Verlust (aus einem interview mit herbert grönemyer)

Apr 11, 2007 01:26

Dein Verlust sprengt alle Dimensionen, Werte, Phantasien. Der Schmerz ist Wüste voll brutalster Wucht
-In welcher Verfassung bist du?
-Zwischen überwach und Zusammenbruch. Das wechselt sich ständig ab. Es gibt Momente, wo das Gehirn präzise knattert, wo ich mich auch sehr konzentriere, aber das Potential für solche Phasen ist gering. Die Zusammenbrüche sind massiv.
-Was ist das Regelmäßige an deinen Tagen?
-Aufstehen, morgens um sieben Uhr, um die Kinder für die Schule fertig zu machen. Dann lege ich mich meistens wieder hin, weil ich es nicht ertrage, mich mit dem Vormittag auseinanderzusetzen, weil ich auch keinen habe, mit dem ich reden kann. Meine Aufgabe ist es jetzt, den Alltag für die Kinder so erträglich wie möglich zu gestalten, so daß alles für sie in der Balance bleibt.
-Liegt nichts Tröstliches im Normalen?
-Trotz dieser wenigen Momente, in denen man sich kurz wieder hochziehen kann, liegt ein massives Grau, sehr bleiern, über allem, dazu ist es zu monumental. Es ist wie nach einer großen Explosion, und man liegt da mit einer Aktentasche und guckt zu, wie alles zerstört ist. Ich versuche nach wie vor, das Leben zu erkennen, aber es ist alles auf Null gebracht, wenn nicht auf unter Null. Unsere Eltern wissen ja noch, was Nullpunkt heißt. Wir dagegen haben uns in einer satten, farbenfrohen Zeit entwickelt. Es ist wie ein Krieg, den ich durchmache, und ich muß warten, bis der Punkt kommt, wieder Fuß zu fassen.
-Der kommt wahrscheinlich da, wo du ihn nie erwartet hast.
-Das denke ich auch. Die Farben werden nie wieder so aufgehen, wie sie mal aufgegangen sind. Aber sie werden anders aufgehen.

In so einer Situation ist man überall drinneneinsam, weil plötzlich alles zusammenbricht. Alle Antennen nach außen sind gekappt. Man versucht, sie krampfhaft am Leben zu halten, versucht, Menschen zu treffen, es endet aber immer im Nichts. Man kapselt sich ab.
Wir sind ja hierher gegangen, um es gemeinsam zu sehen. Jetzt bin ich alleine hier. In Deutschland würde ich sicher mehr jammern. Aber wie lange ich es hier aushalte, wird sich zeigen
-Merkst du jetzt, daß du ein anderer bist, als du wußtest?
-Das macht mir auch Bedenken. Ich weiß nicht, wo es hingehen soll. Oft denke ich: Irgendwann muß man doch mal wieder Boden unter die Füße bekommen? Bekomme ich aber nicht. Es ist der freie Fall.
-Du redest von ihr noch oft im Präsens.
-Das wird sich auch nie ändern. Es ist die Frage, wie lange man so einen freien Fall zulassen kann.
-Wie ersetzt du dir jetzt die Reibung, wenn das Verhältnis so aus Reibung bestanden hat?
-Die Reibung ist weg, der Schutz ist weg. Der Spiegel ist weg. Deshalb ist meine Trauer auch nackte Angst. Trauer löst ja ein ähnliches Gefühl wie Angst aus.
- Du entdeckst plötzlich, daß es sich lohnen kann, mit Pfarrern zu reden.
- Der war beeindruckend. Daß die Verschiedenheit der Menschen sich darin zeigt, wie jemand sein Leben in Beziehung zum Tod sieht, war mir nie so klar.
-Glaubst du, man ist glücklicher, wenn man echt ist?
-Ich glaube, daß der Mensch durch seine Schwäche besticht. Da wird er einzigartig, nicht im Erfolg. Was wir als Menschlichkeit beschreiben, ist im Grunde die Öffnung der Schwächen. Wenn man also versucht, sich über die Schwäche aneinander anzunähern, dann entsteht wirklich Nähe.
-Bist du ein anderer Mensch geworden?
-Nein, ich bin eher auf das Menschsein zurückgefallen. Man lernt in solchen Katastrophen zu begreifen, wie klein und unwichtig man ist, wie beschränkt. Und wenn man das begreift, lernt man zu relativieren und auch zu verdrängen. Ich denke, wenn man nicht in der Lage wäre, solche Ereignisse auch zu verdrängen, würde man daran scheitern.
-Kannst Du schreiben?
-Nee, gar nichts. Zu Hause kann ich gar nichts, alles ist brach. Ich kann auch mit Emotionen schlecht umgehen. Ich lebe in einem ziemlich neutralen, emotionalen Stadium. Eher immer wieder kurz vor dem Absturz.
-Wie weit gehen Ihre Zukunftspläne?
-Ich habe keine Pläne, ich kann nur von Tag zu Tag leben. Ich brauche viel, viel Zeit, um wieder zu begreifen, was ich machen möchte.Dafür ist jetzt alles noch zu frisch und waidwund. Das ist wie eine Atombombenexplosion. Ich kann noch keinen klaren Gedanken fassen, robbe von Tag zu Tag einen Millimeter vor, falle wieder zurück. Es war alles zu massiv, als daß man da jetzt schon Land sieht.

(herbert grönemeyer)
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