Wie sicher ist Deutschlands Stromversorgung?

Aug 10, 2010 16:59

So, angeregt durch die Weltwirtschaftskrise und ein paar Untergangsszenarien (alexsword.livejournal.com - leider nur auf russisch) habe ich mich entschlossen eine kleine Energieanalyse für Deutschland zu erstellen. Diese basiert auf öffentlichen Quellen (wikipedia u.s.w.) und hat kein Anspruch auf absolute Richtigkeit. Ich würde sogar mehr sagen - wahrscheinlich ist sie falsch. Aber trotzdem, ich habe mich einfach für die energetische Sicherheit der BRD interessiert und der vorliegende Artikel ist ein Versuch ein Bild von der Sache zu machen.

Man stelle sich folgendes vor: von heute auf morgen geht das Vertrauen in unser bestehendes Finanzsystem verloren. Kein Land traut mehr dem anderen. Das bisher übliche Handeln mit Waren und Ressourcen gegen Geld ist nicht mehr möglich, da niemand mehr in Geld vertraut - Dollar, Euro, Pfund sind plötzlich nichts mehr wert. Selbst Gold gilt nicht mehr als Wertanlage und ist nur noch ein Metall wie jedes andere. Der zwischenstaatlicher Handel ist zusammengebrochen - durch die Pipelines kommt kein Gas mehr, kein Uran aus Australien, kein Öl aus Saudi-Arabien. Natürlich hat man in Deutschland gewisse Reserven, aber wie autonom ist die Stromversorgung in BRD? Es ging mir in erster Linie um die Frage, ob sich Deutschland (zumindest theoretisch) ein paar Jahre selbst versorgen könnte, ohne den Import von jeglichen Energieträgern, die momentan der Stromerzeugung dienen.

Die momentane Stromzusammensetzung sieht folgendermaßen aus:




Rund ein Viertel des Stroms aus der Steckdose wird aus Braunkohle gewonnen. Für den Fall, dass Deutschland seinen Strombedarf selber decken muss sieht es hier gut aus: mit 176,3 Mio. t ist Deuschland der weltweit größte Förderer. Allerdings fördert Deutschland nur für den Eigenbedarf - der momentane Verbrauch liegt bei knapp 174 t, aber selbst für den Notfall hat man hierzulande "40,6 Milliarden Tonnen Braunkohle, die zu gegenwärtigen Preisen und mit dem Stand der heutigen Technologie gewinnbar wären" (Wikipedia). D.h. notfalls könnte man die Förderung ausbauen um den Braunkohlanteil am Strommix zu erhöhen. Also, mindestens ein Viertel des momentanen Stromverbrauchs ist schon mal in Krisenzeiten sicher. Das ist schon mal beruhigend.

Weniger beruhigend sieht es mit Steinkohle aus - sie hat einen Anteil von 18% am Gesamtbedarf. Von den jährlich benötigten 65,5 Mio t kommen aber nur rund 19 Mio t aus Deutschland. Der Restbedarf wird durch den Import aus dem Ausland gedeckt, was in unserem Krisenszenario schon mal ausgeschlossen ist. Auch mit den Reserven sieht es schlecht aus - im Jahre 2007 lagerten etwa 99 Millionen Tonnen Steinkohle, die zu gegenwärtigen Preisen und mit dem Stand der heutigen Technologie gewinnbar wären. Damit würden die Vorräte bei konstanter Förderung (19,1 Millionen Tonnen im Jahre 2008) noch für 5 Jahre ausreichen. Ziemlich schlecht. Selbst wenn man eine Militärdiktatur einführt, Sklavenarbeit nutzt und auf die Kosten pfeift wird man nicht sehr viel mehr Steinkohle in den heimischen Bergwerken finden. Also haben wir eine Lücke von 18%, die irgendwie durch andere Energieträger geschlossen werden muss.

Ein weiteres Standbein der Energieversorgung ist die Kernenergie. Die Strom aus der Steckdose kommt  zu 23% aus den Reaktoren. Momentan sollen die 17 bestehenden Kernkraftwerke bis 2023 abgeschaltet werden, aber bei einem "Die-Welt-bricht-zusammen-Szenario" darf die Laufzeit gerne verlängert werden. Ausserdem dürfen die schon abgeschalteten AKW's wieder in Betrieb genommen werden. Das einzige Problem bei der Geschichte (die Proteste der Grünen betrachte ich erstmal nicht) ist der Nachschub am Uran.
Zuerst eine schlechte Nachricht: Vielen ist nicht klar, dass die momentane Fördermenge an Uran nur rund 60% des weltweiten Bedarfs abdeckt. Der Rest sind alte Lagerbstände, die ursprünglich für Atomwaffen gedacht waren und nun durch die Abrüstungsverträge zwischen den USA und Russland auch für zivile Stromerzeugung freigegeben werden. In Zahlen ausgedrückt beträgt der weltweite Bedarf ca. 65 000 Tonnen Uran jährlich, davon werden nur rund 40 000 Tonnen  tatsächlich gefördert. D.h. schon heute müsste man die Uranförderung steigern um den laufenden Bedarf abdecken zu können.
Die gute Nachricht ist:
Es gibt Uran in Deutschland. Man erinnere sich an das Deutsch-Sowjetische Joint-Venture in der DDR, nämlich an Wismut GmbH (1946-1990). Das Unternehmen war seinerzeit der drittgrößte Uranproduzent und gab in seiner letzten Vorratsbilanz folgende Zahlen an:
Bilanzvorräte 57.922 t Uran
prognostische Ressourcen 74.079 t Uran.
Im Jahre 2007 benötigten AKW's in Deutschland rund 4000t Uran. Wenn man die Wismutvorräte "entkonservieren" könnte wären die jetzigen 23% des Gesamtstrombedarfs sicher. Zudem könnte man die Fördermenge erhöhen um die Lücke von der Steinkohle zu schließen. Allerdings bleiben noch ein paar Fragen offen:
1) Wie viel Zeit braucht man, bis die Uranförderung in Sachsen und Thüringen wieder möglich ist? Die Produktion wurde immerhin vor 20 Jahren gestoppt und ich bezweifle, dass sie jederzeit ohne weiteres wiederaufgenommen werden kann.
2) Zur Energieerzeugung braucht man Brennstäbe. Gibt es genug Kapazitäten/Equipment/Know-How hierzulande um Brennstäbe herzustellen?
Von den letzten beiden Fragen hängt das Schicksal fast eines Viertels des heutigen Strombedarfs - was bringt einem Uranerz wenn man kein Uran anreichern kann, geschweige Brennstäbe herstellen.

Momentan wird EU von folgenden Ländern beliefert:


Wie man sieht, kommt ein Großteil des Urans von anderen Kontinenten, so dass man hierzulande auf den globalen Ressourcenhandel angewiesen ist.

Schlecht sieht es mit 13% Gas-Anteil. Die erkundeten Gasvorräte in Deutschland sind so minimal, dass sie bei heutigem Verbrauch innerhalb von 1-1,5 Jahren aufgebraucht werden. Wir haben also eine weitere Lücke von 13%.

Zum erneuerbaren Anteil von 16% und 6% Sonstige kann ich leider nicht so viel sagen, da es zu viele Faktoren gibt, die miteinfließen. So kommt es auf die Herkunft der dafür benötigten Ausrüstung an- wo wird sie momentan hergestellt, bzw hat man in Deutschland die nötigen Technologien um die Produktion bei Bedarf hier aufzuziehen? Welche Ressourcen/Rohstoffe werden dafür benötigt und wie einfach wird es in Krisenzeiten an sie ranzukommen? Davon hängen 22% des heutigen Strombedarfs ab.

Zusammenfassend kann ich folgendes behaupten:

24% Braunkohlestoms sind soweit sicher. Der Rohstoff befindet sich auf deuschem Boden, 11 Kohlekraftwerke auch und es gibt genug Vorräte.

23% Kernenergie sind eher sicher, wenn man es schafft die Umwandlung des Uranerzes in Brennstäbe in kurzer Zeit zu organisieren.

22% Erneuerbarer und Sontiger Energie sind eher unsicher, da zuerst sehr viele Produktionsketten entstehen müssen, die wiederum viel Energie und Ressourcen brauchen.

31% des heutigen Strombedarfs hängen komplett vom Import ab. D.h. sobald der Ressourcenhandel zusammenbricht wird dieser Anteil auf Dauer ausfallen - spätestens wenn die eigenen Minivorräte aufgebraucht sind.

Im schlimmsten Fall werden die Deutschen wohl auf 76% Energie verzichten - Klimaanlagen, Fernseher, Spielkonsolen und andere Stromfresser dürfen in diesem Fall auf dem Müll landen. Aber selbst der Rest wird eher streng rationiert und bleibt der Industrie/ Bundeswehr/ Infrastruktur vorbehalten.

Im besten Fall werden die Lücken komplett durch Braunkohle-Kernkraft-Erneuerbare Energie-Gespann geschlossen. Dann wird der Stromschock für den Normalbürger "eher gering" (bei unserem Szenario wird er es trotzdem schwer haben). Allerdings wird die Umstellung auf autonome Stromversorgung die Gesellschaft sehr viel Anstrengung und Lebensstandard kosten. Das heutige Verbrauchsniveau wird man wohl in keinem Fall beibehalten können.

Quellen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Kohle/Tabellen_und_Grafiken#Verbrauch_nach_L.C3.A4ndern_2
http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Kernreaktoren_in_Deutschland
http://de.wikipedia.org/wiki/Wismut_%28Unternehmen%29

deutschland, energie, strom

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