Aug 30, 2008 20:34
Wer GEZ zahlt, sollte hin und wieder schon auf seine Kosten kommen. Die Auswahl der Trümpfe ist groß. In diesem Fall war es BR Alpha, der intellektuellste aller Bildungsfernsehsender, mit der wohl tristesten aller Fernsehsendungen, die sich seit Jahren hartnäckig auf fast allen Dritten hält-Eisenbahnromantik. Dass die Betonung des Sonderthemas "Chinas Dampfbahnen" für uns freilich auf "China" und nicht auf "Dampfbahnen" liegt, versteht sich von selbst. Das Interesse hingegen ist trotzdem eher fragwürdig.
Die Sondersendung um die letzten ehrlich in Betrieb gehaltenen Dampflokomotiven ist nostalgisch. Denn auch die Tage der alten, umweltverpestenden Dampfbahnen sind gezählt. China will modernisieren, die Züge werden durch bessere Dieselbahnen ersetzt. Die "Dieselloks vom Typ QJ", so erzählt man uns aufdringlich, "was sich ironischer Weise mit "Fortschritt" übersetzen lässt, sind leider selbst Opfer des Fortschritts geworden". Zum Glück erhält man einige der dampfenden, zischenden Ungetüme als Museumslinie ganz im Norden Chinas. Grund genug für eine Reise nach China, dachte sich wohl ein Touristenteam voller pensionierter und Hobby-Eisenbahner (wohl Mitglieder des Eisenbahnromatik-Clubs, und den gibt's wirklich!), die in uralten restaurierten Personenwaggons auf unbequemen Holzbänken sitzen, eingepackt in Mützen und mehrere schichten verblichener Kleidungsstücke, denn dort oben in der inneren Mongolei ist es landschaftlich nicht nur hässlich sondern auch noch scheißkalt.
Ja, China kann auch einige öde, hässliche Landschaften produzieren, die jedoch für eine Handvoll Menschen schlagartig zur Postkartenidylle werden, sobald irgendwo verrostete Gleise das potentielle Auftauchen eines Zuges versprechen. Kilometerlanges Schienenwerk räkelt sich durch offene Weiten, in die sich die Ausläufer der Wüste Gobi ziehen, karstige Hügellandschaften, ausgebeutete Kohlegebiete, lustlos gefärbt vom allseits dominierenden tristen Grau und Beige. Die wenigen Bäume und Sträucher haben scheint's kapituliert und reihen sich kahl ins karge Gesamtbild. Mal ein leeres Feld, so staubig wie der Rest der Gegend, dann wieder ein Dreckhaufen. Wenn man Glück hat, huschen draußen mal ein paar Büschel vertrockneter Steppe vorüber. Drinnen sitzt man mit verklärtem Blick. Als Highlights gelten Kiesgruben und Kohleminen, wo man schon mal einen Sonderstop einlegt, um sich "eine halbe Stunde" am lärmenden Treiben rangierender mit Kohle beladener Züge vor glanzlosem Sonnenuntergang zu "ergötzen". Man ist in Reiselaune, vorne wird eifrig Kohle ins Feuer geschaufelt. Der Zugführer lacht aus von seinem Scheiß-Job gezeichneten Gesicht wohl über die seltsamen Interessen der Deutschen. Die Waggons, die meist von mehreren Loks gezogen werden, geben Stoff für uninspiriert gelallte Kommentare à la "Im Schlepptau zu Berge, [kleine Kunstpause] wir zieh'n. [große Kunstpause] Fallera.", in einem Tonfall, als wäre eben der Schaffner selbst gestorben.
Dann wieder ein Zwischenstop. Man steht stundenlang mitten im Nichts, um auf einen vorbeirauschenden Zug zu warten, der eventuell noch älter, noch schöner sein könnte als der eigene, der schneidenden Kälte trotzend, denn schließlich möchte man eine bleibende Erinnerung gewinnen, bevorzugt natürlich mit Kameras und Camcordern, um später die zu Hause gebliebenen Lieben damit zu langweilen. Und wenn der Zug dann endlich hinter einem kargen beigen Felsen, der wohl nach dem Kohleabbau so treppenförmig-trist zurückgeblieben ist, angedampft kommt, lässt das das Herz unter dem übergebliebenen 80er-Jahre-Zopfmuster-Strickpullover eines jeden wahren Eisenbahnfreundes höher schlagen. Da verstummt sogar der Sprecher, der uns sonst mit gelangweilt heruntergeleierten Worten versucht, die Romantik und Philosophie hinter der Sendung schmackhaft zu machen, einen andächtigen Moment lang.
Ein Highlight reiht sich an das nächste, denn man kann die Waggons nicht nur von Loks ziehen lassen, sondern solche auch noch zusätzlich ans Ende des Zuges spannen, und zwar mit der Schnauze nach hinten, was den gesamten Zug, wie man uns mitteilt, als hätte man eine tolle Erfindung gemacht, unglaublich "flexibel" macht. Denn je nach Belieben kann man so nämlich "vorwärts oder rückwärts" fahren. Über unkommentierte Einstellungen vom Zug, der sich schnaufend um eine unspektakuläre Biegung schleppt, wird schließlich doch noch philosophiert: "Rückwärts ist vorwärts. Vorwärts ist rückwärts."
Bilder von der Dampfbahn, die, als besonderes Schmankerl, über eine Brücke fährt, welche über eine triste, leere, beige Ebene führt. Ein Viadukt, wie uns der Sprecher erklärt, das als besonders malerisches Motiv gilt. Man mag es kaum glauben. Bilder von der Dampfbahn an einem Bahnübergang, die Schafe am aufgeschütteten Bahndamm so schmuddelig wie der Rest der Landschaft. Bilder von der Damfbahn, die in einen Tunnel fährt und auf der anderen Seite wieder herauskommt. Und weil das etwas ganz Besonderes ist, bleibt man mit der Kamera auch noch auf der Tunnelmündung, als der Zug schon längst vorbeigerauscht ist. Es qualmt und raucht minutenlang aus dem Tunnel, bevor die Kamera zurück auf den von dannen ziehenden Zug schwenkt, im Hintergrund die Silhouette eines großen Kohlekraftwerks. Der malerischen Impressionen gibt es viele. Kommentatorisch reizt man dabei, wie nicht anders erwartet, allerlei Kalauer übers Abstellgleis oder die Personifizierung der Dampflok aus.
So geht die Fahrt tagelang. Was jenseits schlecht isolierter Zugfenster passiert, ist wohl auch wegen der von dichten Dampfschwaden eingeschränkten Sicht uninteressant, es sei denn natürlich, irgendwo wird gerade wieder einmal Kohle auf einen Tender geladen (oder von selbigem wieder gestohlen), bevorzugt natürlich bewegt von uralten, rostigen Grubenmaschinen, die man in Deutschland wohl höchstens noch "aus seinen Kindertagen" kennt. "Wenn man viel Glück hat". Das bietet für die Touris wieder allerlei Motive für preisverdächtige Fotos und Videoaufnahmen, für die man wieder einmal einen Sonderstop macht. Dass sie sich dabei im Grunde nur der Lächerlichkeit preisgeben, hat dabei keine Bewandtnis. Inzwischen ist auch das chinesische Fernsehen auf die Dämlichkeit diverser Teutonen aufmerksam geworden und fährt mit im Zug. Vielleicht aber auch wegen des historischen Moments: Es soll die letzte reguläre Fahrt der Dampfbahn sein (ihre aus Buchstaben und Zahlenkombination bestehende Bezeichnung ist uns längst ungefragt in allen Einzelheiten erklärt worden), ehe sie nur noch als Museumsbahn für zahlungsfreudige Touristen herhalten darf. Ein besonderer Fanatiker im Zug hat vorgeschlagen, wegen der Denkwürdigkeit der Fahrt doch die Eisenbahnermützen, die viele von ihnen tragen, zu ziehen, sieht dann aber von selbst ein, dass das ein bisschen zu viel des Guten wäre. Dafür sorgt die einheimische Reporterin mit einem traditionellen Lied für harmonischen Ausklang auf der Fahrt gen Sonnenuntergang, bei dem sogar die Deutschen mitlallen, auch wenn sie weder den Text noch die Melodie kennen.
Das Fazit fällt zwar zugunsten der Dampflok aus, ist insgesamt aber eher traurig: "Es war wohl der Kindheitstraum eines jeden von uns, ein solch dampfendes Ungetüm einmal selbst zu lenken. Den Drachen zu zähmen. Mit dem Abschied der letzten regulären Dampfbahn der Welt geht nun eine Ära zu Ende." Wir können froh sein, dass uns noch einige dieser Bahnen für die Museumslinie erhalten geblieben sind. Und natürlich die unzähligen Fotos in Bildbänden und Filmchen wie Eisenbahnromantik. Selten hat man etwas dermaßen Trashiges mit einem derartigen Ernst aufgetischt bekommen. Eine Perle der schlechten Unterhaltung.