Hunger Games Tagebuch (31) - Katniss' Opfer

Dec 19, 2024 10:05





CN: Tod, Gewalt

Der letzte Akt des dritten Buches hat mir längere Zeit keinen Anlass zum Schreiben gegeben. Tatsächlich schreibe ich auch jetzt noch über den 2. Akt, denn mir fiel auf, wie sehr ich mich auf die anderen Tribute konzentriert habe und wie wenig auf das größere Bild.

Einigkeit

Ich habe die Arena und die Aussagen der einzelnen Tribute analysiert, was durchaus sinnvoll ist, aber ich bin damit Snows und Flickermanns Blick gefolgt, nicht den von Katniss.

Als ich vorgestellt werde, ist das Publikum schon völlig fertig. Die Leute weinen, einige sind zusammengebrochen, sogar eine Änderung des Programms wird gefordert. Als ich in meinem Brautkleid aus weißer Seide auftrete, bricht ein Tumult los. (S. 279)

Katniss‘ und Peetas Geschichte des „tragischen Liebespaares“ wird mit ihrer zweiten Teilnahme an den Hungerspielen ausgeschlachtet. Nicht nur, dass die Hochzeit nicht stattfinden wird, nein, die Wahl des schönsten Brautkleids findet trotzdem statt und Katniss selbst muss als Braut auftreten. Im Grunde verkündet das Kapitol, dass es selbst über der Liebe steht.

Die Interviews enden mit drei Ereignissen:

1. Katniss‘ Hochzeitskleid verbrennt zu „Asche“ und verwandelt sich in das Federkleid des Spotttölpels, dem Symbol des Widerstands.



2. Peeta verkündet die geheime Hochzeit und Katniss‘ Schwangerschaft. Damit unterläuft er Snows Pläne: Denn Snow wollte die Hochzeit zwar planen, aber letztlich niemals durchführen lassen. Peeta berichtet außerdem von einer Tradition aus Distrikt 12: Das gemeinsame Rösten des Brotes, wodurch die Ehe offiziell besiegelt wird. Damit verbreitet er eine Information, die anderen verborgen bleiben soll. Denn die Distrikte werden voneinander isoliert, sie wissen kaum etwas übereinander. Auf diese Weise kann man die Distrikte gegeneinander ausspielen („Distrikt 12 muss niemals frieren, Distrikt 11 leidet keinen Hunger…“). Das alles dient der Trennung.

Zweitens fingiert Peeta ein 25. Tribut, eines, das noch nicht einmal geboren wurde, was das Publikum zumindest verwirrt und bestürzt.

Diese Ankündigung ist so erschütternd, dass die Zusammenfassung der Interviews (wie absurd, wenn man bedenkt, dass jedes Interview ohnehin nur 3min lang andauert) gestrichen wird.

3. Katniss reicht spontan Cheff die Hand, was dazu führt, dass alle Tribute einander sich die Hände reichen und erstmalig Einigkeit seit den Dunklen Tagen (also dem Bürgerkrieg vor 75 Jahren) demonstrieren.

Das ist natürlich das Letzte, was Snow wünscht. Deswegen lässt er das Licht erlöschen.

Ich habe mir die Frage gestellt, ob ich nicht die Sprache des Kapitols übernehme, wenn ich von den Kindern als „Tribute“ spreche.

Ein Tribut ist der lateinischen Wurzeln nach, etwas Zugeteiltes, eine Steuer, die man den Staat entrichtet und die der Staat für den Krieg verwendet. Jene Völker, die vom römischen Reich unterworfen worden waren, sind verpflichtet, Tribut zu zahlen.

Da wir nun dank Snows Buch wissen, dass die Hungerspiele einen vom Kapitol kontrollierten Krieg simulieren (in dem das Kapitol immer siegt), können wir also ableiten, dass die die Distrikte die unterworfenen Völker sind und den Krieg, den das Kapitol führt, mit ihren eigenen Kindern „finanzieren.“

Katniss

„Wenn du ganz ehrlich sein sollst, dann glaubst du, dass Präsident Snow Anweisung gegeben hat, dafür zu sorgen, dass wir ohnehin in der Arena sterben.“

Mir fiel nach einem größeren zeitlichen Abstand beim xten Mal hören auf, dass Katniss ihren eigenen Tod für sinnvoll erachten wird.

Im ersten Buch ist es Katniss wichtig, zu überleben, damit sie für ihre Familie sorgen kann, denn sie misstraute ihrer eigenen Mutter, die sie bis an den Rand des Verhungerns im Stich gelassen hat. Prim wiederum war zu jung und zu sanft, um sich selbst zu versorgen.

Die Situation hat sich nun geändert: Prim ist schnell erwachsen geworden und assistiert sogar ihrer Mutter in medizinischen Angelegenheiten. Die Familie erhielt als „Belohnung“ für Katniss‘ „Sieg“ ein modernes Haus und regelmäßig Geld. Ich vermute, dass Snow diese monetäre Zuwendung einstellen wird und dass er dafür sorgen wird, dass niemand die Ungerechtigkeit an der Familie Everdeen erfahren wird. Aber Katniss hat die Gewissheit, dass ihre Mutter und Prim aus eigener Kraft überleben werden, sofern Snow nicht auch an ihnen ein Exempel statuieren wird.

Katniss ist davon überzeugt, zu sterben. Sie will ihren Tod nutzen:

Und zum ersten Mal habe ich Abstand zu meiner eigenen Tragödie, die mich seit der Verkündigung des Jubel-Jubiläums beschäftigt hat. (…) Ja, alle in den Distrikten werden mir zuschauen, um zu sehen, wie ich dieser Todesstrafe umgehe, mit dieser letzten Machtdemonstration von Präsident Snow. Sie werden nach einem Zeichen Ausschau halten, dass ihre Kämpfe nicht vergebens waren. Wenn ich deutlich machen kann, dass ich mich dem Kapitol bis zum Ende widersetze, dann wird man zwar mich getötet haben… nicht jedoch meinen Geist. Gibt es eine bessere Möglichkeit, den Rebellen Hoffnung zu machen?Das Schöne an dieser Idee ist, dass schon meine Entscheidung, Peeta zu retten, indem ich mein eigenes Leben opfere, einen Akt des Widerstands darstellt. Eine Weigerung, die Hungerspiele nach den Regeln des Kapitols zu spielen. Meine privaten Interessen sind im Einklang mit meinen politischen. (S. 271, Hervorhebung durch mich)

Sie sinniert anschließend darüber, dass ihr Gesicht besser als das einer Märtyrerin taugt, während Peeta die Menschen mit Worten mobilisieren kann.

Ich habe den langen Absatz zitiert, weil er zeigt, warum Katniss bereit ist, ihr Leben zu geben. Es ist nicht nur, dass sie sich Peeta verpflichtet fühlt und sich ein Leben ohne ihn nicht vorstellen kann, sie sieht in ihrem Tod die Möglichkeit, die Revolution zu stärken. Sie überdenkt ihre Position Schritt für Schritt und ist mit sich im Reinen.

Sie folgt damit auch Peetas Gedanken aus dem ersten Buch: Dass er nicht als Marionette des Kapitols sterben will.

Akt 2 endet damit, dass sie zusammen mit Cinna zur Arena transportiert wird und sie beide voneinander Abschied nehmen. Dann warten sie, ungewöhnlich lang. Schließlich wird Cinna vor Katniss‘ Augen zusammengeschlagen und blutend davon geschleift, während Katniss ihm nicht zu Hilfe eilen kann und schließlich von ihrem Podest hinaufgefahren wird.

Diese Aktion dient freilich einem doppelten Zweck: Cinna für das Brautkleid zu bestrafen, weil es sich in das Symbol des Widerstands verwandelt hat, und Katniss zu verunsichern und zu destabilisieren. Sie fragt sich, was ihm nach dieser brutalen Behandlung widerfahren mag.

Entsprechend desorientiert blickt sie sich um. Es dauert eine Weile, bis sie erkennt, dass es sich bei der Arena um Wasser handelt.

Ich kann kaum ausdrücken, wie ich Katniss' Entscheidung auf mich wirkt. Einerseits verstehe ich ihren Gedankengang auf einer rationalen Seite, aber dann stelle ich mich vor, wie es ist (auf brutale) Weise zu sterben, wie es ist, wenn der Überlebensinstinkt Überhand nimmt, und kann es nicht begreifen, wie sie bereits ist, ihr Leben zu geben. Dieser Horror, zu wissen, dass das eigene Leben gewaltsam ausgelöscht wird.

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