Feb 12, 2007 18:39
es war doch klar, aber erstaunen tut es einen dann trotzdem immer aufs neue: die zeit geht schnell um und es ist halbzeit bei buch- und medienpraxis.
es war ein sehr schreibintensives semester, denn immerhin hatten wir allein drei journalistische schreibseminare (neben drei weiteren seminaren zu anderen bereichen) deren aufgabenstellungen und arbeitspensa einen zum teil an den rande der verzweiflung brachten. so zum beispiel die erste aufgabe bei herrn platthaus von der f.a.z.: "schreiben sie doch mal eine glosse (!) über hegel (!)". prost mahlzeit. einen heidenspaß hat es trotzdem gemacht.
gerade erstelle ich ein "best of" meiner abgegebenen aufgaben bzw. arbeitsproben. wer mal lesen will, wie ich so vom leder ziehe, bitte schön. irgendwie schreibe ich immer mehr verrisse als lobhuddeleien. puren sarkasmus allein gibt es bei mir allerdings nicht. inhaltliche kritik muss schon sein. ("unprätentiös" sei meine schreibe, so lobte ein dozent). gleich zu anfang: eine fernsehkritik, die wir bei jörg thomann (übrigens auch von der f.a.z.) schreiben mussten:
Fernsehkritik
Bitte lächeln!
Angela Merkel blickt auf ein Jahr Kanzlerschaft zurück
Da sitzt sie also, unsere Kanzlerin, und lächelt sich selber zu. Ein Jahr wurde sie von den Autorinnen Evelyn Roll und Claudia Bissinger begleitet. Am Ende entstand eine Art Filmtagebuch, das chronologisch die wichtigsten Stationen des ersten Regierungsjahres der Kanzlerin aufzeigt. Auf das blickt Frau Merkel zusammen mit dem Fernsehzuschauer in einem TV-Porträt im ZDF zurück.
Der weibliche Blickwinkel
Die Kanzlerin sieht sich selber auf dem Monitor: Ihre Wahl zur Bundeskanzlerin, bei Staatsempfängen, im Flugzeug nach Washington und bei der Fußball-WM. Roll und Bissinger geben ihr die Gelegenheit retrospektive noch einmal alles zu kommentieren. Dabei beobachtet der Zuschauer die Kanzlerin, wie sie sich selber beobachtet. Eigentlich eine nette Idee. Aber leider ist so der ganze Film: nett. Nicht wirklich kritisch, nicht differenziert oder informativ, schon gar nicht journalistisch investigativ. Der Film verliert sich in Belanglosigkeiten und der Zuschauer erfährt so manches, jedoch nichts Neues: Stöckelschuhe auf einem U-Boot der Bundesmarine sollte man eher nicht tragen und auch Röcke sind für eine Bundeskanzlerin bisweilen unpraktisch. Der speziell weibliche Blickwinkel bei einer Kanzlerin und zwei Filmemacherinnen scheint programmiert. Aber hier kommt das nicht fortschrittlich und emanzipiert rüber, sondern hausbacken und gefällig. Die Autorinnen bewegen sich gefährlich nahe auf ein Frauenzeitschriftenniveau zu. So plätschert das TV-Porträt unserer Kanzlerin harmlos weiter vor sich hin: Bilder, die wir schon alle aus den Nachrichten kennen werden gezeigt, die Kommentare politischer Gegner und Weggefährten sind längst bekannt und alles bleibt beim Alten. Westerwelle ist politisch enttäuscht, Müntefering lobt die Zusammenarbeit, Künast kritisiert die Gesundheitsreform und Merkel lächelt dazu.
Dabei gibt es auch gute Momente, z.B. als sich die Kanzlerin über ein Titelbild des „Spiegel“ in Sozialismusästhetik ärgert. Das ist persönlich und menschlich und bringt die Bundeskanzlerin den Zuschauern nahe. Die Problematik des Films liegt nicht darin, dass man die Kanzlerin sympathisch findet. Vielmehr haben die Autorinnen die Chance verpasst zu kritisieren, politisch zu analysieren, zu polarisieren. Konfliktpotential gibt es genug: Steuererhöhung, Gesundheitsreform, die CDU-Ministerpräsidenten, denen es wohl immer noch schwer fällt, eine Frau im deutschen Kanzleramt zu akzeptieren. Doch der Disput im Film bleibt aus. Alles wird angesprochen, nichts wird besprochen.
Eigentlich wollen wir doch wissen, wie Angela Merkel das geschafft hat: Bundeskanzlerin werden. Was denkt sie, was will sie und wo will sie hin? Stattdessen Frau Merkel immer wieder bei Staatsempfängen, auf Parteitagen, im Büro. „In der Ruhe liegt die Kraft“, sagt die Kanzlerin. Dem Film jedoch hätte ein bisschen mehr Aufregung gut getan.