In der vergangenen Woche wurde ich zurechtgewiesen, weil ich Wörter wie "exaltiert" in meinem aktiven Wortschatz habe. Ich schätze, ich kann damit leben.
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Budapest. Okay. Ich spreche kein Wort Ungarisch. Für diesen Charakterfehler wird man in Ungarn schwer bestraft, denn es existiert dort kein einziges Lebensmittel, nicht einmal importierte Milkaschokolade, wo die Zutaten in irgend einer anderen Sprache als Ungarisch draufstehen. Auch an den Bildern auf der Packung kann man sich schwer orientierten, denn: ist auf der Schmelzkäse-Umverpackung vorne eine Paprika abgebildet, befindet sich drinnen etwas abartiges wie Schinkengeschmack. Gut ist es, mit Nichtvegetariern zu reisen!
Auch Securities kann man auf Englisch, Deutsch, Französisch und Russisch anquatschen und erhält jedesmal einen vernichtenden Blick. Mal abgesehen davon, dass mein eigenes Russisch über "Sprechen Sie Russisch?" nicht wesentlich hinausgeht, ist das entmutigend. Aber ich greife vor.
Wir kamen, packten aus, wurden aufgegessen von Mücken. Derweil befanden wir uns auf einem klitzekleinen Zeltplatz - d.h., drei Zelte, und alles unsere - auf einer Halbinsel, die so ungefähr zwischen der Insel, wo's Sziget drauf stattfand, und dem Festland direkt an der Donau lag, daher die Mücken. Einschneidendstes Erlebnis: eine Nacht, in der man von der einen Seite von Korn zugeplärrt wurde und von der anderen mit ungarischer Volksmusik aus einem Lokal. Aber wir hatten Ohropax!
Merkwürdige Sitten. Ich meine, ich bin - Neubauten-Fangirl - bestimmt nicht empfindlich gegenüber Lautstärke, aber wir haben Lokale gefunden, in die ich mich nicht reingetraut hab, weil mir die Ohren schon dreißig Meter vorm Eingang abzufallen drohten. Interessante Sache.
Ab Sonntag hatten wir dann Tageskarten fürs Sziget. Sziget heißt "Insel" und war auch auf einer Insel, und auf diese Insel sind wir denn auch umgezogen. Wenn ich richtig gerechnet habe, befanden sich auf der Insel im Übrigen ungefähr fünfzigtausend weitere Menschen mit Zelt. Ist das schon hardcore? Zumindest ist es relativ hart. Erst räumt man dringend benötigte Quadratmeter auf dem Zeltplatz von dem unappetitlichsten Müllberg ever frei (und findet dabei Visitenkarten aus Deutschland. Thanks, fuckers!), anschließend steht man eine Viertelstunde an, um sich die Hände zu waschen.
Oy, und die Dixieklos. Es ist erstaunlich, was für Toiletten man zu akzeptieren imstande ist, wenn man drei Tage lang auf Dixieklos angewiesen ist.
Irgendwie ist aber immer noch Sonntag. Latin_doll geht hin und sieht The European Band, welche sehr Ten-Sing-artig wirkt, d.h., jeder darf mal. Einer davon ist ziemlich doof, der singt "This is music for the movement", ganz große Dichtkunst, die Frau danach, aus Irland, ist aber wirklich richtig gut.
Franz Ferdinand, die waren sozusagen Hauptereignis vom Sonntag, die haben wir uns vom Rande angeschaut, aber diese Leinwände, die sind ja bescheuert, da kann ich ja genausogut fernsehen. War recht nett. Anschließend haben wir, glaube ich, irgendwie versucht, uns zu ernähren, und zwar mit dem winzigsten Falafel der Welt. War aber lecker. Anschließend zu Sportfreunde Stiller gegangen.
Die Sportfreunde - tja. Ein Zelt, darin versammelt ausnahmslos alle deutschen und deutschsprachigen Festivalbesucher. War ein gutes Gehüpfe, aber grauenvoller Sound, d.h., der Bass war okay und der Rest zu laut, aber dafür hat man ja Ohropax, right? Beim Hüpfen fliegt das Ohropax aber gelegentlich raus, und die merkwürdigen Blicke der ungewaschenen Massen muss man auch irgendwie in Kauf nehmen. Geht aber alles zu ertragen. Nicht so ästhetisch: Menschen in Polyesterhemden, bzw. deren umherfliegende Schweißtropfen. Ich empfehle Baumwolle. Saugstark und atmungsaktiv!
Die Sportfreunde waren aber tatsächlich unterhaltsamer, als ich das erwartet hatte, und hatten sogar gute Lieder, also, ein paar.
Tag danach war Nick-Cave-Tag und ich lief mit Grinsen und, wie angekündigt, mit Neubauten-T-Shirt über die Insel, d.h., Neubauten-Top. In pink. Dies tat ich allerdings nicht lange, denn das Wetter war auf einmal haargenau wie back home in Sachsen, soll heißen, really fucking cold, und ich zog eine grüne Jacke über mein Neubauten-Top.
Bei Nick Cave traf ich dann auf einen Österreicher, der einen Ledermantel über seinem Neubauten-T-Shirt trug, den sprach ich t-shirt-halber zunächst mal auf Englisch an und wurde nach Aufklärung bezüglich Herkunft den schönen Satz "To be honest, I understand your English better than your German" los. Dann waren da noch mehr Österreicher. Nette Österreicher!
Nick Cave hat sich die Interaktion mit dem Publikum im Wesentlichen erspart, bis aufs "Thank you"-Sagen, und wirkte ein wenig wie auf Durchreise. Hübsch waren allerdings die Songankündigungen, die, wenn sie stattfanden, grundsätzlich das übernächste Lied ankündigten. Das führte zu "This is a song about a big rain", was nach Bandprotesten zu "This is a song about a big ship" wurde. Auch nett: ein leicht verpeiltes "I have to go over to the piano to start the song".
Richtig nett: "Just make it sound fucking noisy", was an einen Tontechniker o.ä. gerichtet war und die Tontechnik des Festivals im Wesentlichen zusammenfasste. Wobei, bei Nick Cave war's ja nun grade gut, da stand ich ohne Ohropax und litt nicht.
Was hat er gespielt? Lassmalsehen, ähem: Get Ready for Love, Hiding all away, Messiah Ward, There She Goes My Beautiful World, Nature Boy, Breathless, Supernaturally, O Children, und von den älteren Liedern Tupelo, The Mercy Seat (immer wieder schön), Deanna (welches zwischenzeitlich zu "Oh happy day" mutierte), The Weeping Song (Putzig. Fünfzehn Jahre und Nick kann den Text immer noch nicht), The Ship Song (und zwar die schönste Version vom Ship Song, die ich kenne und ich hab in meinem Leben, glaube ich, sieben Stück gehört, und ich mag das Lied eigentlich überhaupt nicht so sehr, aber - äh, wow?), Red Right Hand, Stagger Lee, Come into My Sleep, und, äh, ich glaube, das war's. Und jetzt zerbrech ich mir aber den Kopf, welches das letzte war. Wird mir sicher noch einfallen.
Und wir haben einen neuen Fan! Dies ist das Schicksal, das Mitgeschleppten auf Nick-Cave-Konzerten droht.
Inzwischen ist auch schon wieder Dienstag auf der Insel. Dienstag gibt's die Beatsteaks und wir hüpfen. Die blauen Flecken hab ich jetzt noch. Die Beatsteaks sind auch richtig richtig gut und können sogar Englisch. Die Securities lassen die Crowdsurfer runterfallen bzw. geleiten diese an den Rand und drohen mit Rausschmiss, denn Crowdsurfen ist ja verboten. Die Securities sind überhaupt etwas unflexibel.
Gleich im Anschluss gibt's The Hives, und ich hab selten einen einzigen Menschen derartig viel Schwachsinn reden hören wie den Sänger dieser Kapelle. Es ist grauenvoll. Man möchte die ganze Zeit "Shut the fuck up" in Richtung Bühne rufen, denn wenn der Sänge nicht grade die Großartigkeit seiner blöden Hives unterstreicht, geht ja tatsächlich die Post ab. Also, im Publikum. Die Musik der Kapelle ist ja schon eher langweilig, aber das Gehüpfe ist intensiv, und ich darf mich mal wieder von einem Ohropax verabschieden. Dann tritt mir ein blöder Crowdsurfer in den Kopf, weil der's lustig findet, beim Crowdsurfen alle zu treten, der wird dann ein paar Meter weiter vom Himmel geholt von jemandem, den eben dies in, ähem, nicht sehr friedfertige Stimmung versetzt hat, und, ja. Öde war's bei den Hives.
Im weiteren Verlauf des Abends ist dann irgendwie ein Drittel unserer Reisegruppe verloren gegangen auf einem etwas gewalttätigen Konzert, da bekamen wir dann Gelegenheit, eine Tour durch Erste-Hilfe-Zelte zu machen und Securities in vier Sprachen anzuquatschen, von denen sie keine verstanden. Nur zwei Stunden später haben wir das Drittel dann auch wiedergefunden. Hab ich erwähnt, dass man auf der Insel von einem Ende zum anderen eine halbe Stunde latscht? Oh, und regnen tat's auch.
Am nächsten Morgen wurden wir dann von der Insel geschmissen, weil das Hüpfereignis zu Ende war. Es regnete immer noch. In gute Laune versetzt von der freundlichen Weckaktion durch die Securities, gruben wir unsere Zelte aus dem Schlamm aus und liefen die paar Kilometer zum Ausgang.
Ich muss hier jetzt fertig werden, da will einer an den Computer, also: noch zwei Nächte Hostel, der einzige Satz warme Sachen irgendwie schlammig, und die Hälfte unserer Reisegruppe schaffte es, dank abgebrochenen Auspuffs mit dem Auto mitten auf der Freiheitsbrücke liegenzubleiben. Ein Wunder, dass wir nicht zu Alkoholikern wurden. Aber schön war's.
Postkarten gab's keine. Wo doch der einzige trockene Platz unser Zelt war und man im Zelt Zustände kriegt. Nächstes Mal.