VIVA macht zum Jahresende 2018 zu

Jun 29, 2018 23:32

...Den aufmerksamen Beobachter wundert es, dass es eigentlich noch so lange gedauert hat.
Seit einigen Jahren co-geschalten auf einem Sendeplatz mit dem Comedy Central Kanal sagt es doch schon länger, dass das Publikumsinteresse in der Form nicht mehr so gegeben ist. In etwa einen halben Tag Sendezeit macht diese Kombination für VIVA noch aus, manche Serien (American Dad, Family Guy) wurden sich abwechselnd in den Jahren seit dem sowieso schon geteilt (mal hat der eine sie im Programm gehabt, mal dann der andere wieder).

An und für sich kann man diesen Verfall (mit diesem Resultat) zurückverfolgen hin zu der Übernahme durch Viacom 2004. Seit dem veränderte sich die Struktur von MTV und VIVA zueinander radikal - im Programm als auch, was später in der Zusammenlegung von beiden Gruppen und deren Sendern führte.
Die Voting-Shows hielten rigoros Einzug, über die Klingeltonwerbung will man mal lieber nicht reden, denn die wurde schon noch davor zum nervigen Dauerärgernis (wer sich noch an das komische tanzende lila Nilpferd erinnert... Bild zu sehen bei: Discogs).
Beim damals noch existierenden Sender VIVA Plus hat man die Sache noch einigermaßen kreativ gelöst, indem, dass man, zusätzlich zu denen vom Tage, in dem nur die aktuelle Musik Platz auf der Liste hatte, noch Voting-Shows mit Bezug zu einem Musikgenre laufen ließ, die abends ihren festen Sendeplatz an einem Tag in der Woche hatten. Das ermöglichte es noch, Videos außerhalb des Mainstreams zu senden, weil z. B. die wenigsten Songs aus dem Bereich Rock/Metal eine hohe Position in den Charts erreichten und dadurch zwischen den poplären Videos liefen. (Ausnahmen wurden seinerzeit z. B. "Nemo" von Nightwish oder etwas von Within Temptation)
Die Listen waren entsprechend gemischt, 100 Songs standen drauf (die hin und wieder mal auch ein Update erfuhren), viele waren Songs, die einem ohne Genre-Kenntnis unbekannt waren - es konnte auch wirklich eine ganze Nacht dauern bis man wirklich jeden Clip von der Liste ein Mal gesehen hatte.
Auch ein oder anderes älteres Video von einem Künstler konnte sich auf der Liste befinden neben dem aktuellen Song.
Einige Videos darunter wurden in der Retrospektive interessant, wenn entsprechender Künstler später doch mal einen Hit hatte und es darum ging "Was haben die noch außer dem einen Song gemacht?", auf was dann immer so selten eingegangen wird... (z. B. 3 Doors down - Gone; Hoobastank - Crawling in the Dark; Lordi - Devil is a loser (vor dem Grand Prix d'Eurovision Gewinn!))
Auch hatten diese Genre-Nächte einen Vorteil: Da sie erst später am Abend begannen, hatte man auch die Möglichkeit, Videos zu senden, die nicht den Altersfreigaben für das Tagesprogramm entsprachen.
Auch in dieser Hinsicht eine eher kreative Lösung der Vorgaben von oben.

Was auch in der ersten Zeit an Änderung im Programm stattfand, die als - rückwirkend - gar nicht so negativ einzustufen ist, war die Aufnahme von Animes ins Programm.
Es dürften so ziemlich alle in dieser Zeit gesendeten Serien später keine weitere offizielle Ausstrahlung mit breiterem Publikum mehr erfahren haben (zumindest nicht, dass man davon hörte).
Von daher, einem großten Teil Leuten, den solche Reihen wie "X - Die Serie", "Arjuna", "The Candidate for Goddess" oder "Hellsing" ein Begriff sind, insofern sie nicht schon vorher mit Mangas und Animes zu tun hatten, dürften sie eben genau daher kennen. - Trotz Nachmittagsprogramm-Zensur durch die Jugendschutzvorgaben (Hellsing und das Nazi-Zeug dürfte bekannt sein; X war stellenweise aber auch ziemlich blutig, nicht zu schweigen von der Filmversion, die mal ausgestrahlt wurde).
Später nahm sich MTV dem auch noch einmal an mit den Serien "Ghost in the Shell - Stand Clone Complex" und den nur im Nachtprogramm gesendeten "Gantz" und "Wolf's Rain" an, am Ende verschwand dies aber auch wieder und machte lediglich einen relativ kurzen Zeitabschnitt aus.

Parallel verschwanden leider aber viele der Musik-Themensendungen, in denen auch mal Gäste eingeladen wurden. Die letzte solcher Sendungen, die es dann noch gab, die das mit bediente, war MTV Home (die Sendung, wo Joko und Klaas mit ihrem Dauerwettbewerb mal angefangen haben), welche aber auch schon vor Jahren ihre Einstellung erfuhr - noch bevor MTV die Entscheidung fällte, 2011 zum PayTV-Kanal zu werden und VIVA lediglich als "Werbefenster" (!) für sich zu gebrauchen.
Dadurch verschwanden dann auch viele Moderatorengesichter aus dem Licht der Öffentlichkeit (bis auf diejenigen, die sich anderweitig verdingen konnten, siehe oben genannte plus Palina aus der selben Sendung, Markus Kavka, Nora Tschirner, Ulmen, Charlotte Roche, Stefan Raab, Oliver Pocher, Sarah Kuttner, zeitweise tauchen auch Collien Fernandes und Gülcan auch noch mal wieder irgendwo auf).

Auf MTV konnte man den hedonistischen "Ersatz" dafür beobachten durch Shows wie "Dismissed", "Room Raiders", Kuppelshows mit irgendeinem in Amerika prominenten Gesicht a la Art "Bachelor", Soaps über Promi-Ehen, "Punk'd", "Pimp my Ride", später dann auch Serien wie "Jersey Shore" und "The Hills".
Einzig vorteilhaft in Anfangszeit war, dass diese komplett unsynchronisiert und lediglich mit Untertiteln liefen, sodass man wenigstens noch Englisch dabei lernen konnte (wenn man denn wollte).
- Wem an dieser Stelle die Schamesröte und das Lachen im Gesicht steht, der wird "Making the band" mit O-Town, diverse Stadt-Ausgaben von "The Real World" und "The Osbournes" noch als Qualitätsfernsehen dagegen ansehen.
Wie immer, wird es auch so sein, dass dazwischen ein oder anderes Mal auch ein guter Griff war, z. B. "The hard times of RJ Berger" (welche auf Deutsch, zugegeben, auch professioneller synchronisiert war), "Fur TV", diverse spätere Zeichentrickserien ("Free for all", "Popetown" (weiß noch einer den Skandal darum? Das war noch, als Ratzingers Vorgänger war), "Drawn Together") -
Schade nur, dass dafür auch Urgestein-Serien mit aus dem Programm geflogen sind wie "Beavis & Butthead" oder "Daria", welche man seit dem eher vergeblich an anderen Stellen sucht ("Daria" insbesondere als Sammelobjekt auch ein kritischer Fall).

Was an Hand der Auflistungen allerdings schon deutlich werden sollte: Seit dem Aufkauf, hat sich, trotz einiger vorher heimischer Sendungen im Programm, der Fokus von Musik verschoben hinzu so etwas wie als wenn man einen Kanal für die Jugend aufziehen wollte oder sich an die gewöhnlichen Formen des Privatfernsehens anpassen wollte.
Zum Nachteil dessen, wofür diese Kanäle eigentlich mal da waren und was sie vorher als Jugendsender auch ganz gut ausgefüllt haben: Musik senden.
Durch den großzügigen Einhalt der Voting-Shows, was sich am meisten noch bei VIVA Plus wiederspiegelte, wurde es sehr kompliziert, Diversität abzubilden, ältere Videos noch zu zeigen (es sei denn eben über die kreativen Lösungswege mit den Shows unter einem bestimmte Genre, später gab es auch noch mal eine Sendung namens "X-rated" für Videos, die so tagsüber nicht laufen können), da sich zunehmend aller Fokus auf die aktuelle Musik fixierte und wenig Tiefgründigkeit abseits davon noch zuließ.
Ähnlich wie beim Tod des gewöhnlichen Radiosenders, wurde versucht, maximal an Kosten für das Musikprogramm zu sparen, sodass lediglich noch die Lizenzgebüren für die Musik übrig blieben, ein stetiger Berieselungskanal ohne Struktur sollte etabliert werden, mit dem man trotzdem irgendwie Geld verdienen kann.
Irgendwann fing man an, auch diese Musik noch weniger zu senden - eventuell, weil die Kosten für Lizenzen abseits der Promokopien und bezahlter Promotion so hoch wurden? - bis schlussendlich wirklich nicht mehr viel übrig blieb.
Bei VIVA Plus führte diese Strategie (man vergesse auch nicht die 9Live-ähnlichen debilen Anruf-Rateshows zur Nachtzeit gen Ende) schon 2007 zu Schließung - bzw., wie es heißt, zum Übergang in den heutigen Comedy Central (der, ähnlich vielem anderen, anfangs mit einigen ziemlich chaotischen und anarchistischen Sendungen anfing, die man seit dem auch nie wieder irgendwo gesehen hat, z. B. "Kargar trifft den Nagel" und "Join the Club" (u. a. mit "Kalle räumt auf" und "König Rolllo" (mit 3 L und nicht mit 2).

Jetzt kommt also VIVA, der Muttersender, dran, dieser "Fehlentwicklung", respektive "kommerziellen Ausschlachtung" (denn genau das war es ja) seinen tribut zu Zollen und zu verschwinden.
Irgendetwas ging bereits als Werbung rum, dass MTV ein Comeback in irgendeiner Form in Richtung Free-TV zu machen will oder schon tut - wie auch immer das dann aussehen mag.
Einzig kann man sich wohl sicher sein, dass der CC nicht wieder verschwinden wird, denn das Klientel, was er bedient, scheint er eher solide zu tun. Gerade auch Serien wie South Park, American Dad, The Cleveland Show (Family Guy is gerade auf Pro7 heimisch), ein oder andere klassischen Comedy-Serien aus Amerika, bei denen immer noch neue Staffeln erscheinen, die auch von niemand anderem bedient werden, dürften dem Sender noch so viel Quote bescheren, dass er seine Daseinsberechtigung behält.
Um es festzuhalten: Der scheint seine Nische gefunden zu haben und darin auch existieren zu können mit dem, was er hat.
Was dann stattdessen mit CC auf einen Platz geschalten wird, man wird es sehen. Irgendwas wird es sicherlich sein.
Die angekündigte Rückkehr von MTV ins FreeTV dürfte wohl auch stark mit der Entscheidung, VIVA einzustampfen zusammenhängen.
Warum sich ein "Programmfenster" leisten, was man eh nicht braucht, wenn man wieder Werbung für sich selbst machen will - oder gar ganz wieder von dem PayTV-Konzept zurücktritt?

Fest steht daran aber wohl eines: Wer einen Musiksender aufziehen will, selbst in der heutigen Zeit ist es immer noch möglich, es benötigt "lediglich" ein gutes Konzept, Leute, mit denen man es realisieren kann, und eine Tonne voll Geld, weil Lizenzgebühren für Musik- und Filminhalte in den vergangenen 20-25 Jahren so eine enorm attraktive Einnahmequelle für die rechteinhabenden Firmen geworden sind, dass die Preise dafür schier in astronomische Höhen gestiegen sind, im Vergleich zu früher.
Will man also Qualität senden statt nur einen unstrukturierten Haufen, oder den Kram, den man überhall nachgeworfen bekommt, muss man mit einer Menge Unkosten rechnen - einfach, weil die Zeiten sich dahingehend verändert haben.
Welches wohl der größte Faktor in dieser Geschichte sein wird...

Es wäre auf Grund dessen falsch zu sagen, in Anbetracht des Internets und diverser Streamingdienste für Musik, das Konzept Musikfernsehen hätte sich überlebt - nein, das stimmt so nicht. Ohne Empfehlungen, ohne Promotion, kennt niemand die Musik, die er kaufen würde. Jeder ist auf Hinweise angewiesen, wenn er irgendwas käuflich erwerben will.
Wenn man das Konzept so versteht, dann hat es sich auf keinen Fall überlebt.
Die Durchführbarkeit auf Grund des übermäßig gewachsenen Kommerz-Aspekts hat sich nur enorm verschlechtert, weil die rechteinhabenden Firmen gern das meiste mit ihren großen Projekten und Künstlern, die sie sich leisten, viel Geld verdienen wollen, weil sie in diese viel investieren - weil die rechteinhabenden Firmen auch risikoscheu geworden sind und mit dem wenigsten Einsatz den meisten Gewinn machen wollen, darüber hinaus unterschätzen sie immer noch das große Potential von kleineren Einheiten, die als großes Ganzes in der Masse auch Gewinn erzielen, und man misinterpretiert enorm wie der eigene Gewinn überhaupt zustande kommt; ohne Promotion, keine Verkäufe. Wenn man Leute schon regelrecht für die Werbung bezahlen lassen will, dann kommt man auf keinen grünen Zweig... Auch der Kunde fühlt sich in dem Punkt irgendwann verarscht.
Die beste Werbung ist immer noch, wenn sie natürlich rüberkommt, von Mensch zu Mensch, und nicht wie als wenn jemand dafür bezahlt wird, ein Produkt zu präsentieren, was er überhaupt nicht kennt. Fundierte Werbung, in Form von persönlichen durchdachten Empfehlungen, schaffen es am ehesten, jemanden von etwas zu begeistern, sodass er bereitwillig dafür Geld ausgibt.

Genau darum hat sich das Konzept mit Musikshows, einer Redaktion und einem Moderator, der sich in seinem Segment auskennt, überhaupt nicht überholt.

...Jetzt bleibt es dann also noch abzuwarten, wann MTV Germany ganz offiziell die Pforten schließen darf... Programmatisch lässt sich nachlesen, dass sie mittlerweile auch kein eigenes Programm mehr haben, sondern nur von der Schweizer Variante übernommen wird. Mal sehen, wie lang das noch gut geht...

(Obwohl man über Medienkonzerne wie Viacom auch nicht nur das Schlechteste sagen sollte - auch da wird gutes wie schlechtes fabriziert. Ein Beispiel dafür ist ein Film, der in bestimmten Kreisen früher einen unhinterfragten gewissen Kult-Status genoss, aber eben auch von Viacom mit produziert wurde: Bang Bang, you're dead)

deutsch, television, entertainment, ereignis, music, networks, media, trash, devil in disguise, system

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