Liebes Tagebuch

Jun 30, 2008 09:19


Liebes Tagebuch

17. Eintrag

Liebes Tagebuch,

ich habe gerade eine Höllenfahrt hinter mir. Mir rinnt der Schweiß in Strömen an meiner Haut hinunter. Meine Knie zittern. Mein Leben raste an mir vorbei. Was passiert ist, willst du wissen? Na, eine typische Helen-Situation eben.

Heute war der Tag, an dem ich mein neues Auto (du weißt ja, mein Fröschlein wurde ermordet) abholen konnte. Ich stand an der Bushaltestelle, als ein älterer Mann aus meiner Nachbarschaft mit seinem Wagen neben mir hielt. Er kurbelte das Fenster hinunter und fragte mich: „Wo wollen Sie denn hin? Kann ich Sie mitnehmen?“ Während ich den Mund öffnete, um eine Antwort zu geben, erwägte ich die Möglichkeiten. Entweder im Bus neben einem schwitzenden, nach Knoblauch stinkenden Mitmenschen sitzen, oder mit dem alten Mann bequem im PKW zum Autohaus fahren. Die Bequemlichkeit siegte.

Kaum berührte mein Hintern den Beifahrersitz, gab Opi schon Gas. Ich konnte gerade noch den Sicherheitsgurt anlegen. Mein „Ich hab´s nicht eilig“ ignorierte er mit einem Grinsen. Krampfhaft verschränkte ich meine Finger ineinander und zuckte sogleich vor Schmerz auf. Ich hatte vor einer halben Stunde eine Kaktusfeige geschält und diese klitzekleinen, fast unsichtbaren Stacheln waren noch in meiner Hand. Jede Berührung dieser winzigen Biester verursachten mir jetzt elektroschockähnliche Schmerzen. Also gut, nicht die eigenen Hände berühren....

Dafür berührte meine Stirn fast die Windschutzscheibe. Opi war mit Vollgas auf eine Ampel zugerast, die schon längere Zeit auf „Gelb“ stand. Natürlich folgte darauf „Rot“. Wenn man vorausschauend fuhr, hätte man dies rechtzeitig bemerkt. Nicht so der Möchte-gern-Alonso neben mir. Eine Vollbremsung hätte gereicht. Aber er bremste zuerst ab, gab noch mal Gas und dann trat sein Fuß endlich die Bremse bis aufs Eisen durch. Ein lauter Schrei entfuhr meiner Kehle. Vorsichtig tastete ich nach dem Türgriff...

Leider kam ich nicht dazu, mich in James-Bond-Manier aus dem Auto zu werfen, denn die Höllenfahrt ging weiter. 500 Meter vor uns sah ich schon die nächste Ampel - noch war sie grün. Opi-Alonso kannte nur zwei verschiedene Arten: Vollgas oder Vollbremsung. Dazwischen gab es nichts. Die Ampel raste auf uns zu und mein Leben an mir vorbei. Ich kniff meine Augen krampfhaft zu. Nagut, ein kleines Blinzeln erlaubte ich mir und bereute es sogleich. Deutlich konnte ich erkennen, dass die Ampel auf gelb sprang. Mein Fahrer wollte dies wohl ignorieren. Er raste weiter. Die Ampel sprang auf rot. Diesmal schloss ich meine Augen und betete für einen raschen Tod, als mich die Stimme des Mannes neben mir aus meinem Gebet riss. „Das schaff ich eh nicht mehr. Da fahr ich jetzt einfach drüber.“
Himmel!!! Ich war noch zu jung zum Sterben....

Da meine Augen noch geschlossen waren, konnte ich nur hören, dass ein lautes Gehupe, gefolgt von quietschenden Reifen, ertönte. Mir brach der Schweiß aus. Der erwartete Knall blieb aus und ich öffnete vorsichtig meine Augen. Da ich sehr fest zugekniffen hatte, tränten meine Äuglein und ich konnte nur durch einen Tränenschleier erkennen, dass wir die Kreuzung überquert hatten. Puhh...langsam ließ ich die Luft aus meinen Lungen entweichen.
Aber bevor ich mich wieder gesammelt hatte, kam schon die nächste Katastrophe auf uns zu.

Wir mussten einen Teil des Weges auf einer Autobahn zurücklegen. Daher schoss mein persönlicher Rennfahrer jetzt die Auffahrt zur A99 entlang und zu meinem Erstaunen wurde er immer langsamer. Mittlerweile war er auf Tempo 60 zurück gefallen. Und das auf der Autobahn! Ich wagte einen Blick auf Opi, um zu überprüfen, ob er nicht hinter dem Lenkrad eingeschlafen war. Mitnichten. Seine Hände krampften sich um das Lenkrad und sein Gesicht färbte sich rot. „Was ist los? Ist ihnen nicht gut?“ fragte ich ihn.
Er schüttelte den Kopf. „Ich fahr nicht gern auf der Autobahn. Da rasen alle immer so.“

Ich verdrehte die Augen und wünschte, ich würde in Ohnmacht fallen. Schnell machte ich ihn darauf aufmerksam, dass er die nächste Ausfahrt nehmen musste, um mich zu dem Autohaus zu bringen. Er nickte und setzte schon jetzt den Blinker. Es waren ja nur noch 3km bis zur Ausfahrt....
Im Stillen wünschte ich, ich hätte den Bus genommen. Wie gern würde ich jetzt neben einem ungepflegten Zeitgenossen sitzen, während der Busfahrer über den Verkehr schimpfte.

Mit einem Ruck wurde ich aus meinen Gedanken gerissen. Die Ausfahrt war schon lange zu sehen, aber Alonso riss erst im letzten Moment das Lenkrad herum, der Wagen schlingerte leicht und nahm wieder Tempo auf. Schließlich waren wir ja jetzt nicht mehr auf der Autobahn. Ich betete, dass wir die letzten Kilometer bis zum Autohaus unfallfrei überstehen würden. Mein Gebet wurde erhört.

Zitternd stieg ich aus seinem Wagen und bedankte mich höflich für die Mitfahrgelegenheit. Seinen Kommentar, er würde mich gerne wieder mitnehmen überhörte ich einfach. Freundlich sagte ich: „Grüßen Sie ihre Frau von mir.“ Die Mine des Mannes verfinsterte sich. „Meine Frau ist letzten Monat verstorben.“
„Oh, das tut mir schrecklich leid. War sie krank?“ Er schüttelte den Kopf.
„Sie ging bei grün über die Straße, ein Auto schoss bei rot über die Ampel und sie wurde erfasst.“

Mir klappte der Kiefer herunter und ich schwor mir, in Zukunft immer erst nach Opi´s Auto Ausschau zu halten, bevor ich einen Fuß auf die Strasse setzte.....

krokomaus, german, liebes tagebuch

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