Dec 12, 2009 16:30
Die Entmachtung von Oligarchie und Kirche
Eine der Aufgaben, welcher sich Francia zu Beginn seiner Regierungszeit widmete, war die Bekämpfung jeglicher Art von Kriminalität, wodurch das Land bald zum Inbegriff von Ruhe und Sicherheit wurde. Viele Menschen aus den von Krieg und Anarchie beherrschten Nachbarprovinzen kamen, um in Paraguay
Zuflucht zu suchen.32
Gleichzeitig trachtete Francia danach, seine eigene Machtposition weiter auszubauen, denn noch waren seine Befugnisse nicht uneingeschränkt. Der Kongress hatte beschlossen, einmal jährlich zusammen zu treten, um zu Francias Arbeit Stellung zu nehmen. Im Übrigen oblag es dem Kongress, die Mitglieder des zukünftigen ‚Obersten Gerichtshofes’ zu ernennen. Mit der Errichtung des Gerichtshofes aber wäre die Judikative aus seinem Machtbereich herausgefallen. Um einer solchen Entwicklung zuvor zu kommen, begann Francia einige Wochen vor dem nächsten Kongress mit einer neuen Propagandakampagne.
Als der Kongress im Mai/Juni 1816 schließlich zusammentrat, argumentierten seine Anhänger, dass eine Amtszeit von fünf Jahren für die Durchführung aller in der jungen Republik notwendigen Maßnahmen zu kurz sei. Zudem konnte auf den bisherigen Erfolg der Regierungsarbeit verwiesen werden; Francia genoss in der Bevölkerung allgemeines Vertrauen.33 Der daraufhin formulierte Vorschlag, Francia mit einer lebenslangen Diktatur zu betrauen, stieß allerdings bei einigen Abgeordneten, darunter auch ein ehemaliger Anhänger Francias, auf Protest. Die
Opposition konnte sich gleichwohl nicht durchsetzen und so wurde Francia vom Kongress, an dessen Sitzung diesmal nur 150 Abgeordnete teilnahmen, zum Diktator auf Lebenszeit ernannt. Abschließend wurde von den Delegierten vereinbart, zukünftig nur noch, wenn Francia es für notwendig hielt, zu einem neuen Kongress zusammenzutreten - dies sollte jedoch bis zu seinem Tod im Jahre 1840 nicht der
Fall sein.
Zwar hatte Francia bzw. die Regierungsjunta schon ab 1812 Maßnahmen gegen die in Paraguay lebenden Spanier ergriffen, Francia hatte sich aber der spanischen Gemeinde gegenüber nicht offen feindlich gezeigt, war er doch zunächst auf ihre Unterstützung gegen die porteñistas angewiesen.34 Als er den Widerstand der porteñistas nicht mehr fürchten musste und mit uneingeschränkten Machtbefugnissen ausgestattet war, verschärfte sich das Vorgehen Francias gegen
die Oberschicht.
In den ersten Jahren seiner Regierungszeit brachte Francia die Wirtschaft unter seine Kontrolle und belastete die - in erster Linie - spanischen Kaufleute mit einer enormen Steuererhöhung. Überdies reorganisierte er das Militär, indem er das filiado-System, das sich aus traditionellen Eliteeinheiten zusammensetzte, der viele kreolische Aristokraten angehörten, abschaffte und die städtischen Militäreinheiten, die sich vor allem aus Angehörigen der niederen Gesellschaftsschichten zusammensetzten,
stärkte.35 Die Unzufriedenheit der von den Maßnahmen betroffenen Personenkreise
machte sich ab 1818 verstärkt bemerkbar und es kam zu einzelnen Festnahmen derjenigen, die ihre Kritik an der Regierung offen zum Ausdruck brachten.36 Dr. Francia war sich des Unmutes, den seine Politik in der Oberschicht hervorrief, bewusst und ließ ihm verdächtige Personen beobachten.
Im Februar 1820 kam es schließlich zu einer Verschwörung; in Folge der Aufdeckung der Verschwörungspläne wurden zahlreiche Personen der namhaftesten Familien verhaftet.
Einige Monate darauf bat José Artigas, berühmter Kämpfer für die Unabhängigkeit Uruguays (der damaligen Banda Oriental), in Paraguay um Asyl, da sein Leutnant Francisco Ramírez die Führung der Bewegung an sich gerissen hatte. Obwohl es in der Vergangenheit immer wieder zu Konfrontationen zwischen Francia und Artigas gekommen war, gewährte Francia das Asyl.37 Ramírez forderte daraufhin die
Auslieferung Artigas’. Da Francia dieser Forderung nicht nachkam, drohte Paraguay eine Invasion Ramírez’. Francia fürchtete nicht nur die Invasion, sondern schien auch von einer Verbindung zwischen Ramírez und den Verschwörern auszugehen.38
Im Juli 1821 ließ Dr. Francia die an der Verschwörung Beteiligten, unter ihnen sein ehemaliger Kollege Yegros, exekutieren.39
Eine Woche zuvor wurden unter Francias Anordnung sämtliche in Paraguay lebenden Spanier eingesperrt. Die meisten der 300 Inhaftierten sollten nach 18
Monaten ihre Freiheit zurückerhalten, mussten allerdings vorher eine hohe Geldstrafe entrichten. Wer nicht über die Mittel verfügte um die Strafe zu zahlen blieb in Haft.
Die meisten Spanier waren infolge des langen, unproduktiven Aufenthaltes im Gefängnis verbunden mit der hohen Geldstrafe ruiniert; die Dominanz der spanischen Elite war somit endgültig gebrochen.
Die Phase der Ausübung des offenen Terrors war 1823 vorbei, jedoch verblieben zahlreiche Gegner Francias bis zu dessen Tode im Gefängnis.40
Die Institution, die sich am längsten gegen den Diktator behaupten konnte, war die Kirche. Sie verfügte nicht nur aufgrund ihrer umfangreichen Besitztümer über hohes wirtschaftliches Gewicht, sondern übte auch großen Einfluss auf die Landbevölkerung aus.
Die Junta von 1811 bis 1813 hatte dieser Institution gegenüber eine ambivalente Politik verfolgt; zwar hatte sie die Autorität der Kirche im Jahre 1812 mit der Abschaffung der Inquisition gemindert, aber dennoch nicht versucht, die hohe Repräsentation des Klerus bei den in diesem Zeitraum stattfindenden Kongressen zu
verhindern.
Mit der Übernahme der Diktatur begann Francia den Einfluss der Kirche drastisch einzudämmen. Dabei richtete sich seine Abneigung nicht gegen die Religion, sondern gegen die katholische Kirche als Institution, welche einen bedeutenden Machtfaktor darstellte.
In seinem Bemühen, einen ihm gegenüber loyalen Klerus zu schaffen, enthob Dr. Francia einige spanische Priester ihrer Ämter. Als der Bischof Pedro García de Panés erkrankte, wurde er durch einen Dr. Francia ergebenen Generalvikar ersetzt.
Zuvor hatte der Diktator den Kontakt des paraguayischen Klerus mit ausländischen Geistlichen unterbunden und die Geistlichen in Paraguay dazu verpflichtet, der Regierung die Treue zu schwören.
Nach der Verschwörung von 1820 verschärften sich Francias gegen die Kirche gerichteten Maßnahmen. Infolge abnehmender Schülerzahlen löste er 1823 das colegio y seminario de San Carlos - zu diesem Zeitpunkt einzige öffentliche höhere Bildungsanstalt Paraguays, welche in erster Linie der Ausbildung der Geistlichen diente - auf.42
Ein Jahr darauf wurden alle Klöster in Paraguay aufgehoben und die Besitztümer vom Staat eingezogen.43 Der Staat, der seinen Reichtum durch die Einziehung des Kirchenbesitzes vermehrt hatte, verpflichtete sich daraufhin, für die Kosten der Kirche aufzukommen; so wurden beispielsweise die Gehälter der Pfarrer aus der Staatskasse gezahlt.44
Die Kirche war folglich immer mehr in die Abhängigkeit des Staates geraten und
hatte spätestens ab 1830 sämtliche Macht und jeglichen Einfluss verloren.