Titel: Shared ways
Teil: Oneshot
Fandom: Gargoyles - Auf den Schwingen der Gerechtigkeit
Hauptcharaktere/Pairing: Brooklyn, Demona (ganz, ganz leicht angedeutet)
Word Count: 5.800
Entstehungsdatum: 6. April 2007
Genre: Action
Warnungen: Hm, ein gewisses Maß an Gewalt ist vorhanden, wie in der Serie eben auch.
Rating: PG
Kritik: Ja
Inhaltsangabe: Brooklyn und Broadway brechen auf, Lex zu retten. Auf seinem Weg begegnet Brooklyn nicht nur einigen Gefahren, sondern auch einer alten Bekannten...
Für
stykos
Wunsch auf
tausch_fiktion geschrieben.
Shared ways
Brooklyn warf sich hastig zur Seite. Neben ihm explodierte der Boden.
„Hier muss man ja höllisch aufpassen“, sagte Broadway, der sich zu Brooklyn hinuntergleiten ließ.
„Ja. Sieht so aus, als wollte uns irgendjemand hier nicht haben“, bestätigte Brooklyn. Er ließ seinen Blick kurz über das hüglige Terrain schweifen: Schroffe Felsen erstreckten sich bis zu einer Klippe; bis auf vereinzelte Kraute und verkrüppelte Büsche hatten Pflanzen sich hier nicht durchgesetzt. Ihr Ziel war ein altes Gemäuer am Rand der Klippe. Die beiden waren auf einem Felsvorsprung gelandet und hatten bereits drei kleinere Explosionen hinter sich.
„Wenn du mich fragst, sollten wir einfach hinauffliegen.“ Broadway verschränkte die grünlichen Arme und sah missmutig zur Burg hoch.
„Wir wissen nicht, was uns dort erwartet“, wehrte Brooklyn kopfschüttelnd ab. „Lass uns lieber erst einmal die Lage auskundschaften. Mir ist viel wohler dabei, wenn wir ihn überraschen können.“
„Wenn wir hier nur schnell wieder verschwinden!“
Die beiden schwangen sich in die Lüfte; gerade rechtzeitig um einer weiteren kleinen Explosion ein paar Meter weiter unten zu entgehen. Erde spritzte umher. Ein kleiner Strauch knickte brennend in sich zusammen.
Aus der Luft ließ sich alles viel besser überblicken. Brooklyns scharfe Augen huschten im Dunklen über das schlossähnliche Gebäude.
„Vielleicht hat die Burg noch einen zweiten Eingang?“, überlegte Broadway laut. Sie umflogen langsam ihr Ziel. Der Wind pfiff um sie herum.
„Da! Ein Loch!“, rief Brooklyn und schoss hinunter, gefolgt von Broadway. Das Loch, das Brooklyn entdeckt hatte, war ein Loch in der Mauer. Ein kleines Bächlein führte hinein und verschwand in der Dunkelheit. Broadway schluckte, während Brooklyn sich das Kinn rieb, als er hineinstarrte.
„Ich bin ganz sicher, dass wir ihn überraschen müssen. Wenn wir von zwei Seiten kommen…“
Broadway legte die Stirn in Falten und sah von dem alles andere als einladenden Loch zu Brooklyn und zurück.
„Oh nein!“
„Komm schon! Es geht um Lex!“, sagte Brooklyn. Der Bach gluckerte unablässig weiter. Ein gurgelndes Geräusch ertönte an der Stelle, an der er in den kleinen Abgrund des Lochs floss.
„Es gibt bestimmt noch eine andere Lösung!“
Brooklyns schnabelähnlicher Mund verzog sich zu einem Grinsen.
„Du hast doch nicht etwa Angst?“
„Ich? Und Angst?! Ich weiß nicht einmal, was dieses Wort bedeutet!“
„Gut“, meinte Brooklyn, „dann machen wir es so. Ich komme von vorne und während er auf mich achtet, schleichst du dich von hinten an. Er wird erst bemerken, dass du da bist, wenn du schon direkt hinter ihm stehst!“ Die beiden tauschten ein verschwörerisches Lächeln aus, doch es verschwand von Broadways breitem Gesicht ziemlich schnell, als er sich wieder dem Loch zuwandte.
„Auf geht’s!“ Energisch schob er das Kinn vor.
Brooklyn dagegen stieß sich nach einem letzten aufmunternden Blick zu seinem Clanmitglied von der Klippe und breitete seine Schwingen aus. Er flog einen Bogen um das Schloss herum und verfluchte sich gleichzeitig für ihre Unvorsichtigkeit. Hätten sie doch nur besser aufgepasst! Jetzt hatten sie den Salat und mussten Lex retten.
Der Gargoyle landete vor dem riesigen Tor des schwarzen Eisenzauns, der das gesamte Gebäude bis zur Klippe umgab. Das Schloss mit dem das Tor verhängt worden war, war durchgebrochen. Irgendjemand hatte den Doktor vor ihnen gefunden. Vorsichtig drückte Brooklyn den rechten Torflügel auf, der sich zwar mit einem leisen Knarren, aber ansonst problemlos öffnen ließ. Bis zum Eingang der Burg waren es kaum noch zwanzig Meter.
Sowohl Erde als auch Steine sahen vertrauenswürdig aus, doch es konnte gut möglich sein, dass er auch hier dem Boden nicht trauen durfte. Bereit, bei dem kleinsten Hinweis in Deckung zu gehen, näherte sich Brooklyn dem Eingang. Das hölzerne Tor vor ihm war etwas größer als eine normale Tür und hatte ebenfalls zwei Torflügel. Bis hierher war alles gut gegangen; vielleicht war Lex zu befreien doch nicht so schwer, wie er bisher angenommen hatte?
Als seine Augen sich an die im Inneren herrschende Schwärze gewöhnt hatten, verflüchtigte sich dieser hoffnungsvolle Gedanke. Vor ihm lag ein langer Gang, der an beiden Seiten von Türen gesäumt war. Riesige Spinnweben hingen von der Decke, streckten sich manchmal sogar über Türen oder den Gang. Fenster gab es keine.
„Au backe“, murmelte Brooklyn, „das kann ja heiter werden.“
Die vielen Türen nahmen ihm den letzten Rest des Hochgefühls, das er beim Betreten des Gemäuers verspürt hatte. Er öffnete aufs Geradewohl die Tür, die ihm am nächsten war. Dahinter befand sich ein Raum, der ebenfalls von Spinnweben und Staub befallen war, wie anscheinend alles dort. Ein Holztisch stand in der Mitte, sonst war er völlig leer. Brooklyn ging hinein und sah sich gründlich darin um, doch finden konnte er nichts. Auf einmal ertönte ein Rattern über ihm.
Als Brooklyn den Kopf hob, war es schon fast zu spät. Scharfe Metallspitzen rasten direkt auf ihn hinunter. Mit weit aufgerissenen Augen sprang er zur Seite - und das keinen Augenblick zu früh. Die Spitzen verfehlten ihn um wenige Zentimeter.
Brooklyn beeilte sich, den Raum zu verlassen.
„Den Preis für das schönste Schloss gewinnt das hier bestimmt nicht“, sagte er und wollte die Tür schließen. Dann überlegte er es sich anders und lehnte sie nur an - bei all den Türen konnte er leicht verwirrt werden, welche er schon ausprobiert hatte und welche nicht. Nach kurzem Zögern wandte sich der Gargoyle der nächsten Tür zu. Die wollte allerdings einfach nicht kooperieren und ihn einlassen, selbst als er an ihr rüttelte. Er musste sich schon dagegen werfen; erst dann ging sie endlich mit einem Ruck auf.
Staub wirbelte herum. Er musste husten… und den Kopf einziehen. Ein riesiges Fallbeil schwang von einer Seite zur anderen direkt über der Tür. Der Raum sah alles in allem genauso aus wie der Vorige auch und Brooklyn hielt es für besser, dem Fallbeil nicht zu nahe zu kommen. Kein Grund also, weiter vorzudringen.
Schnell kehrte er auf den Hauptgang zurück und lehnte auch diese Tür an. Anschließend beschloss er, es einmal auf der anderen Seite zu versuchen und öffnete dort die erste Tür. Es schien ihm alles normal zu sein - etwa fünf Sekunden lang. Dann hörte er ein kehliges Fauchen und etwas Großes, Blaues riss ihn zu Boden.
„Demona!“, rief Brooklyn. Er befreite sich von ihr und schleuderte sie durch den Raum. Sie prallte an der gegenüberliegenden Wand ab, stand aber sofort wieder auf den klauenbewährten Füßen.
Ein lautes, tiefes Knirschen ertönte von weiter oben. Doch bevor Brooklyn dem auf den Grund gehen konnte, wurde er erneut von der angreifenden Demona abgelenkt. Er schrie auf, als ihre Krallen ihn trafen.
„Im Dunklen ist es gefährlich“, spottete sie und sah ihn an. Er war ein gutes Stück nach hinten befördert worden und bemühte sich darum, wieder klar sehen zu konnte. Erneut stürmte sie auf ihn zu, doch diesmal war Brooklyn besser gewappnet. Er wich ihr aus und hielt ihre Arme fest. Ihre Augen leuchteten rot und sie fauchte wütend.
„Zum Glück nicht für mich“, erwiderte er. „Was machst du hier? Steckst du etwa mit ihm unter einer Decke?!“
„Lass mich los, du verfluchter Narr!“, schrie Demona und versuchte ihn abzuschütteln. Er musste seine ganze Kraft aufwenden, um sie festzuhalten. Doch sie schaffte es trotzdem, ihn zu überraschen, als sie ihn mit einem kraftvollen Stoß ihres Flügels wieder auf den Boden schickte.
„Warum hast du dich mit ihm zusammengetan? Warum Lex?!“, fragte er noch einmal, während er auf allen Vieren einem weiteren ihrer Hiebe auswich. Er stand erst auf der anderen Seite des Raums auf; sie war ihm nicht nachgekommen.
„Was redest du da? Dieser Mensch wäre es nie wert, sich mit mir zu verbünden.“ Demona zögerte kurz, dann warf sie einen Blick zur Tür und fluchte. Auch Brooklyn sah jetzt, was sie so aufregte: Ein starkes Gitter versperrte die Öffnung. Er dachte an das Knirschen von vorhin und schalt sich für seine eigene Unvorsichtigkeit. Sie waren gefangen.
Als er seine Augen wieder Demona zuwandte, bemerkte er, dass sie ihn ansah. Sie stand erstaunlich gelassen da für jemanden, der ihn eben noch attackiert hatte. Ihre Flügel waren um ihre Schultern gelegt, die Klauen an der Spitze ineinander verhakt.
„Ich habe keine Ahnung, was du hier willst, aber du solltest wieder nach Hause gehen. Das hier ist meine Angelegenheit!“
„Was?“ Er starrte sie an. „Dann hast du mit Lex’ Entführung gar nichts zu tun?“
„Warum sollte ich mir die Mühe machen? Es gibt etwas viel Besseres hier, das meine Aufmerksamkeit erfordert.“
Demona wandte sich dem Gitter zu und zog daran. Nichts passierte; das Gitter machte nicht die geringsten Anstalten, den Weg frei zu geben. Sie rüttelte energischer - ihre Augen glühten wieder auf und sie zerrte mit einem Wutschrei daran. Es verformte sich kaum merklich, doch blieb ansonsten, wo es war.
„Lass mich einmal“, bot Brooklyn an. Als Antwort bekam er nur ein Fauchen. Trotzdem wandte sie sich ab und ließ ihre Wut an der Mauer gegenüber aus, die erstaunlicherweise sämtlichen ihrer Attacken standhielt. Langsam bekam Brooklyn den Verdacht, dass ihre Umgebung nicht bloß aus Stein und Eisen bestand. Ob Broadway wohl ebenfalls solche Schwierigkeiten hatte?
Brooklyn mühte sich mit dem Gitter ab. Er zog mit vor Anstrengung zusammengekniffenen Augen, doch auch seine Versuche blieben fruchtlos. Als er sich zu Demona umdrehte, sah sie ihn wütend an. Abwehrend hob er die Hände.
„Hey, greif mich ja nicht noch einmal an, okay?“
„Du bist schuld, dass das Gitter uns den Ausgang versperrt! Wenn du nicht-…“
„Beruhig dich, zusammen schaffen wir es vielleicht…“
„Niemals!“, schrie Demona und setzte dazu an, ihn wieder anzugreifen.
„Sag mal, hörst du schlecht? Allein kommst du hier nicht raus, also sei doch vernünftig!“ Brooklyn wich ihr schnell aus. Demona wandte sich wieder dem Gitter zu und begann zu ziehen und zu rütteln. Ihre Schwingen schlugen kräftig im Einklang mit ihren Bemühungen und ihr blauer Schwanz peitschte wild umher.
Brooklyn sah ihr eine Weile zu. Er musste sie irgendwie umstimmen, wenn er nicht für lange Zeit dort drinnen mit ihr festsitzen wollte.
„Hör mal, mir gefällt das doch auch nicht“, begann er. „Aber es geht eben nicht anders. Ist doch nur, bis wir hier herauskommen.“
Sie fauchte wieder in ihrem Zorn, als er sich langsam näherte.
Er beschloss, dass seine vorsichtigen Worte bei ihr vergeudet waren und nur Taten etwas bringen könnten. Demona war zu beschäftigt damit, weiter an dem Gitter zu zerren um ihn aufzuhalten. Er gesellte sich neben sie und zog ebenfalls daran. Das Gitter begann endlich, sich zu lockern.
Die Augen der beiden Gargoyles glühten und mit noch mehr Anstrengung und einem lauten Quietschen des Gitters rissen sie es aus der Verankerung.
„Wir haben es geschafft“, verkündete Brooklyn. Für kurze, schreckliche Zeit hatte er wirklich gedacht, dass er jetzt dort mit Demona gefangen wäre.
Sie keuchte. Wenn sie Erleichterung empfand, so ließ sie es sich nicht anmerken, aber Brooklyn vermutete, dass es ihr ebenso ging wie ihm.
„Schön“, sagte sie schließlich, „und jetzt geh nach Hause. Wie ich schon sagte: Das ist meine Sache. Ich kann es nicht gebrauchen, wenn ein schwächlicher Menschen-Freund sich einmischt!“ Damit ging sie den Gang hinab. Er hatte den starken Verdacht, dass der Dank für seine Hilfe wohl darin bestand, nicht noch einmal von ihr angegriffen zu werden.
Eigentlich gefiel ihm die Vorstellung gar nicht, sie auf seiner Suche nach dem Doktor wiederzutreffen. Auch Lexington brächte es bestimmt keine Vorteile, wenn sie Brooklyn überholen würde und diese Erkenntnis bestärkte ihn, sich noch mehr zu beeilen. Er wählte die nächste Tür etwas weiter unten im Gang.
„Wenigstens ist hier keine ungemütliche Gesellschaft“, sagte er leise, als er den Raum betrat. Vor ihm lag ein kleiner Teich, der den gesamten Boden des Raums ausfüllte; sonst war er leer.
Verwirrt sah sich Brooklyn um. Es gab doch bestimmt einen Grund, warum das Wasser hier war. Er beugte sich hinunter und stellte fest, dass er nicht auf den Grund sehen konnte - aber andererseits konnte das auch die Nacht sein, die das Wasser dunkel und undurchsichtig machte.
Brooklyn hatte einen Verdacht. Es war riskant, doch es gab keine andere Methode es herauszufinden. Der Gargoyle streckte seinen Arm ins Wasser. Nichts passierte. Er konnte den Grund nicht ertasten. Da war einfach nur Wasser, tiefes Wasser.
Er schluckte, dann ließ er sich ins Wasser gleiten. Es war zu schwarz, um Unterwasser irgendetwas erkennen zu können, also musste er sich wohl oder übel vorantasten.
„Broadway und Lex zählen auf mich“, flüsterte er immer wieder, als seine Hände unter Wasser an der Wand entlang tasteten. Bis - bis er ins Leere griff. Da war ein Durchgang!
Was mochte ihn erwarten, wenn er untertauchte? Er konnte ebenso in die Höhle irgendeines Ungeheuers führen! Seine Erfahrung mit dem Schloss bisher hatte gezeigt, dass unangenehme Überraschungen für ihn dort an der Tagesordnung standen. Trotzdem holte er Luft und begann zu tauchen.
Das Wasser war tiefschwarz. Brooklyn tastete sich mit den klauenbewährten Händen an der Durchgangswand entlang. Er glitt durch die eintönige Dunkelheit; nichts war in diesem Gang - oder wenigstens, nichts, das er sehen konnte. Wer schließlich wusste schon, ob er nicht ein paar Zentimeter an einem riesigen Untier vorbeitauchte?
Die Zeit schien stillzustehen; Meter um Meter legte er zurück, ohne, dass sich irgendetwas veränderte, als wäre er vollkommen abgeschnitten von der Welt. Brooklyn fragte sich, ob er überhaupt von der Stelle kam.
Langsam ging ihm die Luft aus. Was würde er tun, wenn der Gang noch kilometerlang so weiter ging?
Dem Gargoyle machte der starke Druck in seiner Lunge bereits zu schaffen, als die Wand endlich eine Biegung machte und sich wieder zu einem Raum öffnete. Brooklyn tauchte auf und schnappte begierig nach Luft.
Vor ihm lag ein Raum, der viele Male größer war als die anderen, in die er vom Mittelgang hineingekommen war. Im Zentrum befand sich ein gewaltiger Springbrunnen, aus dem unaufhörlich Wasser sprudelte. Er stand in der Mitte von einem Längssteg, der an der linken Seite an der Wand endete und an der rechten Seite zu einer Tür führte. Auf jeder Seite des Stegs wurde das Wasser immer flacher, bis man einfach auf den Steg hinauf steigen konnte.
Brooklyn schwamm, bis er mit den Füßen den steinigen Boden berühren konnte und erreichte mühelos den Steg.
Alles bisher, bis auf den Zwischenfall mit Demona, war ihm fast unwirklich vorgekommen und als er jetzt zum Springbrunnen hinaufsah, kam ihm der Gedanke erneut. Vielleicht lag es an der bedrückenden, fast unheimlichen Stille, die auch hier nur durch das leise Plätschern des Springbrunnen unterbrochen wurde. Der Steg war schwarz oder jedenfalls so dunkel, dass er schwarz wirkte.
Brooklyn führte sich die ihm zur Verfügung stehenden Alternativen vor Augen. Er konnte entweder einfach auf der anderen Seite des Stegs weitertauchen (da es dort genauso aussah wie auf der anderen Seite, nahm er an, dass sich auch da ein Durchgang befand) oder schauen, was hinter der Tür lag - und die Tür schien ihm im Moment viel sympathischer. Vielleicht gab es ja doch ein Seeungeheuer.
Das Echo seiner Schritte hallte laut von den Wänden wieder. Der Steg war lang, so dass Brooklyn eine Weile brauchte um bei der Tür anzukommen.
„Der Doktor braucht einen neuen Innenarchitekten“, murmelte er mit letztem Blick in den Raum, bevor er die Tür öffnete... und sich gleichzeitig wünschte, es nicht getan zu haben.
Etwas Klebriges, Weißes verhinderte, dass sich die Tür weiter als einen Spalt breit öffnen ließ. Hinter der Tür waren Kampfgeräusche zu hören. Brooklyn unterdrückte ein paar sehr unschöne Worte, als er Demonas Stimme erkannte. An diesem Tag war er aber auch wirklich vom Glück gesegnet.
Andererseits, was Demona da bekämpfte konnte auch ihm gefährlich werden. Brooklyn fragte sich in Gedanken, was er denn da eigentlich tat, als er sein Gewicht gegen die Tür stemmte. Sie hielt ihm nicht lange stand.
Demona kämpfte mit einer riesigen, haarigen Spinne. Eigentlich hatte sich Brooklyn gewünscht, nie erfahren zu müssen, wer für die Netze verantwortlich war. Angeekelt griff er die Spinne von hinten an, verpasste ihr einen gehörigen Tritt und verzog anschließend das Gesicht, da sein Fuß vom Sekret der Spinne klebrig war.
„Was hast du hier schon wieder zu suchen?“, fuhr ihn Demona an, die sich von der Mauer abstieß und neben ihm landete. Ihr Augen glühten rot. „Ich hab’ dir doch gesagt…“
„Ich schlage vor, wir kümmern uns erst einmal um dieses Ding - außer, du willst gerne gefressen werden!“
Den kurzen Moment, in dem die Spinne außer Gefecht gesetzt war, nutzte Demona und verschwand hinter der nächsten Abzweigung. Brooklyn war versucht, nachzusehen, was sie denn dort tat, doch die Spinne erforderte seine Aufmerksamkeit. Sie schien ihre Benommenheit abgeschüttelt zu haben und kam ihm nun mit den klickenden Beißwerkzeugen gefährlich nahe.
Ein hässliches, knirschendes Geräusch ertönte hinter ihm. Demona tauchte wieder an seiner Seite auf, in ihrer Hand hielt sie eine abgerissene Eisenstange.
Acht schwarze Augen richteten sich auf die beiden Gargoyles. Brooklyn stürzte nach rechts um Demona eine Chance einzuräumen. Es schien zu klappen, denn die Spinne wandte sich ihm zu. Hinter dem riesigen Tier setzte Demona zum tödlichen Stoß an. Sie zögerte nicht, sondern stach der Spinne gezielt ihre Stange in den Leib.
Das Tier gab ein grauenvolles Wimmern von sich, das gegen Ende merkwürdig knackte. Funken stoben aus der Wunde. Brooklyn erhaschte einen Blick auf eine Menge Drähte im Inneren der Spinne.
Brooklyn wich sicherheitshalber zurück, doch der folgende Angriff richtete sich nicht gegen ihn. Die Spinne wirbelte herum und schnappte wild nach Demona, die ihrerseits mit der Eisenstange die Angriffe parierte. Die rasende Spinne achtete nicht mehr auf ihre Verteidigung, sondern griff ohne Rücksicht auf Verluste an, was sie zu einem gefährlichen Gegner machte.
Plötzlich hielt die Spinne inne. Tief in ihrer Unterseite steckte die Stange; Demona drehte sie in der elektronischen Wunde. Schweiß stand ihr auf der Stirn. Brooklyn kam herbei um ihr zu helfen und gemeinsam vergrößerten sie das Loch noch mehr. Die Spinne zitterte heftig, dann sackte sie langsam in sich zusammen. In ihrem Inneren knirschte und knackte es.
Die beiden Gargoyles starrten auf den Körper der Spinne, der unkontrolliert zuckte. Er überragte die beiden Gargoyles selbst jetzt noch. Langsam wurde es still. Selbst die Funken, die von den durchgeschnittenen Kabeln sprühten, hörten auf. Die Spinne bewegte sich nicht mehr.
Brooklyn bemerkte, dass sie den ganzen Gang versperrte. Er verzog das Gesicht.
„Der Doktor hat ganze Arbeit geleistet.“
Erst jetzt hatte er wirklich Gelegenheit, sich den Gang näher anzuschauen. Er unterschied sich kaum vom Hauptgang - vielleicht war es ja sogar derselbe? - keine Fenster, kein Wandschmuck, nur Staub und Spinnweben. Er wandte sich der keuchenden Demona zu.
„Weißt du, wo in diesem Kaff der Doktor ist?“
Ihr Mund verzog sich zu einem spöttischen Lächeln.
„Was soll das heißen - „wir“? Du glaubst doch nicht, dass ich dir helfe?!“
Brooklyn seufzte.
„Von mir aus - Wir können uns auch dauernd zufällig treffen um einander aus gefährlichen Situationen zu fischen, wenn dir das lieber ist.“
Demona fauchte und fragte scharf: „Was willst du damit sagen?“ Ihr Schwanz peitschte nervös umher.
Brooklyn wandte sich ab und zuckte die Schultern.
„Ob es uns jetzt passt oder nicht, es läuft sowieso darauf hinaus, dass wir uns gemeinsam hinauf kämpfen. Mir gefällt’s auch nicht, glaub’ mir.“
Er folgte der nächsten Abzweigung und gelangte zu dem Raum, aus dem Demona während des Kampfes die Stange geholt hatte. Ihre Augen flammten leuchtend rot auf, aber sie folgte ihm.
Hinter der Biegung lag ein weitläufiger Raum, durch den kreuz und quer vom Boden bis zur Decke dünne, wie dicke Eisenstangen verliefen. Diesmal handelte es sich offenbar um echtes Eisen, denn sonst hätte Demona nie eine der Stangen abreißen können.
Zwischen manchen der Stangen hätte ein Mensch bequem durchgepasst, während sich andere zentimeterbreit aneinander befanden.
„Ich hab’ ein ganz schlechtes Gefühl dabei“, murmelte Brooklyn leise.
„Wieso? Bisher hat dieser Narr von Mensch doch keine großen Probleme gemacht.“
„Eben deshalb.“
„Du kannst ruhig hier weiter zittern“, sagte Demona, „Ich werde mir Doktor Titus vornehmen. - Ich bin sowieso nicht auf dich angewiesen! Und mit dieser Spinne wäre ich auch ganz alleine fertig geworden, wenn du mir nicht dazwischengefunkt hättest!“
Die beiden starrten einander an. Brooklyn schüttelte den Kopf.
„Und was machst du, wenn du wieder eingesperrt bist? Ich möchte gerne sehen, wie du da allein herauskommst.“
Demona fletschte wütend die Fänge, schwieg allerdings. Er erwiderte ihren Blick herausfordernd. Schließlich fauchte sie.
„Bilde dir bloß nichts ein!“
Sie schlug ihre Krallen in die nächstgelegene, ziemlich dicke Stange und kletterte daran empor.
Grinsend begann auch er, hinaufzuklettern. Er wusste, dass er gewonnen hatte.
Die dünneren Stangen bogen sich gefährlich unter ihrem Gewicht; nicht wenige brachen ganz. Während Demona sich ihren Weg nach vorne bahnte und eine Spur der Zerstörung hinterließ, kam Brooklyn nur langsam voran. Dadurch hatte sie auch viel schneller den Raum durchquert. Er hörte sie fluchen. Wenn er auch nicht alles verstand, konnte er den Worten doch den Grund ihrer Verärgerung entnehmen: Auf der anderen Seite war keine Tür.
Brooklyn hatte sich bis ganz nach oben direkt unter der Decke gekämpft und ließ seinen Blick über die Wände und Stangen schweifen. Es musste doch irgendwo weitergehen! Als er konzentriert nachdachte, stützte er sich mit einer klauenbewährten Hand an der Decke über ihm ab.
Ein leichtes Vibrieren ging durch die Decke und weiter vorne ertönte ein dumpfes Geräusch. Erschrocken zog der Gargoyle die Hand von der Decke weg.
Jetzt mit größerer Vorsicht kletterte er in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Die Stangen behinderten ihn, doch trotzdem brauchte er nicht allzu lange, bis er sah, was die Vibration ausgelöst hatte: Ein eiserner Ring hing nun in einiger Entfernung von der Decke.
„Cool!“, entfuhr es ihm und er überwand die letzten Meter. Für einige Momente rang Brooklyn mit sich; sollte er einfach still und leise verschwinden? Sollte er hoffen, dass Demona zu sehr mit ihrer Wut beschäftigt war um es zu bemerken und hier festsaß? Er spähte zur anderen Seite des riesigen Raums. Andererseits… sie hatte ihm geholfen. Er seufzte. „Hey, Demona! Komm hier rüber, ich hab’ eine Falltür gefunden!“
Nachdem auch Demona mit einem eleganten Sprung die Falltür passiert hatte, sahen sich die beiden im neuen, schmaleren Gang um. Er hatte wiederum weder Fenster, noch Wandschmuck, diesmal allerdings nicht einmal Türen.
„Wie viele von den Dingern gibt es denn noch?“, fragte Brooklyn. Demona ignorierte ihn, hatte den Blick stur geradeaus gerichtet und wandte sich in dieselbe Richtung, die sie auch bisher genommen hatten.
Brooklyns Blick indes huschte nervös umher. Sein Instinkt warnte ihn, aber wovor? Es herrschte absolute Stille bis auf das leise Echo ihrer Schritte.
Demona drehte sich nicht zu ihm um, aber er merkte, wie sie ihn aus den Augenwinkeln fixierte. Sie war es, die das Schweigen brach.
„Was willst du eigentlich hier?“ Sie klang desinteressiert. „Geht es wieder um irgendwelchen schwachen Menschenabschaum?“
„Nein!“ Brooklyns Stimme war schärfer als er beabsichtigt hatte. Kurz zögerte er. „Der Doktor hat sich einen aus unserem Clan geschnappt.“
Daraufhin blieb Demona stehen. Brooklyn konnte sich das höhnische Grinsen nur zu gut vorstellen. Doch er ließ ihr nicht die Zeit, etwas zu erwidern.
„Und warum bist du hier? Was kannst du schon von einem Wissenschaftler wollen?“
Brooklyn war überrascht, dass sie überhaupt antwortete.
„In Titus Besitz befinden sich die alten Schriften eines antiken Hexers. Sie haben größere Macht, als du dir überhaupt vorstellen kannst!“ Ihr Schwanz schwang aufgeregt von der einen Seite zur anderen. Als sie sich umdrehte, konnte Brooklyn ein paar Sekunden lang den vorfreudigen Ausdruck in ihren Augen sehen.
Eine Treppe, die nur aus sechs Stufen bestand, führte sie um eine scharfe Biegung. Demona musterte ihren unfreiwilligen Begleiter und ein selbstgefälliges Lächeln nahm ihr blaues Gesichts ein. Sie hatte inzwischen ihre Schwingen wieder um sich gelegt.
„Ihr seid wirklich naiv. Ich hätte nicht gedacht, dass du einmal so dumm bist und mir vertraust.“
„So naiv bin ich auch wieder nicht. Ich behalte dich im Auge, nur, damit du es weißt.“
Die beiden sahen sich einige Momente lang in die Augen. So simpel es auch war, in diesem Augenblick lag mehr Ehrlichkeit als in allem davor.
„Du hast deine bedeutungslose Existent riskiert um mir zu helfen.“ Doch Demonas Stimme klang nicht so abwertend, wie sie klingen hätte sollen. Stattdessen war ihr Ton fast ungläubig.
Noch immer brach keiner der beiden den Blickkontakt.
„Ich kann nicht einmal dich von einem Riesenspinnen-Roboter umbringen lassen. Auch, wenn du böse bist und es verdient hättest.“ Brooklyns schnabelartiger Mund verzog sich zu einem Schmunzeln. Es entbehrte jede Spur von Spott.
Demona wandte sich abrupt on ihm ab. Wenn es zwischen ihnen einen magischen Moment gegeben hatte, so war er gebrochen.
„Du redest schon so scheinheilig wie Goliath! Seid ihr alle solche Narren? Tu nicht so gut, davon wird einem ja schlecht!“
Energisch ging sie weiter, Brooklyn folgte ihr auf fast gleicher Höhe.
„Was hat dich nur so verbittert?“, murmelte er und betrachtete sie von der Seite. Das feuerrote Haar fiel ihr so wild wie eh und je auf den Rücken. Die weichen Strähnen umrahmten die kantigen Züge. Alles an diesem Gesicht war hart bis hin zu den schmalen Augen. Einmal mochten sie voll Sanftheit und Liebreiz gewesen sein, doch diese Zeiten waren lang vorbei. Mit all den feindlichen Begegnungen, die sie bisher gehabt hatten, hatte Brooklyn oft vergessen, dass das Leben auch mit ihr nicht leicht umgesprungen war - vielleicht sogar mit ihr am wenigsten.
Das warme Gefühl in seiner Brust, das er das letzte Mal bei Maggie verspürt hatte, ließ ihn den Blick abwenden. Mitleid, dachte er, das ist es. Gerade bei Demona darf es nichts anderes als Mitleid sein.
„Wenn du mich noch einmal so anstarrst, wirst du nicht mehr lange genug leben um oben anzukommen“, drohte Demona, doch irgendwie entbehrte es ihren üblichen Biss.
Wieder machte der Gang eine Biegung. Die beiden blieben stehen und starrten verwirrt auf die grüne Wand, die sich mitten im Gang befand. Sie konnten hinter der halb durchscheinenden, grünen Wand eine Treppe am Ende des Ganges erkennen.
„Was ist das?“, fragte Brooklyn und legte die Stirn in Falten.
Demona fauchte leise und verzog den Mund.
„Die nächste Methode, Besucher fernzuhalten.“
„Reizende Gastfreundschaft.“
Brooklyn begann vorsichtig, die grüne Wand ab zu tasteten. Sie ließ sich dehnen; er konnte hineindrücken, seine Hand ganz ausstrecken und doch bildeten sich keine Risse.
Hinter ihnen setzte sich ein Mechanismus in Kraft. Von der Decke senkte sich eine weitere Wand und riegelte ihnen auch den Weg nach hinten ab; sie waren eingeschlossen. Demona fauchte, rannte auf das neue Hindernis zu und rammte es - doch vergeblich. Brooklyn ächzte.
"Nicht schon wieder! Das hatten wir doch schon!"
Brooklyn wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem grünen Ding vor ihm zu. Am wahrscheinlichsten fand er, dass es aus einer Art Gummi war; aus sehr wiederstandsfähigem und dickem Gummi.
Während Demona ihre Wut an dem hinteren Teil ihres neuen Gefängnisses ausließ, inspizierte Brooklyn also mit wachsender Hoffnungslosigkeit die Barriere vor ihm. Er war fast sicher, dass die Treppe sie zum Ziel führen würde. Wenn sie es doch endlich überwunden hätten! Doch die grüne Wand blieb, wo sie war. Selbst an den Seiten, an denen sie an der Steinwand befestigt war, fand er keine Schwachstelle.
Frustriert und erschöpft von den letzten Stunden ließ Brooklyn sich auf den Boden sinken und lehnte den Kopf an die Wand. Er seufzte.
„Der will hier wirklich keine Gäste.“
Demonas Hände waren zu Fäusten geballt, doch sie hörte endlich auf, die hintere Wand zu malträtieren. Ihr Atem ging schwer.
Lange schwiegen die beiden einander an. Es war auch zu seltsam mit jemanden Smalltalk zu betreiben, mit dem man seit mehr als tausend Jahren kein freundliches Gespräch mehr geführt hat. Ganz zu schweigen davon, dass Demona ganz generell nicht danach zumute war, mit irgendjemandem Smalltalk zu führen.
„Weißt du“, sagte Brooklyn schließlich, als ihm die Stille allzu drückend wurde, „wenn du dich bemühst, kommt man immer noch mit dir aus.“
Demona starrte ihn an und er hätte zu gerne gewusst, was sie dachte. War es Hass, Verwirrung oder etwas gänzlich anderes, das in ihrem Blick lag…?
„Und du bist immer noch der gleiche Narr.“
Brooklyn konnte nicht anders, als zu lächeln. Wenn auch nur ein ganz klein wenig.
Der Boden wurde leicht erschüttert. Die beiden Gargoyles schauten auf, als sie ein Geräusch von jenseits der grünen Barriere hörten. Vor der Treppe ging eine Tür in der Wand auf.
„Broadway!“ Brooklyn sprang auf.
„Hm?“, Broadway auf der anderen Seite und kam näher. „Brooklyn!“
Demona knurrte. Broadway schien sie erst jetzt zu bemerken. Er legte das runde Gesicht in Falten und kratzte sich an der Stirn.
„Was macht denn Demona-…“
„Erklär ich dir später. Kannst du uns hier rausholen?“
Broadway sah sich verloren um.
„Um, klar… sobald du mir sagst, wie.“
Demona schnaubte abfällig, sagte jedoch nichts.
Verzweifelt starrte Brooklyn seinen Freund durch die grüne Wand hindurch an.
„Es muss doch irgendwie einen Weg geben… es gibt bestimmt einen!“
„Mach dich nicht lächerlich“, warf Demona hilfreich ein. „Wahrscheinlich kann man diese Sachen sowieso nur von Doktor Titus Labor aus steuern.“
„Warte mal! Da ist so ein Spalt in der Wand.“ Broadway tastete an der rauen Oberfläche entlang.
Ein Klicken ertönte. Weder Brooklyn, noch Demona konnten sehen, was es war, weil ihnen der grüne Gummi die Wahrnehmung von Details auf seiner anderen Seite verwehrte.
Die grüne Wand begann mit einem Surren in die Höhe zu steigen. Sie wurde von der Decke aufgenommen und verschwand.
Broadway lächelte Brooklyn strahlend an. Seine Klauen ruhten noch immer an einem Schalter in der Wand. Brooklyn grinste zurück.
Auch Broadway schien in der Zeit einiges durchgemacht zu haben. Er war mit Dreck verschmiert und hatte verschiedene Kratzer.
Schließlich sahen sie alle zur Treppe. Beide wussten, dass sie um Lex zu retten hinauf in Doktor Titus Labor gelangen mussten. Gleich hatten sie es geschafft! Sie strafften die Schultern. Demona stand mit verstecktem Lächeln an der Seite.
Nacheinander stiegen sie die Treppe hinauf.
Die Wendeltreppe war eng und völlig finster, darum kamen sie nur langsam voran. Aber schließlich stieß Brooklyn an eine schwere Eichentür. Er stemmte sich dagegen und sie ging auf. Dahinter erwartete sie ein hell erleuchtetes Zimmer. Allerdings auch hier nicht ein einziges Fenster.
Wie es schien, diente nur dieser obere Bereich dem Doktor als Arbeits- und Wohnraum. Hier oben gab es kaum eine Wand, die nicht mit einer hoch kompliziert aussehenden Maschine verstellt war - kein Vergleich mit dem Labyrinth des restlichen Schlosses.
Doktor Titus - jedenfalls lag die Vermutung nahe, dass er es war - saß an einem Tisch und war sichtlich erschrocken bei ihrem Eintreten. Er sprang auf und starrte sie aus geweiteten Augen an.
„Wo ist Lex?“, fragte Brooklyn ihn drohend. Für einen Moment überlegte er, ob er nicht auf ihn zugehen und ihn beim Kragen packen sollte, doch er verwarf den Gedanken schnell wieder. Der Doktor sah aus, als wäre er mit den Nerven am Ende. Mit einem freundlichen Gespräch würden sie bestimmt eher weiterkommen.
Der Doktor sah zur Seite und die Gargoyles folgten seinem Blick. An einer der Wände zwischen zwei Maschinen befand sich ein großer Polster, auf dem Lex lag. Ketten fesselten ihn an die Wand.
„Lex!“, rief Broadway und stürmte zu ihm hin. Brooklyn behielt Doktor Titus im Auge.
„I-ich habe keine Waffe“, brachte der heraus. „Ich wollte ihm nichts tun. Bitte lasst mich leben!“
„Wieso hast du ihn überhaupt gefangen genommen?“
Doktor Titus sah Brooklyn nicht an. Sein Blick blieb unverwandt auf den Fußboden gerichtet.
„Ich habe in Mister Xanatos Datenbanken Aufzeichnungen über euch gefunden und war… neugierig. Es diente alles einem wissenschaftlichen Zweck.“
Brooklyn ballte die klauenbewährten Hände zu Fäusten. Er hatte so seine Erfahrungen mit wissenschaftlichen Zwecken und Doktoren, die für Xanatos arbeiteten.
„Und wofür ist dieser Irrgarten da unten, wenn alles so wissenschaftlich und gut ist?“, fragte Brooklyn. Er konnte schwören, dass für einen winzigen Augenblick ein Lächeln über das Gesicht des Doktors huschte.
„Mister Xanatos hat Feinde.“ Doktor Titus richtete sich seine Brille. „Natürlich bin ich nicht so ein Genie wie Doktor Sevarius, aber manchmal wollen sie auch meine Arbeit stören um ihm zu schaden. Das ist meine Art, mit ihnen umzugehen.“
Broadway trat wieder zu ihnen. Er hatte Lex befreit und ihren bewusstlosen Freund jetzt sicher auf seinen Armen.
„Na schön“, sagte Brooklyn, „wir gehen jetzt. Und lass dir nicht einfallen, so etwas noch einmal zu versuchen.“ Er war auf einmal sehr müde. Suchend sah er sich nach Demona um, doch von ihr war keine Spur mehr zu sehen.
Der Doktor erwies sich wenigstens als so zuvorkommend, ihnen einen kurzen Geheimgang aus dem Schloss heraus zu öffnen.
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Demona saß auf einem nahen Berg und konnte ihr Glück noch gar nicht fassen. Der Narr hatte ihr den Großteil der Arbeit abgenommen! In ihren Klauen hielt sie ein altes, vergilbtes Büchlein. Der Doktor schien nicht gewusst zu haben, was er da überhaupt hatte - sonst hätte es bestimmt nicht einfach so auf seinem Schreibtisch gelegen. Sie hatte nicht einmal lange suchen müssen, während diese Idioten mit dem Doktor geredet hatten, statt ihn auseinander zu nehmen. Ihr hätte es auf jeden Fall gut getan, aber das Büchlein war wichtiger gewesen.
Vielleicht konnte sie den einfältigen Narren in Zukunft noch einmal für ihre Zwecke benutzen. Sie lächelte voller Vorfreude. Immerhin schien es diesmal gut geklappt zu haben.
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Brooklyn und Broadway ließen sich vom Wind heimwärts tragen. Sie hatten nur mehr wenig Zeit bis zum Sonnenaufgang.
Was habe ich denn erwartet?, fragte sich Brooklyn, Dass sie dableibt und sich verabschiedet? Und irgendwo in ihm drin antwortete ihm eine kleine Stimme: Nein, du hast es nicht erwartet. Dafür kennst du sie zu gut. Aber du hast es gehofft.
Wütend auf sich selbst versuchte er, einen klaren Kopf zu bekommen. Solche Gedanken waren schlecht, ja, sogar gefährlich. Er musste sie einfach fürs Erste vergessen; sowohl ihre wilde, feuerrote Haarmähne, als auch ihren verbitterten Blick. Vermutlich hatte sie einfach die Gelegenheit genutzt und hatte sich geholt, was auch immer sie haben wollte.
Wahrscheinlich war er nur wieder der Narr gewesen, aber er konnte nicht aufhören zu denken, dass es diesmal anders war.
Beim nächsten Mal und Brooklyn seufzte bei dem Gedanken, beim nächsten Mal würde Demona wieder seine Feindin sein. Vielleicht würde sich daran nie etwas ändern. Aber er konnte einfach nicht aufhören, sich Gedanken über das warme Gefühl zu machen, das von ihm neuerdings Besitz ergriffen hatte. Denn wenn es nicht Mitleid war, was war es dann?
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Drei junge Frauen standen auf einem Felsvorsprung hoch über dem alten Gemäuer, aus dem sich vor kurzer Zeit noch die Gargoyles in die Lüfte geschwungen hatten.
„War es weise, sich mit dem Feind zu verbünden?“, fragte eine der drei ernst. Ihr dunkles Haar bildete einen Kontrast zu ihrer blassen Haut.
„Vielleicht könnte es von Nutzen sein, einen Zauber bei ihnen zu wirken“, überlegte die blonde Frau neben ihr und sah nachdenklich auf die Burg hinunter.
„Nein.“ Die dritte Frau, deren Haar so weiß schimmerte wie das Mondlicht, lächelte. „Das Schicksal nimmt bereits seinen Lauf.“