Arbeit nervt.

Jul 27, 2015 00:34

"Egal, wo man politisch steht: Wer arbeitet, muss eindeutig mehr Geld zur Verfügung haben als jemand der nicht arbeitet."

Dieser Spruch vom österreichischen "Team Stronach", einer rechtspopulistischen Splittertruppe, kursiert seit ein paar Tagen bei Facebook und die Bodenständigen unter meinen fb-Freunden teilen ihn fleißig.

Dazu ein paar Gedanken:

1.
Bleiben wir erstmal im Universum der Leute, die das Leistungsprinzip für sinnvoll halten: Wenn Einkommen von Engagement, Verantwortung und Leistung abhängen soll, dürfte bei uns im Land das Missverhältnis nicht so sehr zwischen "arbeiten/nicht arbeiten" bestehen, sondern innerhalb der arbeitenden Bevölkerung. Lohndumping und prekäre Beschäftigung auf der einen Seite, Topgehälter, Boni, Steuerprivilegien auf der anderen Seite - wenn jemand der Gesellschaft tendenziell auf der Tasche liegt, dann eine verschwindend kleine, reiche Oberschicht.

2.
Der Normalfall - über den Gesamtanteil kann man streiten - dürfte sein, dass Menschen arbeiten wollen. Die wenigsten richten sich in der Arbeitslosigkeit ein. Laut einer Studie der DAK von Juni 2014 sind Arbeitslose in etwa so gestresst wie Topmanager. Mangel an gesellschftlicher Anerkennung und eine bohrende Unzufriedenheit sind ständige Begleiter im Alltag.

3.
Die Arbeitsmarktpolitik ist nach diesem Prinzip ausgerichtet. Keine Reform im Bereich Arbeitslosengeld findet statt, ohne dass dem Grundgedanken Rechnung getragen wird, dass es Anreize geben muss, eine Arbeit aufzunehmen. Und da wird es schwierig. Hartz IV in Deutschland definiert ein Existenzminimum. Wer meckert, davon könne man nicht leben, dem kann man auf den Weg geben: das soll man auch nicht. Man soll davon nicht hungern oder frieren, aber es soll einen Anreiz geben, aus der Situation herauszukommen. De facto ist damit, wenn man den Satz auf 40 Stunden/Woche hochrechnet, ein Mindestlohn definiert, der allerdings ein wenig variiert, weil es zum Standardsatz ja unterschiedlich viel dazu gibt, je nch Mietkosten und Familienverhältnissen. In meinem Fall (ich kriege 868 Euro Hartz IV) würde das heißen: 5,40/Stunde.

Wenn dsa Leistungsprinzip also in Deutschland so gewürdigt wird (5,40 ist was anderes als 8,50, wo bezahlte Arbeit anfängt - und zwar auch erst dank Mindeslohn) - warum muss man diese Selbstverständlichkeit dauernd wiederholen? Möglicherweise, weil man so tun will, als sei das nicht der Fall. Man unterstellt damit, Arbeitslose würden im Verhältnis immer noch viel zu gut leben. Und dann ist es nicht "egal, wo man politisch steht", denn so etwas sagen nur Menschen, die politisch an einem ganz bestimmten Ort stehen - nämlich da, wo kein normaler Mensch stehen will. Und das ist das Ärgerlichste: das "man-wird-doch-wohl-noch-sagen-dürfen". Und zwar nur, um Stimmung zu machen - es hat nämlich nie jemand das Gegenteil behauptet.

4.
Und jetzt geht's ans Eingemachte. Dass das Leistungsprinzip nicht durch die Sozialpolitik ausgehebelt wird, die irgendwem ermöglichen würde, sich auf Transferleistungen auszuruhen, haben wir jetzt gesehen. Aber wir haben in Europa Arbeitnehmerfreizügigkeit. Und sehr unterschiedliche Lohnniveaus. So unterschiedlich, dass jemand woanders mit einer Facharbeiterausbildung soviel verdient wie hier ein ungelernter Arbeiter. Jetzt bin ich der Letzte, der offene Grenzen oder ein freies Europa infrage stellen würde, aber irgend etwas bleibt bei der Geschichte auf der Strecke - mindestens das Leistungsprinzip, auf europäischer Ebene gedacht.

Fazit:
Nicht nur ist es für den Wert der Aussage ziemlich wichtig, wo man politisch steht, die Aussage selber kann man durchaus auch anzweifeln. Nur wer keinen Tag in seinem Leben arbeitslos war kann glauben, dass sich Arbeitslosigkeit wie bezahlter Urlaub anfühlt oder, dass man von Hartz IV gemütlich leben kann. Ob man arbeitslos wird oder nicht, ist - leider! - auch keine Frage, auf die viele Menschen einen großen Einfluss hätten. Ob Ausbildungs-, Studien- oder Karriere-Entscheidungen richtig waren oder falsch, zeigt sich oft erst hinterher. Wenn sie richtig waren, fällt es leicht, nach unten zu treten.

Deshalb hoffe ich, dass ich solchen Plattitüden nicht auf den Leim gehe, wenn es mir mal deutlich besser geht und dass mich gute Leute stoppen, sollte es doch soweit kommen.
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