Unter Strom, Filmreview

Sep 10, 2009 01:24

Sneakvorführungen im Kino haben genau einen Vorteil und einen Nachteil. Vorteil: Man bezahlt deutlich weniger Geld als sonst und bekommt manchmal wahre Perlen zu sehen. Nachteil: Da oft sehr gemischtes Publikum erscheint, versammelt sich leider nicht nur die geistige Elite, der man auch ein gewisses Maß an Interesse am gezeigten Werk zusprechen kann sondern leider auch ziemlich viel von dem, was meine Mutter als "geistigen Dünnpfiff" bezeichnet. Heute waren es bei mir Homophobe und Chauvinisten (meist ein und dasselbe, zumindest in der Reihe neben uns -..-), was ausgerechnet bei "Unter Strom" wohl kaum als passende Klientel bezeichnet werden darf. -------.....--------

"Unter Strom" handelt von einer dieser üblichen, absurden Situationen, in die Ikonen des deutschen Kinos ständig zu stolpern scheinen: Daniel (Harald Krassnitzer, sally, horche auf. Aber er wirkt mit längeren Haaren tierisch alt O.o) und Anna Trieb (Catrin Striebeck), sie Karrierist, er Hausmann, lassen sich nach 20 Jahren Ehe scheiden und liefern sich im Gericht in Dresden ein hitziges Wortgefecht nach dem anderen, während im Nebensaal Frankie (sprich: Fränky, gespielt von Hanno Koffler, Sommersturm, anyone?) zu 15 Jahren Haft wegen Mordes verurteilt wird.  Völlig verzweifelt überwältigt der junge Mann die beiden Polizisten und nimmt die Triebs als Geiseln. Während sie flüchten, erkennt Frankie den Wirtschaftsminister van Möllebreit (Tilo Nest), den er für seine Situation verantwortlich macht und entführt ihn kurzerhand mit. Zu viert verschwindet man nun im Ferienhaus der Triebs, wo sich Annas Liebhaber (der so unwichtig war, dass ich ihn hier nicht mit einem Schauspieler benenne XD) bedauerlicherweise auch schon befindet. Um das Glück perfekt zu machen, bestellt Frankie seine Frau Gloria (Anna Fischer), eine kindische Emobraut, und Cheesie (Robert Stadlober), einen filmverrückten Realitätsfremden, zum gemütlichen Waldtreff, während ihm die Polizei in Form von Sigrid Fresman (Sunnyi Melles, die auch die Synchronsprecherin von Sophie in Das wandelnde Schloss war... diese Stimme! O_O) und Jochen Kaminski (Ralph Herforth) dicht auf den Fersen bleibt. In der Waldhütte und im Präsidium ziehen sich die einzelnen Stränge des Beziehungsgeflechts nun immer enger zusammen und nach und nach kommt die Wahrheit ans Licht, die die Nerven der eh schon völlig Bekloppten in der Waldhütte noch mal auf die Probe stellt.
Was als halbwegs verrücktes Roadmovie anfängt (mit schönen Bildern von Dresden, auch wenn die Augustusbrücke niemals so leer ist. Niemals.), mündet schon bald in ein bedrückendes, aber dennoch humorvolles Kammerspiel, wo die Waldhütte und das angrenzende Land als Schauplatz für so manche Beziehungskrise herhalten müssen, die man vielleicht sonst lieber hinter geschlossenen Türen gelöst hätte:
Daniel und Anna keifen sich - ungeachtet der Gefahr, die vom bewaffneten Frankie ausgeht - fröhlich weiter an, vor allem der Hauptstreitpunkt, dass Daniel als Hausmann und Anna als Karrierefrau sich nicht in die Lage des jeweils anderen versetzen können, wird von allen Seiten beleuchtet, egal ob der gefesselte Daniel seiner zum Kochen verdonnerten Frau zuruft, wo sie die Küchenutensilien findet oder ob Anna schließlich beichtet, dass sie pleite sei und Daniel vorwirft, dass sie mit ihm - aufgrund seiner mangelnden, beruflichen Erfahrung - nicht über solche Dinge sprechen konnte.
Trotz der deutlich überzeichneten Figuren und der manchmal zu aufdringlichen Dialoge respektiert man beide Charaktere und kann ihre langsame, von verbalen Schlägen unter die Gürtellinie begleitete Annäherung nachvollziehen, ohne entnervt aufzustöhnen, wie man es gelegentlich bei dem Dreiergespann Gloria, Cheesie und Frankie tun möchte. Zwar bekommt vor allem Gloria einen Welpenbonus, doch ihre Naivität mündet schnell in komplette Dusseligkeit, sodass man die gute Frau manchmal schütteln und an die Wand klatschen möchte. Stadlober, dem man den Spaß an der Rolle des vollkommen durchgeknallten Cheesies eindeutig ansieht, macht hingegen eine durchweg gute Figur. Störend wirken hier nur die oft wiederholten Sätze "Das hier ist kein Film, Cheesie" und "Du hast zu viele amerikanische Filme gesehen."
Würde jemand, der nun im nicht gerade als Kuhkaff verschrienen Dresden großgeworden ist, wirklich mit "amerikanischen Filmen" argumentieren anstatt sich auf das "Actionfilm"-Genre zu beziehen, dem Cheesie mit Leib und Seele fröhnt? Wohl kaum.
Minuspunkte für eine Art der Pauschalisierung, die leider viel zu oft vorkommt, wenn man sich im Kino/TV mit dem Kino/TV auseinandersetzt, die aber wett gemacht werden, denn Cheesie bleibt sich als Charakter treu, da er trotz der häufigen Ansprachen seiner Freunde, die Sachlage etwas realistischer einzuschätzen, seine Traum- und Fantasiewelt behält, auch dann noch, als ihm aus Versehen der Daumen abgehakt wird.
Diese Szene ist generell reichlich seltsam und wirkt wie ein verzweifelter Versuch etwas Ernsthaftigkeit in das bunte Treiben zu mischen, der jedoch vollständig misslingt, erstens weil, wie schon erwähnt, Cheesie selbst davon völlig unbeeindruckt bleibt (oder zumindest so tut ^^) und zweitens weil der Film bis dato recht un blutig ist (sieht man von einer Stirnverletzung und einem durchschossenen Oberarm einmal ab) und für einen kurzen Moment in rotes Chaos abdriftet. Insgesamt ist Cheesie jedoch ein angenehmer Charakter, dem man sein wahres Hollywoodende inklusive glühender Liebeserklärungen und explodierendem Wagen wirklich von Herzen gönnt. (Klingt das böse... O_O)
Das dritte Pärchen im Bunde besteht aus Kommissar Kaminski und dem Wirtschaftsminister Jan van Möllebreit, deren Beziehung in einem fast schon tarantinohaften Moment kurz erläutert und dann nur teilweise nervig inszeniert wird. Kaminski, der nicht ganz unschuldig an Frankies falscher Verurteilung ist, versucht mit allen Mitteln, seinen Liebhaber vor dem Gesichtverlust, den eine Bekanntmachung der Beziehung für den konservativen Politiker zur Folge hätte, zu bewahren, obwohl dieser sich dann beeilt - nach dem obligatorischen Gespräch, bei dem es um aufrichtige Liebe und ähnliches geht - vor laufender Kamera zu seiner Homosexualität zu stehen. Nicht ganz ohne Hintergedanken zwar, aber immerhin.
Trotz der ehrlich gemeinten und bisweilen auch erfolgreichen Versuche der beiden Darsteller bleibt jedoch leider auch diese Liebe auf der Strecke, denn obwohl sich die Handlung zunehmend auf das schwule Pärchen stürzt, ist man zu sehr geprägt vom simplen bis dichotomischen Bild von Liebe und Beziehung, das der Film vorher präsentiert und kann sich für die Liebesschwüre der beiden nicht so recht erwärmen.
(Naja ich konnte es, ich bin vor Entzücken sogar rot geworden. ^_^ Und vor Wut auch, weil neben mir eben die ganze homophobe Bande saß, die sich natürlich auch in Hörsaallautstärke unterhalten haben und das ganze Kino mit ihren Kommentaren versorgten, die unfassbarerweise auf Zustimmung trafen. O_O Dieses Arschloch besaß die unglaubliche Frechheit, Sunnyi Melles als "hässlich" zu bezeichnen und die Zwischenrufe des Ekels bei den Kussszenen kann man sich wohl vorstellen. Boah. -..- Ich hab zwar mehrmals gesagt, dass er das Kino doch dann einfach verlassen solle, doch bis auf ein "Halt die Fresse, Schlampe" ist dabei nichts rumgekommen. Und prügeln wollte ich mich auch nicht mit ihm, dafür bin ich zu klein. XD Tschuldigung, das musste einfach raus. /rant)
Auf die außerordentlich abwechslungsreiche Stimmung in der Hütte, in der jeder mal die Oberhand hat, folgt eine absolut überzeichnete Reaktion der liebestollen Einsatzleiterin, die die Ermordung aller Geiseln und Geiselnehmer, vorgeschlagen vom Innenminister, der die ganze Affäre schleunigst beenden will, aus Eifer- und Rachsucht in Angriff nimmt.
Ein Satz: Sunnyi Melles ist anbetungswürdig (soweit das im Rahmen dieses Filmes möglich ist :P). Wenn sie sich selbst lobt und so tut, als stünde der von ihr verehrte Kaminski vor ihr, nur um dann später wie besessen auf den scheinbar Verunglückten zu schießen, weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll.Somit fängt sie als Einzige diese Stimmung zwischen komplettem Irrsinn und unruhiger Komödie ein, die den Film mittendrin sehr anstrengend macht, im Großen und Ganzen aber für ordentliche Unterhaltung sorgt. Auf eine Kinopremiere hätte ich dennoch verzichten können, Samstagabends im ARD-Programm wäre er besser aufgehoben gewesen (außerdem hätte ich dann nicht den Spastis zuhören müssen -..-).
Hier noch zwei Kommentare von Kohlenstoff, die den Abend noch um einiges bereicherten.
1.Bei der Diskussion, welche Filme in der Sneak wohl gezeigt werden könnten:
Kohlenstoff: Vielleicht kommt ja ein Tatort?  (als ich dann "Harald Krassnitzer" gelesen hab, erwähnte ich, dass er mit der Theorie gar nicht so Unrecht haben könnte XD) 
2.Nach dem FIlm:
Plumplori: Im ersten Moment dachte ich ja, es sei dieser Film "Männerherzen"!
Kohlenstoff: Tja, der Titel hätte auch gepasst, oder?

Mein Lieblingspärchen bestand übrigens aus den zwei SEK-Männern, die Händchenhaltend im Gras lagen und sich verliebt anlächelten. XD (Hamburg, how you spoiled me XD) 

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