Title: Killing Fields
Chapter:1/?
Fandom: FF VII
Rating: mature
Pairings: Reno/Tseng, Rude/Elena, hints of Tseng /Rufus, hints of Reno/anyone who isn't by One up on the next tree, Cloud/Tifa
Language: German (!!!) sorry folks, but native tongue is German, and I feel way more comfortable writing fiction in the language I can speak fluently.
Schildkröten im Paradies
Der Kaffee ist schwarz. Tief schwarz. Und Tseng starrt in ihn; sucht auf dem Grund der billigen Plastiktasse nach Antworten, von denen er genau weiß, dass er sie dort nicht finden wird.
Antworten auf Fragen, die ihm niemand geben kann.
Der Regen klatscht auf den grauen Beton, Autos rauschen vorbei. Dreckiges Wasser spritzt hoch.
Ungewohnte Geräusche. Immer noch. Unter der Platte war es ruhiger. Unter der Platte wurden die Anzüge nie von kaltem Regen durchweicht.
Aber die Platte gibt es nicht mehr.
Seit drei Jahren ist sie Geschichte.
Vergangenheit wie der Konzern, für den er gearbeitet hat. Und ein Mann wie er hat genauso wenig eine Vergangenheit wie eine Zukunft.
Sicher, noch ist das ShinRa-Logo überall zu finden. Selbst auf der Packung Zucker, die er gerade zwischen seinen Fingern dreht. Doch ShinRa hat sich überlebt. Die anderen Spieler kommen zum Zug; diejenigen, welche von Weltrettung reden, von Wiederaufbau. WRO - Welt Rettungs-Organisation, der Name selbst ist ein einziger Witz. Über den Tseng nicht lachen kann.
Es ist das Surren seines PHS, welches ihn aus den brütenden Gedanken holt. Nur eine kurze Nachricht; eine Adresse flackert auf dem Display. Elena hat ihren Job gemacht.
Tseng schmeißt den Plastikbecher in den nächsten Mülleimer, sieht noch wie der nicht getrunkene Kaffee ausläuft. Eine dunkle Lache auf grauem Beton, die bald vom Regen fort gewaschen wird.
Lange Schritte bringen ihn zu seinem Auto. Der schwarze Sportwagen steht im Halteverbot, die Lichter der Stadt spiegeln sich kaum in der matten Lackierung. Über die Frontscheibe beugt sich eine junge Frau in grauer Uniform, steckt einen Zettel zwischen Glas und Scheibenwischer. Sie sieht erst auf, als Tseng fast direkt vor ihr steht. Überraschung spiegelt sich in ihrem puppenhaftem Gesicht.
„Schicken sie den Strafzettel mit einem freundlichen 'Fick dich' an Tuesti.“ Seine Stimme bleibt höflich, leise. Der Tonfall, in dem er jemanden bittet sich doch selbst zu erschießen. In dem er auch Rechenschaft vor einem versammelten Konzern-Vorstand abgibt.
Die uniformierte Frau blinzelt irritiert. „Ihr Wagen steht im Halteverbot.“ erläutert sie unnötigerweise eine Tatsache, die Tseng bekannt ist. Er hebt die linke Augenbraue. Dreht leicht den Kopf, sieht zu dem Schild, dann wieder zu der Frau. Die ihn nun eingehender mustert, versucht sein Gesicht einzuordnen. Das sie nicht kennt. „Und das hat nichts mit Mr. Tuesti zu tun.“ Worte, mit denen sie die Kontrolle über die Situation bewahren möchte.
Tseng zieht den Fetzen Papier hinter dem Scheibenwischer hervor, faltet ihn sorgsam in der Mitte. Präzise. Die Ecken liegen alle genau übereinander.
Der Blick der Frau löst sich von seinem Gesicht. Gleitet tiefer. Bleibt hängen auf dem faltenfreien schwarzen Jackett. Und plötzlich weiten ihre Pupillen sich, hat sie eine Assoziation gefunden. Dann werden die Augen schmaler, ihre Lippen pressen sich zusammen. Abscheu, Angst - Emotionen, die sie mit dem schwarzen Anzug und dessen Träger verbindet.
„Wenn sie hier so dämlich stehen bleiben, werde ich sie leider überfahren müssen.“ Tseng lächelt, weiße Zähne blitzen auf.
Und sie versteht, dass der Turk keine leere Drohung ausspricht. Sie tritt zurück. Dreht ihm nicht den Rücken zu, während er die Tür öffnet, sich in sein Auto schiebt. Sieht, wie er das Handschubfach öffnet und den Strafzettel dort drinnen verschwinden lässt. In einer Sammlung von Papieren, die alle genauso ordentlich zusammen gefaltet wurden wie dieser.
Dann zündet er sich eine Zigarette an, startet den Motor und atmet zufrieden den beißenden Rauch in seine Lungen während 500 PS unter der Haube erwachen.
Der Turk ignoriert die Frau, schenkt ihr nicht einmal mehr einen weiteren Blick im Rückspiegel, als er auf das Gaspedal tritt.
Der Instinkt hat ihn in die richtige Gegend der Stadt geführt. Noch bevor Elena ihm die Adresse schickte. Eine Gegend, in der sich niemand retten lassen will. Nicht von der WRO, nicht von ShinRa. Die Menschen, die hier leben, haben bereits vor Meteor jeden Glauben verloren. Es sind genau die Menschen, die früher unter der Platte ihr Dasein fristeten. In Sektor Fünf oder Sieben. Die einzige Rettung, die sie kennen ist eine billige Flasche Wodka, ein schneller Schuss oder bunte Pillen.
Plakate der WRO, die versprechen, das sich alles ändert, alles besser wird, dienen in diesem Viertel nur als Ersatz für zerschlagene Fensterscheiben.
Tseng parkt das Auto in einer schmalen Seitenstraße. Der Geruch von lange vergessenem Abfall und Urin kriecht ihm schon in die Nase, bevor er ausgestiegen ist. Ein vertrauter Geruch.
Schnell sieht er sich um, streift mit geschultem Blick über die eng stehenden Häuser, über die Dächer. Gewohnheit, Ausbildung. Und wie so oft irritiert ihn die Sicht auf den freien Himmel für die Dauer eines Wimpernschlags.
Er rückt die Krawatte zurecht, fokussiert sich wieder auf das was vor ihm liegt. Weshalb er hier ist. Langsam dreht er sich zu den drei Jungen, die in einem Hauseingang sitzen, ihn beobachten, seit er in die Straße gefahren ist. Keiner von ihnen ist älter als Sechzehn. Ihre Kleidung ist abgetragen, dreckig. Dass der Stoff sie kaum vor der Kälte und dem Regen schützen kann, stört sie schon lange nicht mehr. Sie merken es nicht einmal. Der Klebstoff, den sie aus einer Tüte inhalieren, gibt ihnen die Illusion von Wärme. Und macht sie träge, lethargisch. In der Zeit, in der einer der Jungen eine Pistole aus seinem Hosenbund zieht, hätte Tseng alle drei töten können.
Sie glauben, dass vor ihnen schnelles Geld steht. Jemand, der in diesem Aufzug, mit diesem Auto hier her kommt, provoziert das Schicksal. In ihrer vernebelten Wahrnehmung ist der zierliche Mann keine Herausforderung.
Sie werden schnell eines besseren belehrt. Der Lauf von Tsengs Pistole presst sich auf die Stirn, des Jungen, der gerade die Waffe gezogen hat. Die linke Hand des Turks greift nach unten, umfasst das Handgelenk seines Gegenübers.
„Ihr passt auf das Auto auf.“ Nun ist die Stimme nicht mehr freundlich. Der gezischte Befehl lässt die beiden anderen Jungen zusammen zucken. „Ist auch nur ein Kratzer im Lack, breche ich eurem Kumpel mehr als seine Hand.“
Es knackt und der Junge schreit laut auf, bevor er seine Pistole fallen lässt. Fassungslos starrt er auf den Knochen, der aus seinem Handgelenk heraus ragt.
Tseng fängt die Waffe auf, ehe sie scheppernd auf dem Boden landen kann. Er weiß nicht, ob sie schon entsichert ist. Will Risiken vermeiden.
Die beiden anderen nicken hektisch. Sie haben verstanden, dass nicht der Mann im Anzug die Beute ist.
„Wenn ich zurückkomme und der Wagen noch genauso aussieht, sorge ich für die medizinische Versorgung.“ erklärt Tseng ruhig, steckt seine Pistole in das Halfter und nimmt das Magazin aus der Waffe des Jungen. Er kennt die Regeln in diesem Viertel. Weiß, dass die Drei begriffen haben, was er von ihnen will.
Es sind Regeln, an die er sich selbst lange hatte halten müssen. Obwohl es eine gefühlte Ewigkeit her ist, dass er in so einem Häusereingang gesessen hat, sich das Hirn mit Drogen voll pumpte, um den Tag zu überstehen. Und die Nacht. Dann noch mehr Drogen für den folgenden Tag.
Ein anderes Leben.
Kaffee und Zigaretten sind für ihn inzwischen eher Lebensmittel als Drogen.
Und der Gestank von Urin und Abfall hängt über allem.
Er lässt die Drei sitzen. Ignoriert die schmerzverzerrten Flüche, die ihm hinter her gerufen werden.
Eine Seitenstraße weiter schiebt er sich lautlos in einen anderen Hauseingang, holt seine Handschuhe aus der Tasche und streift das schwarze Leder über die schlanken Finger.
Die Handschuhe sind nicht unbedingt nötig, aber das Reinigen von Schmauchspuren ist eine lästige Aufgabe, die er sich so simpel ersparen kann.
Noch mehr vertraute Gerüche fressen sich in seine Nase. Abgestandene Luft, in welcher kalter Rauch hängt, vermischt mit Dünsten von gekochtem Gemüse.
Eine einzelne Lampe, nur eine Glühbirne in einer Fassung, die von der Decke hängt, versucht gegen die Dunkelheit im Hausflur an zu kämpfen.
Tseng muss sich strecken, um die Lichtquelle heraus drehen zu können. Ein kurzes Quietschen, dann herrscht komplette Finsternis in dem schmalen Gang.
Er lauscht.
Wartet.
Versichert sich, dass er alleine auf dem Flur steht, ehe er den Schalldämpfer auf seine Pistole setzt.
Es gibt Jobs, die bemerkt werden sollen. Deutliche Zeichen für die Welt, das jemand ShinRa zu feste auf den Fuß getreten ist. Jobs, die Rude und Reno ausführen. Auch wenn immer seltener solche Befehle auf ihren Schreibtischen landen.
ShinRa gehört jetzt zu den Guten. Und die Guten schlagen keine Kniescheiben ein, oder erschießen Kinder.
Dann gibt es Jobs, die etwas mehr Subtilität erfordern. Die kein großes Aufsehen erregen dürfen. Tseng zieht es vor, diese Art von Jobs alleine zu erledigen. Schnell und sauber.
Vorsichtig bewegt er sich durch die Dunkelheit, zählt Türen ab.
Bis er vor der dritten auf der rechten Seite steht. Nach einem Adressschild sucht er erst gar nicht. In einem Haus wie diesem will niemand den Namen des anderen kennen.
Er versichert sich nur mit einem kurzen Tasten über die Appartementnummer, dass er an der richtigen Tür steht. Holt dann einen Dietrich aus seiner Hosentasche und öffnet das Schloss. Ein leises Klicken bestätigt, dass er in die Wohnung kommt.
Auch hier ist es dunkel. Einzig ein schmaler Streifen Licht fällt durch eine angelehnte Tür. Dahinter das Geräusch eines quietschenden Bettes, ächzende und stöhnende Stimmen. Mit zwei Menschen hat der Turk nicht gerechnet, es macht den Job etwas komplizierter.
Tseng lauscht wieder. Wartet unbeteiligt, während im Schlafzimmer das Stöhnen lauter wird.
Er nutzt die Zeit, um sich um zu sehen.
Wie vermutet, gibt es in dieser Wohnung nicht viel.
Eine weitere Tür führt zu einer winzigen Küche, in der sich dreckiges Geschirr in der Spüle stapelt. Daneben das Wohnzimmer. So beengend, wie der Rest des Appartements. Und optisch noch kleiner wirkend, durch die vielen Bücherregale, die sich in den Raum quetschen. Es bleibt kaum Platz für ein abgewetztes Sofa und einen kleinen Tisch.
Während Tseng sich fragt, was all die Bücher hier sollen, dringt durch den Türspalt ein lautes: „Oh ja, Baby!“
Der Augenblick, den er abpassen wollte. Direkt nach dem Orgasmus ist die Aufmerksamkeit am geringsten, gibt es den wenigsten Widerstand.
So leise wie er die Wohnung betreten hat, schiebt er sich in das Schlafzimmer. Unbemerkt von den beiden Menschen auf dem Bett. Zielt mit der Pistole direkt auf den Hinterkopf des Mannes, dessen sehniger Körper noch über der Frau liegt. Ihre Umrisse sind zierlich, die Augen hält sie geschlossen, während sich die Brust schwer atmend hebt und senkt.
Sie ist zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort.
Tsengs Finger krümmt sich und im selben Moment, in dem ein kurzer pochender Laut zu hören ist, fräst sich die Patrone in den Schädel des Mannes.
Blut und Knochensplitter treffen die Frau frontal.
Der Turk sprintet zum Bett, presst ihr die Hand auf den Mund, ehe sie schreien kann. Er ist zu langsam. Ein Wort, ein Name dringt erstickt über ihre Lippen. Ein Laut, den Tseng ignoriert.
Der Lauf der Waffe presst sich gegen ihre Schläfe und der Turk drückt ein zweites Mal ab.
Sie stirbt mit weit aufgerissenen Augen; einem Blick, in welchem Fassungslosigkeit über eine grausame Erkenntnis geschrieben steht.
Ein Blick, der Tseng in seinen Bann zieht. Sekunden verstreichen zähflüssig. Dehnen sich in einer gefühlten Ewigkeit, in der er sich nicht los reißen kann.
Erst ein Blinzeln später bemerkt er, dass ihr Blut auf seinen Anzug gespritzt ist. Auch auf das Hemd und in sein Gesicht.
Tseng löst sich aus seiner Starre, sieht sich suchend um und findet schließlich das kleine Badezimmer.
Das Wasser, das wenig später röchelnd aus dem Hahn tropft, ist rostbraun und lauwarm, aber es reicht um die roten Spritzer von der hellen Haut zu waschen.
Auf dem schwarzen Anzug sieht man das Blut kaum, das weiße Hemd zieht er aus, wischt sich damit noch einmal über das Gesicht und stopft es in eine Plastiktüte, die er neben dem verdreckten Waschbecken findet.
Turtle's Paradise steht in grellen Buchstaben gedruckt auf ihr. Tseng verzieht die Mundwinkel nur kurz zu einem bitteren Lächeln. Obwohl er selbst wie seine beiden letzten Opfer wutainesische Wurzeln hat, war er nie in der bekanntesten Bar der Insel.
Mit der Tüte im festen Griff verlässt er die Wohnung genauso lautlos, wie er sie betreten hat.
Die drei Jungen hocken noch so im Häusereingang, wie er sie zurück gelassen hat. High durch geschnüffelten Kleber sind sie morbide fasziniert von dem weißen Knochen, der aus dem Handgelenk des Jungen heraus ragt, der die Pistole gezogen hat.
Tseng greift unter sein Jackett, zieht die eigene Waffe und reicht sie einem der Jungen. „Das Haus da vorne. Dritte Tür auf der rechten Seite. Da findet ihr das Geld, das für den Arztbesuch reichen sollte.“
Der Junge sieht irritiert auf die Pistole, dann an dem Turk herauf, der direkt vor ihm steht. „Uhm, cool.“ ist das einzige, was er über die Lippen bringt. Bevor er sich hochzieht und seinen Freunden einen Tritt versetzt. „Lass uns das mal checken.“
Sie laufen los, wissen nicht, dass sie die letzten Stunden in Freiheit verbringen werden. Morgen früh wird eine Nachbarin die offene Wohnungstür bemerken, die WRO verständigen. Tuestis Leute werden die drei Jungen schnell finden und sie werden für einen Doppelmord zur Verantwortung gezogen. Die Tatwaffe ist ein eindeutiges Indiz.
Kaum jemand wird ihnen glauben, dass sie diese Waffe von einem Mann in einem perfekt sitzendem Anzug, der einen 200.000 Gil-Wagen fuhr, geschenkt bekommen haben. Einem Mann, der vor ihnen in der Wohnung war.
Die wenigen, die den drei Straßenjungen glauben werden, wissen, dass man den Turks nichts nachweisen kann.
Tseng denkt nicht mehr an die Drei, denen er so einfach die Zukunft genommen hat, als er das Auto auf die nächste Auffahrt zum Highway lenkt.
Er versucht an absolut nichts zu denken.
Etwas, das sein Geist nicht zulässt. Immer wieder gleiten Erinnerungsfetzen aus den Tiefen des Unterbewusstseins an die Oberfläche.
Hat er den Blick der Frau vor sich. Sieht die Überraschung. Die Erkenntnis in ihren Augen.
Seine rechte Hand schließt sich fest um das Lenkrad.
So fest, das die Knöchel weiß hervor treten. Die linke zerrt das PHS aus der Jackett-Tasche; er stellt das technische Gerät auf 'Aufnahme' und beginnt, den Bericht zu diktieren, den er gleich Rufus Shinra geben wird.
Der Klang der eigenen Stimme kämpft gegen die Geister in seinem Kopf. Erfolglos.
Zwei Motorradfahrer schneiden ihn, und Tseng tritt auf das Gaspedal, lässt den Motor aufheulen. Für fünf Minuten lenkt ihn das wilde Rennen über den Highway ab.
Dann verliert er das Interesse, schaltet hoch, reizt die Leistung des Motors aus und lässt die Motorräder hinter sich zurück.
Immer noch wartet er auf den Adrenalinkick, das kurze Hochgefühl, das nach einem erfüllten Job eigentlich eintreten sollte.
Heute Abend spürt er nichts. Nur gähnende Leere.
Kurz, bevor er das Lenkrad einschlägt und in die Einfahrt der Tiefgarage abbiegt, fragt er sich, ob er an dem Punkt angekommen ist, den nur wenige Turks jemals erreichen. Der Punkt, an dem man innerlich ausgebrannt ist. Wenn man zu viele Menschen getötet hat, zu tief in die dunkelsten Abgründe geblickt hat. Als Turk stirbt man meistens selbst, bevor es so weit ist.
Er ist 29 und fühlt sich alt. In diesem Moment unglaublich alt.
Und gerade noch rechtzeitig tritt er fest auf die Bremse. Bringt seinen Wagen mit quietschenden Reifen nur wenige Zentimeter vor dem Heck der teuren Limousine zum Halt, die seinen gewohnten Parkplatz blockiert.
Das Getriebe knirscht protestierend, als ruppig der Rückwärtsgang eingelegt wird. Niemand hört das laute Fluchen, niemand wird Zeuge wie die beherrschte Maske der Selbstkontrolle für die paar Sekunden fällt, welche Tseng braucht um einen freien Parkplatz in der Garage zu finden.
Die meisten Plätze sind belegt. Ungewöhnlich für eine Zeit, in der es selbst die eifrigste Bürodrohne nach Hause getrieben haben sollte.
Bevor er aussteigt, greift Tseng nach seiner Zigarettenschachtel. Dann wieder nach seinem PHS. In seinem Terminkalender ist kein Empfang, keine Party eingetragen.
Es muss eine spontane Idee des Präsidenten gewesen sein. Eine Idee, die das Pochen hinter Tsengs Schläfen verstärkt.
Er zieht einmal, zweimal an der Zigarette. Drückt sie im überquellenden Aschenbecher aus. Es war ein langer Tag.
Die Tür des Autos fällt geräuschvoll ins Schloss, nachdem er ausgestiegen ist. Seine Schritte hallen hohl von den grauen Betonwänden wieder, als er um den Wagen herum läuft.
Im Kofferraum liegt ein frischer Anzug, den er am Morgen aus der Reinigung geholt hat. Und während der Turk hastig die Kleidung wechselt, das gestärkte weiße Hemd zuknöpft, die Krawatte korrekt bindet, gleiten seine Augen wachsam durch die diffus beleuchtete Garage.
Bleiben an zwei grau uniformierten Männern hängen, die in der Nähe des Aufzugs herum lungern.
Ihre Anwesenheit versetzt Tseng einen unangenehmen Stich in der Magengrube. Erinnert ihn daran, dass die eigene Abteilung vollkommen unterbesetzt ist.
Seine langen, sicheren Schritte lenken ihn genau auf die beiden Männer zu, die abrupt Haltung in dem Augenblick annehmen, in welchem sie ihn erkennen.
„Sir!“, der Stämmigere der beiden salutiert. Hofft, dass Tseng nicht merkt, wie wenig Interesse er an diesem Pflichtdienst zeigt. Jeder hätte es bis zu diesem Punkt geschafft, ohne von den WRO-Soldaten aufgehalten zu werden.
Es ist nur ein müdes Grinsen, dass der Turk für den Mann erübrigen kann, während er auf den Fahrstuhl wartet.
In der Kabine säuselt leise Musik aus gut versteckten Lautsprechern. Eine freundliche weibliche Stimme begrüßt ihn im neuen ShinRa-Firmensitz.
Tseng ignoriert die Stimme, lehnt sich gegen die verspiegelte Rückwand und schließt kurz die Augen.
Hätte Rufus nicht so ausdrücklich auf einen Bericht direkt nach Erledigung des Jobs bestanden, wäre er jetzt auf dem Weg nach Hause, müsste sich nicht noch mit dieser ungeplanten Veranstaltung beschäftigen.
Die Fahrstuhltür öffnet sich im obersten Stockwerk des Gebäudes, und Tsengs Miene ist so kalt und ausdruckslos wie immer. Die Frustration tief vergraben unter der Maske, die wieder so perfekt sitzt wie der Anzug.
In der Öffentlichkeit wird der Schoßhund seinen Herren nicht beißen.
Ein Schatten schiebt sich in sein Sichtfeld, noch bevor er einen Blick in die weitläufige Suite werfen kann. Der bullige Mann tritt erst zurück, als er sich versichert hat, dass Tseng alleine den Flur betreten will.
„Spontane Idee?“ Auch die Erleichterung, dass Rude seinen Job mit gewohnter Routine ausführt, bleibt hinter der Maske versteckt.
Der größere Turk nickt wortlos.
Leise Gesprächsfetzen dringen an ihre Ohren, das Klirren von Gläsern. Unterlegt mit seichtem Jazz.
„Wer ist da?“ Tseng greift wieder nach einer Zigarette und widersteht nur mühsam dem Drang, hier und jetzt sich etwas mehr Zeit durch das Rauchen zu erkaufen.
„Alles was wichtig ist.“ antwortet Rude ihm knapp. Und ist der einzige, der Tsengs leises Seufzen hört. „Reno hat vor zwei Stunden die Order bekommen, die Sicherheit zu organisieren.“ setzt er hastig nach, bevor sein Boss die Frage stellen kann, die ihm bereits auf der Zunge liegt. „Wir haben dich nicht angerufen, weil Elena etwas von Job murmelte.“
Die Zigarette wird doch zwischen die Lippen geschoben, Tseng murmelt zustimmende Laute. Inhaliert den Rauch und verschafft sich endlich an Rude vorbei einen Überblick.
Vom Flur aus kann er in den großen Raum sehen, der nur spärlich möbliert ist, und durch ein Panoramafenster einen weiten Blick über Edge gewährt.
Aber nur wenige Gäste genießen die Aussicht. Die meisten stehen in kleinen Gruppen zusammen, tauschen schnatternd den neusten Klatsch, belanglosen Smalltalk, aus.
Männer in teuren Anzügen, Frauen in eleganten Abendkleidern.
Eine Gesellschaft, in welcher Tseng sich nie wohl gefühlt hat. Sie wissen, wer er ist; wissen, welche Position er im Konzern inne hat. Er ist ein Turk. Der Wachhund des Präsidenten. Ein Köter, dem die Zähne gezogen wurden. Ein wutainesischer Köter.
Tseng hat gelernt mit den Blicken umzugehen, die ihm zugeworfen werden. Ignoriert sie, so wie die Mitglieder der 'feinen' Gesellschaft ihn ignorieren.
Er kann den selben Smalltalk führen, wenn er will. Kann sich über Musik, das Wetter und Aktienkurse unterhalten. Er kann jedoch auch Knochen brechen, Menschen dazu bringen die eigene Mutter zu verkaufen oder ihnen eine Kugel in die Eingeweide jagen, ohne mit der Wimper zu zucken.
Sie wissen es. Wissen, dass auch der dreckigste Köter noch zuschnappen kann.
Tseng wirft die Zigarette in den nächsten Aschenbecher, lässt Rude auf dessen Posten zurück und begibt sich auf die Suche nach Rufus.
Er muss sich nicht lange umsehen. Der Präsident der ShinRa-Company ist wie so oft das Zentrum der Aufmerksamkeit. Männer und Frauen umschwärmen ihn wie Motten eine Straßenlaterne. Kämpfen um einen Moment seiner Gunst. Lachen über seine belanglosen Witze, lassen sich von seiner gespielten Freundlichkeit blenden. Verbrennen sich; genau wie die Motten, die zu nahe an die Lichtquelle kommen.
Der Turk kennt das Spiel. Weiß, dass Rufus es nur erträgt, wenn er betrunken ist, high auf Drogen. Dann ist er der perfekte Präsident, der Mann den die Öffentlichkeit sehen will. Den die Medien wieder lieben. Die er so um den Finger gewickelt hat, wie die Brünette, die an diesem Abend an seiner Seite hängt, sich in ihren Fantasien das Leben als zukünftige Ms Shinra ausmalt. Und die Rufus als Entschuldigung dient, sich nicht mit einem anderen Gast zu beschäftigen.
Plötzlichen versteht Tseng, wie es zu dieser spontanen Veranstaltung gekommen ist. Mit einem Lächeln hat Rufus Shinra ein weiteres Mal die Vertreter der WRO aus manövriert. Ein geschäftliches Treffen in etwas gewandelt, was seinen Zwecken dient.
Reeve Tuesti steht abseits der Menge, welche Rufus umschwärmt. Er bemerkt Tseng, bevor der Präsident ihn sieht.
Die Begrüßung fällt kühl aus. Ein Nicken und ein zu höfliches: „Guten Abend, Tseng.“
„Reeve.“ Die Erwiderung des Turks ist genauso reserviert.
Es hat einmal eine Zeit gegeben, in welcher sie sich mehr zu sagen hatten. Jetzt herrscht nur angespanntes Schweigen zwischen ihnen.
Stille, die der Leiter der WRO zuerst bricht. „Du siehst müde aus.“
„Ich habe viel zu tun, Reeve.“ Der Versuch der Versöhnung kommt Jahre zu spät. Unbewusst tritt Tseng von einem Fuß auf den anderen, windet sich innerlich unter dem Blick des Älteren. Er will keine längere Unterhaltung mit ihm führen. Nicht an diesem Abend.
Das ausgerechnet Rufus ihn davor bewahrt, bedeutet keine Verbesserung der Situation.
„Mein Turk.“ ruft der Präsident laut aus, hat Tseng nun auch wahr genommen. „Dieser Mann ist das perfekteste, was ShinRa jemals aus einem Menschen machen konnte.“ erklärt er der kichernden Frau an seiner Seite. „Ohne Mako, versteht sich.“
„Sir.“ versucht Tseng die Ausführung zu unterbinden. Rufus ist betrunkener als er erwartet hätte.
„Du hast deinen Job perfekt erledigt, nicht wahr?“ In den eisblauen Augen liegt ein herausforderndes Funkeln, welches den bitteren Zynismus der Worte unterstreicht.
Der Turk hat genug Übung darin, mit Rufus Launen umzugehen. „Wie sie es verlangt haben, Sir.“ antwortet er beherrscht, die Hände hinter dem Rücken verschränkt.
„Ich sage doch, er ist perfekt. Und er tut, was ich ihm sage. Tust du doch, Tseng?“
Der Turk zwingt sich zu einem langsamen Nicken. Rufus weiß, dass er ihm in der Öffentlichkeit nie widersprechen wird. Tseng ist schließlich sein Turk.
Dieses Mal ist es das Klingeln seines PHS', das Tseng vor weiteren Peinlichkeiten bewahrt. Mit einem entschuldigenden Lächeln, sich auf seine Position als Leiter des Departments of Administrative Research berufend, nimmt er das Gespräch an.
„Wir haben eine Situation am Buffet, Sir.“ Elena versucht gar nicht, ernst zu klingen. Ihre formale Anrede ist eine Parodie seiner Wortwahl gegenüber Rufus. „Die ihre Anwesenheit erfordert.“
Tseng nickt, entschuldigt sich der Etikette entsprechend. „Der Bericht liegt morgen früh auf ihrem Schreibtisch, Sir.“
Dann lässt er den Präsidenten stehen. Einfach so. Und nur Reeve Tuesti kennt die Wahrheit hinter den Masken. Weiß, das Tseng der einzige Mensch auf ganz Gaia ist, der sich Rufus gegenüber fast alles erlauben kann.
Am Buffet flirtet eine hübsche Blondine im blauen Abendkleid mit einem älteren Mann, wickelt ihn charmant und leichtfertig um den kleinen Finger.
Tseng muss zweimal hinsehen, ehe er das sich ihm bietende Bild mit seiner Erwartung in Verbindung bringen kann. Elena wirkt in dem eng anliegenden Stoff ungewohnt feminin. Ein Detail, das nicht einmal er übersehen kann.
„Was für eine Situation haben wir?“ fragt er, neben sie tretend. Lächelnd.
„Du hättest fast keinen rohen Fisch mehr bekommen.“ Sie drückt ihm den Teller in die Hand, den sie gehalten hat. Auf ihm die letzten Reste Sushi, die sie für Tseng aufgehoben hat. Er quittiert die Geste mit einem Heben der Augenbraue. „Ich bin nicht zum Essen hier, Elena.“
„Du hast aber heute noch nicht gegessen, und wirst auch nicht essen, wenn du nach Hause fährst. Ich kenne dich.“ Eine simple Feststellung, die ihn dazu bringt, das Sushi wenigstens zu probieren. Zwischen zwei Bissen holt er sich weitere Informationen. Versichert sich, das Elena, Rude und Reno die Stellung halten werden, bis der letzte Gast verschwunden ist. Dass die zusätzliche Sicherheit durch die WRO-Soldaten gewährleistet wird.
Elena unterbricht ihn schließlich. „Tseng, du hast Feierabend. Eine 72 Stunden Schicht liegt hinter dir. Fahr nach Hause, geh ins Bett. Wir schaffen das schon. Reno macht seinen Job.“
Erst jetzt merkt Tseng, dass er tatsächlich müde ist. Weiß aber auch, dass er in dieser Nacht keinen Schlaf finden wird. Eine schmale Hand legt sich beruhigend auf seinen Arm. Drückt kurz zu. „Feierabend.“ wiederholt Elena bestimmt.
„Stimme Laney da voll zu.“ Reno ist neben ihnen am Buffet aufgetaucht, ohne von einem der beiden anderen Turks bemerkt worden zu sein. Er greift an Tseng vorbei nach einer Speise, die teuer, exquisit und ungenießbar aussieht. Streift dabei seinen Boss kurz an der Schulter. „Der Laden hier ist voll unter Kontrolle. Kein' Stress.“ In der rechten Hand hält Reno eine halb geleerte Bierflasche. Die Flüssigkeit in ihr hat längst alle Kohlensäure verloren. „Haste schon deinen Statusbericht bekommen?“
Tseng nickt und ignoriert Renos Schmatzen. Was immer er sich gerade gegriffen hat, es schmeckt dem Zweiten in der Kommandoliste nicht. Aber es ist Nahrung. Und Reno isst alles, was er in die Finger bekommt.
„Gut. Ich kann nur ergänzen: Die Situation is' wie erwartet. Cheffe is' bis unter die Haarspitzen ...“ Die Ausführung wird unterbrochen. Sie sind nicht alleine am Buffet. „Beschäftigt.“
Vor Zeugen verliert keiner der Turks ein Wort über Rufus Shinras Zustand.
Mit einem letzten widerwilligem Schlucken vertilgt Reno die Eroberung vom Buffet, zieht dann seine Zigarettenschachtel aus der Tasche des zerknitterten Jacketts und hält sie Tseng entgegen.
Elena räuspert sich trocken. „Ich halte mal zu aufdringliche Fans von Rufus fern. So wie es aussieht, wird es heute keine Nachtschicht geben müssen.“
Das dreckige Grinsen, welches kurz über Renos Gesicht huscht, können nur sie drei untereinander deuten. „Mach das. Ich tip' noch auf 'ne Stunde. Dann is' die Veranstaltung hier vorbei.“
Nach der Party wird niemand dem Präsidenten in dessen privates Schlafzimmer folgen.
Elena lässt die beiden Männer am Buffet stehen, verschmilzt mit der Masse. Eine Masse, von der sie ein Teil wäre, hätte sie sich vor Jahren nicht für einen anderen Weg entschieden. Tseng folgt ihr noch einen Moment mit den Augen und es muss an dieser Nacht liegen, dass er sich fragt, warum er nie bemerkt hat, wie hübsch sie eigentlich ist.
„Gaia an Tseng!“ Renos Hand streift durch sein Blickfeld. Dann, als er sich sicher ist, dass er die Aufmerksamkeit seines Bosses hat, deutet er mit einem Nicken in eine ruhigere Ecke. Weg vom Buffet, weg von den Menschen, die zwar auf dem selben Planeten aber in einer ganz anderen Welt leben.
Für ein paar Minuten stehen Reno und er zusammen. Rauchen ihre Zigaretten. Schweigen. Beobachten die Menschen in ihren teuren Abendgarderoben. Lauschen ihren Gesprächen. Und versuchen beide, sich so ein Leben vorzustellen. Bis Reno sich schüttelt. „Fuck, man Alta, ich will auch das mein einziges Problem so'n scheiß entlaufener Luxus-Wauwau is'!“ kommentiert er die Ausführung einer Frau in den Fünfzigern, die seit Minuten eine Gruppe von Gästen mit der Geschichte ihres verloren gegangenen Hundes unterhält.
„Willst du das wirklich?“ Tseng nimmt Reno die Bierflasche ab, leert sie in einem Zug. Wie er vermutet hat, ist das Getränk längst schal. Warm und abgestanden, wurde es doch seit dem Anfang der Party herum getragen. Reno trinkt nicht, wenn er arbeiten muss.
„Fuck!“ Der entrüstete Ausruf gilt nicht dem Bier. „Tseng Tseng, irgendetwas is' total schief gelaufen.“
Die Feststellung wird mit einem Schulterzucken beantwortet. Hier und jetzt will Tseng nicht darüber reden. Hier und jetzt hat Reno sich sehr weit aus einem Fenster gelehnt, das in der Öffentlichkeit besser geschlossen bleiben sollte. Und Tsengs Stellvertreter versteht den eisigen Blick, mit welchem er bedacht wird. Weiß, dass er nichts mehr sagen sollte. Doch wäre es nicht Reno, würde er jetzt schweigen. „Fahr nach Hause. Ich ruf dich an wenn dieser Scheiß hier vorbei is'.“
Vom Tablett eines vorbei laufenden Kellners nimmt Reno einen Cocktail. Trinkt die bunte Flüssigkeit ebenfalls in einem Schluck aus.
Getrieben von Frustration, die sich nicht mit einem Drink fortspülen lässt.
Sie müssen mit dieser Frustration leben. Haben akzeptiert, damit zu leben. Wenn man es noch Leben nennen kann.
„Schick mir den Bericht über den Abend. So schnell wie möglich.“ Tseng klopft imaginären Staub von seinem Anzug. Zupft das Jackett zurecht, zieht den Knoten der Krawatte noch einmal fest. „Dein Turf.“ Mit diesen Worten überlässt er Reno die Verantwortung. „Bis Morgen.“
Es ist eine eindeutige Ansage. Niemand soll es wagen, heute ein weiteres Mal Tsengs Kreise zu stören. Und er wartet weder eine Bestätigung noch einen Widerspruch ab.
Auf dem Weg zum Fahrstuhl, sich zwischen den Menschen hindurch schlängelnd, kann Tseng fast körperlich spüren, wie sich türkisfarbene Augen in seinen Rücken bohren.
In der Tiefgarage, mit langen Schritten auf seinen Wagen zuhaltend, gleitet seine Hand in die Jackett-Tasche.
Er muss das PHS nicht einmal heraus ziehen, um es aus zu stellen.