Titel: Hab keine Angst!
Fandom: FIFA WM 2010 lol
Pairing: Capdevila/Lahm, Capdevila/Torres
Rating: PG (→ R)
Summary: Seit dem Spiel am 7.7.10 ist Jogis Wunschkapitän nicht mehr derselbe. Also ergreift der Trainer die beste Möglichkeit, die sich ihm bieten will, und das ist Capdevilas Privatunterricht.
Sie hatten wegen eines Freundschaftsspiels in einem kleinen Hotel übernachtet. Zumindest war das Joachims Fassung gewesen. Letztendlich hatte die Mannschaft aus unerfindlichen Gründen abgesagt und nun hatten sie noch eine Nacht gebucht. Das war kein Grund dem verlorenen Geld nachzuweinen. Im Gegenteil, sein Plan war schließlich aufgegangen. Außer Jansen und Ballack hatte niemand Verdacht geschöpft.
Joachim lehnte neben den Aufzügen an der Wand, den Blick auf den Eingang zur Bar gerichtet. Frühmorgens wurde noch nichts ausgeschenkt, aber er hatte sich mit dem Kellner unterhalten, der auch gestern Nacht gearbeitet hatte. Was er gehört hatte, war mindestens beunruhigend.
Ein Rumpeln, dann ging der Aufzug auf. Lahm, die Schultern vorgeschoben, den Kopf gesenkt, trat in die Halle. Er blickte sich um, als ob er jemanden suchen würde. Joachim pfiff und hob die Hand.
Lahm reckte den Hals und kam auf Joachim zu. „Chef? Ist das dein ernst?“ Seine Augen waren noch immer verquollen. Nach der Feier letzte Nacht überraschte das Joachim nicht, aber er wollte es nicht immer wahrhaben. Seit dem großen Verlust im Sommer war besonders sein nun-mag-ich-doch-nicht Kapitän ziemlich abgestürzt. Wann immer sich die Gelegenheit bot, feierte er und das mehr als es ein Sportler sollte, egal in welchem Alter.
„Ich habe dieses Treffen veranlasst.“ Joachim verschränkte die Arme vor der Brust.
„Was soll ich denn bei Capdevila?“
„Das wird er dir dann schon erklären“, sagte Joachim und tätschelte Lahms Schulter. Die väterliche Geste schien dem jungen Spieler nicht zu schmecken. Er presste die Lippen zusammen und wandte sich ab. „Du sollst stärker werden als er, aber dazu musst du erst einmal erkennen, wieso die Spanier so stark spielen.“
„Ja, Chef“, sagte Lahm und verließ die Eingangshalle.
Nun musste er seine Hoffnungen und sein Vertrauen ganz in Capdevila setzen. Er wusste, dass der Spieler des Öfteren einschüchternd auf andere wirken konnte. Aber genau darum ging es schließlich. Lahm durfte sich nicht mehr einschüchtern lassen und auch der Rest der Mannschaft benötigte die Erkenntnis, dass Respekt und Angst nicht ein und dasselbe waren. Wenn ihr zukünftiger Kapitän dies ausstrahlte, so Joachims Strategie, dann würde auch der Rest der Mannschaft, der dies nicht aus eigenem Verständnis herausgearbeitet hatte, diese neue Einstellung annehmen und sie würden das nächste Spiel gegen das Wespennest Spanien gewinnen.
Andererseits konnte der Plan auch nach hinten losgehen - ob Capdevila ein genauso fähiger Lehrer wie Spieler war, das musste sich erst noch zeigen. Joachim hatte das Treffen auf gut’ Glück angesetzt. Er war überrascht gewesen, wie enthusiastisch Capdevila zugesagt hatte. Da die Chancen auf eine baldige Besserung zu rosig waren um einen Rückzieher zu machen, hatte Joachim es bei dem Termin belassen.
Heute Abend, spätestens morgen Früh, würde sich dann zeigen, ob es etwas gebracht hatte.
*
Joan erinnerte sich noch gut an das Spiel am siebten Juli. Es hatte ihn enttäuscht. Er hatte die deutsche Mannschaft im Vorfeld eingehend beobachtet. Sie konnten gut spielen, allesamt, und er hatte sich auf eine echte Herausforderung gefreut. Eine technische Herausforderung, keine die aus heiterem Himmel aufgrund von plötzlichem Glück über sie hereinfiel.
Doch die Deutschen hatten nicht gezeigt, was sie konnten. Joan hatte die stumme Enttäuschung und Verzweiflung in den Gesichtern der älteren Spieler sehen können. Nur wenige der Jüngeren hatten sich nicht von seinem spanischen Topteam verschrecken lassen. Vielleicht, so hoffte er, würde er heute herausbekommen, weswegen sich die Deutschen verhalten hatten wie unfähige Jugendligaspieler.
Er gähnte einmal ausgiebig, dann stand er aus dem bequemen Sessel auf. Er legte das Buch beiseite, das er gestern Abend angefangen hatte zu lesen - Coelhos „Der Alchemist“ - und verabschiedete sich von seinem Zimmerkollegen Torres, der noch immer mit dem Kopf unter den Kissen, aber dem Hintern nackt in die Höhe gestreckt, im Bett lag und schlief.
Sie wollten sich zunächst in einem kleinen Bistro treffen um zu frühstücken. Joan grinste bei dem Gedanken, dass falls sich die Ängstlichkeit des Spiels heute wiederholen sollte, ihm Lahm wahrscheinlich in Ohnmacht fiel statt etwas zu essen. Er hatte nicht vor, ihn gleich von Anfang an auf die Probe zu stellen, aber wer wusste schon, wie Lahms aktuelle Verfassung war. Soviel er von Löw gehört hatte, war er selbst nach drei Monaten immer noch verwirrt und ertränkte seinen persönlichen Verlust in eher unsportlichen Cocktails.
Joan schlenderte durch die Straßen. Kaum eine Menschenseele war schon draußen, dabei war es jetzt noch angenehm kühl. Für später hatte man eine Hitzewelle angekündigt. Aber nun gut, nach dem gestrigen gewonnenen Match schliefen wohl alle noch aus. Joan lief lächelnd an einem kleinen Geschäft vorbei, das verschiedene Fanartikel der spanischen Mannschaft verkaufte. Es hatte schon geöffnet und der ältere Herr an der Kasse wirkte putzmunter. Joan winkte ihm zu, verwarf aber die Idee, Lahm ein Geschenk zu holen.
Das würde den Jungen unter Umständen nur noch mehr aus dem Konzept bringen. Er fragte sich mit Sicherheit schon, was er überhaupt bei Joan wollte. Je nachdem, wie weit Löw den Jungspieler eingeweiht hatte, würde es eine unerwartete Begegnung werden. Löw wollte, dass Joan mit Lahm ein 1-gegen-1 Trainingsspiel machte. Joan hatte aber andere Ideen. Er leckte sich die spröden Lippen feucht. Etwas, das Lahm mit Sicherheit weiter bringen würde, ganz im Gegensatz zum Training.
Technisch war er ja schon gut, wenn auch sicher noch ausbaufähig. Man hörte nie auf, letzteres zu sein. Nein, nein, Lahm brauchte etwas ganz anderes.
Joan schob die Hände in seine Jeans und wartete darauf, dass die Ampel von Rot auf Grün sprang. Die letzten paar Spiele der Deutschen waren nicht schlecht gewesen. Er hatte sich ein paar angesehen. Schade, dass der alteingesessene Ballack nun doch nicht den Platz für Lahm hatte räumen müssen. Man merkte ihm, ähnlich wie vielen anderen Spielern während der WM, sein Alter nun deutlich an. Möglicherweise hatte es ihn deprimiert, nicht mitmischen zu können. Joan seufzte bei dem Gedanken. Man musste früher oder später einmal aufhören und den Jungen das nötige Vertrauen schenken. Das fiel nicht allen leicht, aber den Deutschen schien es besonders schwer zu fallen.
Noch während er diesen Gedanken nachhing spähte Joan durch die dunkle Scheibe des Bistros. Lahm saß an einem Tisch in der Ecke und rührte mit einem Trinkhalm in etwas herum, das entweder ein bunter Proteinshake oder ein Tequila Sunrise war.
Joan schüttelte den Kopf und drückte die Klinke der Eingangstür herunter. Die Klingel schellte und er winkte den Besitzern des Bistros zu. Er kannte sie schon seit er ein kleiner Junge war, wobei sie ihn wohl besser kannten als er sie. Immerhin konnten sie auf eine längere Erinnerung zurückblicken. Wie auch immer.
„Buenos dias!“
Lahm sah von seinem Getränk auf. Definitiv kein Proteinshake. „Morgen“, sagte er leise.
Joan nahm ihm gegenüber Platz. „Schon gefrühstückt?“, fragte er auf Englisch. Ein wenig Deutsch konnte er, aber gerade genug, um jemanden zu beleidigen oder sich beim Schiri mehr schlecht als recht zu verteidigen, wenn es denn einmal sein musste. „Hier gibt es hervorragende belegte Toasts.“
Lahms Blick war leer. „Mh.“ Er schielte zur Bedienung, eine ältere Dame mit einem Lächeln das nur minimal schmaler war als ihr Hintern. „Von mir aus.“
Gut, bisher wirkte er nur abwesend, nicht nervös. Womöglich lag das daran, dass er, soweit Joan das aus Lahms Gesicht ablesen konnte, gestern mit den Spaniern mitgefeiert hatte. Dass er gleich wieder etwas Alkoholisches zu sich nahm war ungünstig, aber Joan plante ja nicht, mit ihm Bolzen zu gehen. Insofern kommentierte er das Trinkverhalten des Deutschen nicht. Anstatt dessen streckte er den Arm aus und zog das Glas zu sich. Er schloss die Lippen um den dicken Halm und saugte dreimal kräftig.
„Lecker.“ Er grinste Lahm an. Von dem Tequila Sunrise war nicht mehr als der Bodensatz übrig geblieben. „Und jetzt Toast.“ Er winkte die Bedienung an den Tisch und gab, ohne weiter zu fragen, für sie beide eine Bestellung auf.
„Ich zahle“, sagte Joan.
Lahm klappte den Mund auf und wieder zu. Er nickte. „Meinetwegen.“ Begeistert klang er nicht, aber Joan hatte auch noch nicht mit dem Spezialtraining angefangen.
Die Bestellung kam zehn Minuten später schon an den Tisch geliefert. Zwei große Teller mit riesigen Toastscheiben, zwischen denen viel zu viel Butter mit gehaltvollem Speck, Salatgurken und einem dicken Joghurtdressing lag. Joan schnitt seinen Toast in zwei Hälften und biss summend ein großes Stück ab. Er kaute mit vollen Backen und beobachtete Lahm.
Der kämpfte mit dem übergroßen Frühstück. Er arbeitete konzentriert daran, den Toast in handliche Stücke zu schneiden, ohne allzu viel Dressing verlaufen zu lassen. Joan runzelte die Stirn. Das war ein ziemlich unmögliches Vorhaben, aber als Joan sein Stück schluckte, war Lahm mit seiner Arbeit fertig. Es waren nur wenige Dressingtropfen auf dem Teller gelandet.
Joan sah von dem Teller auf zu Lahm. Sein Mienenspiel war leicht zu lesen und es erstaunte Joan, wie unheimlich ruhig Lahm sich den ersten Bissen zwischen die Zähne schob. Als ob das, was er gerade getan hatte, nicht beachtlich gewesen wäre. Die meisten Menschen, die probiert hatten, Mafaldas Toasts zu zerschneiden hatten recht schnell einen großen Dressingklecks auf der besten Bluse. Lahm war vollständig sauber geblieben.
„Also.“ Joan räusperte sich und pickte ein paar Krümel aus seinen Mundwinkeln. „Was hat dir dein Trainer gesagt? Jogi nennt ihr ihn, richtig so?“
Lahm kaute angestrengt auf einem Streifen Speck. „Wir nicht, aber die Fans.“
„Aha“, sagte Joan und leckte sich die Finger ab. „Also?“
„Er meinte nur, dass ich das von Ihnen erfahren werde.“
Joan entging nicht, wie Lahms you klang. Er wollte dem Älteren gegenüber höflich sein? Joan lachte leise auf. „Dann ist ja alles in bester Ordnung.“ Somit hatte sich Lahm wohl selbst Gedanken gemacht, wenn er denn nicht zu verloren in ihnen gewesen war, um überhaupt auf irgendwelche Ideen zu kommen. „Dann lass uns erstmal in Ruhe aufessen. Danach sehen wir weiter.“
Lahm nickte und griff sich den nächsten kleinen Quader von seinem Teller. „Gut.“
Während Lahm in völliger Stille aß, war Joans Blick stets auf ihn geheftet, auch wenn er hin und wieder mit Mafalda über dieses und jenes sprach, oder von einem der anderen Gäste beglückwünscht wurde. Lahm wurde von niemandem erkannt, oder von allen ignoriert. Abgesehen von dem deutschstämmigen Besitzer des Bistro, der sich scheinbar nicht traute, um ein Autogramm zu beten, würdigten die Menschen Lahm keines Blickes.
Vielleicht aber auch, weil Joan ihn die meiste Zeit über so konzentriert ansah, als ob er etwas Teuflisches plante. Was, wie Joan schmunzelnd überlegte, ja im Grunde genommen nicht völlig verkehrt war.
*
Lahm lief schweigend neben ihm her. Joan hatte ihm erlaubt, wenigstens den Cocktail zu bezahlen. Womöglich hatte Lahm ein schlechtes Gewissen wegen dem morgendlichen Umtrunk. Was nicht falsch war. Unausgesprochene Vorwürfe hingen durchaus in der Luft, aber zumindest von Joans Seite aus beeinflussten sie die Atmosphäre nicht negativ.
Umso näher sie dem Fußballplatz kamen, desto unruhiger schien Lahm zu werden. Er lief in weiten Bögen, was nicht großartig auffiel, da sie langsam liefen, doch Joan war in der Abwehr: wenn ihm so etwas nicht mehr auffiel, dann konnte er seine Karriere gleich an den Nagel hängen.
Er stieß Lahm in die Rippen. „Achtung, gleich bist du auf der Straße.“
„Oh“, sagte Lahm und ging die letzten paar hundert Meter geradeaus, aber dafür mit den Händen in den Hosentaschen und hochgezogenen Schultern. Er war bleich, aber er hatte ja etwas gegessen. Joan befürchtete daher nicht, dass er ins Koma fallen würde.
Außerdem war es ja nicht seine Absicht, mit ihm Fußball zu spielen. Joan begleitete Lahm in die Nähe des linksseitigen Tors und lehnte sich an den Pfosten. „Hier habe ich als Kind immer gespielt.“
Lahm hob den Kopf und sah sich um. Wenigstens hatte Joan schon einmal sein Interesse wecken können. Ein gutes Zeichen. Also weiter.
Er legte den Kopf schief. „Fußball war und ist meine Leidenschaft.“
Lahms Schultern rutschten noch ein Stück weiter hoch. Gleich würden sie seine Ohren berühren. Joan verdrehte die Augen. Er machte einen Schritt auf Lahm zu und legte ihm die Hände an die Oberarme. Lahm trug ein T-Shirt, und das meiste, was Joan berührte, war nackte Haut. Ein blauer Fleck prangte an der Stelle, wo Joans linker Daumen lag. Er hielt sich zurück und drückte nicht zu.
Mit geweiteten Augen sah Lahm zu ihm auf. Die meisten Deutschen waren größer, dachte Joan, aber der Bistro-Besitzer hatte ihm vor der WM damals die Warnung mitgegeben: „Lieber klein und zackig als groß und dappig“. Letzten Endes hatte das bis auf das Halbfinale auch gestimmt, was Joan immer noch sauer aufstieß. Er hatte ein richtiges Match gewollt, nicht das, was er dann präsentiert bekam.
Die in ihm aufsteigende Wut sorgte dafür, dass Lahm zusammenzuckte; nun hatte er doch auf das Hämatom gedrückt. Lahm rührte sich jedoch nicht, versuchte nicht einmal, einen Schritt zurückzugehen oder Joans Hände weg zu schieben.
Das erinnerte ihn wiederum an das Spiel vom siebten Juli. Joan seufzte tief. „Entspann dich“, sagte er.
Lahm biss sich auf die Unterlippe. Über seinen buschigen Augenbrauen hatte sich Schweiß gesammelt. Bei den milden Temperaturen konnte der nur unbegründet sein. Joan wartete noch einen Moment auf eine Antwort, bekam aber keine.
Genau wie damals.
Joan stieß Lahm zurück, bis der Junge gegen den gegenüberliegenden Pfosten knallte. Der Aufprall presste die Luft für einen Atemzug aus seinen Lungen und seine Augen wuchsen auf eine beträchtliche Größe an. Joan blieb direkt vor ihm stehen, ein kleiner Schritt weiter und sie wären aneinander geklebt.
„Entweder du zeigst, was du kannst, oder du tust, was ich sage.“
Er konnte quasi aus nächster Nähe sehen wie Lahms Zunge austrocknete. „Ich…“, fing er an, doch Joan stieß ihn erneut.
„Also tust du, was ich dir sage.“
Lahm sah ihn mit offenem Mund an. Obwohl keine Uhr in Sichtweite war und Joan nicht den Blick senken wollte, um auf seine Armbanduhr zu sehen, war er sich ziemlich sicher, dass eine halbe Ewigkeit verging, bis Lahm endlich etwas sagte und ihn nicht bloß anglotzte.
„Ja?“
TBC
A/N: Da das hier wahrlich aus der Reihe tanzt, veröffentliche ich es hier und nicht in meinem Creative Journal. Ich bin sonst auch wirklich kein RPS-Fan, aber dieses verdammte Spiel gestern. Und
das!! Ist seit langer Zeit übrigens wieder die erste Story, die ich auf Deutsch schreibe. XD Ist irgendwie ganz angenehm.