Tja. Das war's dann wohl.
Mit gemischten Gefühlen starrte er dem immer kleiner werdenden Punkt hinterher, bis die nächste Kreuzung ihn verschluckte, einfügte in den schmalen Verkehr. Franquin fröstelte, obwohl die Resthitze des Tages noch über dem Boden schwebte wie phlegmatischer Nebel. Da stand er nun, am Straßenrand, und kam sich etwas verloren vor. Nach dieser ganzen Zeit zusammen..
Er konnte es noch garnicht fassen, dass er jetzt wieder in die Freiheit abgeschoben worden war. Auf freien Fuß und ausgesetzt wie ein lästig gewordenes Haustier. Er wusste, dass der Vergleich so nicht stimmte und er allen Beteiligten damit Unrecht tat, auch sich selbst. Er sollte sich freuen, die Welt hatte ihn wieder, hatte ihren Joyau wieder. Und die nächste Zeit würde auch alles andere als langweilig werden. Was war zu tun? Presse. Viel Presse, denen er eine zurechtgelegte Story auftischen durfte, das würde hoffentlich anstrengend genug sein, um ihn am Nachdenken zu hindern.
Er stand noch eine ganze Weile dort, wo sie ihn abgestellt hatte und musste sich zusammenreißen. Aber er hatte sich so sehr gewöhnt an diese.. Situation, dass es ihm jetzt schwerfiel, sich neu zu orientieren. Ach. Machen wir uns doch nichts vor. Seine Magenschmerzen und dieses betäubende Vakuum im Kopf konnte er schon richtig deuten. Und es würde noch viel schlimmer werden, wenn er erst wirklich begriffen hatte, was er nun eigentlich verloren hatte. Gefunden und wieder verloren - er wünschte, er hätte es nie gefunden.
Mit einem Fuß kickte er ein paar kleine Steinchen auf die Straße zurück, ein paar Leute waren unterwegs, aber keiner beachtete ihn. Es war natürlich ganz unmöglich, dass der große Joyau hier alleine herumstand und so ziellos wirkte, als hätte er sein Gedächtnis verloren. Ganz unmöglich. Er wollte es ja nichtmal selbst glauben.
Es war notwendig gewesen. Das konnte ja kein Zustand für die Ewigkeit sein. Er war Sänger, er musste wieder auf die Bühne, er hatte Fans, Freunde, Mitarbeiter, die sich um ihn sorgten und innerhalb der letzten Wochen wohl fast wahnsinnig geworden waren vor Angst, dass ihm etwas passiert sein könnte. Nun, passiert war ihm ja auch etwas. Aber anders vielleicht, wie man sich das vorstellt, wenn man von der Sache zu hören bekommt. Entführung. Geiselnahme. Mafia. Schusswechsel. Da denkt keiner an die Menschen hinter den Schlagzeilen. Die Geschichten, die sich entspinnen und Situationen, die sich gerafft genauso unglaublich anhören, wie ein Joyau, der irgendwo in der Pampa neben einer Landstraße steht und nur dumpfe Wut verspürt.
Franquin seufzte und riss sich vom Bürgersteig los. Es hat doch alles wieder seine Richtigkeit, mal nüchtern betrachtet. Er war jetzt frei und konnte wieder zurück.. und Pascal würde erstmal untertauchen. War für sie beide doch das Beste. Pragmatisch gesehen sogar die einzig richtige Entscheidung. Freuen sollte er sich, aber der Jubel blieb ihm im Halse stecken. Im Gegenteil hatte er große Lust zu heulen.
Jetzt war der Kerl ganz allein, verdammt. Schön, Maria würde ihm helfen. Ihm in den Hintern treten, falls nötig. Bei den ganzen Kontakten.. wäre es ein Leichtes, ihn für ein paar Jahre verschwinden zu lassen. Und dann? Werd ich dich überhaupt jemals wiedersehen? Etwas von dir hören?
Ich hab es dir doch angeboten, ich regle das alles für dich. Du kommst nicht in den Knast, wenn Joyau die Hand für dich ins Feuer legt. Aber nein, das wolltest du ja nicht. Wahrscheinlich traust du mir nicht. Als hättest du einen Grund dazu! Als hätte ich dir in der ganzen Zeit auch nur einen Grund gegeben, mir nicht zu vertrauen! Was erwartest du denn noch von mir?! Du sturer Esel, ich hätte dir doch genauso helfen können, gerne, wenn ich nur..
Dann hau doch ab! Verzieh' dich ins Spaghettiland, kriech deinem Herrn Papa vor den Füßen rum, damit er dir den Arsch rettet. Ich hätte doch nie etwas dafür verlangt. Du bist doch mein Freund. Oder warst es zumindest.
Für einen Moment lehnte er sich an die Hauswand neben sich, um in der Jacke nach einem Taschentuch zu kramen. Verdammt. Er wollte doch nicht heulen. Ach und wenn schon. Jetzt konnte es wenigstens keiner mehr sehen, er brauchte sich nicht vor irgendjemandem zu schämen. Nicht vor Pascal, der wohl etwas befremdet gewesen wäre. Und nicht vor Maria.. die ihn wenigstens verstanden hatte. Und trotzdem hatte sie zugestimmt, hatte in zurück in den Alltag geworfen, sie liebte ihren Bruder eben und wollte nur das Beste für ihn. Er wusste im Grunde ja genauso, dass es das Richtige gewesen war; dass Pascal den klügeren Weg genommen hatte, rein nach dem Verstand gehend. Da war eben kein Platz für irgendwelche Gefühle, wenn es um sein Leben ging. Mal wieder war er selbst der pure Egoist und dachte nur an sich; und an diese öde Wüste in seinem Brustkorb, die sich noch entwickeln würde.
Ihm kam die Galle hoch, während er sich hastig die Augen wischte, aber einmal losgetreten wollte es garnicht mehr aufhören. Himmel, was tat er denn da. Flennte seinem Entführer hinterher, hat man das schonmal gesehen? Und erblickte zwei Häuser weiter ein bekanntes Schild, das verrauchte Lokalitäten und anonyme Problembewältigung mithilfe geistiger Getränke versprach. Oh ja. Er konnte ein wenig Hilfe jetzt gut gebrauchen.