Versuch die angespannte Situation aufzulockern, scheitert grandios. »Das ist nicht das Gleiche, verdammt! Nimm mich endlich ernst!«
Ich will ihn noch mehr schlagen, wohl wissend, dass es mir mehr weh tun wird als ihm. Das Zittern, das ich nicht mehr kontrollieren kann, redet meinem Kopf ein, ich wäre schwach, aber das bin ich nicht. Vor ihm kann ich das nicht sein. Da reichen schon die Tränen auf meinen Wagen und der Umstand, wie schrecklich ich mich fühle. Mehr bekommt er nicht und mehr werde ich nicht zulassen. Ich wollte nie, dass er mich so sieht, wollte nie, dass er erfährt, wie sehr ich zweifle - immer wieder. An mir selbst, an meinem Leben, an der Gerechtigkeit. Aber er hat es schon viel zu oft gesehen, ohne es auszunutzen und selbst jetzt könnte er mich einfach bewusstlos schlagen und fliehen, doch er tut nichts dergleichen. Er steht einfach nur da und beobachtet mich. Und mir dämmert langsam und zäh, warum das so ist. Nicht nur, weil er mit seiner Freiheit abgeschlossen hat, sondern weil er nicht will, dass ich mich noch weiter ins Verderben stürze und an seiner Seite ist das alles nur eine Frage der Zeit, weil wir uns gegenseitig kaputt machen. Er mich noch mehr als ich ihn. Aber auch ich habe ihn verändert. Er sagte es zuvor. Nur weil ich an ihn geglaubt habe und daran, dass er tief in seinem Inneren doch zu den guten Menschen gehört, hat er beschlossen, dass es für alle das Beste ist, wenn er sich einsperren lässt.
Und vielleicht musste ich herkommen, um das endlich zu verstehen.
»So ist es gut«, sagt Killua leise, während er die Distanz, die zwischen uns entstanden ist, mit ein, zwei Schritten schmälert. »Ich hatte nur gehofft, du würdest eher herkommen und nicht erst kurz vor der Angst.«
Ich schaue zu ihm auf, mein Herz heftig pochend im Hals. Am liebsten würde ich es heraus kotzen. »Ich konnte nicht. Ich kann es auch jetzt nicht …«
»Und trotzdem bist du hier. Das bedeutet mir viel. Es ist schön, dich noch einmal zu sehen, bevor …«
»Hör auf!«, unterbreche ich ihn und drehe den Kopf zur Seite, weil ich es nicht ertragen kann, wie verletzlich er gerade aussieht. Es … will einfach nicht passen. Nicht zu jemandem wie ihm. »Ich bin immer noch wütend und …«
»Traurig? Verdammt, Nash … das bin ich nicht wert, glaub mir.«
Mein Herz sackt wieder dorthin, wo es hingehört und auch meine Augen hören auf zu brennen. Kopfschmerzen kündigen sich an, aber ich ignoriere sie. Hat er das gerade tatsächlich gesagt? »Sag du mir nicht, was ich als wertvoll erachte und was nicht!«
Ich überwinde den Raum zwischen uns, ziehe ihn harsch an mich heran und küsse ihn fahrig. Er schmeckt anders als sonst. Weniger nach Blut, sondern mehr nach sich selbst. Das verstärkt das Gefühl noch, dass er das alles nicht verdient hat und wie sehr ich nicht will, dass er geht. Ich schlinge die Arme fest um seinen Nacken, dränge mich an ihn und kann spüren, dass er will, doch … er tut nichts. Er zieht mich nicht näher und auch den Kuss erwidert er nur halbherzig. Ich weiß, dass das leidenschaftlicher geht. Dass er mich völlig einnehmen kann, wenn er es nur will, ohne dass ich etwas dagegen tun kann. Da ist … nichts. Und ich verstehe, auch wenn ich das nicht will. Langsam löse ich mich von ihm, weiche zurück und starre auf den Boden. Eine kalte Ruhe breitet sich in meinem Inneren aus. Sie ist mir nicht fremd. Im Grunde ist sie allgegenwärtig. Aber im Zusammenhang mit ihm ist sie neu. Wenigstens tut sie nicht weh.
Killua spürt es auch. Natürlich tut er das. »Nutze sie, um mich zu vergessen, Nash. Tue es für dich. Und wenn du es nicht für dich tun willst, dann … für mich. Ich will nicht, dass dich die Sehnsucht nach jemandem wie mir noch mehr von innen zerfrisst.«
Ob ihm diese Worte tatsächlich so leicht fallen, wie er mich glauben lassen will? Rational betrachtet ist es sicher sinnvoll, mit jemandem abzuschließen, den man nie wiedersehen wird, denn er weiß genauso gut wie ich, dass ich nicht nach Colorado fahren werde, einfach weil es keinen Sinn machen würde. Sie werden niemanden zu ihm lassen. Nie wieder. Er wird allein in seiner Zelle verrotten. Nur mit sich selbst und diesem Monster im Inneren, dass ihm den Verstand rauben wird, ehe er endlich sterben kann. Und er hat viele Jahre Zeit. Er wird nie wieder frische Luft atmen. Nie wieder durch Städte rennen und über Dächer springen. Für jede seiner Taten hat er mehr als zehn Jahre bekommen. Vielleicht wird sich daran noch etwas ändern, wenn sich die europäischen Behörden einschalten und ihn zurückverlangen, aber wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass das seine Haftzeit verbessern wird? Schwindend gering.
Ich schließe für ein paar Augenblicke die Augen, lasse zu, dass die kalte Ruhe noch mehr Klarheit in meinen Kopf bringt, ehe ich ihn wieder ansehe und weiß, dass es mir nicht gelingen wird. Ich werde ihn nicht vergessen können.
»Ich habe dir vorhin schon gesagt, dass nicht du entscheidest, was gut für mich ist und was nicht. Du bist mir wichtig geworden. Daran wird sich nie etwas ändern.«
Es tut weh, das zu sagen. Mir will sich der Magen abermals umdrehen. Der Alkohol macht nichts einfacher, aber ich umarme die Kälte wie einen alten Freund. Warum sollte auch einmal etwas Gutes in meinem Leben passieren? Vermutlich werde ich mir solch ein Glück niemals verdienen können, egal wie schwer ich dafür arbeite. Ich weiche noch weiter zurück und schüttle den Kopf. Er macht einen Schritt auf mich zu und ich nehme das als Anlass, die Zelle endgültig zu verlassen.
»Nash … es … tut mir leid.«
»Tut es dir nicht. Du empfindest es als richtig und … wenn es dir hilft, dich besser zu fühlen, dann … ist das okay. Sag mir einfach nicht, wie ich mich fühlen soll. Vermutlich soll es einfach nicht sein. Es … lässt sich nun nicht mehr ändern. Ich werde dich nicht besuchen können, also … bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als dir noch ein halbwegs angenehmes Restleben zu wünschen, nicht wahr?«
»Jetzt wirst du unfair …«
»Tja … in meinem Leben ist eben nichts fair. Warum sollte ich also fair spielen? Belassen wir es einfach dabei. Es war ein Fehler herzukommen, aber wenigstens habe ich dich noch einmal gesehen.«
Und mir den Rest meiner Lebensenergie aussaugen lassen. Klassischer Fall von 'Wie gebe ich mir selbst den Gnadenschuss'. Ich bin wohl wirklich unbelehrbar. Ich lege den Riegel um und schleiche den Gang zurück, auch wenn ich ihn noch weiter rufen höre. Ich kann es nicht ernst nehmen, bis er selbst nicht etwas unternimmt, um sich glaubhaft zu machen. So ist es eben.