fic: glo·ria (2/2)

Feb 09, 2019 22:04

titel: glo·ria
fandom: suburra (la serie)
charaktere: aureliano, spadino; angelica, isabelle
anmerkung: cw für gewalt | bisschen hastig, aber hauptsache beendet; ich bin so conflicted, ob ich aureliano hasse, weil er jetzt nur noch so 50% trashy aussieht oder weil er über isabelle hinweg ist, aber ich defo nicht.



april, 2018

1

In der Sicherheitszelle vor Gericht hatten sie sich zum ersten Mal wiedergesehen. Sie wussten nicht, was der andere jeweils für eine Version des Geschehenen erzählt hatte, ob sich ihre Lügen deckten, ob der andere doch die Wahrheit erzählt hatte. Von den Steinwänden war an einigen Stellen der Putz bereits runtergekommen, in der muffigen Kühle froren sie.

»Was ist passiert?«, hatte Spadino gefragt, obwohl er bereits wusste, was passiert war. Auch ihn hatte niemand mit Samthandschuhen angefasst, da würde es einem mutmaßlichen Polizistenmörder nicht besser ergehen.

»Ich bin gefallen«, hatte Aureliano gesagt und dann die Augen zugemacht. Er hatte die Arme verschränkt und sich wie zum Dösen zurückgelehnt, als warte er frühmorgens auf die Bahn und nicht auf ihre Gerichtsverhandlung.

2

Ihr Verbrechen lag heute etwas mehr als ein Jahrzehnt zurück. Der Polizist hatte überlebt, lebensgefährlich verletzt mit einem Lungenriss und Rippenserienfraktur, aber in den Jahren danach war er gesundet. Die Marchilli hatten sich aus den Zeitungsblättern herausgehalten, hatten nie über den Prozess gesprochen, und Gabriele selbst hatte man nur einmal im Gericht zur Urteilsverkündung gesehen.

Aureliano hatte wie Alberto in Rom eingesessen und im sardischen Alghero, war aber für das letzte Jahr wieder aufs Festland nach Turin verlegt worden. Isabelle und Angelica hatten mit der Gefängnisverwaltung im Piemont gesprochen. Es war lang nicht klar gewesen, ob auch ihm Bewährung gewährt werden würde, bis das Überwachungsgericht überraschend zugestimmt hatte. Nur nach Rom hatte er nicht zurückgedurft. Zu groß waren mittlerweile die Hinweise auf den Clan Adami, zu sehr stand art. 416-bis c.p. mafiaartige Vereinigung, den sie im ersten Prozess noch hatten abstreiten können, jetzt im Raum.

An einem Frühlingstag im April holten sie ihn schließlich vom Bahnhof Milano Centrale ab. Er sah gleich aus - älter natürlich, erwachsener, das Haar dunkler, der Bart dichter, die Schatten tiefer um die Augen -, aber nicht so, dass Isabelle ihn sofort erkennen würde; etwas war fremd. »Aò, ciao«, sagte er und küsste ihr nach einem Moment des Zögerns beide Wangen, ebenso Angelica. Die zehn Jahre im Gefängnis hatten ihn verändert. Sein Blick sprang weniger umher, als dass er ständig schweifte. Er war nicht ruhiger geworden, nicht gelassener, nicht geläutert.

Er sah wieder aus wie der junge Mann, der plötzlich in Isabelles Schlafzimmer gestanden hatte, um sie umzubringen.

3

Ihre Exfreunde kamen aus dem Gefängnis, wie sie hineingegangen waren, aber das Gefängnis saß wie ein Aufhocker auf ihrem Rücken. Sie waren weit weg von dem, was damals gewesen war. Sie sahen sich kaum wegen der Arbeit und den Terminen, die anfangs nach der Entlassung organisiert werden wollten. Nur abends kamen sie in der Küche zusammen.

»Sieh es doch als neue Chance«, sagte Isabelle sacht. - »Eine neue Chance, wofür.« Aureliano lehnte sich im Stuhl zurück, herablassend, abfällig; das bürgerliche Leben überzeugte ihn nicht. »Ich hätte ihm ins Gesicht schießen sollen«, sagte er. »Dann wär’s das wenigstens wert gewesen, die scheiß zehn Jahre -« - »Das hast du ja auch nicht hinbekommen«, unterbrach Alberto, mit einem Mal wütend, »so wie du das Koks nicht in den Fluss geworfen hast oder die Waffe losgeworden bist!«

Aureliano sah ihn unverwandt an, als habe er auch das letzte bisschen Verstand, das er besaß, verloren. »Hättest du dich nicht auf der Piazza stellen lassen!«, gab er zurück. Er näherte sich ihm mit so unverhohlener Gewalt, dass Isabelle entgegen des ersten Instinktes eine Hand ausstreckte, um ihn zurückzuhalten. Sie wusste, ihm war klar, dass es nicht half, anderen das Gesicht einzuschlagen, er aber trotzdem im Zweifelsfall darauf zurückfallen würde. »Scheiße, weißt du was, Spadì, ich hätte dich erschießen sollen! Ich hätte nicht zurückkommen sollen für dich!« - »Hättest du nicht!«, fuhr Alberto ihn an. Auch er war aufgesprungen. »Dann hätten sie nichts gegen mich in der Hand gehabt! Glaubst du, ich bin dir irgendwas schuldig, Aurelià? Gar nichts schulde ich dir! Wegen dir saß ich fünf Jahre! Du hast es schlimmer gemacht!«

Aureliano sah aus, als wollte er ausspucken. Aber er spuckte nicht aus und er schlug ihn auch nicht, er starrte ihn an, die Augen weit aufgerissen wie ein Irrer, und ballte die Faust. Er blinzelte nicht, bis Alberto auswich. Die Spannung zerrann abrupt, als spülte er sie mit dem Wasser in den Abfluss hinunter, als er sich am Spülbecken ein Glas füllte. Das Einzige, was sie noch aneinanderband, war, dass sie zusammen ins Gefängnis gegangen waren. Gleichzeitig war es das, was sie am meisten voneinander trennte. Wären sie überhaupt Freunde geworden, wäre nicht der Fickpriester vor ihnen kollabiert? Wahrscheinlich nicht.

4

Halogenlampen, endlose Flure, Teppich, der jedes Geräusch schluckte. Carabinieri-Stationen, Aureliano durch die Scheibe zum Büro, wie er nicht mit dem Kommandanten sprach - der einzige Satz, den Spadino lippenlas: ›Ich möchte meinen Anwalt‹. Rom im Dunkeln, Fingerabdrücke, der Rücksitz des Polizeiwagens. Ein Uhr nachts, zwei Uhr, zwanzig nach drei.

5

Es war, als wären sie Mitbewohner. Sie wechselten kaum zwei Worte miteinander. Meist saßen sie in unbequemer Stille beieinander. Alberto hasste ihn auf dieselbe Art, wie Aureliano ihn hasste, ohne ein Wort darüber zu verlieren. Ihr Umgang miteinander war distanziert, leidenschaftslos, erträglich, aber forciert. Sie kannten sich kaum, waren sich über die Jahre fremd geworden.

Im Spätsommer verschwand Aureliano nach Rom. Seiner Schwester Livia gehöre die Küste, schrieben die römischen Zeitungen, anteilig habe auch ein weiterer Clan in die Waterfront investiert. Sie hatten den Hafen dort nach mehrmaligen Planungsstopps im Senat halb bebaut. Über Nordafrika und die Balkanroute kamen bereits Betäubungsmittel ins Land. Er hatte dem Anschein nach nicht vorgehabt, ein gesetzestreuer Bürger zu werden, sondern nur abgewartet, bis er unbescholten wieder ins Geschäft in Ostia einsteigen konnte.

6

Angelica verlor nur wenige unfreundliche Worte über Aurelianos Verschwinden. Es ärgerte sie, dass sie ihn bei sich aufgenommen hatten, nachdem er der Grund war, warum Alberto überhaupt ins Gefängnis gegangen war, und er dann einfach ohne ein Wort verschwand. Sie bewegte sich in Balance zwischen Wut und Verletztheit. Isabelle sagte: »Vielleicht hat er sich einfach verändert.« - »Wie war er denn vorher.« - »Wir… wir hatten eigentlich nichts gemein.« - »Vielleicht mag ich ihn deshalb nicht«, sagte Angelica, aber ihr Lächeln war wieder spöttisch, frech-liebevoll. Sie schlang beide Arme um Isabelle und zog sie in einen sanften Kuss.

Im frühen Herbst kam Aureliano zurück. Auf dem grauen Parkplatz vor ihrem Haus hatte er wortlos gewartet, einen Rucksack zu seinen Füßen. Als Isabelle ihn im Dunkeln entdeckte, erschrak sie. Er tauchte immer auf, ohne sich anzukündigen, wahrscheinlich dachte er nie weiter als an sich selbst. »Wo bist du gewesen?«, fragte sie und blieb vor ihm stehen. Es war abends frisch geworden, sie fröstelte. Er beobachtete sie, als sie sich selbst die Antwort gab, ohne abzuwarten. »In Rom, natürlich. Sag mir, dass du nichts Dummes gemacht hast.« - »Den Polizisten doch noch getötet?« Er lachte nicht, um zu zeigen, dass es ein Witz war. Er lächelte nicht. Er änderte nicht einmal die Tonlage. »Ich war auf der Beerdigung meines Onkels. Adami Nino.« - »Und das hat vier Wochen gedauert?« - »Er war schwer krank«, sagte Aureliano, »und lag lang im Krankenhaus.« - Isabelle runzelte die Stirn, aber sie glaubte es ihm, wenigstens für den Moment, und ließ ihn ins Treppenhaus.

Diesmal gab Aureliano sich Mühe. Er bedankte sich ungelenk und förmlich dafür, dass er noch einmal herkommen durfte. Er erzählte Angelica und Alberto dieselbe neblige Halbwahrheit vom Tod seines Onkels. Ostia gehörte immer noch den Adami, sagte er schulterzuckend, als sei es keine Erwähnung wert, Roma Est den Anacleti. Er erzählte ihnen nicht, warum er in erster Linie zurückgekommen war. Aber nacheinander ließen sie alle die Finger vom organisierten Verbrechen. Das lag hinter ihnen.

Die Art, wie sie im Gefängnis überlebt hatten, war nicht die Art, wie sie hier draußen überlebten. Das waren zwei verschiedene Welten.

7

»Würdest du’s nochmal machen?« Alberto fragte es geradeheraus. Er hatte von der Zeitung aufgesehen, die er gelesen hatte. Der Zeigefinger hielt die Stelle im Artikel, in dem er las. »Schießen, meine ich. Auf den Polizisten.«

Es war früh am Sonntag, die Sonne schien hell zu den kleinen Fenstern herein. Isabelle löffelte Cornflakes aus ihrer Schüssel. Ihr Blick traf Angelicas und sie zog eine ungeschickte Grimasse. Aureliano sah nicht auf. Er drehte sich eine Zigarette, langsam und sorgfältig. Dann zuckte er mit den Schultern. »Ich bin kein besserer Mensch geworden.«

»Wenn ihr noch einmal davon anfangt«, unterbrach Angelica, ernst und streng, »fliegt ihr hier beide raus. Wir sind jetzt gute Menschen. Benehmt euch so.« - »Wir sind jetzt gute Menschen«, wiederholte Aureliano spöttisch, als glaube er es selbst nicht. Er klemmte die Zigarette in einen Mundwinkel, und da sah er wieder aus wie seine Schwester - herablassend, kaltäugig, wie jemand, dessen erster Instinkt Überlegenheit ist.

8

Sie sprachen nicht über Rom und die Waterfront am Lido. Sie sprachen auch nicht über die Jahre, die zwischen dem Anfang und Jetzt lagen. Sie wohnten wieder zusammen und es war fremd wie zu Beginn, aber mit der Zeit gewöhnten sie sich aneinander. Sie lernten mit ihrer Wut aufeinander umzugehen, lernten, dass es nicht wirklich bloß Wut war.

Nachts sahen sie sich in der Küche, wenn sie nicht schlafen konnten. Das Gefängnis hatte ihnen ihren tiefen Schlaf genommen, hatte sie wachsamer gemacht, man schlief immer mit einem offenen Auge. Wenn Alberto barfuß zur Spüle schlich, um sich ein Glas Wasser zu füllen, wachte Aureliano jedes Mal auf, egal, wie leise er versuchte zu sein. Also versuchte er es nicht mehr.

»Glaubst du, der Polizist… der hat sich je ganz erholt?« Er sah ihn nicht an, aufrecht auf der Couch sitzend, als wäre er schon vorher wach gewesen. - »Das treibt dich nachts um?« Alberto trat von einem kalten Fuß auf den anderen. Er sah Aurelianos Umriss vor den blauen Fenstern, erleuchtet von den Laternen nahe der Tramstation. Morgens hörte man ab 5 die Straßenbahnen fahren. Er füllte sein Glas erneut mit Wasser aus der Leitung.

»Hm«, machte Aureliano. Alberto sagte: »Schläfst du deshalb so scheiße.« - »Und selber.« Aureliano trat zu ihm. Das Wasser zischte leise, als auch er sich ein Glas füllte. Das sanfte Knacken der Wohnung blieb ein Hintergrundgeräusch, gemischt mit den Geräuschen der Straße vor dem Haus. Im Halbdunkel konnte Alberto die Tätowierungen sehen, die über seine Brust verliefen, deren Bedeutung er nicht kannte: das aufgefächerte Kartenspiel, Sterne, der Kopf einer Frau. Das Sprichwort über seinem Rippenbogen war fast verdeckt, und von fünf tintenblauen Worten konnte Alberto nur drei lesen: vorbeigeflossenes und wasser und mehr.

Sie sprachen nicht darüber. Ihre Schultern waren so nah beieinander, dass sie die Körperwärme des anderen spüren konnten.

9

Im späten Winter schneite es in Mailand. Abends fielen dichte Flocken und nachts wurde es so kalt, dass es fror. Alberto arbeitete die Spätschicht in einem Kiosk im nahegelegenen Quinto de’ Stampi. Diesmal, als er nachts mit der Tram nach Hause fuhr, traf er im Treppenhaus Aureliano, der mit Isabelle in derselben familiengeführten Trattoria Anstellung in der Küche gefunden hatte.

»Die hast du noch?« Aureliano zog ihm die Mütze vom Kopf. Der Schnee darauf schmolz in der Wärme des Treppenhauses zu Wassertropfen. Er hielt die Mütze in beiden Händen und das leise Lachen rutschte ihm aus dem Gesicht. Es war zehn Jahre her; zehn Jahre ihres Lebens, die sie nicht mehr zurückbekommen würden.

Alberto fragte ein zweites Mal, als das automatische Licht über ihren Köpfen ausging, weil der Bewegungsmelder nichts wahrnahm, so still standen sie: »Würdest du’s nochmal machen?« - Aureliano blieb lang reglos. Dann sagte er: »Nein, würde ich nicht.«

Sie standen im Türrahmen, nah beieinander, aber ohne sich zu berühren. Die Schwelle - wörtlich, bildlich - trennte sie, einander nicht berührend, bewegungslos, nur der Raum zwischen ihnen. »Du hast mein Leben verändert, Aurelià«, sagte Alberto leise, aber es klang nicht böse oder vorwurfsvoll. Aureliano bewegte sich nicht, wich weder zurück noch kam er näher. Er atmete sacht gegen seine Lippen, warm und weich im Dunkeln.

10

Angelica hatte ein Kind gewollt. Sie hatte die Prinzessin der Familie Anacleti sein wollen - und dafür hätte es einen Sohn gebraucht, einen Erben. Sie hatte ein schnelles Auto gewollt und ein Anwesen, einen Mann, der sie vielleicht nicht liebte, aber achtete. Und heute war sie nichts davon. Sie war nicht einmal mehr Teil der Familie, genauso wenig wie Alberto selbst. Sie hatten kein Kind zusammen bekommen, keine Verwandten, die zu ihnen aufsahen; sie waren nicht die Bosse von Roma Est. Sie wohnten zu viert in einem winzigen Appartement in einem Mailänder Vorort und hielten sich über Wasser. So hatte sie sich ihr Leben nicht vorgestellt. So hätte sich kaum jemand sein Leben vorgestellt.

Aber wenn sie abends nach Hause kam, hatte Alberto ihr etwas von den Spaghetti aglio e olio vom Mittag aufgehoben. Ihre Kissen rochen nach Isabelles zartem Parfüm. Manchmal, wenn es spät geworden war, fand sie Aureliano neben Alberto schlafend auf der Couch und Isabelle zeitunglesend am Küchentisch. Sie hielt ihre Hände, sie küsste sie sanft; sie waren alle am Leben, gesund und zusammen.

Vielleicht reichte das als Familie. Vielleicht reichte das für einen Neuanfang.

fandom: suburra, fic

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