To celebrate the release of my first German translation, please enjoy PsyCop 1.1, Thaw (Tauwetter)!
Tauwetter
(PsyCop 1.1)
Mit Sport habe ich eigentlich überhaupt nichts am Hut, egal ob es um die Cubs, Sox, Bulls, Bears oder sonst irgendwas geht, was auch nur im Entferntesten damit zu tun hat. Daher war ich ein wenig überrascht, als Jacob vorschlug, dass wir doch in die Stadt zum Eislaufen gehen könnten. Allerdings war er vermutlich noch weit mehr überrascht, dass ich seine Idee richtig gut fand.
Jacob wusste nämlich nicht, dass ich einen Winter lang Zwergen- Eishockey gespielt hatte, als ich elf war. (Eishockey an sich war mir piepegal. Ich war in den Torhüter verknallt.) Und ich hatte nicht gewusst, wie cool die Eisbahn nach Sonnenuntergang aussehen würde. Lichterketten schmückten die kahlen Bäume entlang der Michigan Avenue, und dahinter strahlte die Skyline von Chicago. Im Millennium Park war es irre kalt, aber wunderschön.
Jacob hatte bestimmt schon raus, dass ich Schlittschuh laufen kann, bevor wir überhaupt aufs Eis kamen. Einerseits ist er wirklich so klug, und andererseits bin ich ungefähr so schwer zu lesen wie eine Anzeigentafel. Trotzdem behielt er die ganze Zeit über fast nur mich im Blick, statt die Szenerie zu genießen. Ist schon ulkig, wie er mich manchmal anstarrt. Er hört auch nicht damit auf, wenn ich ihn dabei erwische. Er lächelt nur still.
Und was für ein Lächeln das ist. Mit seinen dunklen Haaren, seinen dunklen Augen und dem makellos getrimmten, verwegenen Kinnbart sieht Jacob geradezu umwerfend gut aus.
Er schaute mir beim Zubinden der Schlittschuhe zu, als würde ich gerade ihm zuliebe einen Striptease veranstalten, und half mir dann auf die Füße. Doch selbst als ich aufrecht stand, ließ er meine Hand nicht los. Es kam mir fast so vor, als wollte er mich an sich ziehen und küssen - direkt dort neben der Bank und mit jeder Menge Leute um uns herum. Lauter Heteros, hätte ich wetten mögen, zumindest zum überwiegenden Teil. Familien. Kinder.
Ich drückte kurz seine Hand und er ließ los. „Willst du jetzt mal ein bisschen Action sehen?“, fragte ich.
„Oh ja.“
Ich glitt schwungvoll auf die Eisfläche hinaus und mischte mich unter die anderen Eisläufer. Warum sagen bloß immer alle „Das ist wie mit dem Radfahren“? Der Spruch hat mir nie so ganz eingeleuchtet, weil ich schon immer ein mieser Radfahrer war, ganz gleich in welchem Alter. Aber Schlittschuhlaufen? Das hatte ich sofort wieder drauf.
Meine schwarze wollene Cabanjacke war nicht besonders aerodynamisch, aber das störte mich nicht. Ich hatte heute längere Beine als damals mit elf, und die Kufen schnitten mit einem befriedigenden Knirschen ins Eis, wenn ich mich abstieß. Ich kurvte leichtfüßig um das wackelige Pärchen in ihren zueinander passenden gelben Parkas herum, das sich gegenseitig zu stützen versuchte. Eine athletisch wirkende Schlittschuhläuferin, die in tief gebückter Haltung dahinglitt, suchte meinen Blick und lächelte. Anscheinend war sie froh, noch jemanden auf dem Eis zu sehen, der ein bisschen Tempo aufnehmen wollte. Sie sah richtig professionell aus, mit Lycra-Leggins und so. Ich hätte sie schlagen können, jede Wette.
Aber da packte mich jemand am Ellbogen, und ich drehte mich um. Da war Jacob, sexy wie die Sünde in seiner Lederjacke und dem indisch gemusterten Schal. „Vic - willst du wissen, was ich gerade denke?“, fragte er. Der Schal verdeckte zwar seinen Mund, aber ich konnte ihm das Lächeln an den Augen ansehen.
„Gibt’s davon eine jugendfreie Version?“
„Nein.“
In der Menge vor mir hatte sich eine weite Lücke gebildet, also machte ich eine rasche halbe Drehung und fuhr rückwärts weiter, um Jacob dabei zusehen zu können, wie er mich beobachtete. Hinter ihm funkelten die weißen Lichter. Die Nacht war magisch. Auf der Michigan Avenue wanderten zwar Verkehrsunfallopfer herum - die nur ich sehen konnte, und nur, wenn ich den Kopf im richtigen Winkel neigte - wie in der Nacht der lebenden Toten, aber die konnte ich ausblenden und so tun, als bestünde meine ganze Welt nur aus Jacob, Weihnachtslichtern und dem dunklen Nachthimmel.
Ich drehte mich wieder herum, um nicht etwa ein unschuldiges Schulkind anzurempeln, und ließ Jacob zu mir aufholen. Er hakte sich bei mir ein, wodurch nicht nur unser Tempo abnahm, sondern auch die Wahrscheinlichkeit, jemanden über den Haufen zu rennen. Überall liefen auch andere Paare Arm in Arm, aber weit und breit keine zwei Männer - abgesehen von einem Jugendlichen, der einen triefnäsigen kleinen Bengel hinter sich her zerrte. Seinen kleinen Bruder, dem Aussehen nach.
Ich ruckte leicht mit dem Arm, weil ich wissen wollte, ob Jacob sich von mir lösen würde. Nein.
Ach ja, warum auch nicht? Falls irgendwer sich künstlich darüber aufregen wollte, dass wir beide Arm in Arm liefen, würde Jacob denjenigen bestimmt liebend gern mit einem vernichtenden Blick zum Schweigen bringen. Und falls es zu Handgreiflichkeiten kam, konnte ich auf meinen Schlittschuhen immer noch ganz schnell die Kurve kratzen, während Jacob demjenigen Manieren beibrachte. Aber außer einem durchsichtigen Taxifahrer mit eingedrücktem Gesicht, der halb in, halb neben einem Laternenmast stand, stellte niemand auch nur Blickkontakt mit mir her. Jacob und ich liefen zusammen unter den Weihnachtslichtern eine gute Stunde lang Schlittschuh, bis ich anfing zu bibbern und Jacob mich vom Eis herunter steuerte. Er schaute mir genauso genießerisch beim Ausziehen der Schlittschuhe zu wie vorhin beim Zuschnüren.
Ohne Schlittschuhe macht das Herumschlittern auf dem Eis nicht annähernd soviel Spaß wie mit, vor allem, wenn man es nicht absichtlich tut. Auf dem Rückweg zur El geriet ich auf eine eisglatte Stelle und schoss mit wild rudernden Armen ein Stück weit darauf entlang, dann fing ich mich und kam taumelnd wieder in die Senkrechte.
„Wir können gern nochmal zurück, falls du noch nicht genug hast“, sagte Jacob.
Ich ignorierte die Bemerkung, obwohl er mich eindeutig damit triezen wollte, so wie er mich angrinste. „Ich war viel schneller als du“, sagte ich.
„Mm-hm.“
„Und ich konnte es besser.“
Ich wartete auf einen geistreichen Kommentar, aber es kam keiner. Wir blieben beide stehen und schauten uns an. Sein Blick war immer noch starr auf mich gerichtet, und er schmunzelte immer noch.
„Wa - ?“
Jacob packte mich, noch ehe ich das Wort ganz ausgesprochen hatte, und zerrte mich in die Nische vor dem Eingang eines Feinkostgeschäfts, das über Nacht geschlossen war. Er riss mich herum, drängte mich rücklings gegen den Türgriff und drückte sich mit seinem ganzen Körper an mich.
Seine Lippen schmeckten nach Winter. Sein Gesicht war kalt, sogar sein Mund, aber wie sich unsere Zungen aneinanderpressten - das war heiß. Meine Hände in den dicken Handschuhen tasteten sich zu seinem Nacken, zogen ihn an mich. Jacob löschte den Rest der Welt aus - bis auf den Türgriff, aber den konnte ich ignorieren, zumindest kurzfristig. Der ganze Abend mit ihm kam mir vor wie aus einem viel einfacheren, glücklicheren Leben gestohlen. Nur dass dieses Leben tatsächlich meins war. Ich seufzte in seinen Kuss hinein, als er widerstrebend zurückwich; er ließ sich Zeit damit, bis das unverkennbare Knirschen von Schritten auf dem gefrorenen Matsch herannahende Passanten ankündigte.
„Weißt du überhaupt, wie glücklich du mich machst?“, fragte er.
Es war gut, dass ich in der dunklen Nische seine Augen nicht richtig sehen konnte. Das wäre viel zu viel gewesen. Ich schluckte mühsam; in meiner Kehle mischte sich der metallische Geschmack von der Anstrengung des Schlittschuhlaufens mit dem kühlen Aroma von Jacobs Kuss. „Gleichfalls“, sagte ich.
Ich schob Jacob wieder auf die Straße zurück und fiel neben ihn in Schritt, wobei ich mir alle Mühe gab, nicht auf der Stelle völlig den Kopf zu verlieren. Denn die Erkenntnis, dass ich wirklich und wahrhaftig glücklich war, hatte mich getroffen wie ein Schlag. Ich rückte ein wenig dichter an Jacob heran und schob meine behandschuhte Hand unbeholfen in seine. Er drückte mir die Hand.
~Ende~
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Titel der englischen Originalausgabe: Thaw ©2007 Jordan Castillo Price
Übersetzt von Feliz Faberd
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