"Der Name der Rose" wurde mir von einer Freundin empfohlen, nachdem wir über (gelehrte) Schriftsteller gesprochen hatten, die es schaffen, ganze Welten glaubwürdig zu erschaffen. Für alle, die das Buch noch nicht kennen, hier eine ganz kurze Zusammenfassung:
Der Novize Adson von Melk kommt mit seinem Meister William von Baskerville in ein berühmtes italienisches Kloster, in dem seltsame Dinge vorgehen. Ein Mönch wurde tot aufgefunden - und William, der früher Inquisitor war und für seinen brillianten Geist bekannt ist, soll für den Abt den Vorfall aufklären - möglichst bevor die Delegationen des Papstes und des Franziskanerordens auftauchen. Doch bald darauf gibt es eine zweite Leiche...
Adson von Melk ist dabei der Schreiber seines Meisters und notiert die Geschichte als alter Mönch - auch als Rückblick auf eine bewegte politische Zeit.
Wie die meisten der Bücher, die ich in letzter Zeit gelesen habe, wusste ich auch bei diesem am Ende nicht so recht, was ich davon halten sollte.
Auf der einen Seite fand ich es sehr interessant. Und seltsamerweise waren dies genau die Passagen, die mich früher wohl gelangweilt hätten, die ich besonders spannend fand. (Wobei ich mich die ganze Zeit gefragt habe, was das wohl über mich aussagt...?) Eco ist meiner Meinung nach dann am besten, wenn er das Mittelalter und seine Ideenwelt beschreibt, wenn er uns an seinem umfangreichen Wissen teilhaben lässt. Ich muss zugeben, dass ich zwar die politische Doktrin des Mittelalters auch einmal lernen musste und OT-Karten im Geographieunterricht jeweils faszinierend fand, aber ansonsten diese Zeitepoche ein ziemlich schwarzer Fleck in meiner Bildung ist. Die Neuzeit und ganz besonders die neuste Geschichte und die Gegenwart interessieren mich mehr. Deswegen habe ich auch Politikwissenschaft und nicht Geschichte studiert.
Es war bestimmt ein guter Schachzug von Umberto Eco, dem modernen Leser das Mittelalter und seine Doktrin in einer Romanhandlung eingebettet näherzubringen. So hat er einer Zeitepoche zum Welterfolg verholfen, die sonst nicht sonderlich im Rampenlicht steht.
Richtig lustig fand ich auch seine Verwendung von Fremdsprachen (bzw. dass sie dies in der Übersetzung beibehalten haben) und die lateinischen Zitate. Latein war nicht gerade mein Lieblingsfach in der Schule, um es nett auszudrücken - aber wenn es einem nicht unter dem Zwang des Lernen-Müssen begegnet, ist es eigentlich richtig cool, es ansatzweise verstehen oder herleiten zu können. Aber nicht nur Latein kommt ja vor, sondern auch Französisch, Italienisch und irgendeine frühere Form von Deutsch (damit kenne ich mich nicht aus.)
Als Buch über das Gedankengut des Mittelalters mochte ich es wirklich. Ich habe während und nach der Lektüre viel über Ideologien, Wissenschaft und was wir über die Wahrheit vielleicht wissen können, nachgedacht. Ich war sehr, sehr froh, nicht in der Zeit gelebt zu haben, in der - wie im Buch sehr schön in Erinnerung gerufen wird - die Inquisition so viel Macht hatte, dass sie jeden beliebigen Menschen mit ihren Totschlagargumenten zum Tod verurteilen konnte, sofern dieser nicht selbst über genügend Macht verfügte, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Wenn jemand die ihm zur Last gelegten Taten gestand, wurde er wegen Ketzerei (oder sie wegen Hexerei) verbrannt - bestritt man aber die Vorwürfe, wurde dies als besonders grosse Verbundenheit mit der Ketzerei (oder Hexerei) gedeutet und man landete ebenfalls auf dem Scheiterhaufen. Sobald man in den Klauen der Inquisition war, war man tot. Diese Machtlosigkeit gegenüber der Autorität fand ich absolut unerträglich, nur schon, zum Lesen.
Schockierend, wenn auch ebenfalls eigentlich nicht unbekannt, fand ich die Denkverbote, die damals geherrscht hatten. Was die Kirche sagt, gilt, unumstösslich - und die Idee, das Ideal steht über der Realität. Was nicht in die Ideologie passt, DARF nicht sein - selbst wenn alle Indizien in die Richtung deuten. Unerträglich und oft richtig, richtig schmerzhaft. Die schrecklich realistische Vorstellung, dass ein Mensch sogar sein Leben und eine ganze Bibliothek von unschätzbarem Wert opfert, nur, weil er glaubt, die einzig wahre Wahrheit schützen zu müssen, war am Ende sehr eindrücklich. Das alles mochte ich an dem Buch wirklich ausserordentlich gut.
Auf der anderen Seite war die Krimihandlung, die mir nun überhaupt nicht zugesagt hatte. Ich fand es reichlich durchschaubar - wusste zum Beispiel schon sehr bald, wie die Toten umgekommen waren und fragte mich ein bisschen, warum der ansonsten ach so brilliante William dies nicht durchschaut hatte. Auch, wer hinter dem Ganzen steckte, ahnte ich sehr früh. Das Ende mochte einiges wieder etwas gutmachen - aber letztlich wirkte dieser Handlungsstrang doch eher aufgesetzt und als eine mehr oder weniger gute Entschuldigung, um über das Mittelalter schreiben zu können.
Hinzu kommt, dass die ganzen Besuche in der Bibliothek letztlich nicht unbedingt glaubwürdig waren und nicht sehr viel Spannung erzeugt wurde. Er ging viel mehr ein auf die Inhalte der einzelnen Bücher und die symbolische Konstruktion der Bibliothek, sowie Williams Methode, deren Geheimnis zu entschlüsseln, als z.B. darauf, wie es sich für die Eindringlinge anfühlte. Ich hoffte die ganze Zeit darauf, dass ihnen wieder bewusst werden würde, dass sie etwas verbotenes machen - oder dass sie gar vom Abt erwischt würden und in eine beinahe ausweglose Situation geraten würden. Dies stand aber offensichtlich nicht im Zentrum des Buches - weshalb ich insgesamt vom Krimi-Teil der Geschichte nicht wirklich überzeugt war.
Ein eigentliches Problem hatte ich von Anfang an mit William von Baskerville. Er sollte ja wohl sowas wie die Identifikationsfigur des modernen Lesers sein und wurde immerhin im Film von Sean Connery dargestellt (so hatte ich ihn mir auch immer im Kopf vorgestellt); trotzdem nervte er mich. Seine ganze Denkweise war viel zu modern. Ich kenne mich zwar mit dieser Epoche des Mittelalters nicht aus, aber er kam mir wie ein riesiger Anachronismus vor - ja, ich vermute auch, dass er sowas wie das noch etwas brilliantere Alter-Ego des Autors ist.
William wirkte immer ein wenig ausserhalb der Handlung, als würde ihn alles gar nicht wirklich betreffen und selbst wenn ich dem Text noch den "der Chronist war sein Novize und er bewunderte seinen Meister"-Bonus gebe, einfach zu allwissend und mit einer nahezu unfehlbaren Intuition ausgestattet. William sollte ja offensichtlich derjenige sein, der all seine Gedankengänge auf "Logik" aufbaut. Dennoch geht er häufig von mehr oder weniger haarsträubenden Grundannahmen aus, die sich dann alle magischerweise als richtig herausstellen. Kurzum: ein normaler Mensch in der normalen Welt, der seine Art von Logik anwenden würde, müsste mit aller Beobachtungsgabe und allem Scharfsinn mit weit mehr Rückschlägen rechnen.
Es waren aber nicht nur seine Allwissenheit, ja überhebliche Besserwisserei, und seine seltsame Logik, die mich gestört hatten - sondern auch seine Art, scheinbar die Zukunft genau zu kennen und von allen Ideen der Modernität, die es damals gegeben haben mochte, genau jene auszuwählen, die Jahre später die Überhand gewinnen sollten. So lobenswert es auch sein mag, dass er in der Diskussion mit den Vertretern des Papstes und der Franziskanern eine Art von Demokratie vorschlug - ich glaube kaum, dass dies damals tatsächlich ein Vertreter des Kaisers ungestraft hätte vorschlagen können. Gleichzeitig bin ich aber eindeutig zu ungebildet, um hier Umberto Eco in irgendeiner Weise ernsthaft widersprechen zu können.
So bleibe ich am Ende irgendwie zwiespältig zurück. Die Beschreibung der Epoche war interessant - und die Diskussion über die Armut Christi erinnerte mich an eine Vorlesung, in der ich diese Zusatzinformationen gut hätte benötigen können. Ich habe mich auch gefreut, dass Umbrien immer wieder erwähnt wurde, mitsamt den Orten, die ich letzten Frühling in meinem Kurzurlaub in Italien besucht hatte.
Krimis habe ich hingegen schon weit bessere gelesen - wenn auch in einem weniger gebildeten Umfeld. Und William hätte ich vom ersten Moment an, in dem er aufgetaucht war, am liebsten erwürgt.