Horizon Zero Dawn - die Welt nach der Apokalypse (Videospielrezension)

Mar 20, 2017 12:19


Seit ich vor ein paar Jahren wieder angefangen habe, Videospiele zu spielen, wollte ich hier im Blog eigentlich schon lange mal darüber schreiben. Irgendwie bin ich aber nie dazu gekommen. Jetzt habe ich in den letzten zwei Wochen ein neues Spiel gespielt, über das es viel zu sagen gibt. Zu den restlichen Spielen, mit denen ich viel Zeit verbracht habe und zu Videogames allgemein vielleicht ein anderes Mal. Horizon Zero Dawn, also.

Horizon Zero Dawn wurde von Guerilla Games entwickelt und ist exklusiv für die Sony Playstation 4 erschienen. Letzteres ist aus meiner Perspektive ziemlich schade, denn es schränkt das Publikum für das Spiel ziemlich massiv ein und verhindert auch, dass ich mit PC-Spielern im Freundeskreis über das Spiel sprechen oder es ihnen empfehlen kann. Denn empfehlen würde ich es, unbedingt!

Aber bevor ich darauf eingehe, warum das Spiel so toll ist, erstmal zu den Dingen, die manche Leute vom Spielen abhalten könnte. Das Spiel wirkt auf den ersten Blick nämlich wie eine Art "Best of" von Elementen erfolgreicher anderer Spiele der vergangenen Jahre und damit reichlich unoriginell, was die Spielmechanik betrifft. Es ist ein "Third Person Open World Adventure Game with RPG elements" - eine Form von Spielen, die in den vergangenen Jahren die AAA-Videospielindustrie dominiert hat (also jener Teil der Industrie, der mit grossen Budgets ausgestattet ist und auf den breiten kommerziellen Erfolg abzielt, sozusagen die "Blockbuster" der Videospielindustrie). Es herrscht unter Gamerinnen und Gamern mittlerweile eine gewisse Genre-Müdigkeit und im letzten Herbst sind einige Spiele dieser Art kommerziell weit unter den Erwartungen geblieben. Alleine im März 2017 erscheinen neben Horizon Zero Dawn mit dem neuen Legends of Zelda sowie mit Mass Effect: Andromeda zwei weitere heiss erwartete Spiele, die in dieses Genre passen. Man kann sich also schon fragen, warum man ausgerechnet noch ein weiteres Spiel dieser Art spielen sollte.

Auf den ersten Blick wirkt es denn auch, als hätte man alles schon gesehen, was Horizon Zero Dawn bietet. Eine offene Spielwelt, die man nach und nach erkunden kann. Unterschiedliche Waffentypen, die man erwerben und modifizieren kann. Kräuter und andere Ressourcen, die man sammeln und verwerten kann. Sogar die berüchtigten Türme, die man erklettern muss, um neue Bereiche auf der Karte sichtbar zu machen, kommen vor. Dann natürlich Nebenmissionen und Sammelaufträge. Was ein solches Spiel halt so ausmacht, alles kommt vor.

Auch die primäre Geschichte über unsere Heldin Aloy, die auszieht, um herauszufinden, wer sie ist und wo sie herkommt, ist nun nicht gerade der Gipfel der Originalität.

So gesehen erscheint es leicht, das Spiel auf der Seite zu lassen, das Geld zu sparen und lieber nochmals etwas mehr Zeit in ein geliebtes altes Spiel des Genres zu investieren. Doch das wäre aus meiner Perspektive ein Fehler.

Die gefühlte Unoriginalität und das "kennt man alles schon" der Spielmechanik und selbst der primären Story erlaubt dem Spiel nämlich, eine neue Spielwelt einzuführen, die vollgepackt ist mit Hintergrundgeschichten und kleinen Hinweisen, die es zu entdecken gilt. Gerade weil ich nicht viele Gedanken daran verschwenden musste, herauszufinden, wie die Spielmechanik funktioniert, konnte ich mich voll und ganz auf diesen Aspekt konzentrieren. Bei einem schlechter geschriebenen Spiel würde dies den gesamten Spielspass zerstören - aber bei einer derart sorgfältig und reichhaltig ausgestatteten Welt kann man sich so ganz auf das Wesentliche konzentrieren.

Das Tutorial am Anfang ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie man ein Tutorial gestalten muss, um Spielerinnen und Spieler sowohl mit der Spielmechanik vertraut zu machen, als auch die Welt einzuführen. Wir lernen unsere Hauptfigur Aloy als Baby kennen und erfahren, dass sie von den Matriarchen ihres Stammes ausgeschlossen wird - aus mysteriösen Gründen, die auch ihr ebenfalls ausgeschlossener Ziehvater Rost nicht kennt. Rost bringt uns nicht nur die grundlegende Spielmechanik bei, indem er Aloy das Jagen lehrt - diese Ausgangslage erklärt auch, warum Aloy genauso wenig über die grosse weite Welt da draussen weiss wie wir am Controller.

Trotzdem gibt es von Anfang an eine interessante und produktive Diskrepanz zwischen "uns" am Controller und Aloy selbst - zumindest mir ging das so. Während Aloy eindeutig davon motiviert ist, ihren Platz in der Welt zu finden und herauszufinden, wer sie ist, woher sie kommt und warum sie als Baby ausgestossen wurde, wollte ich unbedingt wissen, was mit unserer "alten Welt" passiert ist, dass Aloy in einer steinzeitlich angehauchten Stammeswelt lebt, aber Maschinen jagt und von verbotenen Ruinen aus der "Metallwelt" umgeben ist. Es gibt immer wieder Momente, in denen wir als Menschen in der heutigen Welt mehr mit den Fundstücken anfangen können als Aloy - aber es lohnt sich auch, darüber nicht arrogant zu werden. Ich hatte jedenfalls öfters mal Aha-Momente, die mir zeigten, dass ich auch nicht so viel verstanden habe, wie ich dachte.

Es wird relativ bald etabliert, dass Aloys eigene Motivation und unsere Motivation in die gleiche Richtung gehen, dass wir also herausfinden müssen, was genau in ihrer Vergangenheit und unserer Zukunft passiert ist. Diese Fundstücke befinden sich natürlich hauptsächlich in der Hauptmission des Spiels, aber auch selbst die Sammelaufgaben, die einem angeboten werden, liefern kleine Einblicke und Hinweise in die alte und die neue Welt, sodass ich zum ersten Mal in dieser Art von Game tatsächlich gerne all die Artefakte gesammelt habe und sogar aufmerksam die Textinformationen gelesen habe, die ich gefunden habe. Das mache ich sonst in Spielen beim ersten Durchgang nie konsistent, weil Lesen am Bildschirm für mich wirklich anstrengend ist. Ich hatte am Ende sogar am Handy nebenbei Google Maps offen, damit ich im Spiel genannte Örtlichkeiten aus der untergegangenen alten Welt suchen und das Game letztlich lokalisieren konnte.

Aber nicht nur diese Hintergrundgeschichte über die alte Welt, die untergegangen ist, ist sorgfältig konzipiert, auch die Mythologie und die Hintergründe der Stämme in Aloys Welt sind durchdacht und originell. Besonders spannend finde ich in dieser Hinsicht, dass sie es erfolgreich gewagt haben, einige soziale Kategorien, die in der heutigen Welt unheimlich wichtig sind, aufzugeben - insbesondere die Unterscheidung nach Hautfarbe (bzw. "Rasse") ist komplett abwesend und auch die Geschlechterrollen sind teilweise anders. Gleichzeitig ist es aber nicht eine utopische Welt ohne soziale Kategorien - es sind einfach andere Kategorien relevant (insbesondere die Stammeszugehörigkeit), ausserdem gibt es natürlich Unterschiede zwischen unterschiedlichen Stämmen, da diese auch unterschiedliche religiöse Ansichten und Mythologien pflegen. Allein dafür verdient Horizon Zero Dawn meiner Meinung nach Anerkennung - denn es ist leider überhaupt nicht selbstverständlich, dass sich ein Entwicklungsteam (sei es von Games oder von anderen Fantasy- und Sci-Fi-Welten) die Mühe macht, die in unserer heutigen Welt herrschenden sozialen Unterscheidungskategorien zu hinterfragen und nicht einfach unreflektiert weiterzutragen. Das gilt insbesondere angesichts der Tatsache, dass die meisten dieser Kategorien in ihrer heutigen Form kaum älter sind als 200 Jahre und gerade Fantasy und Sci-Fi-Literatur zusammen mit modernen historischen Romanen viel dazu beigetragen haben, diese Kategorien als universeller und unverrückbarer darzustellen, als sie tatsächlich sind.

Dazu kommt, dass das Spiel visuell wirklich schön aussieht (ich hab noch nie so viele Screenshots von einem Spiel angefertigt - der eigens dafür bereitgestellte Fotomodus hat sicher auch geholfen) und auch die Kämpfe gegen die Maschinen herausfordernd und interessant sind. Wenn man sich nicht mit den Schwachstellen der einzelnen Maschinen auseinandersetzt und strategisch vorgeht, werden die Kämpfe mit der Zeit anspruchsvoll - selbst auf dem einfachsten Schwierigkeitsgrad. Nur, weil die Spielmechanik vertraut ist, ist sie keineswegs langweilig.

Insgesamt ist Horizon Zero Dawn vielleicht nicht das allerbeste Game, das ich jemals gespielt habe (und ich habe z. B. auch kein Interesse, es noch ein zweites Mal zu spielen, nachdem ich das erste Mal durch bin), aber es setzt in Bezug auf Weltenbau in Spielen für mich auf jeden Fall neue Massstäbe. Die Spiele, mit denen ich wesentlich mehr Zeit verbracht habe (v.a. Dragon Age und Mass Effect), zeichnen sich durch andere Stärken aus - sie haben spannendere Geschichten und vor allem tiefere und liebenswertere (Neben-)Figuren. Aber von all den Open World Adventure Games und den westlichen RPGs, die ich gespielt habe, kommt bisher keines annähernd an die Qualität des Weltenbaus von Horizon Zero Dawn heran. Nicht mehr, nicht weniger.




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