Mar 03, 2011 21:38
In der heutigen
Gesellschaft lässt sich des Öfteren ein überaus interessantes Phänomen
beobachten. Jede Vorstellrunde, sei es auf einer Feier, in einem pseudo-esoterischen
Studier-Werkstatt-Kurs oder an der Volkshochschule, beschäftigt sich mit folgendem
Thema: „Was machst du in deiner Freizeit? Wofür interessierst du dich?“ Diese
Fragen können, ob nun ernst gemeint oder aus Mangel an möglichen Themen, den Gesprächspartner
in die Bredouille bringen.
Natürlich möchte der
Einzelne interessant erscheinen und die Aufmerksamkeit der Leute wecken. Am
liebsten würde man Dinge erzählen wie: „Ich kann gleichzeitig einen Handstand
machen, Einrad fahren und von Zeit zu Zeit mit meinem Zeigefinger die
Nasenspitze berühren.“ Jedoch sieht die Realität häufig anders aus: Wir
Menschen sind nun einmal keine einzigartigen Schneeflöckchen, sondern zu großen
Teilen langweilig oder unwillig, einen anderen Eindruck zu vermitteln.
Vielleicht hätte man
sogar Themen, über die man sich lang und breit auslassen könnte. Ich könnte stundenlang
über meinen Musikgeschmack philosophieren, würde dann aber wahrscheinlich
entweder irgendeiner politischen Einstellung bezichtigt oder aber von
vornherein als sozial inkompatibel abgestempelt werden. Genauso könnte ich über
meinen eigentlichen Plan, Medizin zu studieren, berichten und lustige
Geschichten aus der Pathologie erzählen, die mich dann jedoch auch ins gesellschaftliche
Abseits befördern würden.
Demnach belasse ich es am
liebsten bei den schnöden Normalo-Antworten: Ich lese viel. Ich spiele
irgendwie, irgendwo Keyboard. Ich lerne gerne Sprachen (komme aber zugegebenermaßen
seit einem halben Jahr sowohl mit Spanisch als auch mit Japanisch kaum weiter).
Ich liebe Vögel und beschäftige mich gern mit ihnen. Ich spiele hin und wieder
Videospiele. Ich zeichne, wenn mal wieder ein kreativer Anlass gegeben ist. Ja,
man könnte sogar behaupten, dass ich hin und wieder schriftstellerische
Ambitionen habe.
Doch sind diese
Aussagen, die man beim Kennenlernen tätigt, überhaupt repräsentativ? Können sie
den Menschen auf die eine oder andere Weise charakterisieren? Oder lenken sie
nur von der eigentlichen Persönlichkeit des Gegenübers ab? Man kann sich immer
verstellen, unter- oder gar überschätzen und somit den Gesprächspartner in die
Irre führen. Wahrscheinlich habe ich aus genau diesem Grund eine große Abneigung
gegen erzwungene Bekanntmachungssituationen. Man lernt nur selten den Menschen
an sich kennen. Welche Schlussfolgerung kann man ziehen? Keine
Vorstellungsrunden mehr? Die Möglichkeit der Enthaltung? Ich verlange das Recht
zu sagen: „Ich habe keine Interessen! Zumindest, wenn ich mit Leuten rede,
denen meine Worte eh egal sind.“
kritisches bewusstsein