Fic: Blue Lips, Blue Veins
Titel: Blue Lips
Kapitel: 10/10
Word Count: 1'000
Fandom: Twilight
daswaisenhaus Prompt #_0317 :: So you wanna believe all the things you've been told / And all the promises that you won't grow old / In the life made up of strings / Being pulled by secret beings
BLUE LIPS, BLUE VEINS
Part ten » Blue Lips
Die Geschichte hätte auch folgendermassen aussehen können:
(Und ehrlich, überlegt sie müde, eigentlich spielt es letzten Endes doch gar keine Rolle, im Grunde ist das Ergebnis doch das Selbe, nicht?)
Sie geht dorthin, wo sie vernichtet wurden, einer nach dem anderen für immer von dieser Erde getilgt, frei von jeder Hast, träge und gemütlich beinahe, tappt auf ihren grossen Pfoten durch den Wald, an den Rand des Schlachtfelds, und da liegt sie, nichts anderes mehr als ein junges Mädchen, das den Versprechen folgte, die gebrochen wurden.
In ihrem eigenen Blut und Schmutz liegend, sieht sie so viel kleiner aus, als Leah sie je wahrgenommen hat.
Ihre Haut ist weiss wie Schnee, aber befleckt von all den Wunden, die ihr hinzugefügt wurden, und die Blässe hebt einmal mehr hervor, was sie ist: Nur ein Mensch.
So jung und töricht und naiv. So unschuldig, trotz allem.
Blaue Venen, blaue Lippen, ist Blau nicht eigentlich die menschlichste Farbe überhaupt, oder was?
Leah streckt sich neben ihr aus, atmet heiss in Bellas kalte Halsbeuge, unfähig zu tun, was getan werden muss. Sie hat nicht mehr genug Kraft übrig, um an Charlie zu denken, oder an Jake, der an ihrer Stelle hier wäre, gebrochen und verzweifelt, müsste er in diesem Moment nicht gegen die Verletzungen und den Tod, den sie bringen wollen, ankämpfen, die er nur ihrem egoistischen, kindischen Wunsch, sich allen zu beweisen, zu verdanken hat. Sie kann nur hier neben einer Toten liegen und fühlen. Da ist Schuld und Trauer und Hilflosigkeit, aber ihr schweres Herz sinkt nicht, ist schon lange auf dem Grund angekommen und unerreichbar geworden für weitere Narben.
Sie haben dir versprochen, dass du nicht alt wirst, nicht wahr?, denkt sie und möchte fast lachen. Diese geheime Wesen, die in ihrer eigenen Welt umherschleichen, sie haben dich rausgerissen aus deinem eigenen Leben, haben gesagt, du musst nicht zurück, und sieh doch, wie wahr ihre Versprechen sind. Du wirst nicht alt werden. Du wirst überhaupt nichts mehr.
Aber Leah ist eins dieser geheimen Wesen, die in ihrer eigenen Welt leben, sie kann ewig sein, für immer jung, ohne dafür zu sterben.
Sie hätte lieber blaue Lippen. Wäre lieber ein Mensch.
Der Wunsch bleibt in jeder Geschichte der selbe.
Wo können wir sein, du und ich?
Leah betrachtet den Apfel, prall und rund und rot. Ein Mensch hat ihn ihr gebracht, mitten in der Nacht, sie hat das Paradies nie ganz verlassen, hat er gesagt, stammelnd und schwitzend, und sie gleich darauf angebettelt, ihm nichts zu tun, ihn nicht zu töten, bitte, ich habe getan, was ihr von mir verlangt habt.
Der Apfel riecht nach ihr.
»Denkst du, dass sie ... ?«
Jake kann es nicht aussprechen.
Denkst du, dass sie tot ist?
»Ja«, sagt Leah. »Ja.«
Wo können wir jetzt noch sein, du und ich?
Es gibt nur noch das Leben.
(Süss wie ich, lebendig wie du. Leah lässt den Apfel in der Küche liegen, als sie geht.)
Könnte man Märchen trauen, wäre die Geschichte folgende gewesen:
Was sind wir wert, wenn wir nicht das tun, wofür wir geboren wurden?, begehrt sie auf, nicht gewillt, den Blickkontakt zu brechen. Sie sieht Sam in die Augen, Zähne gefletscht, knurrend, lässt ihn nicht daran zweifeln, dass er sie nur aufhalten kann, wenn er das Niederträchtigste überhaupt tut und ihren Willen mit einem Befehl bricht. Sie ist nur ein Mensch! Sie sass mit uns am Feuer, hat mit uns am Tisch gegessen, die selbe Luft geatmet! Verdammt, jetzt in diesem Moment gehört sie doch mehr zu uns, als sie je zu den Blutsaugern gehört hat!
Und endlich, endlich neigt Sam den Kopf vor ihr, ein wenig nur, aber es reicht, und dann rennen, rennen, rennen sie, jeder Wolf, der noch stehen und kämpfen kann ihr nach, sie stürzen sich zurück auf das Schlachtfeld und zermalmen, zerbeissen, zerstören.
Für die Cullens ist es zu spät, doch was kümmert Leah das, sie ist noch da, schier wahnsinnig von dem Sterben, das sie umgibt, aber lebendig und ohne jeden Tropfen Gift im Leib. Bella schreit und schreit, beisst sich die Lippen blutig und wirft sich auf Überreste, für die jede Hilfe zu spät kommt, und es dauert lange, fast zu lange, bevor sie diesen Ort auch mit Herz und Seele verlässt.
Irgendwann schafft sie es, eines fernen Morgens wacht sie auf und es ist nicht mehr alles verloren.
Danke, sagt sie. Jake hat es mir gesagt. Dass du es warst, die das Rudel zurückgebracht hat. Du hast mich gerettet.
Leah weiss, dass Bella ihretwegen von der Taubheit abgelassen hat; dass es das Mindeste ist, das sie tun kann, um es ihr zu danken. Leah hat das Leben ihrer Brüder riskiert, um sie zu retten, und Bella versucht die Schuld zu begleichen.
Aber Leah an ihrer Stelle hätte das nicht geschafft. Darum ist Bellas Lebenswille nicht das Mindeste, sondern ein unendlich kostbareres Geschenk.
Und es hält. Hält, hält, hält.
Wäre das nicht ideal gewesen?, denkt sie noch Jahrzehnte später, als sie längst Kinder und Enkel und tausend andere Erinnerungen hat. Wäre das nicht unvergleichbar kitschig und romantisch und wundervoll gewesen?
Manchmal findet sich Leah bei den Apfelbäumen wieder, eng an Bella geschmiegt und verloren im Paradies. Sie lassen nicht los, vermissen und sehnen nicht, alles, was sie brauchen, ist genau da, wo sie sind, gemeinsam, und es geht nie vorbei.
Aber die wahre Geschichte ist nun mal die:
Ihre Lippen waren einmal blau, dann wurden Bellas kalt und Leahs heiss, und es passte, wirklich, so lange es andauerte, machte es nichts, dass sie keine Menschen waren.
Es ging vorbei.
Sie waren geheime Wesen in einer geheimen Welt, und diese Welt hatte ihre eigenen Regeln.
Bella ging fort, liess Herz und Seele im Paradies, und Leah machte weiter.
Es gab kein Wiedersehen, keine Wiedervereinigung, nur die Jahreszeiten und den Duft von Äpfeln.
Wo sind wir, du und ich?
Leah hat gute Leben gehabt, als Mädchen mit Eltern, als geheimes Wesen mit Bella, als Mensch mit eigener Familie, und jetzt ist sie müde.
Es ist vorbei und sie ist bereit.