David L. Hoggan (1923-1988) Der Erzwungene Krieg (1961)

Apr 29, 2023 01:07

Die Ursachen und Urheber des 2. Weltkriegs - Neunte Auflage (1973)
Einundzwanzigstes Kapitel. Polnische Generalmobilmachung und deutsch-polnischer Krieg
Die vorfühlenden Marienwerder Vorschläge.
...Während des Intervalls von zwölf Monaten sollte das Volksabstimmungsgebiet von russischen, britischen, französischen und italienischen Truppen besetzt werden. Verloren die Deutschen die Volksabstimmung, was durch einfache Mehrheit entschieden werden sollte, dann sollte ihnen eine exterritoriale Verbindungsstraße nach Ostpreußen entsprechend ihrem Vorschlag von Oktober 1938 zugestanden werden, das hieß ein exterritorialer Korridor von 1 km Breite durch den Korridor. Die Durchführung des Volksentscheids würde die Ungerechtigkeit des Versailler Vertrages beseitigen, aufgrund dessen dieses Gebiet damals ohne Volksbefragung an Polen fiel.
Verloren die Polen die Volksabstimmung, dann sollte ihnen eine ähnliche Verbindung nach Gdingen gewährt werden. Die Ausdehnung des Gdinger Hinterlandes würde von einer internationalen Kommission bestimmt und dann als unantastbares polnisches Territorium vom Volksabstimmungsgebiet ausgeschlossen werden. Die Deutschen verlangten die Entmilitarisierung Danzigs, Gdingens und der Halbinsel Hela, Kriegsschiffe ausgenommen, außerdem ein gegenseitiges deutsch-polnisches Abkommen, um die Rechte der jeweiligen Minderheiten zu schützen. Es sollte ein internationales Tribunal gebildet werden, um die Wirksamkeit dieses Planes zu garantieren, wobei in der Behandlung von Appellationen dieses Gremium rechtlich das letzte Wort haben sollte. Im sechzehnten Punkt wurde vorgeschlagen, Polen und Deutschland sollten zusätzliche Wege prüfen, um die freundschaftliche Zusammenarbeit zu gewährleisten. Das in den deutschen Vorschlägen erwähnte Gebiet umfaßte einschließlich der freien Stadt Danzig und der Volksabstimmungszone nur ein Zehntel dessen, was Deutschland im Osten an Polen und den Völkerbund nach dem 2. Weltkrieg abgetreten hatte.

...Der polnische Diplomat war regelrecht verzweifelt. Seit Ribbentrop ihn im März 1939 überzeugt hatte, seine Regierung müsse auf der Basis der Oktobervorschläge verhandeln, war ihm jeder Einfluß in Warschau verloren gegangen. Trotz seines monatelangen Ersuchens hatte er Beck nicht zu bewegen vermocht, ihn aus Berlin abzuberufen. Schließlich schrie er Henderson in höchster Erregung an, er „habe keinen Anlaß, mit der deutschen Regierung zu verhandeln. Komme es zwischen Polen und Deutschland zum Krieg, dann wisse er, der 5 1/2 Jahre in Deutschland gelebt habe, es würde eine Revolution in Deutschland ausbrechen und die Polen würden nach Berlin marschieren“. Traurig schüttelte Henderson den Kopf. Ihm war klar, daß es keinen Sinn hatte, mit dem polnischen Botschafter über die Situation zu reden.

...Kennard teilte Halifax am 31. August nachmittags mit, Beck habe formell seinen Dank für die Entscheidung der Briten geäußert, in keiner Weise auf die deutschen Vorschläge einzugehen. Der französische Außenminister Bonnet fand die dilatorische Taktik der Polen ungerechtfertigt und unverständlich. Energisch verlangte er von Halifax, Großbritannien und Frankreich müßten als gemeinsamen Schritt von den Polen fordern, etwas zu unternehmen, um den Frieden in Europa retten zu helfen. Englands Außenminister hatte kein Verlangen, den europäischen Frieden zu retten. Um so stärker beunruhigte ihn die Haltung der Franzosen. Er rechnete sich aus, daß er zusammen mit den Franzosen ruhig eine Geste gemeinsamen Handelns machen konnte, ohne Gefahr zu laufen, bei den Polen damit eine positive Reaktion auszulösen. So wies er denn Kennard an, zusammen mit Noél die Polen anzuhalten, die Deutschen von ihrer Bereitschaft zu direkten Verhandlungen in Kenntnis zu setzen. Kennard und Noei suchten Beck dementsprechend am frühen Nachmittag des 31. August auf und verlangten eine Ermächtigung für Lipski, die deutschen Vorschläge offiziell in Empfang zu nehmen und sie zur Beratung nach Warschau zu überbringen. Kennard stellte erfreut fest, daß Beck ausweichend erwiderte, er sei nicht bereit, auf dieses Verlangen einzugehen.

Kurz vor Mittag hatte Beck tatsächlich Instruktionen an Lipski gesandt, keine Vorschläge in Empfang zu nehmen und sich in keine Verhandlungen mit der Reichsregierung einzulassen. Dieses Telegramm war von Görings Übewachungsbüro abgefangen und sofort dechiffriert worden. Mit einem Blick erkannte Göring, daß die Lage hoffnungslos war, wenn nicht noch irgend etwas zur Umstimmung der Polen getan werden konnte. Er hielt es für richtig, die Briten über das Beck-Telegramm zu informieren, in der Annahme, sie könnten vielleicht darauf eingehen und Druck auf Warschau ausüben. Als er Dahlerus den Wortlaut des polnischen Telegramms zeigte, gab er freiwillig die Tatsache preis, daß Deutschland den polnischen Diplomaten-Code besaß. Der schwedische Ingenieur war über Becks Unnachgiebigkeit bestürzt, gleichzeitig bemerkte er, daß die Deutschen über Becks Mitteilung an Lipski außerordentlich beunruhigt waren.

Becks Auseinandersetzung mit Papst Pius XII.
...Papst Pius XII. war darauf bedacht, das Volk der Polen vor der verhängnisvollen Politik seiner Führung zu bewahren. Das Konklave der Kardinäle hatte den damaligen Kardinal Pacelli im März 1939 in erster Linie wegen seiner großen diplomatischen Erfahrung zum Papst gewählt, und weil man von ihm nachhaltigen Einfluß auf die europäische Diplomatie und die Aufrechterhaltung des Friedens erhoffte. Im Jahre 1919, zur Zeit der furchtbaren Greuel unter der kommunistischen Diktatur in München, hatte er dort als Vertreter des Vatikans gewirkt. Mit gutem Grund fürchtete er jetzt, ein neuer europäischer Krieg würde zum Anwachsen des Kommunismus in ganz Europa führen. Auch hegte er nicht den geringsten Zweifel, daß Polen in einem Krieg gegen Deutschland geschlagen würde.
Im Mai 1939 hatte der Papst eine große Friedensaktion eingeleitet und mit Entrüstung einen Appell des Erzbischofs von Canterbury zurückgewiesen, auf den hin ihm der Dank der anglikanischen, protestantischen und griechisch-orthodoxen Christen zuteil werden sollte, wenn er die Politik Hitlers verdamme. Statt dessen hatte er ostentativ den Sieg General Francos im Mai 1939 begrüßt. Damals bereits hatte der Papst erkannt, daß namentlich Polen eine Drohung für den Frieden war, da die Briten Deutschland nicht angreifen konnten, wenn Polen nicht gewillt war, als Pfand zu dienen.

...Beck hat sich später erinnert, daß kein Ereignis während der Endphase der Krise ihm so zugesetzt habe wie der beharrliche, aber erfolglose Versuch des Papstes, ihn zum Verhandeln mit den Deutschen und zur Annahme der Marienwerder-Vorschläge zu bewegen.

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