Nach meinem DNF beim Zugspitz Supertrail XL brauchte ich dringend ein positives Lauferlebnis. Ob nun der nächste vorgesehene Lauf in meiner Jahresplanung dazu geeignet war, konnte man durchaus bezweifeln, denn da stand der Triple Marathon in meinem Kalender und angemeldet war ich auch schon. Also 5 Marathons in 5 Tagen zu laufen, war ja schon ein bisschen crazy. Aber um 3 Marathons an einem Tag mehr oder weniger hintereinander weg zu laufen, da muss man schon etwas (lauf)verrückt sein…
Nach den vielen begeisterten Berichten von der letzten Ausgabe war ich allerdings total überzeugt, ich müsse beim 3. Internationalen Triple Marathon ebenfalls mitmachen und habe mich dann in einem Anflug von Größenwahn einfach mal angemeldet.
„126,6 km Leidenschaft“ steht bei Holger auf der Homepage. Ich konnte einfach nur hoffen, dass der Schwerpunkt nicht auf dem ersten Wortbestandteil von „Leidenschaft“ liegt, dass es also kein Lauf ist, der Leiden schafft, jedenfalls nicht mehr als nötig.
Na ja, eigentlich war ich mit meiner Frust- und Zweifelverarbeitung noch gar nicht fertig, als der Triple immer näher rückte. Den hatte ich bis dahin erfolgreich verdrängt. Irgendwann ließ es sich aber nicht mehr ignorieren, der Triple-Tag nahte und meine Aufregung wuchs quasi stündlich.
Die sehr kurze Nacht in der Turnhalle in Eelde war abrupt zu Ende, als um drei Uhr das Licht anging und keinen Zweifel daran ließ, dass es nach einem frühen Frühstück gleich losgehen sollte. Der Bus brachte uns pünktlich zum Start und nach einigen kurzen Einführungsworten von Holger machte sich eine bunte Läuferschar auf den Weg für die ersten 42,195 km.
Bereits um fünf Uhr betrug die Temperatur an die 20 Grad, frieren würden wir also definitiv nicht. Die Strecke führte zunächst durch viele kleine beschauliche Orte in Holland. Das hat mir sehr gut gefallen. Dann konnten wir auf dem platten Land den Sonnenaufgang bewundern. So ein früher Start hat doch seine Vorteile.
Nach etwas mehr als einer Stunde erreichte ich zusammen mit Günter und Jens den ersten offiziellen Verpflegungspunkt. Dort gab es ein Buffet mit allem, was das Läuferherz begehrt, betreut von so netten Helfern. An dieser Stelle ein großes Dankeschön für Eure Mühen, Eure Ausdauer und die vielen aufmunternden Worte!!! Das hat so gut getan.
Dann ging es auch schon weiter. Die Sonne stieg höher und heizte uns bereits mal ordentlich ein. Aber wir waren gut versorgt auf der Strecke. Die Leute vom Roten Kreuz hatten die ganze Zeit ein Auge auf die Läufer. Auch an Euch geht mein Dank. Es tat einfach gut zu wissen, dass ihr die ganze Zeit auf uns aufpasst habt!
Zudem waren da immer die Radbegleiter, die mit aufmunternden Worten, einem Schluck Wasser oder Cola und aufmerksamen Blicken immer da waren, wenn man sie brauchte und das auf den ganzen 126,6 km. Ihr ward einfach spitze!
Die beschauliche Landschaft und die netten Gespräche ließen die Zeit wie im Flug vergehen und nach 4:31:57 h erreichte ich mit Jens und Günter das erste Marathonziel des Tages. Zur Belohnung gab es ein Bändchen ans Handgelenk und es blieb mir ausreichend Zeit für eine Dusche und ein zweites Frühstück.
Während ich so mein Brötchen aß und mir ein alkoholfreies Bier gönnte, kam mir in den Sinn, dass das Ganze doch sehr crazy ist. Normal wäre es, nach einem Marathon bei solchen Temperaturen zufrieden mit seinem Tagewerk zu sein und die Füße für den Rest des Tages hochzulegen und die Sonne im Liegestuhl zu genießen.
Hey, es war noch keine elf Uhr und wir hatten schon einen Marathon intus. Aber nein, Laufrucksack schnappen und ab in den Bus zum Start von Etappe Nr. 2. Bevor ich mir so richtig Gedanken darüber machen konnte, wie verrückt das gerade war, kam schon das Signal für den Start und der Tross setzte sich wieder in Bewegung. Erstaunlicherweise lief es sogar richtig gut, die Beine brauchten gar nicht so lange, um wieder ins rollen zu kommen. Wahnsinn.
Noch vor dem ersten Verpflegungspunkt überliefen wir die Grenze zurück nach Deutschland. Inzwischen hatte die Sonne noch einige Stufen hochgeschaltet und es wurde schwülheiß. Die Strecke war jetzt nicht mehr so abwechslungsreich.
In der sengenden Hitze auf den langen Geraden kamen mir doch gewisse Zweifel, warum ich das mache. Eigentlich war mir das gerade alles zu viel, warum muss ich mich auch nur immer auf solch bekloppte Abenteuer einlassen? Diese Frage geisterte durch meinen Kopf. Ich machte ein Memo an mich selbst, so etwas in Zukunft doch zu unterlassen. Ich hatte das Gefühl, mein Hirn würde gerade gekocht, ebenso wie meine Füße auf dem kochenden Asphalt…
Ich hatte unverkennbar in den Quengelmodus geschaltet. Was hilft dagegen, na klar ein Verpflegungsstand und eine ordentliche Ladung Cola. Der zweite Verpflegungsstand bedeutete ja auch Halbzeit, und zwar für diesen Marathon sowie für das gesamte Abenteuer. Und schon waren meine Lebensgeister wieder geweckt. Und prompt liefen sich die nächsten Kilometer schon wieder viel besser. Die letzten zehn Kilometer zogen sich und ich wollte einfach nur einigermaßen zügig (wobei der Begriff zügig hier mal wirklich sehr dehnbar ist) ins Ziel kommen. Die Vorstellung einer erfrischenden Dusche und ein Teller Pasta hielten mich auf Trab.
War ich auf dieser Etappe lange alleine unterwegs, gesellte sich auf den letzten zwei Kilometern Dennis zu mir und wir finishten Marathon Nr. 2 in 4:58:06 h. Zur Belohnung gab es ein weiteres Bändchen ums Handgelenk. Ich war einfach nur Happy im Ziel zu sein. Dass ich noch einen dritten Marathon vor der Brust hatte, habe ich einfach mal ausgeblendet. Irgendwer erzählte mir etwas von erster Frau, aber diese Information konnte mein von der Hitze durchgekochtes Hirn nicht wirklich verarbeiten. Dusche und Pasta waren meine Gedanken, die ich dann schnell umsetzte, denn ich hatte immerhin eine ganze Stunde Pause, Luxus.
Nach dem Ausziehen der linken Socke kam eine enorme Blutblase am linken Fuß zu Vorschein, das hatte ich beim Laufen nicht wahrgenommen. Ups, das war nicht geplant, aber half ja nix. Aufstechen, abtrocknen, abkleben und hoffen, dass es hält. Inzwischen machte sich dort auch Schmerz bemerkbar. Na super, da konnte ich aber keine Rücksicht drauf nehmen. Also Socken an, Schuhe an, und ab zum Essen.
Dort fand ich einige weitere gezeichnete Helden. Für viele Teilnehmer war nach dieser Etappe Schluss. Die Hitze hatte ihren Tribut gefordert. Mir war zwar nicht klar, wie ich mit dem schmerzenden Fuß wieder loslaufen sollte, aber es war klar, diesmal war DNF wirklich no option, denn ich wollte das Triple.
Da allerdings für Marathon Nr. 3 ein sehr großzügiges Zeitlimit existierte, ich keinen Downhill im Dunkeln zu befürchten hatte, konnte ja nix passieren und wenn ich auf allen Vieren Richtung Ziel gekrabbelt wäre.
Dann war die Pause auch schon wieder vorbei. Der Bus brachte uns zu Start Nr. 3. Inzwischen war es 17 Uhr, d. h. wir waren 12 h mit Unterbrechungen unterwegs. Countdown und los. Ich humpelte dem Feld hinterher. Das konnte ja noch heiter werden, denn in diesem Tempo, würde ich erst in Ewigkeiten ankommen. Frank ging es ähnlich. Immer wieder versuchten wir anzutraben und mussten doch lachen, denn zu obskur war die ganze Situation. Das konnte man keinem Nichtläufer erklären, was wir hier gerade veranstalteten.
Doch nach den ersten rumpeligen Kilometern kam ich doch tatsächlich wieder auf Touren und konnte längere Phasen laufen. Irgendwann hatte ich einen Rhythmus von 5 Minuten laufen/1 Minute gehen gefunden und beim Laufen wieder so etwas Ähnliches wie Tempo entwickelt. Wer hätte das gedacht, der Fuß tat nicht mehr weh, die Strecke war schön, der erste Verpflegungspunkt des letzten Marathons Geschichte. Es begann wieder Spaß zu machen. Es war kaum zu glauben, ich rollte das Feld von hinten auf und freute mich über jeden geschafften Meter. Immer wieder stand nun auch Marion an der Strecke und sorgte für Motivation.
Bei Kilometer 16 war ich ganz ergriffen, hier waren 100 km geschafft. Weiter war ich bislang noch nie gelaufen, jetzt kam Neuland, lächerliche 26 km noch bis zum Ziel. Das Ganze war einfach so verrückt. Immer wieder geisterte mir eine Liedzeile durch den Kopf: „Hätten wir einmal keine Angst gezeigt, wären wir heute vielleicht schon vor uns selbst in Sicherheit. Wir wären so leicht, so weit gekommen. Wir wären unsere Helden gewesen …“ (Jan Josef Liefers, wer sonst :-)) Ich beschloss, dass es Zeit für Helden und „weitkommen“ war und diese Liedzeile begleitete mich auf den nächsten Kilometern.
Dann kam auch schon die letzte Halbmarathonmarke. Bei der Verpflegung fiel es mir immer schwerer etwas zu essen, trotzdem versuchte ich es. Zudem musste Flüssigkeit rein in den Körper, und zwar möglichst viel. Das Laufen ging zwar noch (schönes Wortspiel oder? :-)), wurde aber definitiv nicht leichter. Immer wieder spielte ich mit dem Gedanken doch nur zu gehen, doch dann verdoppelt sich die Zeit bis zum Ziel und ich wurde müde und wollte einfach nur liegen und schlafen. Also versuchte ich möglichst viel zu laufen. Permanente Überforderung zwischen den Extremen von Können und Wollen.
Es wurde langsam dunkel und ich erreichte den letzten Verpflegungspunkt. Inzwischen war ich ziemlich fertig und hätte mir auch gut vorstellen können, mich einfach hinzusetzen und nicht wieder aufzustehen. Aber noch treibt uns alle Zeit der Welt durch Tag und Nacht voran, das war schließlich mein Motto. Dementsprechend ließ ich mir eine Warnweste geben, setzte mir meine Stirnlampe auf den Kopf und versuchte mal was ganz Verrücktes. Ich lief einfach mal schneller und oh Wunder, es funktionierte. In gefühlt atemberaubendem Tempo kämpfte ich mich durch die aufziehende Dunkelheit. Und tatsächlich sah ich auf der langen Geraden eine weitere Weste vor mir auftauchen und sie kam näher, ganz langsam aber näher.
Die Vorstellung, die letzten Kilometer nicht alleine im Dunkeln laufen zu müssen beflügelte mich. Ich lief auf Dennis auf, der von Svenja auf dem Rad begleitet wurde. Ihre aufmunternden Worte taten so gut. Wir liefen eine Weile gemeinsam und bogen irgendwann ab nach Wardenburg. Hier führte die Strecke über eine Art Kopfsteinpflaster. Wir waren inzwischen bei Kilometer 40 angelangt. Mich überkam die Angst, hier zu stolpern, darum legte ich noch eine letzte längere Gehphase ein und Dennis und Svenja entfernten sich wieder, aber jetzt war es tatsächlich nicht mehr weit.
Bei Kilometer 41 fing es an zu plästern und ich konnte die Streckenmarkierung im strömenden Regen kaum mehr erkennen. Schlagartig schaltete ich wieder in den Quengelmodus, doch bevor ich mich da großartig reinsteigern konnte, tauchte dann der Zielbogen vor mir auf. Die Uhr zeigte 5:33:58 h an, so deutlich unter 6 h, wer hätte das gedacht. „Erste Frau“, tönte es mir entgegen, doch ich konnte diese Information nicht mehr würdigen. Für einen kurzen Moment strömte eine Mega-Euphorie-Welle durch meinen Körper. Überglücklich ließ ich mir das dritte und letzte Bändchen überstreifen.
Und in dem Augenblick fiel alle Anspannung von mir ab. Ich hatte einmal keine Angst gezeigt, war vor mir selbst nicht mehr in Sicherheit. Bin zwar nicht so leicht, aber dafür sehr weit gekommen.
Dann übermannte mich die totale Erschöpfung. Duschen und Zähneputzen hatte ich gerade eben noch geschafft, dann ließ ich mich auf die Turnmatte in meinen Schlafsack fallen und war binnen Sekunden in einen komaähnlichen Schlaf gefallen.
Was dann kam, weiß ich nur vom Hörensagen. Ich habe tatsächlich meine Siegerehrung und Franks 100sten Marathonzieleinlauf verschlafen und damit für allgemeine Erheiterung gesorgt. Aber die tollen Pokale, sagenhafte vier an der Zahl, bekam ich zusammen mit einer Flasche Sekt beim Frühstück nachgereicht.
Ganz ehrlich, mit dem übergestreiften Triple Shirt, den drei Bändchen am Handgelenk und den Pokalen in der Hand den Sieg genießen, ist ein ganz tolles Gefühl. Mein erster Triple Marathon und dann gleich gewonnen in 15:04:03 h. Dieses Glücksgefühl trage ich noch heute mit mir rum. :-)
Holger hat nicht zu viel versprochen, 126,6 km Leidenschaft, besser kann man es nicht ausdrücken. Von ursprünglich 68 Startern haben 32 alle drei Marathons gefinisht und ich bin happy eine davon gewesen zu sein. Erstaunlich, was trotz der Wetterbedingungen möglich war und dass ist insbesondere der perfekten Organisation und den tollen Helfern zu verdanken. Ich kann Euch nicht genug danken. Ihr habt dazu beigetragen, mir zu einem Lauferlebnis der ganz besonderen Art zu verhelfen!
Für die Statistik, es waren für mich Mara/Ultra Nr. 58, 59 und 60 im perfekten Rahmen gewesen. Ich schwebe noch ein Weilchen auf Wolke sieben und freue mich auf die 100 Meilen von Berlin.
Denn noch treibt uns alle Zeit der Welt durch Tag und Nacht voran…