Apr 21, 2009 18:26
Das Wetter ist schlecht, und mein Kopf ist verstopft. Ich bin so aufnahmefähig wie ein Marshmallow. Die seit dieser Woche wieder laufenden Japanischstunden kommen mir ein wenig vor wie ein etwas surrealer Film, der im Hintergrund aus der Glotzkiste tönt; kann man nicht richtig ernst nehmen und zuhören schon gar nicht. Meine Sitznachbarin plauscht dabei fröhlich vor sich hin (von Christian Bale als Batman und Heath Ledger über japanische Rockmusik, ihre strenge Mutter, ihre Mangasammlung, ihren Zeichnungen bis hin zu dem japanischen Synchronsprecher, den sie heiraten möchte, weil er 1,80m groß ist und so eine schöne Stimme hat). Proseminare, Vorlesungen und der restliche Kladderadatsch fängt erst morgen richtig an. Mal sehen, ob der Marshmallow, den ich momentan als Kopfersatz mit Klebeband auf meinem Hals montiert zwischen den Schultern mit mir herumtrage, dann wieder anfängt, richtig zu arbeiten.
Zur allgemeinen Erheiterung noch zwei Anekdoten über die Menschen um mich herum.
I.
Am Samstag bin sind Juli und ich nach Stuttgart gefahren, um eine Rune Schaufenstershoppen zu gehen und mal was anderes zu sehen. Auf dem Rückweg erwischen wir beknackterweise nur einen von diesen Regionalzügen, die mit zwei Stundenkilometern durchs Schwabenländle klappern und dabei in jedem noch so verschlafenen Nest zum Halten kommen.
Der ganze Zug ist voller Emos, Prolls, Hoppern und anderen komischen Kindern, und wir fragen uns, was los ist, dass das ganze Geschäum auf einmal scharenweise aus seinen Löchern kriecht. Immer, wenn die eine Tür aufgeht, kommt aus dem Vorraum Techno hereingerülpst, aus dem anderen Vorraum schreit ständig jemand "Wichser, Arschloch, Fotze" herein, und von außen tanzt ein Mädchen an der Glasscheibe, das aussieht wie ein Emo aus dem Buch. Uns gegenüber sitzen auch zwei großartige Exemplare. Die eine macht zuerst noch einen ganz aufgeweckten Eindruck, die andere sieht aus wie ein verquollener Akneknödel und spricht breitestes Gossenschwäbisch.
Juli und mir ist langweilig, also nehmen wir beide unsere Bücher und lesen. (Juli: Freuds Traumdeutung, ich: Peter Hoeg, Von der Liebe.) Nebeneinander lesen ist irgendwie sehr angenmehm. Nur dass ich mich aufgrund des Gesprächs gegenüber nicht richtig konzentrieren kann.
Die beiden Mädels bekalln alles, was so ein Hauptschulleben ausmacht: wie scheiße das ist, dass beide sitzengeblieben sind ("Alle sind viel jünger, das ist so scheiße eh"), dass sie nervige Freunde haben ("Seit einem Jahr irgendwie immer mal wieder nicht mehr und dann doch wieder und so, eh, das ist so scheiße eh"), dass sie ihre Hausaufgaben noch nicht gemacht haben ("Ich muss noch dieses verkackte Scheißbuch lesen eh, da hab ich so kein Scheißbock drauf"), dass Paahnik ätt se Disko so kuhl ist, etc.
Irgendwann fängt der Knödel an zu kichern und zu grunzen, und die Freundin schaut fragend. Der Knödel versucht, etwas zu sagen, findet seinen eigenen Gedanken aber anscheinend so lustig, dass es nicht geht. Die Freundin rollt genervt mit den Augen: "Schreibs halt auf dein Handy, Mann eh!" Der Knödel zückt also giggelnd sein Handy, tippt in Zeitlupe eine Nachricht, lacht sich drüber tot, dass er vor Lachen ständig auf die falschen Tasten kloppt, wischt sich schließlich die Lachtränen vom Gesicht und reicht das Handy weiter.
Die Freundin starrt stirnrunzelnd drauf und macht das, was alle klugen Leute machen, wenn man ihnen einen Zettel mit einer geheimen Nachricht drauf gibt: Sie liest sich selbige erstmal selber vor. "...Schatz, lass mal ein Buch lesen!" Woraufhin sie ebenfalls in lautes Gekicher ausbricht. "Hahahaha, hast du dir das jetzt gerade echt vorgestellt, eh? Das ist ja voll geil Mann! Hahahaha!" - "Ja Mann, eh! Wenn ich das zu meinem Freund sagen würde, Scheiße Mann eh, hahahaha!"
Juli und ich wechseln einen Blick und finden es sehr ulkig, dass manche Leute die Idee, einfach mal beieinander was zu lesen, anscheinend zum Brüllen komisch finden. Wie schade, wenn man mit seinem Freund anscheinend nichts anzustellen weiß, als Bumsen und Fernsehen schauen.
II.
Heute bin ich zum Akademischen Austauschdingsbumsamt gegangen, um mich beraten zu lassen, ob und wie ich denn an ein Stipendium für das Kyoto-Semester komme. Dabei bin ich auf ein Musterexemplar vorbildlichen Engagements gestoßen. Erstmal muss ich aber das Büro stundenlang suchen - auf dem Plan steht "Eingang im Hof", im Hof gibt's aber nur eine Tür mit dem Schild "Privatwohnung", eine Tür, die in zwei leere Hörsäle führt, und eine Tür, die in den Erasmus-Raum und die Europa-Büros führt, die zwar im gleichen Gebäude liegen wie das Büro, was ich gesucht habe, von denen aus man aber intelligenterweise nicht direkt zum anderen Gebäudeteil gelangen kann, sondern wieder auf den Hof hinausdirigiert wird. Ein alter Mann, der herumsitzt und raucht, sowie zwei verplant wirkende Studenten, die herumstehen und rauchen, können mir auch nicht weiterhelfen. Ich wende mich schließlich an eine Frau, die vor der Tür zur Privatwohnung sitzt und raucht, und frage sie. Kurzerhand werde ich in die Privatwohnung hineindirigiert, die sich als das gesuchte Austauschamt entpuppt. Hurra!
Die Frau im Büro vom Asien-Austausch wirkt wie eine nette, strickende Tante. Es entspinnt sich folgender Dialog:
Ich: Guten Tag, ich wollte mich mal erkundigen, ob es Stipendienmöglichkeiten für ein Semester in Kyoto gibt, was im Studienplan vorgeschrieben ist.
Tante, in besorgtem Ton: Ja, da sind Sie aber hier ganz falsch, da bewirbt man sich direkt in der Japanologie, ich bekomm dann nur die Formulare am Ende und stemple alles ab.
Ich: Ja, das weiß ich auch, aber ich wollte mal wissen, wie das mit den Stipendienmöglichkeiten ist.
Tante: Nein, da hat die Uni wohl kein Geld für, aber ich rufe mal kurz die Kollegin an, die weiß sowas immer. (wählt die Nummer, hört dem Tuten im Hörer zu, macht wieder ein besorgtes Gesicht) Oh je, ich weiß gar nicht, ob die heute hier ist. Ich hab die heute noch gar nicht gesehen. Und gestern auch nicht. Vielleicht ist die ja krank. (Kollegin ist nicht krank und geht ans Telefon.) Oh hallo Doris! Ich hab schon gedacht, du wärst krank, ich hab dich ja gestern und heute nämlich gar nicht gesehen. (Kollegin plauscht. Tante lacht.) Im Ernst? (Kollegin erzählt und erzählt.) Ja, nein, wiiirklich? Hahahaha. Du, ich kann aber jetzt gar nicht eigentlich. (Kollegin schwallt und schwallt und schwallt in den Hörer.) Ja, die Jessica kommt nachher, brauchst du die denn? (Kollegin labert Tante einen Knopf an die Backe. Ich scharre irritiert mit den Füßen.) Ja, ich schick die dann zu dir runter, die wird sich bestimmt wundern, dass die dann so viel tun muss. (Kollegin kriegt den Mund nicht zu. Ich frage mich, wo ich eigentlich gelandet bin. Der Tante fällt wieder ein, dass ich da bin.) Du, ich hab ja aber eigentlich wegen was Geschäftlichem angerufen. Ich ruf dann zum Plauschen am Besten nachher noch mal an, ja? (erläutert meine Frage. Kollegin redet eine Stunde lang. Tante nickt immer wieder verständig in den Hörer.)
Ich: ...
Tante legt auf: Also, nee, da hat die Uni kein Geld für.
Ich: Ja, das weiß ich, aber ich wollte mich mal klug machen, was da meine anderen Möglichkeiten sind.
Tante: Ja, da würde ich Ihnen vorschlagen, das mal im Google einzugeben. "Stipendium", "Japan" und so.
Ich überlege, ob ich sie nach der URL von Google fragen soll, unterlasse das aber, da ihr die Ironie wahrscheinlich entgehen würde.
Tante: Es gibt ja irgendwie auch noch so Wirtschaftsstipendien. Aber vielleicht im Moment nicht, bei der Krise... (kichert wie über einen guten Witz)
Ich, leicht genervt: Ja, und können Sie mir über den DAAD noch etwas erzählen?
Tante: Ja, der macht sowas auch, ich hatte da mal irgendwo so ein Heft herumliegen. (schaut unter einem Blatt nach) Das hab ich jetzt aber irgendwie nicht mehr. Das liegt vermutlich im Nebengebäude aus, am Besten, Sie gehen da mal hin. Wissen Sie, wo das ist?
Ich: ...Ja, da hab ich mich vorhin schon hinverlaufen.
Ich liebe es, meine Zeit zu verschwenden.
dumm,
tübingen,
juli,
lustig,
uni