Titel: heavy in your arms
Sammlung: dead birds sing lovely
Projekt: 100, 200 ... 1000
Pairing: Leah x Rosalie
Word Count: 1'000
Prompt aus
daswaisenhaus :: 3464 :: Braune Augen. Wie Schokolade, wie Lebkuchenherzen. Dunkle Haut. Wie Zimt. / Rote Augen. Wie Marmelade, wie diese bescheuerten Weihnachtsmützen. Blasse Haut. Wie Schnee.
-
heavy in your arms
-
»Es ist vorbei«, sagt sie, sagt es so ruhig, dass die Präsenz des Todes sich ungehindert entfalten kann, diese ganze versiffte Gasse flutet. »Es endet hier.«
Natürlich tut es das, denkt Rosalie. Sie steht nicht hier, weil sie in einem Moment der Unachtsamkeit in eine raffinierte Falle getappt oder völlig den Kopf verloren hätte. Sie selbst hat zum Ende gerufen, zum Schlussstrich, und Leah Clearwater wird ihr gute Dienste leisten.
Rosalie wischt sich mit dem Daumen einen verirrten Blutstropfen vom Mundwinkel und stösst betont gleichgültig den Leichnam von sich. Ein Mann. Irgendein Mann. Nicht ein privilegierter Collegestudent, der reihenweise toxische Cocktails ausgibt und sich an benebelten Frauen vergeht, ohne Konsequenzen auch nur ansatzweise zu fürchten. Kein zwielichtiger Kerl, der sich an die Fersen einer Frau heftet, die sich zur späten Stunde allein auf den Heimweg macht, und der nicht merkt, wie Rosalie wiederum ihm wie ein Schatten folgt.
Heute war es keine Rache, kein Echo ihrer selbst erlebten Pein.
Hunger, aus dem tiefsten Inneren der Bestie, die sie Jahrzehnte lang unterdrückt und in Ketten gehalten hat, absolut rein und unverfälscht in seiner Gefühlslosigkeit, Hunger so ungestüm, als hätte sie nicht den gesamten Advent damit verbracht, sich an Vergewaltigern zu laben.
Sobald die spitzen Stacheln der Gier durch das warme Blut des Fremden glattgestreichelt waren und der Vampir allmählich wieder zu einer Person mit Kopf und Herz wurde, wusste Rosalie, dass es vorbei war. Die Grenze, die sie sich selbst gezogen hatte, bevor sie ging, dem Leben, wie es war, diese endlose Wiederholung der immer selben Teenagerjahre, den Rücken kehrte, war überschritten. Sie hielt inne, bereit, von Leah gestellt und gerichtet zu werden.
»Clearwater«, sagt sie spitz, »sind die Hundenäpfe und Halsbänder für deine Familie schon alle gekauft und hübsch eingepackt, dass du die Zeit hast, uns mit deiner Anwesenheit zu ehren?« Sie gibt dem Toten zu ihren Füssen einen sanften Tritt gegen das Kinn. Sein Kopf rollt widerstandslos zur Seite und wieder zurück, der sternenklare Nachthimmel spiegelt sich dabei in seinem leeren Blick. »Ich fürchte, wir sind wohl doch nur zu zweit.«
Leah reagiert nicht, gibt keinen Zentimeter nach in ihrer Ruhe. Sie sieht blass aus, erschöpft von der wochenlangen Jagd. Rosalie fragt sich, ob Leah sich zwischendurch überhaupt schlafen gelegt hat, ob sie es sich selbst erlaubte, die Augen zu schliessen und die Realität für kurze Stunden auszublenden, oder all ihre Erholung darin bestand, in einen körperlich erzwungenen Dämmerzustand zu verfallen. Schlagende Herzen sind so stark in dem, was sie empfinden, aber sie machen auch ungemein schwach.
Von der Hauptstrasse erklingt der schleppende, betrunkene Gesang zweier Frauen. Rosalie dreht automatisch den Kopf, lauscht den verhunzten Zeilen eines Weihnachtsliedes, begleitet von alkoholgeschwängertem Kichern. Die beiden schlendern Arm in Arm an der Gasse vorbei, ohne von ihnen Notiz zu nehmen, und schaffen es dabei irgendwie, etwas von Rosalie mit sich fortzutragen in ihr frohes Leben. Ein Stück Widerstand, das die ganze Mauer zu Fall bringt.
»Weisst du noch - «
Natürlich.
»Nicht«, weist Leah sie scharf zurecht. Das ist vorbei.
Ein Interlude zwischen der verdammten Ewigkeit und der ewigen Verdammnis, ein unkommentiertes Aufeinandertreffen, Verschmelzen und Auseinandergehen, kurz und heftig. All die klingenden Glocken, stillen Nächte und rotnasigen Rentiere, der überwältigende Geruch nach Tannenparfum für Plastikbäume, Gebäck, Marzipan, die Vorfreude, der Stress, die Atemwolken in der kalten Winterluft, die Erinnerungen, glorifiziert von einem gebrochenen Kinderherz, das in ewiger Sturheit auf das damals, als beharrt, und urplötzlich gab es einen gemeinsamen Ort, an dem Begegnung möglich war, ein Riss in der Wirklichkeit. Rosalie hat Leahs Anblick verschlungen, diese perfekt aufeinander abgestimmten erdigen Töne, die die Süsse und Wärme eines Weihnachten wiederspiegelten, wie Rosalie es von früher kannte, damals, als, Schokolade, Lebkuchen, Zimt. Vielleicht war sie auch da nicht glücklich, vielleicht ist sie es nie wirklich gewesen, doch für einen Moment war sie mit allem im Reinen, vor allem mit sich selbst.
Sie sieht sich selbst, Leahs Kopf auf ihrem Schoss, schwarze Haarsträhnen zwischen den Fingern, wie ihre Mundwinkel kaum ein Lächeln unterdrücken können, während sie mit leisester Stimme Lieder für düstere Kneipen voll hoffnungsloser Säufer singt. Leahs entspanntes Gesicht zeugte von so viel Frieden, dass Rosalie fast wünschte, sie würde ewig für sie weitersingen dürfen.
Doch Interludes sind nun mal nicht der Hauptakt. Sie sind nur Übergänge, weiter nichts.
Leah macht einen Schritt auf sie zu, fragt: »Irgendwelche letzten Wünsche?«
Harsch, verletzend, als würde sie in Wirklichkeit sagen du bist der grösste Fehler meines Lebens, worauf Rosalie, um dieses Spiel aus Verleumdung weiterzutreiben, so etwas erwidern könnte wie dein derzeitiger Haarschnitt ist bedeutend schlimmer, Köter. Aber sie ist nur noch müde. Sie wird heute sterben und auf einmal ist ihr, als wäre ihr grösster Fehler, den sie noch machen könnte, der, unehrlich aus dieser Existenz zu gehen, mit einer Maske auf dem Gesicht. Arroganz und Geringschätzung statt Angst und Bedauern.
»Ja«, sagt sie also, ergeben. »Ja. Sing. Bitte. Sing für mich, leise und sanft, als würdest du mich schlafen legen wollen und mir schöne Träume wünschen.«
Zuerst ist Leah zu getroffen, um eine Reaktion zu zeigen. Starrt in Rosalies rote Augen, die wie hässliche Weihnachtslichter aus ihrem schneeweissen Gesicht herausleuchten müssen.
Dann -
»Wenn du das willst.«
»Das will ich.«
Rosalie sieht sie schlucken, einmal, zweimal, ehe sie nickt und die räumliche Distanz zwischen ihnen entschlossen schliesst. Sie streicht Rosalie das Haar hinter die Ohren und jede einzelne Zärtlichkeit, in Worten und Berührungen und Blicken, echot in dieser einfachen Geste. Leahs Stimme zittert, als sie das Lied anstimmt, sie bricht ab, fängt wieder an, bricht ab.
Rosalie schmiegt ihr Gesicht in Leahs Hände, tu es, tu es, und dann endlich singt Leah für sie, singt genauso lieblich, wie Rosalie es für sie getan hat. Sie umschlingt Rosalie mit ihren Armen, hüllt sie ein in einen Kokon aus wohliger Wärme, gibt ihr noch einmal das Gefühl, zu Hause angekommen zu sein. Rosalie verliert sich im Gesang, wird immer schwerer in Leahs Armen, während sie den derben Worten im zartklingenden Gewand lauscht, Leah singt und singt und hält sie, singt und lässt sie nie mehr los, singt und -