Sep 11, 2010 21:09
Geschichte.
Mein Kopf war leer, und doch verblendet. Ich machte es mir auf deinem Bett bequem, ganz kocker, ganz gelassen; so, als ob du dich nicht neben mir liegen würdest. Ich drehe mich auf meine Schlafseite, ich schlafe immer auf der rechten Seite. Du ziehst langsam die dünne Decke für Sommernächten wie diese hoch und denkst uns beide liebevoll zu. Wie ein Vater, der seinem Kind gerade eine Gutenachtgeschichte vorgelesen hat. Nur schläft ein Vater nicht mit seinen Kindern.
Meine Gedanken sind irgendwo in der Luft, ich weiß selber nicht, was ich denke. Ich spüre nur meinen Herzschlag, der in diesem Moment möglicherweise nur für dich den Takt gehalten hat.
Deine Hand legst du so vorsichtig und zärtlich wie möglich auf meine Hüfte. Ich muss kurz leise auflachen und packe deine Hand und lass sie meinen kompletten Unterkörper umschlingen.
»So.« sage ich entschlossen und du lachst. »Ja.« willigst du ein.
Aber meine Gelassenheit ist Schein. Die Wahrheit ist, ich bin nervöser als du. Ich erhoffe mir mehr als du. Ich liebe dich mehr als du mich. Zumindest denke ich das in diesem Moment.
Dein Atem geht mal leise mal laut. Jeden Atemzug spüre ich in meinem Nacken. Ich finde, es hört sich an wie ein Windspiel.
Ich lege meine kalte Hand auf deine warme, die auf meinem Bauch liegt. Ich streichle sie und meine Augenlider kneife ich fest zusammen, ich weiß nicht wieso. Vielleicht ist diese Berührung mit der einer Messerklinge zu vergleichen. Es ist so verlockend, aber es tut doch so weh.
Du legst deine Hand sofort auf meine, streichelst sie und drückst sie. Unsere Hände sind schon bald umschlungen. Es kommt mir vor, wie das Gefühl, wenn zwei Welten aufeinander driften, sie sich gegenseitig aber nicht auf den Kopf stellen, sondern sich erst jetzt die Welt sich in Ruhe weiterdrehen kann. Denn unsere Herzen bleiben stehen.
Die Wahrheit ist: Nur mein Herz.
Deine Hand wandert und erforscht meinen Körper. Ich weiß nicht, was ich tue. Aber ich gebe mich dir hin. Ich drehe mich um und ich schmecke den salzigen Geschmack deiner Lippen. Egal wie zärtlich, egal wie leidenschaftlich ich dich küsse: Es ist nie genug. Ich weiß nicht, wie ich das Verlangen nach dir stillen soll.
Ich sehe dein Gesicht nicht, denn es ist so dunkel. Aber ich fühle dich, und ich fühle das, was ich mit meinen Augen sehe, und ich fühle, was mein Herz mir nachts zuflüstert, wenn ich alleine bin.
Du bist so vollkommen.
Deine Hände zittern manchmal, sie klirren. Ich denke, ich weiß warum. Deine Hände greifen nach Arietta Molinero.
Aber die Wahrheit ist, sie wollen nur ein Teil von mir.
Wir erforschen uns, wir lieben uns. Du mich jetzt, ich dich wahrscheinlich für immer.
Dieser Moment, wenn unsere Körper so fest zusammen sind. Ich bekäme keine Luft, wenn es jemand anderes wäre. Aber du bist es, Ashton, der auf mir liegt. Und wenn wir uns so fest umarmen, unsere Körper umschlungen wie unsere Hände zu Beginn, dann ringe ich nicht nach Luft. Ich ringe nach dir.
Und danach liegen wir wie am Anfang in der Löffelstellung. Du atmest wieder laut und ich lausche diesem Windspiel.
Als ich meine Augen öffne, umarmst du mich immer noch. Du küsst meine Brust, meinen Kopf, meinen Nacken und meine Stirn.
»Morgen, Ashton.«
Du küsst mich nur weiter, kurz danach schlafe ich wieder ein. Irgendwann weckt uns der Klingelton von meinem Handy. Du schaltest ihn müde aus. Eine Weile liegst du da und starrst halbschlafend auf die Decke. Dann wendest du dich zu mir und küsst mich wieder. Ich schmiege mich an dich und küsse dafür deine Brust. Du streichelst mit deinen Händen mein Rücken und mein Bein.
»Morgen.« sagst du.
»Morgen.« wiederhole ich.
»Sollen wir aufstehen?« sagst du und gähnst kurz danach.
»Wie du willst.« sage ich wie so oft auch und zucke mit den Schultern.
Daraufhin richtest du dich auf und ich mache es dir gleich. Vorsichtig halte ich die Decke an meine Brust. Du hebst deine Shorts vom Boden auf, dann fragst du mich, ob du für mich auch meinen BH und meinen String aufheben sollst. Ich nicke. Kurz danach liegen sie auf dem Bett und ich bedanke mich. Du stehst auf und reibst dir die Augen.
»Ich bin dann im Badezimmer.«
»Okay.« und kurz darauf lege ich mich kurz wieder hin und denke nach. Worüber, weiß ich selbst nicht genau. Ich liege einfach da. Nachdem ich meine Unterwäsche angezogen habe, stehe ich auf und ziehe mir meine Baggyjeans über, dazu mein Tanktop von gestern und ein Hemd. Ich sehe in den Spiegel und stelle fest, dass meine Locken wieder da sind. Ich bin nicht vollkommen ungeschminkt, ein wenig von gestern ist noch auf meinen Wimpern. Trotzdem greife ich zur Tasche und ziehe mir schnell einen schwarzen und durchaus unpräzisen Strich mit meinem Eyeliner. Aber immerhin besser als nichts, denke ich mir.
Im Großen und Ganzen sehe ich furchtbar aus, aber ich bin noch nicht ganz unten auf der Skala des Unmöglich-Aussehens, und darüber kann ich in dem Moment nur froh sein. Ich rieche noch das Gras, was du in der Bong geraucht hast bevor du ins Badezimmer gegangen bist. Du hast mich gefragt, ob ich auch noch einen Kopf rauchen will, aber ich sagte, dass ich am Morgen nicht kiffen könnte. Inzwischen hast du den Rest aber schon vorsichtig in deiner verschlossenen Schublade geräumt, die so ordentlich war, wie ich noch nie zuvor eine Schublade gesehen habe. Es ist so paradox, wenn ich bedenke, dass es sich hier um eine ultimative Drogenschublade handelt.
Danach kommst du rein und machst dich nach und nach fertig. Vorsichtig packst du deine Sachen für das Festival, auf dass du jetzt mit Ray und den anderen gehst. Ich habe mich auf deinem Sofa gelegt, ich bin noch müde und vielleicht ein kleiner Morgenmuffel. Unwillkürlich stelle ich fest, solange meine Augenlider mein Auge noch sehen lassen, dass du ein ordentlicher Mensch bist. Gestern hast du den Müll meiner Zigarettenschachtel, den ich auf dem Tisch liegen gelassen hatte, nachdem ich sie geöffnet hatte, vor dem Gehen weggeworfen. Normalerweise ist es etwas Kleines und völlig Irrelevantes zu erkennen, wenn es andere Leute tun. Aber gestern ging es darum, dass wir gerade dabei waren zu gehen und du dich extra noch einmal umgedreht hast und quer durchs Zimmer gegangen bist um ihn zu entsorgen. Ich war verblüfft und fühlte mich auch etwas merkwürdig deswegen. Ich hätte es selbst tun sollen.
Davor hatten wir zusammen auf der Terasse geraucht, weil du nie im Haus rauchen würdest. Zigaretten, keine Joints. Dafür hast du mich extra begleitet und auch eine geraucht um mir Gesellschaft zu leisten.
Abgesehen davon war dein Zimmer sehr sauber gehalten. Die Flasche, die dein Freund Francis gestern auf den Tisch liegen gelassen hatte, räumst du auch gerade weg. Und deine Sachen für das Festival packst du mit Bedacht in dein Rucksack: Die Dinge, die du zuerst brauchst, wie z.B. Zigaretten und Essen packst du nach oben, alles andere nach unten. Eine angefangene Chipstüte, ebenfalls von gestern, rollst du auch vorsichtig ein um sie nicht zu zerbröseln und lässt sie ebenfalls ganz oben Platz haben.
Ich war erstaunt und beeindruckt.
Dann trinkst du etwas Saft von einem Tetrapack während du zu mir läufst. Einwenig verschüttest du auf den Boden. Ich muss schmunzeln und kurz darauf fange ich an in mich hineinzulachen. Es sah lustig aus. Du lachst auch etwas und bückst dich sofort, um den kleinen Fleck - bestimmt eine Sauerrei für dich - wegzuwischen. Dann trinkst du noch einen Schluck und reichst mir wortlos den Tetrapack. Ich bedanke mich, richte mich kurz auf, trinke ein Schluck und lege mich wieder hin. Der Saft auf dem Tisch, den du nach einigen Minuten auch wegräumst.
Ich beobachte dich weiter.
»Möchtest du dich nicht noch richten?« fragst du dann nebenbei.
»Nein, nein. Ich bin schon gut so.« Vielleicht meintest du sowas wie Zähne putzen. Und das wäre keine schlechte Idee gewesen. Aber ich lasse es bei meiner Antwort sein.
Meine Augenlider fallen zu.
Ich döse auf deinem Sofa, das so unglaublich gemütlich ist. Nach einer Weile weckt mich deine Stimme. »Wir gehen dann jetzt.«
Etwas verwirrt und immer noch müde schaue ich auf die Uhr über dir. Ich muss zwanzig Minuten geschlafen haben. Ich richte mich sofort auf und nehme meine Tasche. Als du die Tür hinter dir zumachst, drehe ich mich noch einmal um. Ich weiß nicht, wieso. Vielleicht ist das ein unkrontollierter Zwang, den ich aber nur bei dir heute mache. Ich stelle fest, dass du dass Bett gemacht hast. Ich komme mir unglaublich... komisch vor. Wenn ich Gast bei jemandem war, dann versuchte ich dem Gastgeber nicht große Umstände zu machen und mied Unannähmlichkeiten. Ich half ab und an mit. Ich weiß nicht, warum ich dir nicht helfe. Ich hätte wenigsten das Bett machen können, da ich die Letzte war, die aufgestanden ist. Aber seit gestern bist du mir und meinem Müll, den ich hinterließ, ständig hinterhergerannt. Ich fand es etwas unangebracht für einen Gast, denn so einer war ich nicht. In meinem Land wird man anders erzogen und auch ich werde anders erzogen. Vielleicht übertreibe ich, denke ich mir und versuche nicht daran zu denken.
Vor der Tür zieh ich meine Flip Flops an. Wegen der Party gestern sind sie völlig hin, da es zwischenzeitig geregnet hat und der Strandsand zu Matsch wurde. Du brauchst für deine Schuhe von Converse etwas länger und ich warte so lange auf der Veranda auf dich. Dein Vater schaut lächelnd zu mir auf während er euren Hund Nevio, einer der Rasse Ca de Bestiar, vermute ich, sicher an der Leine hält. Ich kenne mich mit Hunderassen nicht aus, vermutlich war es auch ein Sennenhund, aber ich hatte noch nie zuvor ein durch und durch schwarzen Sennenhund gesehen.
Gestern hatte mich Nevio bei der zweiten Begegnung mit ihm wütend angebellt und wollte auf mich losgehen. Deine Mutter hielt ihn mit aller Mühe zurück und fragte währendessen: »Hat sie Angst vor Hunden?« Du lächeltest nervös und sagtest, während du dich vor dem Hund bellenden und wütenden Hund stelltest, um mich sicher in dein Zimmer gehen zu lassen: »Ähm ja, Mom. Sie hat Angst vor ihnen.«
Als wir davor kurz zu Ray gingen trafen wir Nevio vor dem Hauszaun, der mich aber nur neugierig anblickte und an mir schnuppern wollte. Wenn Hunde so waren, hatte ich keine Angst vor ihnen, auch wenn Nevio, wenn er auf zwei Beinen laufen könnte, vielleicht größer ist als ich. Aber das wusstest du nicht und stelltest dich beschützerisch vor ihm und hielst ihn am Halsband fest. Gleichzeitig machtest du mir Platz, damit ich vorbeilaufen konnte. Ich lief langsam vorbei, lächelte und schaute zu Nevio und dir zurück. Das Bild war sehr süß; wie Zucker. Nahrung für mein Gehirn.
Bevor ich überhaupt bei dir angekommen war, hattest du mich kurz vor der Haustür gefragt, ob ich Angst vor Hunden hätte. Ich rechnete sofort mit einem hyperaktiven Köter.
»Sag bitte nicht, dass du einen hast.« sagte ich, aber lachend.
»Doch, das habe ich. Wieso?« und du lachtest entschuldigend.
»Kannst du mich das nächste mal bitte rechtzeitig vorwarnen?« fragte ich dann. Daraufhin lachtest du nur weiter. Als du die Tür aufmachtest, sprang dir Nevio direkt mit wedelndem Schwanz entgegen. Dann hälst du ihn fest, damit ich an ihm vorbei kann. Der Hund starrte mich nur neugierig an und hinsichtlich dieser Tatsache, empfand ich deinen Beschützerakt jedes Mal etwas übertrieben. Aber ich ließ dich einfach in dem Glauben, dass ich eine panische Angst gegen sie pflegte und hegte, die vielleicht in die Richtung einer Phobie ging. Aus welchem Grund auch immer, ich ließ es dabei sein.
»Morgen!« grüßt dein Vater mich lächelnd während ich auf den Vordertreppen eures Hauses stehen. Ich wollte voerst Guten Morgen, Mr Harcourt sagen, aber stattdessen grüßte ich ihn namenlos zurück.
»Oh, die Flip Flops sehen aus, als ob sie viel durchmachen mussten.« stellte er belustigend fest.
»Ja« willigte ich lachend und zustimmend ein. »Das haben sie auch.«
»Und? War's schön gestern?« Dabei lächelt er herzlich.
»Ja, das war's.« ich lächle zurück und nicke mit meinem Kopf zweimal. Ich finde ihn sehr sympathisch und freundlich. Als wir gestern von Ray zurückkamen und im Garten an ihm vorbeiliefen hielt ich ihn für deinen Nachbarn, der sich oben ohne sonnt und Zeitung liest.
»Deswegen sehen die Schuhe auch so aus. Sie hatten gestern sehr viel Strandsand zu bieten und mit Regen hatte keiner gerechnet.« fahre ich fort.
»Achja? Haha, das sieht man. Aber es war ja trotzdem ganz schön, oder?«
Ich nicke und lächle. In diesem Moment tretest du hervor und läuft die Verandatreppe runter, auf der ich stand um auf dich zu warten. Dein Vater verabschiedet sich von mir und ich mich von ihm. Du läufst einfach zum Hauszaun entlang, zügig. Ich muss rennen um dich aufzuholen. Dann läufst du schnell zu Ray rüber, aber er stand schon mit Francis und einen anderem Kerl, den ich noch nicht kannte, auf der Straße. Ich laufe dir hinterher und dann sehe ich, dass ihr alle gemeinsam in die Richtung läuft, von der ich gerade komme. Also drehe ich mich genervt um und laufe alleine voraus, wohin auch immer. Ich habe keinen Plan.
»Guten Morgen.« sagt Ray so, um mich auf meine Unhöflichkeit hinweisen zu wollen, dass ich ihn nicht einmal grüßte.
»Morgen.« gebe ich lachend und sarkastisch zugleich hinzu.
»Gut geschlafen?« sagt er ebenso sarkastisch und was er meinte, war nicht zu überhören.
»Ja.« sage ich überzeugend und laufe einfach weiter gerade aus. Dann ziehe ich mein Handy aus der Hosentasche und tue so, als ob ich mich mit irgendetwas beschäftigen würde. Im selben Moment parkt deine Mutter das Auto aus der Garage und übersieht mich beim rückwärts Ausparken. »Vorsicht!« warnt mich Ray bevor deine Mutter mich beinahe überfahren hätte. Ich trete einige Schritte zurück. Danach steigen wir alle ins Auto. Du nimmst vorne Platz, Francis, Ray und der Unbekannte mit mir zusammen hinten und eingequetscht.
»Seid ihr okay dahinten?« fragt deine Mutter. Sie sieht sehr elegant aus, aber ich sehe sie ja nicht zum ersten Mal. Ihre unglaublich lockigen und rötlichen Haare passen sehr zu ihr. Sie hat ein dünnes Gesicht, du hast sehr viel von ihr. Dein Vater hatte ein nicht so zierliches und symmetrisches Gesicht, soweit ich mich erinnern konnte. Dabei hatte ich ihn gerade eben erst gesehen.
Aus dem Radio ertönt Screamo Musik, das was ich und du so gerne hören. Nach der Party gestern, auf der nur Techno und Elektro lief, erschien mir jetzt jede einzelne Sekunde der Musik wie Medizin. Du drehst die Musik etwas auf. Innerlich bedanke ich mich dafür, ich brauche das jetzt.
»Ja, genau, Ashton. Genieß deine Musik noch einmal bevor wir auf dem Festival sind und du nur noch Elektro und so Zeug hören wirst.« sagt Ray kurz darauf als ob er meine Gedanken lesen könnte und lacht dabei.
Du lachst auf. Deine Mutter stellt dir während der Fahrt fragen, welchen Zug ihr nehmen würdet und so weiter. »Kommst du denn auch mit?« fragt sie und dreht sich zu mir um. Ihr blauer Kajal passt zu ihren Augen. Die Augen hast du ebenfalls von ihr. Man sieht ihr an, dass ihre jungen Jahre vorbei sind, aber diese Falten stehen ihr und ihr Gesamteindruck ist trotzdem jugendlicher als der anderer Mütter.
»Ich? Ähm, nein.« Meine Stimme klingt schrecklich, muss ich festellen.
»Und wohin musst du dann?« Sie biegt in die Kurve ein.
»Nach Somerville.« Ich versuche meine Stimme umzustellen, aber sie klingt nur noch schrecklicher.
»Ah, ach so.« sagt sie mit einem Nicken. »Fährt denn dann ein Zug nach Somerville, Ashton?«
Bevor du darauf antwortest, fragt Ray nach, ob du alles dabei hast. »Kleidung? Genug Essen? Das Andere? Die Karten?«
»Die Karten hast doch du?« fragst du nervös.
»Ja, ich weiß. Ich wollte nur testen.«
»Das wär's ja auch echt noch, wenn du die Karten vergessen würdest.« lachte Francis neben mir.
»Nein, nein, die habe ich... meinst du die Tickets?«
Francis lacht laut auf. »Alter! Bitte sag, dass das ein Witz ist.«
»Oh man, Alter. Habe ich die Tickets mitgenommen? Ja, ich glaube... Nein, scheiße. Ah, verdammt. Ich hab die in dem Umschlag gelassen und hinterm Sofa geworfen!«
Ich muss sehr lange darüber lachen, währen die anderen ihn beschimpfen. Deine Mutter hatte den Wagen inzwischen umgedreht und Ray ist sofort aus dem Wagen gerannt und ins Haus gestürzt. Nach einigen Minuten kam er mit den Tickets in der Hand zurück und hörte nicht auf über seine Vergessenheit Späße zu machen.
Am Bahnhof angekommen schauen sie nach einem Zug und ich auf einen, der mich nach Somerville bringt. Es ist 9.36 Uhr. Mein Zug fährt um 9.41 Uhr. Während die anderen sich auf den Weg zu ihrem Gleis machen, hielst du deinen Finger auf dem Plan und sagst: »Also deiner Fährt um....« Ich verdrehte insgeheim meine Augen. Du hattest seitdem wir aus dem Haus waren kein einziges Wort zu mir gesprochen. Und Pläne lesen kann ich auch selbst. »9.41 Uhr, habe schon selbst geschaut.«
»Ja, okay. Auf welchem Gleis bist du dann?« fragst du mich, weil du es nicht mehr für nötig hielst auf den Plan zu schauen, da ich ihn eh schon einstudiert habe.
»Gleis 1.«
»Das ist der hier, oder?«
Ich nicke.
Wir laufen raus und die anderen nehmen den Unterleitung zu ihrem Gleis. Ray ist der einzige, der sich von mir verabschiedet. Er hebt seine Hand hoch und grinst. Es wirkt etwas herablassend, wie er es tut, aber ich winke zurück. Dann kommst du, siehst mich an.
»Also...« fängst du an.
Verlegenheint.
Ich sehe, dass du mich umarmen willst. Wie immer. Wie du es zuvor immer gemacht hast. Als Bekannte. Eine Umarmung für die Bekannte. Ich umarme dich. Was soll ich auch schon tun? Warum erwarte ich irgendetwas anderes von dir? Es ist keine warme Umarmung. Es ist eine flüchtige Umarmung.
»Tschüss.«
»Ciao.« sagst du und rennst zu den anderen.
Ich setze mich auf eine Bank und sehe dich auf dem anderen Gleis mit den anderen auftauchen. Du lachst vergnügt, die anderen erzählen. Wahrscheinlich davon, was sie auf dem Festival erwartet. Die vielen Drogen die sie mitgenommen hatten. Ray hatte bei sich zu hause viele Graspflanzen im Zimmer, wie ich gestern feststellte. Vielleicht hat ja eine davon in seinen Rucksack gepasst.
Ich bin wütend und enttäuscht.
Ich bin verloren.
Ich bin allein.
Ich bin die, von der ich mir sicher war, sie nicht zu sein.
Das war das letzte Mal, dass ich ihm so nah war.