"Rundfunkverbrechen" vor nationalsozialistischen Sondergerichten

Mar 31, 2008 00:43

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Das bloße Abhören kommunistischer Rundfunkpropaganda, von der Gestapo von
Anfang an verfolgt, galt der Justiz zunächst nicht als justitiabel. Das änderte sich mit
einer Anweisung des Reichsjustizministeriums an die Generalstaatsanwälte vom 31.
März 1936.


Anlaß des als "vertraulich" deklarierten Schreibens war die unterschiedliche
Behandlung der "Mundpropaganda" durch die Staatsanwaltschaften und Gerichte.
Um künftig ein einheitliches Vorgehen zu gewährleisten, wurden den Staatsanwälten
Richtlinien vorgegeben, was unter "hochverräterischer Mundpropaganda"
zu verstehen war. Diese lag nach Ansicht des Reichsjustizministeriums bereits in
solchen Fällen vor, "in denen der Täter den anderen in seiner hochverräterischen
Einstellung und Überzeugung bestärken oder erhalten will, und in denen er versucht,
einen noch nicht Überzeugten die hochverräterische Überzeugung einzuimpfen
oder ihn für sie zu gewinnen". Einen weiteren Beweis erblickte das Ministerium
in dem Tatbestand, "wenn der Täter einer hochverräterischen Organisation
oder Nebenorganisation angehört hat". Neu an diesen Richtlinien war die Bewertung
des Abhörens von Radio Moskau als Hochverrat:
Dass beim Abhören des Moskausenders Hochverrat vorliegt, wird im Regelfall
dann an mit Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermutet werden können,
wenn die Hörer politisch vorbelastet sind und das Abhören unter gewissen Siche-rungsmassnahmen stattfindet. Dabei ist übrigens nicht ausgeschlossen, dass Hochverrat
auch dann gegeben ist, wenn nur die engsten Familienangehörigen sich am
Abhören beteiligen, vorausgesetzt, dass sie es in der Absicht tun, sich selbst in ihrer
hochverräterischen Überzeugung zu erhalten und zu stärken. In jedem Fall liegt
Hochverrat dann vor, wenn das Abhören gemeinschaftlich mit anderen erfolgt und
im Zusammenhang damit eine Unterhaltung stattfindet, die als Werbung für die russischen
Zustände anzusehen ist."
Eines der ersten Urteile gegen eine sogenannte Abhörgemeinschaft wegen Vorbereitung
zum Hochverrat erging am 14. April 1937 durch den Strafsenat des Hanseatischen
Oberlandesgerichts. Der Strafsenat verhängte gegen die Angeklagten, die
gemeinschaftlich den Moskauer Sender abgehört hatten, Zuchthausstrafen zwischen
zwei und sechs Jahren. Über das Verfahren wurde reichsweit berichtet, mit
durchweg gleichlautendem Tenor. So schrieb etwa das Berliner 12 Uhr Blatt am 15.
Mai 1937:29
"Wenn auch das Abhören des Moskauer Senders gesetzlich nicht verboten ist, so
bedeutet es doch immer eine sehr gefährliche Sache. Denn es kann darin leicht
eine strafbare Handlung, nämlich die Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens,
gesehen werden. Wer das Gehörte propagandistisch für die Zwecke des
Kommunismus auswerten will oder wer sich selbst in seiner kommunistischen Gesinnung
festigen will, um, wie er vielleicht trügerisch hofft, das Gehörte später einmal
verwerten zu können, der begeht eine hochverräterische Handlung. Aber auch
schon ein Einzelner, der aus den genannten Gründen als fanatischer Kommunist
den Moskauer Sender abhört, kann sich der Vorbereitung des Hochverrats schuldig
machen. Vor allem kommt es immer wieder auf das Vorleben, insbesondere auf die
frühere politische Einstellung, bei der Beurteilung an, ob das Abhören des Moskauer
Senders zu einer strafbaren Handlung geworden ist."
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27 Vertrauliches Schreiben des Reichsjustizministeriums, Ministerialrat Dr. Crohne, an die
Generalstaatsanwälte vom 31.3.1936, CCHIDK 500/4/336, Bl. 105/106; ebenso BA R
58/268, Bl. 21.
28 RGBl. 1934 I, S. 341.
29 BA R 58/2274, Bl. 67; recht sachlich der Ton in der Frankfurter Zeitung vom 13.8.1937;
vgl. die Zeitungsausschnitte, Bl. 66f.
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Ebenfalls im April 1937 wurden drei Angeklagte wegen Vorbereitung eines hochverräterischen
Unternehmens durch das Stuttgarter Oberlandesgericht verurteilt.30
Wiederum ging es um das Abhören von Radio Moskau, wozu der eine Angeklagte
sich eigens einen größeren Radioapparat angeschafft hatte. In dem Urteil wird hierzu
bemerkt:
"Mit diesem Apparat hörten die Angeklagten Eheleute F. sowie der Angeklagte H.
häufig abends die deutschen Sendungen aus Moskau, und zwar, wie auf Grund der
eigenen Angaben des H. feststeht, etwa drei- bis viermal die Woche. Im Anschluss
an diese Sendungen wurde dann über das Gehörte gesprochen. Die Angeklagten
benutzten aber die russischen Sendungen nicht nur, sich selbst kommunistisch zu
Schulen und in ihrer Gesinnung zu bestärken, sondern sie luden auch andere Personen
dazu ein.... Am Schluß der Sendungen wurde die Internationale gespielt, wobei
die Angeklagten die Melodie mitsummten und den Takt dazu schlugen, H. einmal
auch die geballte Faust hob."

наци-гос-во, Третий Рейх, 20 век;NS-Staat, iii. reich, rundfunkverbrechen

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