Titel: Denn Schlangen sind giftig (#049 Gift
2/100)
Teil: Oneshot (
100_originale und "Fünf der Schwerter" bei meiner inoffiziellen
Tarot-Tabelle)
Fandom: Original (-> Welt: Ascan (Meine Hauptwelt, sozusagen. Wollte in ihr ein wenig üben.))
Hauptcharaktere/Pairing: Lady Zissanda/Beatrice Wittermoor
Word Count: 5.105
Entstehungsdatum: 26. Februar 2007
Genre: Fantasy, Psycho, Drama
Warnungen: Ein wenig Femmeslash, nichts Explizites. Minimale Gewalt.
Rating: PG-14
Kritik: Ja
Inhaltsangabe: Irgendwie habe ich das Gefühl, ich müsste noch etwas da dran verändern, es umschreiben oder was-weiß-ich. Aber es will mir einfach nicht aufgehen, was. Beatrice will bei der alleinlebende und etwas merkwürdigen Gräfin Zissanda studieren, weil sie eine Schlangen- bzw. Giftexpertin ist.
Denn Schlangen sind giftig
Fünf der Schwerter Diese Karte heißt "Kummer","Schwäche" oder "Niederlage".
Die Fünf der Schwerter steht für Schmach und Schande, Sorgen, Unglück, Trauer oder eine schwierige bis tragische Lebenslage, aber auch einsichtiges Fügen in Unvermeidliches und daraus erwachsende geklärte Perspektiven und gewonnenes Wissen.
Die kleine Natter fauchte. Sie war um den Hals der Lady geschlungen und gar nicht damit einverstanden, durch die Burg getragen zu werden. Die langen Finger, an denen silberne Ringe leuchteten, strichen abwesend über die glatten Schuppen der Schlange.
Lady Zissanda war mit Pergamentblättern beschäftigt, die sie im Gehen durchlas. Eben kehrte sie aus dem Schlangenturm zurück. Sie mochte es, wenn eine der ihren ihr Gesellschaft leistete.
„Wollen wir doch einmal schauen, was das Interessantes ist, nicht wahr, Annabelle?“, sagte sie leise, als sie das dunkle Arbeitszimmer betrat. Die Natter zischte und ließ ihre Zunge über die Wange der Frau tanzen. Lady Zissanda schmunzelte und zündete die zwei in silbernen Haltern steckenden Kerzen auf dem Tisch an. Vor dem Schreibtisch stand ein gepolsterter Sessel und an der Wand starrten ihre längst verstorbenen Vorfahren auf sie hinunter.
Zissanda setzte sich; ihr langes Kleid raschelte ein wenig. Auf den Pergamenten lag ein Brief, den sie schon eine Weile betrachtete. Er trug das Siegel der zivilisierten Gegend, kam sogar aus Sakrina. Der Schrift konnte man deutlich anmerken, dass sie von jemandem stammte, der sich krampfhaft ums schön Schreiben bemüht hatte.
Hochverehrte Gräfin Zissanda von Burg Wivern,
mein Name ist Beatrice Wittermoor und ich studiere Heilung, insbesondere natürliche Heilmittel und die Gewinnung von Gegengiften und Medizinen aus Schlangengiften. Da Ihr auf diesem Gebiet eine Kapazität seid, wäre es mir eine große Ehre, bei euch einige Monate studieren zu dürfen.
Gez. Beatrice Wittermoor,
Camin, Süd-Sakrina
Ungläubig las Zissanda den Brief noch ein zweites Mal. Die Natter wand sich um ihren Arm weiter nach unten.
„Ja, Annabelle, es könnte ein Scherz sein, nicht wahr? Andererseits…“ Sie warf einen abschätzenden Blick auf den Brief. „…vielleicht auch nicht.“
Die Schlange zischelte, kitzelte mit ihrer Zunge dabei Zissandas Armbeuge. Ohne einmal hinzusehen fing die Frau mit ihrer unbeschäftigten linken Hand wieder an, das Reptil zu streicheln.
„Es könnte auch interessant werden, Annabelle. Ein bisschen Abwechslung tut uns bestimmt gut.“ Die Natter hob den grünen Kopf und betrachtete Zissanda aus ihren dunklen Augen.
~+~
Beatrice starrte die Eichen an, die den holprigen Weg säumten. Sie saß auf einem groben Holzwagen zwischen Säcken voller Kartoffeln und Getreide. Missmutig schob sie mit dem Fuß ihren Gepäckbeutel umher. Es war bestimmt eine gute Sache bei einer Gift- und Schlangenexpertin zu lernen, aber trotzdem hatte sie im Nachhinein ein mulmiges Gefühl dabei.
„Tät’ mich ja interessieren, warum Ihr zu da Gräfin wollt’? Tun nich’ viele, wisst Ihr, se is’ nämlich eine ganz Komische, die Gräfin“, sagte der junge Mann, der den Wagen lenkte. Er warf immer wieder einen Blick nach hinten zu seiner Mitfahrerin.
Beatrice wandte jetzt selbst fragend den Kopf. Dieses Thema fand sie doch schon interessanter als der jährliche Kaufpreis der Getreideernte.
„Komisch?“, fragte sie nach.
„Jaa, Fräulein, des is’ eine merkwürd’ge Sache mit da Gräfin.“ Seine Stimme senkte sich zu einem Flüstern. „Die Leute sagen, dass ihr das Gift zu Kopf gestiegen ist.“
„Wie meinst du das?“ Beatrice hatte sich über den hölzernen Rand vorgelehnt um seine noch leiser geworderne Stimme besser zu verstehen.
„Glaubt, dass se mit de’ Schlangenviechern reden kann. Ist übergeschnappt…“ Nach kurzem Zögern fügte er hinzu: „…-sagt man.“
Beatrice blinzelte. Vermutlich hätte sie nicht so überrascht sein sollen; kostenloses Studieren bei einer alleinlebenden Adligen auf einer Burg - das war zu gut um nicht irgendwelche Nachteile zu haben.
„De’ hohen Leuten kann ma’ net trauen, sag’ ich immer. Den’ steigt ihr’ Adelheit zu Kopf, jawohl!“ Er schüttelte sich.
Der gewundene Pfad führte alsbald aus dem Wald heraus und einen Berg hinauf. Der Mann fuhr Beatrice nur bis zur Hälfte des Bergs, denn ab dann streikten die zwei Pferde, die denn schweren Wagen hinter sich herzogen.
„Tut mia leid, Fräulein, aber weiter geht’s nich’. Des is’ zu steil für miach. Ich wünsch’ Euch viel Glück bei der Gräfin oben - Ihr könnt se gar nich’ verfehlen, ’s is’ nur den Berg rauf.“
Beatrice bedankte sich bei ihm und folgte dem Pfad, der sich durch die Felswände fraß.
Es dauerte gut eine Stunde, bis sie endlich am Ende ihres Weges war. Sie keuchte und fragte sich schwitzend, warum sie nicht ein bisschen weniger in ihren Beutel gepackt hatte oder sich nicht regelmäßiger bewegte. Als sie schließlich den Kopf hob, sah sie die Burg, die vor ihr aufragte und in der Abenddämmerung fast bedrohlich wirkte. Für eine Burg war sie klein, aber für Beatrice trotzdem beeindruckend genug.
Ein halbverrostetes Eisengatter versperrte die breite, wenn auch kurze Straße zum Eingang der Burg. Beatrice richtete sich auf und ging langsam auf das Gatter zu.
„Hallo?“, rief sie. Sie bekam keine Antwort außer des Gekrächzes einiger Raben, die auf der Mauer der Burg saßen und auf sie hinuntersahen. „Hallo?!“
Irgendwo ertönte das Öffnen einer Tür, kurz darauf eine Stimme:
„Da habt Ihr Glück, dass ich Euch noch gehört habe, junge Dame. Ich wollte gerade Feierabend machen.“ Ein älterer Mann schlurfte langsam auf das Gatter zu. Beatrice fiel erst jetzt das kleine Häuschen auf, das auf dem Burggelände stand. Sie hatte es zuerst für einen Schuppen oder etwas Derartiges gehalten, aber offensichtlich wohnte er dort.
„Vielen Dank, dass Ihr Euch die Mühe macht-…“
„Oh, es macht keine Umstände, junge Dame. Kommt nur herein, nur herein.“ Er blinzelte sie unter buschigen, weißen Augenbrauen freundlich an.
Er führte sie die Schotterstraße hinauf bis zum Eingang.
„Es ist selten geworden, dass hier jemand vorbeikommt. Was führt eine junge Dame aus dem Norden in unser Wäldchen?“
„Ich will bei Lady Zissanda studieren. Sie ist eine Spezialistin.“
„Oh, natürlich“, sagte er mit einem verständnisvollen Lächeln, „ich hätte mir fast denken können, dass man auch in anderen Teilen der Welt schon von ihr und ihrer ungesunden Faszination für Schlangengift gehört hat.“
„Ungesunde Faszination? Was meint Ihr damit?“
Der alte Mann beäugte Beatrice einige Moment lang, bevor er meinte:
„Ihr werdet es bestimmt merken. Wir sind da. Die Gräfin erwartet Euch höchstwahrscheinlich bereits in der Eingangshalle.“ Damit zog er einen der Torflügel des Eingangstors an einem Eisenring auf und wies mit der Hand einladend hinein. „Ich wünsche Euch eine angenehme Zeit hier, junge Dame.“ Sein Lächeln kam ihr irgendwie traurig vor. Gerne hätte sie ihn noch nach mehr gefragt, doch sie verstand den Wink und betrat die Burg.
Sie betrat eine große Halle, die nur spärlich von vereinzelten Fackeln erhellt wurde. Eine breite Treppe führte in ein oberes Geschoss und auf allen Seiten gab es Türen und Durchgänge. Beatrice war stehen geblieben und betrachtete alles eingehend.
„Fräulein Wittermoor, seid Ihr das?“, fragte eine weibliche Stimme. Eine Frau um die dreißig kam durch den Durchgang im ersten Stock, erschien am Geländer oben und sah zu Beatrice hinunter. „Aber ich hatte Euch eigentlich frühestens in ein paar Tagen erwartet.“
„Ich hatte Glück mit dem Wetter. Ihr müsst wohl Lady Zissanda sein?“
Die Gräfin, eine große, hagere Frau, schenkte Beatrice ein gewinnendes Lächeln.
„Allerdings. Kommt nur herauf, meine Liebe. Beatrice, nicht wahr? Ihr müsst Euer Gepäck wohl leider selbst tragen - Wodekan hat sich bereits zur Ruhe begeben, fürchte ich.“
„Wodekan? Ist das der alte Mann?“, fragte Beatrice, als sie die Treppe hinauf zu Zissanda stieg. Lady Zissanda trug ein langes, bauschiges, weinrotes Kleid mit breitem Ausschnitt, der viel von ihrer bleichen Haut zeigte. Um ihren Hals lag ein smaragdgrüner Schal. Als Kind hatte Beatrice von solch einem Kleid geträumt.
„Ja. Der Diener.“
Beatrice verzog das Gesicht.
Zissanda legte ihre langfingrige Hand an Beatrices Schulter. Der Schal um ihren Hals bewegte sich.
„Kommt, ich zeige Euch Euer Zimmer, Beatrice.“
Beatrice nickte, völlig gebannt von dem grünen Band - bis sie merkte, dass es sich gar nicht um einen Schal handelte.
„Das ist ja eine Schlange!“, entfuhr es ihr. Zissanda schmunzelte, während ihre Hand nach dem Tier langte.
„Annabelle leistet mir Gesellschaft. Ich bin sicher, Ihr werdet sie schätzen. Sie ist manchmal etwas vorlaut, aber ich bin sicher, dass sie sich in Eurer Gegenwart zu beherrschen weiß.“ Die Schlange fauchte.
„Sie ist vorlaut? Wie das - will sie Leute beißen?“ Beatrice grinste, zwang sich aber schnell wieder zu einer ernsteren Miene und räusperte sich. Doch Zissanda nahm es gelassen hin.
„Ihr werdet bald feststellen, dass Ihr Schlangen unterschätzt.“ Sie drehte sich um und ging den Gang entlang, aus dem sie gekommen war. Beatrice folgte ihr; sie konnte sich zwar den Kommentar nicht verkneifen, doch murmelte sie ihn nur so leise, dass er kaum zu hören war: „Oder Ihr überschätzt sie…“
Ein Läufer bedeckte den Steinboden und in regelmäßigen Abständen hingen Fackeln oder Bilder an den Wänden, die im Halbdunklen finster auf die beiden vorbeigehenden Frauen hinabstarrten. Es gab keine Fenster.
Sie kamen in regelmäßigen Abständen an Türen vorbei, bis die Lady schließlich vor einer stehen blieb. Zissanda sie aufreizend an.
„Ich wünsche Euch eine gute Nacht, Beatrice, meine Liebe.“ Die grüne Schlange hob den Kopf und zischelte.
„Danke, Euch auch.“
Beatrices Studium begann mehr als Schlangenkunde als eine Einführung über Gifte. Zissanda nahm sie mit in den „Schlangenturm“, wie sie den Westturm nannte, in dem sich die Schlangenterrarien befanden. Wieder fiel Beatrice auf, wie groß die Burg von innen war, auch wenn es von außen nicht so schien.
Als sie das erste Turmzimmer betraten, war Beatrice für einige Augenblicke sprachlos. Sämtliche Wände waren mit riesigen Terrarien zugestellt, einige fanden sich auch in der Mitte des Zimmers.
„Ich habe noch nie so viel Glas auf einem Haufen gesehen! Habt Ihr das nicht erst von Korrisba oder Nord-Kquinja importieren müssen? War das nicht schrecklich aufwändig und teuer?“
Zissanda zuckte nur mit den schmalen Schultern.
Damit die Schlangen ausreichend Luft bekamen, gab es bei jedem Terrarium ein etwa handtellergroßes Loch auf Augenhöhe, das durch ein feines Eisengitter abgeriegelt war. Es gab keine Möglichkeit für die Tiere, auszubrechen. Beatrice ließ ihren Blick über die eingesperrten Schlangen schweifen.
„Die armen Dinger“, sagte sie und wandte sich einer Vipern zu. Ihr Terrarium war nahe der Tür; sie war wach und verfolgte aus ihren schmalen Pupillen jede Bewegung der beiden Frauen.
„Es geht ihnen gut hier, Beatrice, meine Liebe. Sie sind zufrieden. Ich habe sie selbst gefragt.“ Zissanda überwand die wenigen Schritte, schloss damit zu Beatrice auf. Das schmale Gesicht der Gräfin war nun ganz nahe an ihrem Ohr. Sie konnte ihren warmen Atem fühlen. „Glaubt Ihr nicht, Beatrice - Tricksy…“, hauchte Zissanda, „dass sie hier sicher sind?“
Beatrice wandte den Kopf in die andere Richtung. Ihre rundes Gesicht bekam ein wenig Farbe auf den Wangen.
„Aber sie wollen doch frei sein. Man kann ihnen doch ihre Freiheit nicht einfach so wegnehmen.“
„Es gefällt ihnen bei mir“, wiederholte Zissanda und strich über Beatrices Gesicht. Beatrice sah wieder zu der Viper, die ihren Blick ruhig erwiderte. Was sie jetzt wohl dachte? Reptilienaugen verrieten so wenig darüber, was sich hinter ihnen abspielte. Sie seufzte.
Je höher man in dem Turm hinaufstieg, desto mehr Schlangen entdeckte man - insgesamt mussten es vier Zimmer sein. Im Höchstgelegenen war die Mitte frei von Terrarien; dort stand ein Tisch mit Stühlen - das wurde Beatrices Arbeitsplatz.
Gewöhnlich führte Lady Zissanda sie zu einer der Schlangen, holte sie aus ihrem Gefängnis heraus und zeigte sie Beatrice, ließ sie das Tier sogar berühren.
Anschließend gingen sie hinauf. Die Gräfin hielt dann meist einen kleinen Vortrag, bei dem Beatrice eifrig mitschrieb. Er handelte anfangs noch von der Schlange und ihren typischen Merkmalen, doch recht schnell auch von ihrem Gift. Danach führte sie Zissanda in den Keller, in dem sie Giftproben der Schlangen hatte. Beatrice sog gierig das Wissen in sich auf.
Alle Schlangen bekam sie nicht so ausführlich geschildert, auch wenn sie sich alle ansehen durfte. Schließlich waren sehr viele davon ungiftig und es ging ihnen doch primär um das Gift.
Fast drei Monate nach ihrem Eintreffen in der Burg saß sie alleine in ihrem Zimmer und sah aus dem Fenster hinunter aufs Gelände. Auf dieser Seite des Berges war das Terrain nur leicht abschüssig und hatte keine steilen Abhänge. Der Wald grenzte hier fast bis zu den Mauern der Burg. Die bereits weit fortgeschrittene Dämmerung tauchte alles in mattes Licht.
Beatrice hatte den Kopf auf die Arme gebettet und starrte auf die Baumkronen. Ein sachtes Klopfen ertönte; Momente später wurde die Tür geöffnet.
„In tiefen Gedanken versunken, Tricksy, meine Liebe?“ Zissandas Stimme klang samtweich und Beatrice musste nicht einmal hinsehen um zu wissen, dass sie lächelte.
„Ich glaube, ich war noch nie so lange von zu Hause fort“, sagte Beatrice und seufzte. Ihr brünettes Haar, das ihr sonst bis auf die Schulter fiel, verdeckte größtenteils ihre Augen. Zissanda holte sich den zweiten Sessel vom kleinen Tisch, den es neben Bett und Schrank noch gab, dann setzte sie sich neben Beatrice.
„Wirklich? Interessant.“
„Ich hatte nie einen Grund, aus Camin fort zu gehen. Alle, die ich kenne, leben dort. Und es ist ein schönes Städtchen.“
„Von Camin hierher ist es weit“, meinte Zissanda und begann mit den langen, bleichen Fingern ihrer rechten Hand über Beatrices Haar zu streichen.
„Ja, das stimmt. Und es ist hier kühler.“
Beide schwiegen die nächsten paar Minuten. Beatrice sah noch immer in die Ferne und Zissanda war damit beschäftigt, die dünnen Strähnen um ihre Finger zu wickeln und sie wieder glatt zu streichen.
Eine frischer Luftzug brachte Beatrice zum Schaudern. Sie stand auf und schlang die Arme um sich selbst. Auch Zissanda erhob sich. Es war eins der seltenen Male, bei denen sie keine Schlange mit sich trug. Sie nahm sich vom Bett eine der seidenen Decken, ging zu Beatrice und hängte sie ihr über die Schultern.
„Ruh dich aus, meine Liebe. Wodekan wird das Abendessen heute ein wenig später anrichten - ich habe noch etwas zu erledigen.“ Sie streichelte ihr noch ein Mal über die Haare, bevor sie sich umdrehte und das Zimmer verließ. Beatrice konnte nicht anders, als ihr perplex hinterher zuschauen.
Da packte sie die Neugier. Es war ein ungesunder Trieb, doch Beatrice konnte nicht anders, als ihm nachzugehen. Zissanda hatte ihre Besucher noch nie am Abend empfangen.
Die Frau warf sich einen etwas wärmeren Mantel über und trat hinaus auf den Gang. Wenn jemand ankommen sollte, so doch nur durchs Haupttor. Mittlerweile kannte sie ein Zimmer im Obergeschoss unweit der Treppe, von dem man einen fabelhaften Ausblick auf das Eisengatter hatte.
Beatrice eilte in das Zimmer, das außer einer dicken Staubschicht nichts aufzuweisen hatte und sah aus dem Fenster. Sie konnte das vordere Geländer der Burg, Wodekans Häuschen, das Gatter und einen Teil des steilen Bergwegs überblicken. Nichts regte sich. Die Sonne war schon fast gänzlich untergegangen und alles war still.
Sie wartete eine Ewigkeit, wie ihr schien - längst hatte die Dunkelheit eingesetzt - als sich endlich etwas tat. Eine dunkle Gestalt kam den Weg entlang. Als sie hinkam und daran herumnestelte, gab das Eisengatter ein seufzendes Quietschen von sich. Beatrice konnte nicht sehen, was sie tat. Im Nu hatte die Gestalt das Gatter überwunden und ging mit schnellen Schritten zum Tor.
Beatrice trat aus dem Zimmer zurück auf den Gang und schloss sie vorsichtig. Zissandas Stimme erklang von unten.
„Ah, Thesis, ich habe Euch schon erwartet.“
Jetzt traute Beatrice sich, aus dem Raum zu schlüpfen und bedächtig bis zur Treppe vorzuschleichen. Sie hielt sich allerdings soweit zurück, dass sie nicht befürchten musste, gesehen zu werden. Zissanda war außer Sicht, wahrscheinlich im Durchgang unter der Treppe.
Die Gestalt war ein magerer Mann, ganz in Schwarz gehüllt. Nur sein Gesicht war unbedeckt. Härte zeichnete seine Gesichtszüge aus. Er nickte der Gräfin zur Begrüßung kurz zu, doch sagte nichts.
„Kommen wir lieber schnell zum Geschäftlichen, ich kann nicht lange bleiben.“
„Das ist aber schade“, sagte Zissanda, „ich hatte mich schon auf einen gemütlichen, unterhaltsamen Abend gefreut.“
„Nicht heute, fürchte ich.“
„Wie bedauerlich.“
„Nun gut, kommen wir zur Ware. Soll ich mir das Zeug gleich holen…?“
Beatrice stutzte. Sie hatte bisher nichts gesehen, dass die Lady irgendwie verkaufen hätte können.
„Nein, ich führe Euch hin.“
Sobald der Mann namens Thesis aus der Eingangshalle verschwunden war, beeilte Beatrice sich, den zweien hinterher zu kommen. Doch es war zwecklos. Sie waren schon in ein anderes Zimmer abgebogen; Beatrice hatte sie verloren und das Haus war zu groß um willkürlich nach ihnen zu suchen.
Enttäuscht seufzte sie. Es ließ sie einfach nicht los; was zum Teufel verkaufte Zissanda?!
Zu dem kleinen Städtchen Jal war es zwar nicht besonders weit, doch zu Fuß schon eine ordentliche Strecke. Beatrice spazierte entspannt den abschüssigen Waldweg hinunter, vorbei an den steilen Abhängen. Bisher hatte sie erst zwei sehr kurze Ausflüge in die nähere Umgebung gemacht, wollte sie sich doch auf ihr Studium konzentrieren. Doch frische Luft würde ihr und ihrem Lerneifer bestimmt auch einmal gut tun.
Beatrice genoss die Sonnenwärme auf der Haut - schon seit sie von Camin aufgebrochen war, hatte sie die Sonne in dieser düsteren Gegend kaum gesehen. Sie fühlte sich großartig und die fast zwei Stunden, die sie hinunter zum Städtchen wandern musste, machten ihr erstaunlich wenig aus.
Schon lange vor ihrer Ankunft kam Jal in Sicht. Beatrice hatte genügend Zeit, die im Tal liegende Stadt zu bewundern. Sie war kein Vergleich zu ihrem Heimatort Camin, aber da Janos sowieso nur aus kleineren Siedlungen und Dörfern bestand, war Jal doch verhältnismäßig groß.
Ein geschäftiges Treiben herrschte in Jal. Gleich am Anfang der Stadt gab es einen großen Marktplatz, der völlig überfüllt war. Beatrice unterhielt sich eine Weile damit, die Leute zu betrachten: Die Verkäufer hinter den Ständen, die sich bemühten, ihre Waren anzubringen; die bäuerlichen Leute, hauptsächlich Frauen, die durch den Markt gingen und einkauften; die vereinzelten Außenstehenden, die anderen Geschäften nachgingen. Hier und da waren Leute stehen geblieben um miteinander zu plaudern. Die freundliche, vertraute Atmosphäre überwältigte Beatrice richtig.
Nach anfänglichem Zögern gesellte sie sich zu zwei aufgeregt schwätzenden, schon etwas in die Jahre gekommenen Frauen.
„Entschuldigung, störe ich?“
„Oh? -Aber nein“, beteuerte eine der beiden mit einem Lächeln. „Bist du neu hier, Kindchen?“ Beatrice ließ sich von dem mehr als unpassenden „Kindchen“ nicht stören.
„Ja, sozusagen auf Besuch. Was ist denn hier los?“
„Nichts besonderes, im Moment.“
Die andere, etwas rundlichere Frau sah ihre Freundin von der Seite an.
„Oh doch. Man erzählt sich, dass es bald zum Krieg kommen wird.“ Ängstlich schaute sie sich um, als hätte sie Angst, dass jemand ihren Kommentar mitbekommen hatte.
„Krieg? Hier?“, fragte Beatrice zweifelnd.
„Das ist natürlich Unsinn, Kindchen“, warf die erste Frau ein, „jedenfalls… offiziell.“
„Warum sollte irgendjemand Jal angreifen wollen? Und vor allem: Wer?“ Beatrice ließ ihren Blick von der einen zur anderen huschen um herauszufinden, ob die beiden sich vielleicht einen Scherz mit ihr erlauben wollten.
„Jor macht sich bereit, anzugreifen, heißt es. Wir wurden ganz inoffiziell dazu aufgefordert, die Stadt nicht mehr zu verlassen und uns auf einen Kampf einzustellen.“
„Jor?“
„Die Stadt, die uns am nächsten liegt - gleich am anderen Ufer des Flusses.“
„Hier gibt es einen Fluss?“ Beatrice schämte sich ein wenig für ihr mangelndes Wissen.
„Aber natürlich! Wenn du dem Weg nach Süden folgst, dauert es nicht lange, bis du hinkommst. Ich würde es dir aber nicht raten. Ich habe ganz schreckliche Dinge über die Leute aus Jor gehört“, vertraute ihr die zweite Frau an.
„Sie sind doch praktisch eure Nachbarn!“
„Wir gehen nicht über den Fluss“, berichtigte die erste Frau sie hart. „Wir bleiben auf unserer Seite. Was die da drüben machen, geht uns nichts an.“
„Na ja, bis jetzt“, fügte ihre Freundin hinzu.
Sie plauderten noch eine Weile, dann beschloss Beatrice, wieder zur Burg zurück zu kehren. Natürlich wusste sie, dass es immer wieder kleinere Kämpfe zwischen den Dörfern beziehungsweise Städten in Janos gab. Aber bisher hatte sie gedacht, dass sie sich nur auf den südlichen Teil des Landes, die Küstenregionen, bezogen - jedoch sicherlich nicht Jal betrafen.
Wodekan öffnete ihr wieder, als sie schließlich langsam schlendernd zur Burg zurückkehrte. Ob Lady Zissanda wohl wusste, dass direkt in ihrer Nachbarschaft bald ein kleiner Krieg ausbrechen würde? Beatrice schauderte es bei diesem Gedanken; all die netten, fröhlichen Leute und die freundliche Atmosphäre, als sie Jal betreten hatte… Vielleicht konnte man ja irgendetwas tun um den Kampf zu verhindern?
Sie fand die Gräfin in ihrem Gemach im Erdgeschoss, wieder in Gesellschaft von der kleinen, leuchtend grünen Schlange.
„Ah, Tricksy, wir haben uns schon gefragt, wann du zurück kommst.“ Ihre rechte Hand streichelte über den schuppigen Rücken der Natter, die ihr daraufhin den flachen Kopf zuwandte und zischelte.
„Lady Zissanda, habt Ihr gewusst, was unten in Jal vorgeht?“ Beatrice sah die Gräfin empört an.
„Natürlich.“ Ein Lächeln umspielte Zissandas volle Lippen, während sie sich weiter um die Natter kümmerte.
„Ihr wusstet…?“ Beatrice beherrschte sich schnell wieder. „Habt Ihr vielleicht schon daran gedacht, wie man den Krieg aufhalten kann?“
Die Schlange gab wieder ein leises Zischen von sich und glitt an Zissandas Schulter hinunter. Die Gräfin hob sie abwesend wieder auf der anderen Seite hinauf.
„Ja, Annabelle, ja. Warum sollten wir ihn aufhalten?“ Zissandas Blick, der bis jetzt auf der Schlange geruht hatte, wandte sich nun Beatrice zu. Das tiefe Grün war unergründlich.
„Was?“ Beatrice starrte die Gräfin an. „Ja, bist du denn völlig wahnsinnig geworden? - Verzeiht, habt Ihr denn völlig den Verstand verloren?“ Doch Zissanda schien nur mäßig beeindruckt. Sie stand auf und ging langsam auf die andere Frau zu.
„Weißt du, Tricksy, meine Liebe, ich sehe keinen Grund, warum du dich so aufregst. Es ist nur ein Dorf mit ein paar Menschen. Es gibt ohnehin zu viele davon.“
Beatrice ballte die Hände zu Fäusten.
„Ihr müsst komplett schwachsinnig-…!“
„Schrei doch nicht so, meine Liebe. Es tut mir in den Ohren weh. Und Annabelle mag es auch nicht, wenn du so unruhig bist.“
Beatrice holte tief Luft und atmete hörbar aus. Während sie sich zu beruhigen versuche, setzte Zissanda die Natter auf einem gepolsterten Sessel ab und kam dann zurück zu der anderen Frau. Beatrice erschrak ein wenig, als die dünnen Finger der Gräfin sie plötzlich stark zu massieren begannen.
„Was soll das?“
„Ich versuche dich zu entspannen, meine Liebe. Du bist so außer dir.“
„Hast du, äh, habt Ihr nicht eben noch gesagt-…“
„Tricksy, Tricksy, vergiss die dumme Sache doch. Es spielt keine Rolle.“
Perplex sah Beatrice sie über ihre Schulter hinweg an. Ihre Gesichter waren sich so nah, dass sich ihre Nasenspitzen fast berührten.
„Aber…“, versuchte Beatrice es noch ein letztes Mal. Weiche Lippen drückten sich auf ihre. Sie vergaß, was sie eigentlich hatte sagen wollen. Sie wusste nur mehr, dass Zissanda gesagt hatte, es spielte sowieso keine Rolle. Nichts spielte mehr eine Rolle. Der schwere, exotische Geruch, der von Zissanda ausging, ließ sie glücklich die Zärtlichkeit erwidern. Ihr Körper war so warm, als sich Zissandas Arme um sie schlangen.
„Lass dich fallen, meine Liebe“, hauchte ihr Zissanda ins Ohr und streichelte ihr Schlüsselbein. Beatrice zögerte einige Momente, war sie der Aufforderung doch noch nie in ihrem Leben nachgekommen. Dann schloss sie die Augen und lehnte sich nach hinten in Zissandas vielversprechende Umarmung.
Die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne fielen in den dunklen Raum. Nicht eine einzige Kerze brannte. Beatrice hob den Kopf und kniff im nächsten Moment wieder geblendet die Augen zu. Verschlafen blinzelnd sah sie erneut zu der grellen, gelben Morgendämmerung am Horizont.
Unter ihr regte sich Zissanda und nun tauchte auch ihr Kopf aus der Bettdecke auf. Beatrice hatte ihre sonst so kunstvollen, schwarzen Locken noch nie so zerwühlt gesehen. Eigentlich hatte sie die Gräfin überhaupt noch nie verschlafen oder unordentlich angetroffen.
„Guten Morgen?“, fragte Beatrice unsicher. Grüne Augen richteten sich auf sie, ohne sie wirklich zu sehen.
„Vielleicht“, murmelte Zissanda. „Ja. Ja, ich denke, schon. Nicht wahr, Annabelle? Ja.“
Automatisch sah sich Beatrice nach der leuchtend grünen Natter um, doch konnte sie nirgendwo entdecken.
„Zissan-… Zissy? Wach auf. Annabelle ist nicht hier.“ Zissanda nickte benommen, dann schob sie Beatrice von sich und stand auf. Für kurze Zeit schien es fast, als würde die Sonne ihren nackten Körper erleuchten, die sonst ungesunde Bleiche in gleißendes Gold verwandeln. Dann trat sie aus dem Licht und wickelte einen Seidenmantel um sich.
Zissanda sah aus dem Fenster, während Beatrice sich im Bett aufsetzte. Kein Laut, nicht einmal Vogelgezwitscher, war zu hören, als die Gräfin zu sprechen anfing.
„Weißt du, ich lebe hier mit Annabelle und den anderen schon seit Jahren allein. Einmal auch jemand anderen hier zu haben, ist… schön.”
“Warum warst du so lange allein?”, fragte Beatrice traurig. „Warum bist du nicht in die Stadt gezogen, wenn du Gesellschaft haben wolltest?“
„Aber ich hatte doch Gesellschaft.“ Zissanda drehte den Kopf zu ihr um. Ihr Gesicht wurde halb von der Sonne angestrahlt. „Annabelle war doch immer hier. Seit ich mich von meiner Mutter befreit habe, war sie immer da. Und die anderen… ja, ich liebe sie alle.“
Beatrice biss sich auf die Unterlippe, sagte aber kein Wort.
„Annabelle…? Annabelle?!“, fragte Zissanda dann plötzlich verwirrt und sah sich nach der Schlange um. Ohne Beatrice auch nur noch einmal anzusehen, verließ sie das Zimmer. Beatrice beschloss, dass sie viel bei der Gräfin gelernt hatte, es aber jetzt an der Zeit war, aufzubrechen und den Ort zu verlassen. „Komisch“ hatte der Wagenfahrer Zissanda damals genannt.
„Was für eine Untertreibung“, murmelte Beatrice und seufzte. Sie kehrte zu ihrem eigenen Gemach zurück um ihre Sachen zu packen. Viel hatte sie ja nicht mitgebracht und es waren zwar viele Pergamentstücke ihrer Studien hinzugekommen, aber die nahmen kaum Platz weg.
Beatrice schulterte ihren Beutel und trat auf den Gang hinaus. Mittlerweile mochte sie das große Haus ganz gerne, auch wenn ihm die familiäre Atmosphäre fehlte, die sie an ihrem Zuhause so schätzte.
Sie stieg die große Treppe hinunter. In der Eingangshalle vor dem Tor zögerte sie noch einmal. Wenigstens einmal Lebewohl sagen konnte sie der Gräfin doch noch. Andererseits, so wie sich Zissanda benommen hatte, war es da nicht einfacher, ja, sicherer sang und klanglos zu verschwinden, als noch einmal zu ihr zu gehen? Beatrice schüttelte den Kopf. Die Gräfin hatte so viel in den letzten Monaten für sie getan, dass sie das nicht konnte. Also ließ sie ihren Beutel neben dem Eingangstor zu Boden sinken und machte sich auf den Weg zurück. Aber zurück wohin? Beatrice überlegte kurz. Am besten versuchte sie es im Schlangenturm.
Lady Zissanda stand im ersten Raum des Schlangenturms und bewunderte ihre leuchtend grüne Natter.
„Zissy, ich…“, begann Beatrice vorsichtig. Sie stand im Türrahmen und hielt die offene Tür in der Hand.
„Nicht wahr, Annabelle? Natürlich. Tricksy findet das Schauspiel bestimmt interessant, glaubst du nicht, Annabelle? Komm, Tricksy, komm und sieh dir das an.“ Jetzt drehte Zissanda auch den Kopf um Beatrice anzusehen. „Es ist sehr amüsant.“
„Na schön. Aber dann muss ich dir etwas sagen.“
Zissanda nickte abwesend und griff, als sie näher gekommen war, nach Beatrices Hand. Die Finger miteinander verschlungen gingen die beiden zum Südfenster und Zissanda deutete mit ihrer freien, linken Hand hinaus.
„Schau nur“, sagte sie gleichmütig.
Von hier konnte man das Tal, in dem Jal lag, sehen. Ein paar Dutzend Leute zogen von dort aus weiter in Richtung des Flusses nach Süden. Über dem Fluss lag Jor ruhig und friedlich dar. Beatrice schnappte nach Luft.
„Was machen sie da? Sie greifen doch nicht an, oder?“
„Ich nehme es an.“ Zissanda lächelte.
„Aber Jor hat doch auch nicht angegriffen!“, protestierte die Frau neben ihr.
„Tja.“
Beatrice blinzelte. Sie brauchte eine Weile, bevor sie verstanden hatte, was das hieß.
„…Es gab nie einen Krieg, nicht wahr? Niemand hat sie angegriffen. Jor hat nicht aufgerüstet. Sie werden vollkommen unvorbereitet sein!“
Zissanda nickte und streichelte weiter ihre Schlange. Die Natter zischelte leise.
„Ja, Annabelle, ich sagte es doch: Es ist äußerst amüsant.“
Beatrice starrte sie ungläubig an.
„Was soll das heißen? Es-… Du-… Mist, Zissy, red nicht so einen Unsinn und tu doch endlich etwas!“
Zissanda schmunzelte nur.
„Wieso hätte ich mir so viel Mühe geben sollen, es einzufädeln, wenn ich es jetzt abblasen würde?“
Beatrice fühlte sich, als hätte ihr eben jemand Eiswasser über den Körper geleert. Sie ließ die Hand der anderen Frau los und wich ein paar Schritte zurück.
„Du hast was?!”, schrie sie. „Aber warum? Ich verstehe nicht-… Hat der schwarze Mann etwas damit zu tun?“
Die Gräfin zog die Augenbrauen hoch.
„Nein. Wenn du Thesis meinst, der wollte nur ein paar der Schlangengifte kaufen. Aber das verrätst du nicht weiter, nicht wahr, Tricksy? Dir kann ich trauen wie Annabelle.“
„Das ist illegal! Selbst hier in Janos!“ Beatrices Stimme wurde noch hysterischer.
Zissanda warf einen Blick aus dem Fenster.
„Ich hatte gehofft, dass du es interessant finden würdest, Tricksy. Schade. Du musst wohl noch viel lernen. Studier eifrig weiter, dann wirst du es bestimmt einmal verstehen.“ Sie wandte sich wieder Beatrice zu, kam schrittweise näher. „Es ist so unterhaltend wie die Wirkungen meiner Gifte, meine Liebe.“
Beatrice stand wie angewurzelt, konnte sich nicht rühren.
Die Viper in ihrem Terrarium neben der Tür, die sie seit dem Anfang ihres Aufenthalts kannte, hatte den Kopf gehoben. Schlitzartige Pupillen fixierten die beiden Frauen.
Als die Gräfin sie erreichte, legte sie die kleine Natter um Beatrices Schultern.
„Natürlich werden sie alle sterben“, flüsterte sie und lächelte dabei, „oder zuminderst fast alle. Aber es werden schon bald Neue nachkommen. Und es ist ja nicht so, als ob es schade um sie wäre.“ Zissanda hauchte Beatrice einen Kuss auf die zitternden Lippen. „Genaugenommen spielen ein paar mehr oder weniger eigentlich keine Rolle.“
Beatrice konnte es nicht mehr ertragen. Kraftvoll stieß sie Zissanda von sich. Selbst im Fallen trug sie noch dieses scheußliche Lächeln zur Schau. Beatrice erschauderte, als Zissanda - ihre Zissy - durch das Terrarium der Viper fiel. Glas splitterte laut. Blut spritzte umher und breitete sich schnell aus, nachdem sie endlich am Boden zwischen den Scherben aufgeschlagen war.
Für einige Momente wurden Zissandas Augen weit, dann fielen sie zu …und blieben geschlossen. Die vollkommen erschrockene Viper bohrte ihre langen Giftfänge in Zissandas bleiche Schulter. Beatrice ergriff die Flucht.
Panisch lief sie die enge Treppe hinab und durch die langen Gänge. Längst schmerzte ihre Seite und doch blieb sie erst stehen, als sie ihren Beutel gepackt und das große Eingangstor hinter sich geschlossen hatte. Schwer atmete sie die kühle Morgenluft. Ihre Gedanken rasten und wurden erst von einem Zischen unterbrochen. Beatrice erstarrte, dann wandte sie den Kopf ein Stück. Die leuchtend grüne Annabelle erwiderte ihren Blick ungerührt.
Beatrices Lächeln hatte mehr etwas von einer Grimasse.
„Du wirst sie vermissen, nicht wahr, Annabelle?“ Sie fuhr vorsichtig über die Schuppen der zahmen Schlange. „Weißt du, ich glaube, ich werde dich behalten. Schließlich bist du klein und ungiftig.“
Annabelle zischte. Ihre Zunge strich über Beatrices Wange.
Sie wandte sich um und sah zum Schlangenturm hoch. Auch Annabelles vertrauter Anblick konnte das Gefühl in ihrer Brust nicht vertreiben.
„Lebwohl, Zissy“, murmelte sie in die Stille, „ich werde auf sie aufpassen. Ihr wird nichts geschehen. Ich verspreche es dir.“
Sie drehte sich um und ging samt Schlange und geschultertem Beutel die Straße zum Eisengitter hinunter.
Beatrice wollte nicht an den Kampf der beiden Städtchen denken, auch nicht an die tote Lady Zissanda inmitten der Glassplitter. Sie hoffte nur, während sie Annabelle liebevoll betrachtete, dass Wodekan die anderen gefangenen Schlangen bald befreite.