Dec 09, 2012 22:38
Am zweiten Dezemberwochenende des Jahres 2012 passierte etwas, das ich nicht für möglich gehalten hätte: Es gab tatsächlich zwei Neofolk-Events hier in Deutschland. Während in Dresden das „Runes & Men“-Festival auf dem Plan stand, sollte Wuppertal mit einem gemeinsamen Auftritt von Spiritual Front, Dernière Volonté und den Golden Apes bedient werden. Da ich die wichtigsten Acts des Dresdener Konzerts schon einmal live gesehen hatte, entschied ich mich - wenn auch schweren Herzens - für die Wuppertaler Veranstaltung.
Zugegeben, die Golden Apes, ihres Zeichens Goth-Rock-Band mit deutlichen Individualisierungsproblemen, interessierten mich nicht wirklich. Dernière Volonté hingegen hatten sich schon seit Jahren in meiner Playlist eingenistet, ließen sich aber nie in meiner Nähe blicken. Spiritual Front hielt ich, wenn ich ehrlich bin, für ein garantiertes Vergnügen, hatten sie mich doch nie zuvor enttäuscht. Und eins vorweg, das taten sie auch dieses Mal nicht. Dennoch hätte der Abend wesentlich besser laufen können.
Das Wuppertaler B7, ehemals Pavillon, ist ein recht heruntergekommener Schuppen - nichts, das man nicht von zahlreichen anderen Konzerten gewohnt wäre, aber dennoch nicht hübsch anzusehen. Als meine Begleitung und ich den Konzertort betraten, stellten wir zugleich fest, dass die Bar mindestens einen Drittel des verfügbaren Platzes einnahm - das Konzert versprach somit kuschelig zu werden (dem wäre auch sicher so gewesen, wenn nicht 50% der Gäste ständig an der Theke herumgelungert hätten).
Als ich meine Jacke zur Garderobe brachte, ertönte auch schon die Überbrückungsmusik bis hin zum Konzert: Samsas Traum. Die Menge lachte schon bei den ersten Tönen (erstaunlich, dass alle die ersten Takte eines relativ unbekannten Liedes identifizieren konnten!). Ich weiß nicht, ob der DJ diese Reaktion zum Anlass nahm, um seinem Sadismus freien Lauf zu lassen - den Rest des Abends spielte er in den Pausen stets dieselben 5-7 Samsas Traum-Lieder. Ich fand’s lustig.
Pünktlich um 20:30h betraten die Golden Apes die Bühne. Rein äußerlich war die Band eine konfuse Mischung aus Emo-, Goth- und Rock-Elementen. Der Sänger wirkte dabei besonders emotional und nachdenklich. Um diesen Eindruck zu bestärken, rauchte er ständig Zigaretten und trank Bier. Ich war ganz hingerissen. Nein, seien wir einmal ehrlich. Irgendwie tat mir die Band ein wenig Leid. Gut, ihre Lieder schienen sich eigentlich nur in den ersten Takten signifikant zu unterscheiden und klangen zumeist wie jeder andere Song des Genres. Aber sie waren definitiv nicht so schlecht, dass sie die Indifferenz, die ihnen entgegenschlug, verdient hätten. Der Großteil der Gäste machte sich nicht einmal die Mühe, der Theke für einen kurzen Moment den Rücken zu kehren. Meine Erziehung würde ein solches Verhalten gar nicht erlauben. Wenn jemand auf der Bühne steht, sollte man ihm zumindest Aufmerksamkeit schenken, solange er genau das tut, was man von ihm erwartet. Selbst wenn das Goth Rock ist.
Bei Dernière Volonté füllte sich der Raum merklich. Nach einem kurzen Soundcheck legte Frontmann Geoffroy ohne größere Unterbrechungen los. Die einzigen mitgebrachten Instrumente waren mehrere Trommeln, die Hintergrundmusik wurde dazu eingespielt. Zwar fand ich dieses Arrangement ein wenig schade, da ich mir eine größere Klangfülle gewünscht hätte, aber im Großen und Ganzen konnte ich diesen Minimalismus nachvollziehen. Kann halt nicht jeder eine Orgel auf die Bühne tragen. Als Geoffroy die ersten Strophen von ‚Au travers des lauriers‘ singen sollte, vernahm man in den ersten Reihen nur ein leises Stimmchen. Das Mikrophon schien nicht wirklich zu funktionieren, weshalb Geoffroy auch schon früh in Richtung Tontechniker gestikulierte. Die Lautstärke wurde daraufhin zwar ein wenig variiert, aber die richtige Einstellung wurde einfach nicht getroffen. Der Trommler ging weiterhin tapfer seiner Aufgabe nach, Geoffroy hingegen stürmte wutentbrannt von der Bühne und ließ sich nur mit lautem Applaus wieder aus seiner Kabine locken. Inzwischen war sicherlich eine halbe Stunde vergangen und mehr als dreißig Minuten geballter Dernière Volonté-Sound sollten nicht mehr bleiben. „Gut“, dachte ich mir. „Dann wird’s doch mal Zeit, die wirklich guten Lieder zu spielen.“ Versteht mich nicht falsch; ein paar Favoriten waren schon dabei: ‚Mon mercenaire‘, ‚L’eau pure‘ und einige andere schöne Nummern. Aber meine absoluten Favoriten (‚Nos chairs‘, ‚Coeur de légionnaire‘ und ‚Où tu iras‘, um nur ein paar Beispiele zu nennen) wurden auch in den letzten Minuten nicht gespielt. Ich war traurig. Tapfer hatte ich all diese Sound-Probleme durchgehalten, in der Hoffnung, genau diese Songs zu hören. Und was kam? Nichts. Geoffroy ist so eine Diva.
Glücklicherweise stand noch der Spiritual Front-Auftritt auf dem Plan, denn ganz ehrlich: Ohne Simone wäre dieser Abend für die Katz gewesen. Er hat mit absoluter Treffsicherheit alle wichtigen Lieder ausgewählt und die (immer noch vorhandenen) Sound-Probleme sehr professionell behandelt. Dieser Auftritt hat einfach Spaß gemacht: Es gab Anekdoten über Simones Verhältnis zur deutschen Sprache („Sechs Jahre lang in der Schule gelernt - nichts ist hängengeblieben!“) und natürlich rockige, ruhige und lustige Lieder! Höhepunkt war - wie könnte es auch anders sein - ‚German boys‘; der Song, bei dem alle deutschen Neofolker Selbstironie zeigen. Hach ja! Spiritual Front war schon klasse. Wenn sie noch eine Zugabe gegeben hätten, wäre ihre Performance perfekt gewesen.
Ich bin froh, dass das Konzert ein so positives Ende hatte. Auch wenn Dernière Volonté deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist, konnte ich letztendlich damit leben, für die Veranstaltung ganz nach Wuppertal gefahren zu sein. Ich hoffe jedoch inständig, dass das nächste Konzert nicht zwangsläufig einen Simone Salvatori braucht, um dem Mittelmaß zu entfliehen.
tonuntermalung,
erlebtes