Der Grund, warum ich Leo den "Igel" nenne
Für die Uninformierten: Bei der Folge "Polizeiruf 110: Endspiel" handelt es sich um die Abschiedsfolge des Ermittlers Jürgen Tauber (gespielt von Edgar Selge), was aber vollkommen egal ist, denn man muss die Charaktere nicht kennen, um den Kopf auf die Tischplatte schlagen zu wollen und zu rufen "Warum Gott, warum??", um die Handlung zu begreifen und sich das Herz aus der Brust reißen zu lassen. Tauber ermittelt in München, er hat eine Kollegin namens Jo Obermaier (gespielt von Michaela May, die mir eigentlich IMMER leid tut, aber hier in dieser Folge ganz besonders xD) und ihm fehlt der linke Arm (ganz am Anfang war es auch ab und zu mal der rechte xD).
Außerdem ist Weihnachten. In München. Jauchzet und frohlocket, so wie Tauber hier.
"Ich bin so glücklich wie Mister Scrooge im Winterwunderland."
Gott sei Dank wird die allgemeine Heiterkeit bald von einem Mordfall unterbrochen (und so wie die Betriebsweihnachtsfeier gefilmt wurde, atmet nicht nur Tauber erleichtert auf sondern der Zuschauer auch. Ihr dachtet die Office-Party aus "Tinker Tailor Soldier Spy" wäre awkward gewesen? Das ist nichts gegen die hier) und während Tauber und Obermaier die Wohnung des Ermordeten durchstöbern, passiert Folgendes:
Ja, wirklich. Ich lüge nicht. Der Kerl da ist Mathias Kurtz (gespielt von Wanja Mues), ein Freund des Ermordeten und Hauptkommissar bei der Drogenfahndung. Außerdem rettet er gern Katzen und stürzt ältere Herren in sexuelle Identitätskrisen.
Aus irgendeinem Grund, der sich wahrscheinlich am besten mit "Liebe auf den ersten Blick" beschreiben lässt, hängt Kurtz dann nur noch bei Tauber und Obermaier im Büro herum und stört, wo es nur geht, die Ermittlungen. Also eigentlich versucht er zu helfen, aber die einzige, die dort arbeitet, ist Jo, denn ihr Kollege geht ja lieber mit seinem neuen Boytoy in dessen (sympathisch unordentliche) Wohnung und hat awkward Dates.
"Fühlen Sie sich ganz wie zuhause. Und jetzt koch ich uns was!"
ein Zitat, ein actual Zitat aus der Folge und wir haben grad mal eine Viertelstunde hinter uns, oh Gott
"Ihre Kochkünste müssen Sie mir noch beweisen."
Tauber, weil Kurtz nur noch Zwieback und Margarine im Schrank hatte
Der Grund, warum Tauber den Abend/die Nacht in Kurtz' Wohnung verbringt hat etwas mit dem Drogenplot zu tun, aber das scheinen sowohl der Regisseur als auch die Darsteller zwischenzeitlich vergessen zu haben, sodass sie mitten drin anfangen, eine romantische Kömodie nachzuspielen.
Als Tauber einschläft, deckt Mathias ihn liebevoll zu.
Ich, ich... mir fällt nicht mal ein sarkastischer Kommentar dazu ein. Das ist zu viel. Und ich hab noch mehr als eine Stunde Folge vor mir.
Und die Folge gönnt mir keinen Moment Ruhe, denn die nächsten paar Minuten sind mit unheimlich subtiler weiterer Flirterei angefüllt, die so homo sind, dass ich mich frage, warum da nicht überall Einhörner und Regenbogen aus den Wänden platzen.
Mathias duscht.
Tauber beobachtet ihn. Beim Duschen.
Ich will nicht sagen, dass er sich auch mit der Katze hätte beschäftigen können, aber er hätte sich auch mit der Katze beschäftigen können, anstatt intensiv auf die absolut nicht herausfordernden Jalousien vor Mathias' Badezimmer zu starren.
Ich hab hier nichts verändert. Wirklich nicht. Die Abfolge der Bilder ist GENAU so. (!!!)
Danach gehen die zwei Idioten tatsächlich in die Disko - wo die Türsteher sich totlachen, als Mathias seinen neuen Boyfriend mitbringt, aber schließlich schaffen sie es doch noch hinein und gehen tanzen. Nein ehrlich. DANACH sitzen sie auf random aufgetauchten Strandliegestühlen (München im Dezember, wir erinnern uns) und adoptieren den Igel.
Nicht abgebildet: Igel
Abgebildet: FLAAAAAAMING HOMOSEXUAAAAAAALS
Tauber ist so unendlich geflasht von seinem Date, dass er nach Hause geht und sich hübsch macht für seinen neuen Freund.
"Dieses Shirt ist so uralt, dass es schon wieder modern sein muss. Volltreffer."
Das Aufbrezeln beeinhaltet ebenfalls, dass er seine Armprothese anlegt, war er eigentlich nie macht.
Mathias ist auch angemessen hin und weg und dann kabbeln sie sich wie die Schuljungen auf dem Flur.
*muffled "I just died in your arms tonight" is playing in the background*
Leider ist nicht alles eitel Sonnenschein - was nicht nur daran liegt, dass Nacht ist, sondern daran, dass Mathias ein ziemlicher Hohlkopf ist und Tauber seinetwegen verletzt wird.
Mathias ist entsprechend traurig.
Aber weil der Drehbuchautor mit Sicherheit ein Fangirl ist und weiß, dass auf hurt auch comfort folgen muss, kommt dann eine wundervoll rührende "ich kümmere mich um meinen armen kranken Boyfriend"-Szene.
(Wir ignorieren mal, dass Tauber ohne Kurtz gar nicht erst in dieser Lage wäre).
Dass es so aussieht, als würden die gleich auf dem Sofa poppen wollen, ist wahrscheinlich vollkommen unbeabsichtigt. Sie schauen später dann auch gemeinsam Kinder und Jugendfotos von Tauber an, mit so akkuraten Feststellungen wie "Oh, da hattest du noch beide Arme." (<- EINS A BEOBACHTUNG MATHIAS, GRÖSSTER ERMITTLER ALLER ZEITEN). Die ganze Szene ist pures domestic gold, ich mein schaut sie euch an, sie sind sogar schon im Partnerlook.
(es klingelt)
Tauber: Wer ist das denn jetzt?
Mathias: Die Polizei!
*schulmädchenhaftes Gekicher*
(actual quote aus actual Folge ich kann nicht...diese verliebten Teenager)
Leider erinnert sich die Folge zwischendrin daran, dass sie eigentlich ein Kriminalfall ist und bringt uns das übliche Potpourri aus Rassismus (die Thailändern, oh Gott, someone hold me...) und hanebüchenden Verstrickungen näher. Interessanterweise wird aber auch angesprochen, wie das Präsidium auf Tauber und Kurtz reagiert - sehr homophob und bösartig, was wahrscheinlich gar nicht mal so unrealistisch ist. Ungefähr zehn Minuten vor Ende ist also jeder schrecklich traurig und es kommt zu Verrat, enttäuschten Gefühlen und aus irgendeinem Grund zu einer Verhaftung, die wirklich weder vorne noch hinten Sinn ergibt, aber wenigstens sorgt sie für ordentliches Drama und waidwunde, schmachtende Blicke, die sich hervorragend in Videos verarbeiten lassen.
Vor der Verhaftung bekommen wir allerdings noch diese Szene. Ohne Worte.
Fazit: Abgesehen davon, dass alles so umwerfend homo ist, dass ich mich ernsthaft frage, weshalb nur zwei Rezensionen die Liebesgeschichte angesprochen haben und sich Spiegel und Co. hinter Platitüden versteckt haben, ist die Folge an und für sich auch nicht schlecht.
Sie ist bloß kein Krimi, sondern ein intensiv gespieltes Drama über Liebe, Vertrauen und Verrat. Tauber ist gewohnt facettenreich und ein wunderbarer böser Held aber auch Kurtz ist nicht einfach nur der Böse, der Tauber ausnutzt, sondern ein idealistischer, enttäuschter, anhänglicher, tierlieber(!!!) Mensch, der nicht weiß wohin mit seinen Rachegefühlen. Die kleinen Witzeleien zwischen ihm und Tauber sind unendlich zärtlich und das ganze Farbschema des Films (grau, dunkelblau, braun, schwarz) lässt perfekte unterkühlte Stimmung aufkommen. Ja, der Plot ist vollkommen abstrus und eigentlich hätte es auch nicht so dramatisch enden müssen, wie es das schlussendlich tat (ich weigere mich auch, das zu glauben. Auch diese Katastrophe von einem Haarschnitt ist nie passiert. Wie kann man Mues nur so verunstalten DDx), aber die Charaktere reißen das alles wieder heraus. Eine gelungene Abschiedsfolge durch und durch.
Bonus:
