Ein federleichter Regen...

Jan 19, 2008 00:56

Als ich heute Nachmittag aus dem Badezimmerfenster blickte, stockte ich verdutzt. Ein paar große, helle vermeintliche "Flocken" schwebten sanft und wie in Zeitlupe durch den gesamten Innenhof, einige auf Höhe der Baumwipfel und über dem Dach. Ich sollte dazu erwähnen, daß wir im fünften Stock wohnen, und daß ich ohne Brille aufgrund der Kurzsichtigkeit nicht viel erkennen kann.

Meine erste Assoziation waren die weißen, luftigen Flocken der Pappelbäume, die aufgrund der Jahreszeit und dem eklatanten Mangel an Pappeln allerdings ausgeschlossen werden mußte. Es konnte aber auch kein Schnee sein, denn dafür war es weder kalt noch bewölkt genug, es waren nicht genug und die Größe der Einzelnen variierte zu sehr. Am augenfälligsten war jedoch das Tempo dieser U.F.O. (nicht "U.F.O.s", wie man vielleicht im ersten Moment gerne sagen würde, denn schließlich sind es keine unbekannten Flubobjektes); sie bewegten sich leicht und anmutig, einige schienen auf der Stelle zu schweben, die meisten hoben sich sanft aber stetig in den Himmel. Es war schon ein faszinierender Anblick, der sich mir bot, als ich zum Balkon stürmte, vor dessen Brüstung gerade ein ovales Objekt senkrecht und völlig ruhig in die Höhe stieg.

Es waren Federn. Eisgraue, mit weißem Daunenflaum, einige klein und rundlich, andere länglicher. Taubenfedern.

Ein Habicht muß, kurz bevor ich aus dem Fenster blickte, eine Taube im Flug gerissen haben. Ein Griff tief ins Leben. Ich blickte suchend umher, konnte aber keine Richtung erkennen, aus der mehr Federn gekommen wären als aus einer anderen, es gab keinen blutigen Federstrom, der sich über eines der Dächer ergossen hätte, keinen sich an der Beute labender Greifvogel in Sichtweite. Überall herrschte das gleiche, fast schwerelose Schweben der vereinzelten Federn, die bis in den letzten für mich sichtbaren Winkel des Hofes trieben, geführt durch einen zarten Lufthauch.

Nach wenigen Minuten waren auch die letzten Federn verschwunden, nur ein, zwei Vereinzelte lagen auf einer zinnoberfarbenen Dachschindel.

Es mag zwar nichts Außergewöhnliches gewesen sein, aber für mich war es faszinierend. Dieses kurze Zeitfenster zu erwischen, direkt nach dem Schlagen und vor dem Verschwinden aller Spuren, und das an einem Nachmittag, an dem der Wind so mild war, daß alles in der Schweben hing, war ein unglaublicher Zufall.

Man könnte jetzt darüber diskutieren, ob es so etwas wie "Zufälle" überhaupt gibt, aber das ist ein Thema, dem ich mich ein anderes Mal widmen werde.

[In dem Moment, in dem ich erkannte, daß es sich um Federn handelte, mußte ich an die Geschichten denken, in denen geflügelte Wesen vom Himmel fallen. Ich mußte ebenfalls anerkennen, daß die übertriebene Darstellung dramatisch durch die Gegend schwebender Federn, die man in Anime-Serien häufig beobachten kann, durchaus einen wahren Kern hat. Der Anblick, der sich mir bot, war wunderschön, wenn auch Zeugnis eines tragischen Kampfes auf Leben und Tod (aber was in der Natur ist nicht schön?), und eines abstürzenden Ikarus würdig. (Wenn Ikarus klein und mit mausgrauen Federn bestückt gewesen wäre. ;) ) Für einen Augenblick fragte ich mich, ob nicht doch ein gefallener, androgyner Jüngling auf dem Dach sitzen würde, wenn ich nur nachsehen würde. Haha, mein Wunschdenken ist stark. Ebenfalls meine Beeinflussung durch Anime, denn der vor Übermut strotzende, griechische Original-Ikarus war bestimmt männlich bis zum letzten Achselhaar und alles andere als androgyn. XD

Hätte ich bloß nachgesehen. Es gibt ja die Frage, ob äußere Dinge wirklich existieren, wenn wir die Augen schließen und sie nicht sehen können, aber umgekehrt gibt es vielleicht auch Dinge, die wir nur sehen, wenn wir auch nach ihnen Ausschau halten...? Ich wollte mir allerdings meine Socken auf dem nassen, kalten Balkon nicht durchweichen. So viel zur mangelnden Überprüfung philosophischer Theorien aufgrund irdischer Bequemlichkeiten. >.>; Dem unter Umständen nun kläglich auf dem Dach frierenden Jüngling mit den verletzten Flügeln sei hiermit angeboten, sich gegebenenfalls auf dem Balkon einzufinden und anzuklopfen, wenn es ihn denn gibt. ♥]

schwer zu beschreibendes

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