Jul 23, 2008 14:35
Liebes Tagebuch
25. Eintrag
Liebes Tagebuch
Magst du Ameisen? Ich nicht!!!! Sie bevölkern ganze Wiesen, kriechen manchmal ungebeten in Häuser und krabbeln überall herum. Gut, dagegen kann man was tun. Backpulver streuen zum Beispiel. Aber was macht man, wenn man eine Ameise im Ohr hat??
Ich lag gemütlich in meiner Hängematte zwischen zwei Zwetschgenbäumen. Es summte und brummte überall, die Sonne schien und die Vögel zwitscherten. So weit so gut. Meine Gedanken kreisten um so wichtige Dinge, wie: was esse ich zu Abend? Soll ich mir meine Zehennägel lackieren? Habe ich noch genügend Abführmittel im Haus? Eben ganz lebenswichtige Überlegungen.
Zunächst bemerkte ich dieses Kribbeln im Ohr überhaupt nicht. Es juckte nur etwas. Ich bohrte automatisch meinen Finger in den Gehörgang, stocherte ein bisschen. Das Kribbeln nahm nicht ab. Es wurde sogar ein lautes Knacksen daraus. Kribbeln und Knacksen im Ohr. Hmm...vielleicht bildete ich mir das auch nur ein? Ich versuchte es zu ignorieren. Klappte aber nicht.
Es kitzelte und juckte immer mehr. Das Knacksen wurde lauter. Gut, im Nachhinein würde ich sagen, die Ameise wollte sich dort drin häuslich niederlassen. Ich hätte auch schwören können, ein leises Kichern zu hören. Aber zurück zum eigentlichen Problem: Ameise im Ohr. Natürlich wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass ich einen ungebetenen Gast in einer meiner Körperöffnungen hatte. Es war einfach nur ein unangenehmes Kitzeln, welches sich immer mehr verstärkte.
Langsam war ich genervt und wollte aus der Hängematte klettern. Prompt verhedderte ich mich darin und plumpste mit einem leisen “UFF!” wie ein nasser Mehlsack schmerzhaft ins Gras. Toll, Helen. Ganz toll. Jetzt hatte ich einen schönen, fetten Grasfleck auf meiner neuen weißen Hose. Und noch immer ein Kribbeln und Knacksen im Ohr. Auf einem Bein, hüpfend wie Rumpelstilzchen, versuchte ich, so wie wenn ich Wasser im Ohr hätte, das lästige Gefühl loszuwerden. Es half nichts. Noch immer war das Geräusch da. Und wurde stärker. Meine Geduld näherte sich ihrem Ende, ich bekam Panik.
Und was macht man wenn man in Panik ist? Richtig! Schreien. Also schrie ich erstmal hysterisch. Nützte aber nichts. Nur, dass sich die Fenster in der Nachbarschaft öffneten und ein paar neugierige Köpfe zum Vorschein kamen. Manche tippten sich an die Stirn und schlossen dann das Fenster wieder, andere guckten amüsiert zu, wie ich meinen Rumpelstilzchentanz fortsetzte. Ich sah sogar den Hausmeister, der sich eine Tüte Chips und eine Dose Bier geholt hatte, seinen Campingstuhl auf dem Balkon zurecht rückte und sich das Schauspiel aus erster Reihe ansah.
Ich hätte ihn erwürgen können!! Anstatt mir zu helfen, griff er in die Tüte und mampfte genüsslich seine Chips. Na warte, wenn ich erstmal dieses Knacksen und Kribbeln los war, würde ich mich auf ihn stürzen. Aber jetzt konzentrierte ich mich zunächst wieder auf das eigentliche Problem: Die Ameise - von der ich ja noch gar nicht wusste, dass es eine Ameise war. Ich heulte und tobte, schrie um Hilfe und dachte, ich würde verrückt werden, weil diese Geräusche im Ohr nicht nachließen.
Endlich näherte sich ein Retter in der Not. Aus verschwommenen Augen sah ich eine Gestalt, die sich raschen Schrittes näherte. “Halt endlich mal still!” wurde ich barsch aufgefordert und kam dieser höflichen Bitte doch tatsächlich für zwei Sekunden nach, bevor ich panisch rief: “Ich hab was im Ohr!!! Hol es raus!”
“Du hast was am Gehirn. Das tickt nicht richtig....” kam die prompte Antwort. Ich spürte zwei starke Hände, die mich festhielten. Und die Stimme kam mir auch bekannt vor. Aber gut, das war jetzt nicht weiter wichtig. Wichtig war nur einzig und allein, dieses blöde Krabbeln aus meinem Ohr zu bekommen. “Du sollst still halten!” Jemand packte meinen Kopf, hielt ihn so in die Sonne, dass mein Ohr von den Strahlen beleuchtet wurde und Einblick in den dunklen Gehörgang bot. “Da ist was drin. Warte ich hol was.” Und schon verschwand mein Retter, ließ mich in meiner Angst allein zurück. Verdammt, woher kannte ich die Stimme? Sie war mir sehr vertraut. Aber da ich nicht den Mut hatte, meine fest zusammen gekniffenen Augen zu öffnen, musste ich wohl noch länger raten, wer mir da zu Hilfe kam.
Endlich war mein Freund und Helfer zurück. Ich wollte schon erleichtert aufseufzen, als mich ein stechender Schmerz durchzuckte. Er hatte mir ein Wattestäbchen bis zum Anschlag ins Ohr gerammt. Ich taumelte und schlug mit dem Kopf gegen den Baumstamm des Zwetschgenbaumes. Sternchen tanzten vor meinem Auge, bevor ich für ein paar Sekunden das Bewusstsein verlor. Als ich meine Lider flatternd zu öffnen versuchte, sah ich in zwei strahlend blaue Augen und ein teuflisches Grinsen. Das muss ein Traum sein, dachte ich und zwickte mich in den Arm. Autsch! Nein, es war kein Traum.
Jake stand vor mir, hielt triumphierend das Wattestäbchen in die Höhe, wackelte damit vor meinen Augen herum. “Ich hab sie erwischt” prahlte er und zeigte mit dem Finger auf die zerquetschte Ameise am weißen Wattekopf. Ich konnte dazu nichts sagen. Mein Ohr schmerzte, mir war schwindelig und noch dazu hatte ich eine Beule an der Stirn.
Noch immer grinste Jake, stützte mich jetzt aber und führte mich ins Haus. “Schätze, jetzt sind wir quitt. Du hast versucht mich mit Muscheln zu vergiften und ich habe dich mit einem Wattestäbchen k.o. gesetzt.”
Er brachte mich zum HNO-Arzt, wo ein Bluterguss und eine Entzündung im Ohr diagnostiziert wurden. Ich kam Tropfen und Antibiotika verschrieben und wurde in Jakes Obhut entlassen.
Zuhause fragte ich meinen Immer-Zur-Richtigen-Zeit-Am-Richtigen-Ort-Retter, warum er überhaupt gekommen war. Ich dachte, er würde mich nie wieder sehen wollen, nachdem mein Muschelattentat beinahe Erfolg gehabt hatte. Jake meinte lächelnd: “Ohne dich ist mein Leben ziemlich langweilig. Darum wollte ich dir noch eine Chance geben. Und wie es der Zufall wollte, kam ich genau im richtigen Augenblick. Ohne mich bist du verloren, Helen. Du brauchst mich. Wie sonst hättest du die Ameise aus deinem Ohr bekommen?” Er küsste mich zärtlich auf meine Lippen, verschloss jeden aufkeimenden Prostet mit seinem Mund.
Ich war im Himmel. Seufzte selig und dankte still der armen Ameise, die ihr Leben lassen musste. Jake war nicht nur ein Fröschlein-Mörder, nein er war jetzt auch noch mein strahlender Ritter mit Lanze (= Wattestäbchen), der sich mutig gegen eine bitterböse Ameise gestellt, ihr den Kampf angesagt hatte und sie mit einem gezielten Todesstoß ins ewige Tierreich gebohrt hatte. Ameisen-Frosch-Mörder und Muschel-Attentat-Überlebender. Mein Held.
Anscheinend hatte auch ich mal Glück. Gut, abgesehen von dem verletzten Ohr und der grasgrün befleckten weißen Hose. Aber immerhin war ich jetzt wieder mit Jake zusammen. Oder besser gesagt: Ich hatte endlich die Chance bekommen, ihn näher kennen zulernen. Von Zusammensein war noch nicht die Rede. Sein Leben war zwar ohne mich langweilig, aber Jake war nicht besonders scharf auf eine Überdosis Helen. Wir ließen es langsam angehen...
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