Franz Kafka: Die Verwandlung

Aug 01, 2011 12:04

Diese Novelle ist so großartig. Es gibt ja viele bekannte Werke der deutschen Literatur und um ehrlich zu sein, was ich bis jetzt gelesen habe, halte ich für Schund, aber diese Erzählung … mein Gott, sie ist so gut.
Ich glaube, die Handlung ist den meisten Deutschen (Menschen?) zumindest in Grundzügen bekannt … es geht um den viel reisenden Händler Gregor Samsa, der eines Morgens erwacht und feststellt, dass er sich in einen Käfer verwandelt hat. Die ganze Novelle über wird nicht aufgeklärt, warum, als Protagonist und als Leser hat man sich schlicht damit abzufinden. Im weiteren Verlauf der Erzählung werden die Konsequenzen dessen aus Gregors Sicht, aber ohne Ich-Perspektive geschildert. Er verliert seine Arbeit, was die verschuldete Familie in immense finanzielle Nöte zu stoßen scheint (erst später tauchen nicht unerhebliche Ersparnisse auf) und seine Schwester Grete ist fortan diejenige, die sich um ihn kümmert, ihn füttert und sein Zimmer aufräumt (was von Gregor als Zeichen der Zuneigung aufgefasst wird, allerdings nutzt Grete diese Situation aus, um quasi ihr Ansehen bei ihren Eltern zu verbessern, die sie für eher nutzlos hielten). Gregor nimmt mit der Zeit immer mehr „tierische Züge“ an, er verweigert frische Nahrung, kriecht über Wände etc. Er kann nicht mit den anderen kommunizieren, aber er kann sie verstehen - was diese allerdings nicht wissen.
Im Laufe der Erzählung vernachlässigt die Familie Gregor immer mehr. Er isst nicht mehr und seine Schwester achtet nicht darauf, sie ist nachlässig beim Aufräumen und die Wohnzimmertür, die abends immer offen war, damit Gregor zumindest passiv am Familienleben teilhaben konnte, bleibt immer öfter geschlossen - auch wegen der Untermieter, die zwecks Sicherung der finanziellen Lebensgrundlagen aufgenommen wurden. Nach einem Zwischenfall mit diesen Untermietern beschließt die Familie - Grete allen voran - man müsse es irgendwie loswerden, sie könne es nicht als ihren Bruder ansehen, mag nicht einmal seinen Namen vor dem Insekt aussprechen. Gregor hört dies und stirbt abgemagert in der gleichen Nacht.
Die Novelle endet mit einem Familienausflug, bei dem optimistisch über die Zukunft sinniert wird.

Es ist so gut.
Ich gebe zu, diese Erzählung lebt sehr von Interpretation. Für sich genommen, nüchtern betrachtet ist das nichts. Nicht einmal als Unterhaltung taugt sie wirklich, der Leser bleibt distanziert und es wird keine Spannung aufgebaut.
Allerdings bietet sie eine immense Fülle an Interpretationsmöglichkeiten. Mit gefällt die von Vladimir Nabokov gut, der für sich annahm, die Erzählung handle von einem Künstler. Natürlich werden wir niemals erfahren, was Franz Kafka selbst sich dabei gedacht hat und ich finde es respektlos zu behaupten, „der Autor wollte uns definitiv das und das damit sagen“, vielleicht wollte der uns auch gar nichts sagen und hatte einfach Lust, 'ne nette Geschichte zu schreiben (wovon ich grundsätzlich immer ausgehe). Trotzdem sehe ich diese Erzählung für mich persönlich als eine Allegorie auf das Leben eines psychisch kranken oder auch behinderten Menschen und ich denke, diese sicher ziemlich verbreitete Interpretation ist auch der Grund dafür, dass dieses Werk beispielsweise in der schwarzen Szene dauernd rezipiert wird (man denke nur an Bands wie Gregor Samsa oder Samsas Traum). Wie viel Empathie muss man als Schriftsteller auch haben, um allen Ernstes das Leben eines Käfers glaubhaft beschreiben zu können. Abgesehen von dem offensichtlichen - man wacht jetzt nicht alle Tage als Käfer auf - finde ich die Handlung sehr realistisch. Da ist der Ekel, mit dem man Gregor begegnet, seine zunehmende Akzeptanz seiner neuen Identität, seine Isolation, seine anfängliche Naivität oder Hoffnung, seine Verwandlung sei nur vorübergehend, et cetera (was auch alles sehr für meine Interpretation spricht, ich finde sie wirklich logisch). Auch seine zunehmende Verwahrlosung und seine Hingabe. Er möchte bei seiner Familie bleiben, obwohl diese sich vor ihm ekelt und ihn quasi verkümmern lässt. Er könnte auch einfach rausgehen und ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit führen, aber er tut es nicht. Ihm kommt nicht einmal der Gedanke. Er erkennt auch erst später und nicht völlig, dass seine Schwester ihn wahrscheinlich nicht aus Zuneigung versorgt (er wundert sich, als sie zunehmend nachlässiger wird), vor allem da er vorher ein sehr gutes Verhältnis zu ihr hatte, was ich als sehr menschlich empfinde.
Im großen und ganzen ist es dieser Realismus der Erzählung und die Betrachtung ihrer als Allegorie, was sie für mich persönlich so großartig macht. Ich habe kurz bereut, sie nicht schon vor Jahren gelesen zu haben, denn ich kenne sie seit Jahren, aber ich bin mir auch sicher, dass ich sie nicht so hätte wertschätzen können wie heute.
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