Leben wir in einer Demokratie?

Aug 03, 2023 07:45

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Nachdem ich vor ein paar Tagen die Demokratiekritik Platos vorgestellt habe kommen wie nun zu unserer Lebenswirklichkeit. Im Video wird anhand des Beispiels der USA erklärt, warum man sie nicht "Demokratie" nennen kann.

Im Grunde genommen ist es ganz einfach: Demokratie bedeutet "Volksherrschaft" - alle bestimmen und entscheiden. Mit all den Vor- und Nachteilen, die das mit sich bringt. Das tun wir nicht. Alleine schon, die Wirtschaft aus den demokratischen Prozessen auszunehmen bedeutet, weite Teile unseres Lebens außerhalb demokratischer Strukturen zu verbringen.
Die alte Bundesrepublik erkannte das, vor allem auch die Rolle des Kapitalismus bei der Entstehung und während des Nationalsozialismus und implementierte Kontrollmechanismen wie Betriebsräte - allgemein die Betriebsverfassung, in der das Verhältnis von Arbeitnehmern und Arbeitgebern geregelt ist. Was aber nicht geregelt wird ist das Verhältnis von juristischen Personen/Eigentum und der Gesellschaft: "Eigentum verpflichtet" ist die Formel des Grundgesetzes, welche im Grunde so gelebt wird, daß Eigentümer Steuern zahlen und erweiterten Pflichten nachkommen müssen. Das Ahlener Programm der CDU wie auch die Programme der SPD und selbst der FDP zogen deutlichere Lehren aus dem 3.Reich und wollten das Eigentum/Kapital viel strenger reglementieren. Doch noch vor der ersten Wahl zu einem Bundestag wurde diese Chance vertan und die CDU (auf Druck der Besatzungsmächte?) änderte ihren Kurs hin zu einer marktwirtschaftlichen Ausrichtung. Die sogenannte soziale Marktwirtschaft, die basierend auf §14 des Grundgesetzes das Eigentum verpflichtet, dem Gemeinwohl zu dienen wurde immer weiter verwässert bis hin zu Merkels "Sozial ist, was Arbeit schafft".  Eine zynische Verkehrung der Absicht hinter diesem GG-Artikel.
Damit war die Chance, die der Neuanfang nach dem zweiten Weltkrieg geboten hätte, zerstoben. Auch der real existierende Sozialismus hatte schon unter Lenin und Stalin seine Schwächen offenbart, inklusive der heute blödsinnigerweise als Völkermord an den Ukrainern  behaupteten Zwangskollektivierung der Landwirtschaft, die zu Hungersnot und unzähligen Toten geführt hat.
Die Umstruktuierung der gesamten Wirtschaft hin zu einer Wirtschaft, die für den Bedarf und nicht den Gewinn produzieren sollte hat in jedem Fall praktisch versagt. Auch in der EU, deren Landwirtschaftspolitik genauso planwirtschaftlich organisiert ist. Oder in Deutschland, wo die Ausbildung an den Universitäten den Bedarf nie trifft. Das Problem dabei ist, daß der Bedarf in einer beliebigen Zukunft nur geschätzt werden kann und diese Prognosen viele Abhängigkeiten haben, so daß jede Störung unkalkulierbare Seiteneffekte haben wird. Es wird trotzdem versucht. Und grade die aktuelle grüne Dominanz hat ein Faible für Planwirtschaft entwickelt. Die Erfahrung lehrt: sie wird scheitern.

Alle diese sozialistischen Modelle gehen auf eine Staatstheorie zurück - also einen starken Nationalstaat, der verwaltet werden muß. Und sich dann aufgliedert.
Also eine staatliche Verwaltung herrschaftlicher Aufgaben - zu denen im Sozialismus auch die Wirtschaft gehört, im kapitalistischen System in einer Marktwirtschaft wird die Wirtschaft dort ausgenommen. Mischformen sind die Regel. Reagan, Thatcher, Kohl haben die Bereiche, die sie als herrschaftliche Aufgaben ansahen, immer weiter reduziert und die Kontrolle weiter Teile in privatwirtschaftliche Obhut gegeben: Post, Bahn, Banken, ... selbst das Gesundheitswesen und die Infrastruktur. Wir sehen, was passiert. Die Formel "Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren" verharmlost den desaströsen Effekt dieser Politik. Grund des Versagens ist die fehlende (demokratische) Kontrolle von Unternehmen, die nun mal ihren Eigentümern gegenüber verpflichtet sind und nicht der Allgemeinheit.

In der Schweiz funktioniert das noch vergleichsweise gut, da man dort den Service Public hat, der privatisierte Staatsunternehmen auch zu unwirtschaftlichen Dienstleistungen zwingt. Doch auch in der Schweiz schließen die Postfilialen.

Um nun Demokratie wirklich zu leben, hat man in der Schweiz ein gutes Muster. Dabei gilt, daß Entscheidungen möglichst nah am Betroffenen getroffen werden sollten. Denn nur so schafft man eine Chance zur demokratischen Teilhabe. Prinzipiell alles im Gemeinwesen muß zum Gegenstand eines demokratischen Prozesses werden können. Institutionen sind dabei der Feind der Demokratie, weil sie Prozesse einengen. Andererseits braucht man Regeln, auf die man sich verlassen kann. Wer nicht weiß, was ich meine, versuche heutzutage eine Hotline anzurufen - die freundliche Roboterstimme zu überwinden strapaziert schon die Geduld der Meisten. Wenn man dann noch die Bürokratie durchlaufen muß, in der die Zuständigkeit immer weitergeleitet wird ("I am not invented here"), wie sie in Asterix bei der Bearbeitung des Formulars A38 wunderbar dargestellt wird, bekommt eine Vorstellung von dem, was ich meine.

Wer sich interessiert kann sich mit Henri Levebre beschäftigen, der - allerdings auf Städte reduziert - eine Ordnung angeregt hat, die man wirklich demokratisch nennen könnte. Dieser Gedanke versagt aber bei Aufgaben, die man nicht Dezentralisieren kann, zum Beispiel Landesverteidigung oder wenn es um die Produktion von beispielsweise Medikamenten geht. Auch so etwas wie Universitäten lassen sich kaum auf kommunaler oder noch feingliedriger organisierter Ebene betreiben. Hier müßte man sensibel organisieren, wobei man den Kostenfaktor oder Synergien keinesfalls als ausschlaggebend betrachten darf. Diese hoheitlichen Aufgaben dürfen nicht nach Kostengesichtspunkten betrachtet werden - die Frage ist: Braucht unsere Gemeinschaft das? Das Gemeinwesen entscheidet dann über die Realisierung (das wäre hierzulande der Tod von Genderstudies und Gleichstellungsbeauftragten, vermute ich). Womit wir bei dem Problem einer direkten Demokratie wären: Genderstudies und Gleichstellungsbeauftragte dürften einer Mehrheit überflüssig erscheinen. Aber wenn nun beispielsweise die BILD gegen Zigeuner oder Migranten hetzt braucht es einen Bereich, der dem Plebs nicht zugänglich ist. Also Bereiche, die nicht zugänglich sind - Menschenrechte zum Beispiel. Oder die Spielregel, nach denen Entscheidungen getroffen werden.
Wie kann dieses System auf gesellschaftliche Veränderungen reagieren? Hier sehe ich auch das Volk in der Pflicht.

Mir ist sehr bewußt, daß das hier natürlich nur eine Skizze ist. Eine Idee. Die aber auf einer kritischen Auseinandersetzung mit einer inzwischen offensichtlich pervertierten Wirklichkeit basiert, die anderenorts faktisch nicht stattfindet.

Wer mitnimmt, daß wir nicht in einer Demokratie leben hat schon viel gelernt. Wenn sich jemand sonst noch Gedanken um eine demokratische Gestaltung unserer Welt macht - Juhu! Dann freue ich mich!

2023, philo, thomas mental chaos, gedanken, die krise der westlichen welt, schweinschen schlaus weisheiten

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