Der Cellist - Teil 27

Sep 19, 2012 10:19

Teil 1 - Teil 26


Als Bruce aufwacht, starrt er direkt in Darcys unverschämt grinsendes Gesicht. Einen Moment lang weiß er nicht, womit er diesen Anblick am frühen Morgen verdient hat, dann regt Natasha sich hinter ihm - drückt ihr Gesicht in seinen Nacken.

Darcy grinst noch ein wenig breiter. „Guten Morgen, Professor.“

So nennt sie ihn für gewöhnlich nur, wenn er wirklich in ganz schrecklichen Schwierigkeiten ist - wenn er sein Labor seit Stunden nicht verlassen hat, oder seine Brille nicht finden kann, weil er vergessen hat, dass er sie schon aufhat zum Beispiel.

„Womit habe ich diesen Einbruch in meine Privatsphäre verdient?“ erkundigt er sich leise bei ihr, und sie lässt sich neben dem Bett auf den Hintern plumpsen, lehnt sich mit dem Rücken an die Wand. „Ich wollte dir den neuesten Klatsch und Tratsch vorbei bringen.“

Er hebt eine Augenbraue. „Entgegen sämtlicher Anzeichen bin ich nicht eins von den Mädels, Darcy.“

Ihr unverschämtes Grinsen nimmt alarmierende Intensität an. „Oh, glaub mir, das sehe ich.“

Natasha hebt ihren Kopf an und wirft Darcy über Bruce hinweg einen strengen Blick zu. „Wir haben lediglich zusammen geschlafen.“

Bruce fängt an zu husten, und Darcy entkommt ein fassungsloses Lachen. „Ach wirklich?“

„Ich meine das wörtlich“, rügt Natasha sie mit einem kleinen Rümpfen ihrer perfekten Nase, und Darcys Lachen erstickt augenblicklich. „Ist das euer Ernst?“

Bruce spürt Natasha hinter sich nicken, und eine Sekunde später ist Darcy vom Bettvorleger aufgesprungen. „Dann muss ich mich ganz offensichtlich nicht beherrschen.“

Damit wirft sie sich zu ihnen ins Bett.

„Unglaublich“, murmelt Bruce in sein Kopfkissen, während Darcy sich voller Elan zwischen sie wühlt - Natasha nimmt das Ganze mit bezeichnendem Gleichmut hin.

Bruce wirft ihr einen fassungslosen Blick zu, als Darcy endlich ruhig liegt, und Natasha zuckt mit den Schultern. „Ich bin eins von den Mädels. Ich will den Klatsch und Tratsch hören.“

Darcy räkelt sich wohlig. „Ein Gefühl wie Weihnachten. Das müssen wir öfter machen.“

Bruce kann nicht begreifen, wie das sein Leben ist. „Erzähl uns deine Neuigkeiten“, seufzt er gottergeben. „Was hat Jane dir erzählt?“

„Woher weißt du, dass ich meine Neuigkeiten von Jane habe?“ fragt Darcy ihn und piekt ihm in die Hüfte. „Ich könnte sie genau so gut von Fandral haben. Vielleicht haben Fandral und ich letzte Nacht zusammen geschlafen.“

„Noch ein Wort über die Schlafarrangements der vergangenen Nacht, und ich mach dir nie wieder Kaffee“, droht Bruce ihr mit einem erschöpften Lächeln, und sie greift sich entsetzt an die Brust. „Das ist aber sehr hart.“

„So bin ich“, behauptet er trocken. „Fies und gemein - besonders, wenn man mich wütend macht. Und jetzt erzähl endlich. Natasha wird schon ganz blau vor Neugier.“

„Lustig, dass du das sagst“, erwidert Darcy und reckt ihr Kinn gen Zimmerdecke. „Loki wird nämlich auch manchmal blau. Wie ein Schlumpf.“

Pepper ist nicht sonderlich überrascht, als sie in die Küche kommt, und Tony und Steve dabei erwischt, wie sie gemeinsam Kaffee trinken.

Aber sie hatte damit gerechnet, sie entweder ölverschmiert oder mehr oder weniger verschwitzt vorzufinden. Denn wenn Tony mitten in der Nacht ihr Bett verlässt, dann verschwindet er entweder in seine Werkstatt oder zum Training.

Oder er geht die Welt retten.

„Guten Morgen“, sagt sie unsicher, verharrt einen Augenblick lang im Türrahmen - aber Steve begrüßt sie mit einem ruhigen Lächeln, und Tony sieht nicht aus, als sei etwas Ernsthaftes vorgefallen. JARVIS hätte ihr auch gesagt, wenn das Verbrechen in der Nacht auffällig geworden wäre und des Einsatzes von Iron Man und Captain America bedurft hätte.

„Warum bist du nicht zurück ins Bett gekommen?“ erkundigt sie sich also mit einem Hauch Vorwurf in der Stimme bei Tony, und er seufzt. „Steve und ich hatten was zu besprechen.“

Sie blinzelt und kommt an den Tisch heran. „Ach ja? Und das konnte nicht bis zum Sonnenaufgang warten?“

„Du hast mich mitten in der Nacht aufs Dach geschickt, um ihn reinzuholen, gute Frau, beschwer dich nicht.“

„Ich habe dich aufs Dach geschickt, um ihn reinzuholen, damit er Schlaf bekommt, Tony“, erwidert sie erschöpft. „Nicht, damit ihr euch gegenseitig wach halten könnt.“

„Dein Plan war doch schon in dem Moment zum Scheitern verurteilt, als du mich geschickt hast“, entgegnet er brüsk. Aber er steht von seinem Stuhl auf und tritt an die Kaffeemaschine heran. „Doppelter Schuss Espresso mit Caramel-Sirup?“

Sie seufzt. „Genau, was ich jetzt brauche.“

Sein stolzes Grinsen erhellt ihr den Tag. Sie kann nicht anders, als sich zu ihm stellen und ihm einen Kuss auf die Schläfe drücken. „Das nächste Mal kommst du zurück ins Bett. Ich will schließlich auch hören, was es so unglaublich Wichtiges zu besprechen gab - es sei denn natürlich, wir reden hier von streng geheimen militärischen Informationen, die du selbstverständlich nie an mich weiter gibst. Nie.“

Am Küchentisch verbirgt Steve ein Grinsen in seiner großen Handfläche, und Tony räuspert sich nachdrücklich. „Selbstverständlich. Nie.“

Er macht ihr einen Kaffee, und versorgt Steve und sich selbst mit Nachschub. Erst, als sie alle gemeinsam wieder am Tisch sitzen, öffnet er den Mund, um eine Erklärung abzugeben - und schließt ihn wieder. „Ich bin mir nicht ganz sicher, wo ich anfangen soll.“

Pepper zieht ihre Tasse an sich heran und tunkt einen Keks in ihren Milchschaum. „Vorzugsweise am Anfang, Tony.“

„Du bist garstig, wenn du allein schlafen musstest, hat dir das schon mal jemand gesagt?“

„Du bist selbst Schuld daran, dass ich garstig bin, weil ich allein schlafen musste, Tony Stark, und jetzt erzähl mir endlich, was los ist.“

Er räuspert sich. „Steve und ich haben letzte Nacht die Lady Sif auf dem Dach getroffen.“

Sie macht sich mit einem Ruck gerade. „Wenn sich das Dach jetzt zum allgemeinen Treffpunkt entwickelt, musst du etwas bezüglich der Sicherheitsvorkehrungen unternehmen, Tony. Die Dachpfeiler sind nicht mehr die Jüngsten.“

Er starrt sie an. „Ich habe letzte Nacht eine Göttin auf meinem Dach getroffen, und du machst dir Gedanken über ein paar morsche Balken?“

Sie zuckt mit den Schultern. „Ist nicht die erste Göttin, die du auf dem Dach getroffen hast.“

Dieses Argument muss er wohl oder übel gelten lassen. „Jedenfalls hat Sif uns ein paar Neuigkeiten bezüglich unseres Lieblingsgastes erzählt … Woraufhin Steve und ich beschlossen haben, ihm nicht mehr ganz so abneigend gegenüber zu stehen.“

„Es freut mich, das zu hören“, erwidert Pepper gelassen. „Krieg ich die Neuigkeiten jetzt auch bald zu hören?“

„Garstig“, sagt Tony mit Nachdruck, dann gibt er mit Steves Unterstützung an sie weiter, was Sif ihnen in der vergangenen Nacht erzählt hat.

Hämmer. Thors Schlafgewand ist mit kleinen Hämmern dekoriert.

Loki will nie wieder zu diesem Anblick aufwachen müssen, allein schon, weil die Erinnerung, wie Mjölnir auf seiner Brust gelegen, und ihn zu kompletter Bewegungslosigkeit verdammt hat, zu seinen unangenehmeren gehört.

Mjölnir nicht ganz unähnlich liegt augenblicklich Thors Arm auf seiner Brust - verdammt ihn ebenfalls zu Bewegungslosigkeit.

Zu allem Überfluss schnarcht Thor auch noch.

Aber Lokis Körper wird von angenehmer Wärme durchflutet, er weiß wo, wann und wer er ist, er fürchtet nicht länger falsche Visionen in jedem Schatten. Also lässt er Thor schlafen, lässt ihn schnarchen, betrachtet den Arm über seiner Brust mit widerwilliger Zuneigung.

Thor neigt dazu, ihn festzuhalten - ganz besonders im Schlaf. Thor fürchtet tatsächlich, ihn erneut zu verlieren.

Loki kann es nicht begreifen. Aber er wird Thor nicht darauf aufmerksam machen, dass er ihn hassen, dass er ihn vielleicht sogar töten sollte. Beim letzten Mal hat Thor nicht sonderlich wohlwollend darauf reagiert.

Loki begrüßt es nicht, von diesem unmanierlichen Bären von einem Mann geschüttelt und ausgeschimpft zu werden wie ein kleines Kind - schätzt es keineswegs, auch nur die Andeutung von Reue und Tränen in Thors Augen zu sehen.

Wenn er Thor nur begreiflich machen könnte, dass er seine Vergebung nicht verdient hat. Er war bereit, Thor zu töten, er hat ihn getötet - und das aus Angst, aus Feigheit, aus Eifersucht. Seine Furcht vor Thors Reaktion, sollte er je erfahren, wie es um seine wahre Abstammung beschaffen ist, war so groß, dass er jedem Versuch Thors, seiner verfluchten Existenz ein Ende zu bereiten, zuvor kommen wollte.

Schmerz strahlt plötzlich durch seine Brust, kalt und stechend, und Loki schließt die Augen und nimmt einen tiefen Atemzug. Neben ihm erwacht Thor mit einem erstickten Keuchen, zieht mit einem Ruck seinen Arm von ihm zurück - bedeckt ihn stattdessen halb mit seinem Körper, zieht ihn in eine wärmende Umarmung. „Was hast du getan?“

Loki kann nicht antworten, der Schmerz schnürt ihm die Kehle zu, und er presst sein Gesicht in Thors Halsbeuge, atmet den Geruch nach Sonne und Blut ein, der Thor stets anhaftet, völlig egal, wie lange die letzte Schlacht auch her sein mag - wie lange es her sein mag, dass er im Angesicht der Sonne gewandelt ist.

Thors Hand gleitet in seinen Nacken, fährt durch die Strähnen seines gestutzten Haars, groß und warm und voll unbändiger Kraft.

Loki fürchtet diese Kraft beinahe so sehr wie sie ihn mit einem Gefühl von Sicherheit erfüllt.

Er presst seine Stirn an Thors Hals und lauscht auf seinen Herzschlag. Manchmal geht es über seinen Verstand, wie nahe er daran war, ihn für immer aus den neun Königreichen zu löschen. Ohne Odins Eingreifen, ohne Mjölnir und seine Götterkraft wäre Thor gestorben, hingestreckt durch den Zerstörer. Thors Kraft, all seine Wärme, der Geruch nach Blut und Sonne wären verloren.

Der kalte Schmerz breitet sich in ihm aus, strahlt bis in seine Lungen, und er kann nicht atmen.

„Hör auf“, murmelt Thor an seinem Ohr, „hör auf damit, Loki.“

Als sei es seine Schuld, als würde er sich diesen Schmerz absichtlich zufügen. Als genieße er es, langsam und elendig zu ersticken.

„Loki!“ Thors Stimme hat einen Unterton von verzweifelter Wut angenommen - und Loki weiß, was folgen wird - kneift die Augen fester zu.

Aber diesmal schlägt Thor ihn nicht, legt nicht Hand an ihn - er pustet ihm ins Ohr.

Loki ist derartig verdutzt, dass er die Augen wieder aufschlägt, um Thor verwirrt anblinzeln zu können. Im ersten Moment bemerkt er nicht einmal, dass der Schmerz verschwunden ist, und er wieder frei atmen kann.

Thor grinst auf ihn hinab, sichtlich stolz auf seinen tollen Trick. „Das war Janes Idee“, verkündet er mit ungewohnt gemäßigter Lautstärke. „Lass sie uns aufsuchen, um sie darüber zu informieren, wie erfolgreich ihre List sich bewährt hat!“

Clint bleibt einen Moment lang vor der Tür zur Küche stehen, wappnet sich, nimmt einen tiefen Atemzug. Phil steht hinter ihm, schweigend, ruhig, legt ihm die Hand auf die Schulter.

Phil fragt ihn nicht, ob er ok ist - weil er ganz genau weiß, wie sinnlos die Frage in diesem Moment ist. Aber er drängt ihn auch nicht vorwärts, wartet voller Geduld, bis Clint so weit ist.

Als Clint sich endlich durch die Tür wagt, stellt sich heraus, dass die ganze Aufregung mehr oder weniger umsonst war. Loki ist nicht anwesend - keiner ihrer asgardischen Besucher ist anwesend.

Stattdessen sitzt die übliche Besetzung um den Tisch versammelt - zur Feier des Tages in den grässlichen Themenschlafanzügen, die Tony ihnen allen besorgt hat. Darcy ist heute ein wandelnder iPod, Natasha mit silbernen Spinnennetzen bestickt - und Pepper schafft es irgendwie, ihre Salz- und Pfefferstreuer mit würdevoller Erhabenheit zu tragen.

Clint ist langsam davon überzeugt, dass Tony sich heimlich eine Textilfabrik in Indien gekauft hat. (Oder er lässt die Pyjamas über einen Zweig seiner neuen Plüschtierfabrik herstellen. Alles denkbar. Clint muss ihn daran erinnern, dass er ein verdammtes Hulk-Plüschtier haben will. In Originalgröße.)

So wie es aussieht, kann von Frühstück noch nicht die Rede sein - aber diverse Kaffeetassen auf dem Tisch deuten an, dass Koffein bereits mehr als reichlich konsumiert wurde.

„Guten Morgen“, sagt Clint leise, setzt sich auf seinen üblichen Stuhl, und wünscht sich unwillkürlich, die anderen würden ihn nicht ganz so auffällig aus dem Augenwinkel mustern.

Bruce erhebt sich von seinem Platz, drückt im Vorbeigehen seine Schulter, und Clint seufzt und schließt kurz die Augen. Wenn er lieb Bitte sagt, kriegt er den Hulk-Plüschi in Originalgröße vielleicht auch von Bruce. Es hat etwas unglaublich Beruhigendes, vom Hulk im Arm gehalten zu werden. Zumindest für Clint. Für größenwahnsinnige Superschurken vermutlich nicht ganz so sehr.

„Pfefferminz-Sirup?“ fragt Bruce ihn leise, und Clint nickt. „Extra viel Milchschaum.“

Er blickt in die Runde. „Unsere Gäste haben sich noch nicht blicken lassen?“

Tony zuckt mit den Schultern. „Vielleicht warten sie auf Jane.“

„Niemand wartet auf Jane“, erklärt Darcy mit einem Hauch Entsetzen in der Stimme. „Mit dem Frühstück auf Jane zu warten, bedeutet sich einem gar schrecklichen Hungertod ausliefern.“

Tony zuckt ein weiteres Mal mit den Schultern. „Vielleicht wissen sie das nicht.“

„Sie haben mehr als zwei Monate mit Jane verbracht“, sagt Bruce gelassen. „Sie wissen es.“

Steve seufzt. „Warum genau warten wir dann auf Jane?“

Clint verbirgt sein Gesicht in seiner Handfläche und gibt sich den Zuckungen seines hilflosen Gelächters hin. Er liebt diese Bande von Wahnsinnigen.

Jane befindet sich in diesem halb komatösen Zustand, den sie gern als Schlaf bezeichnet, und der Darcy mehr als nur einmal dazu veranlasst hat, ihren Puls zu messen, um zu überprüfen, ob sie noch lebt.

Thor steht neben ihrem Bett, blickt mit hilfloser Zärtlichkeit in den Augen auf sie hinab, und scheint nicht zu wissen, wie weiter vorzugehen ist.

Loki kann nicht fassen, dass Thor, Gott des Donners und furchtloser Kriegsherr, siegreich in unzähligen Schlachten, nach wie vor davor zurückschreckt, die Dame seines Herzens aus ihrem Schlaf aufzustören.

Was soll sie schon tun - ihn anfallen? Jane mag furchterregend in ihrem Zorn sein, aber am Ende des Tages muss sie dennoch auf nicht nur eine sondern zwei Kisten steigen, um sich mit Thor auf Augenhöhe zu befinden.

Thors anhaltende Unsicherheit im Umgang mit ihr löst eine nicht zu leugnende Belustigung in Loki aus - er setzt sich kurz entschlossen aufs Bett. „Jane.“

Jane murrt.

Mit dieser Reaktion ist Loki vertraut - viel zu sehr, wenn er ehrlich ist. Thor schiebt ihn seit Neuestem viel zu oft vor, um sie zu wecken. Er legt seine Hand auf ihre Schulter. „Jane.“

Sie murrt ein weiteres Mal - laut und lang gezogen, und Loki schüttelt ihre Schulter. „Es ist Zeit, Jane.“

Jane grunzt und rollt sich auf den Bauch.

„Ich fürchte, sie ist tot“, bemerkt Loki trocken. Thor wagt sich einen Schritt dichter ans Bett heran. „Es wird nicht amüsanter, je öfter du darüber scherzt“, sagt er gelassen, legt Loki seinerseits die Hand auf die Schulter. Ein Grinsen zieht über seinem Gesicht auf. „Vielleicht sollten wir sie mit kaltem Wasser überschütten.“

„Das hab ich gehört“, knurrt Jane in ihr Kopfkissen.

„Es spricht“, merkt Loki an - und fällt beinahe vom Bett, als Jane plötzlich kerzengerade neben ihm sitzt. „Frühstück!“

Thor scheint mindestens so verdutzt zu sein wie Loki, wenn nicht sogar noch mehr. „Was ist damit?“

„Das Frühstück mit den Anderen! Kaffee! Frische Brötchen! Kaffee! Wie spät ist es? Am Ende fangen sie noch ohne uns an!“ Sie rutscht aus dem Bett und rennt ins Bad, und Loki starrt die Tür an, die sie hinter sich zugeworfen hat. „Was waren das für Zeichen auf ihrem Gewand?“

„Das ist das Periodensystem der Elemente“, erwidert Thor feierlich - und Loki weiß instinktiv, dass er keine Ahnung hat, wovon er redet. Er wird Jane fragen müssen.

So sehr Loki diese Frau auch einst verachtet haben mag - sie weiß so gut wie immer, wovon sie spricht. Sie ist intelligent. Ohne ihre Hilfe wäre es nie so schnell gelungen, den Bifrost zu reparieren.

Es mag mit einer gehörigen Menge an Unwillen sein, aber Loki bewundert Jane. Nicht zuletzt, weil es ihr mit derartiger Leichtigkeit gelingt, Thor um den kleinen Finger zu wickeln, ohne es überhaupt darauf anzulegen.

Darcy, ausgesandt die außerirdischen Besucher zum Frühstück abzuholen, findet eine Reihe leerer Zimmer vor. Sie ist nicht amüsiert. „JARVIS, wo sind unsere asgardischen Gäste?“

Im Garten, Miss Darcy. Die Lady Sif hat ihre Gefährten bei Sonnenaufgang zu einem Kräftemessen unter midgardischen Bedingungen herausgefordert.

„Oh, ganz toll“, seufzt Darcy und macht sich auf den Weg. „Eine zweite Natasha.“

Aber als Darcy den entsprechenden Teil des Gartens erreicht - umgeben von Büschen und Bäumen und sicher vor neugierigen Blicken aller Art - hat Sif soeben Fandral zu Boden geworfen. Jetzt kniet sie auf seiner Brust, hat den Kopf in den Nacken gelegt und lacht - fröhlich und frei und sichtlich zufrieden mit sich selbst. Darcy muss ihre Meinung revidieren.

Natasha zeigt keine Emotionen, wenn sie trainiert, und schon gar nicht hätte sie ihre Deckung derartig vernachlässigt, dass Fandral sie packen und von sich schleudern könnte.

Sif fängt sich ab, schlägt ein Rad und steht fest auf beiden Beinen, als Darcy sie erreicht - Fandral setzt sich auf, schenkt ihr ein gut gelauntes Lächeln. „Guten Morgen, Mylady.“

Sie grinst ihm zu, blickt sich um. „Wo ist der Rest von euch?“

Ein Rascheln aus dem nächsten Baum verrät Hoguns Position, eine Sekunde später steht er neben ihr.

„Volstagg scheint wieder eingeschlafen zu sein“, bemerkt Fandral mit amüsiertem Unterton und steht auf, deutet über seine Schulter hinweg in Richtung eines von der Morgensonne beschienenen Fleckens Rasen.

Darcy ist nicht ganz klar, wie ihr der schlafende Gigant bisher entgehen konnte - sein Bart muss eine unfassbar gute Tarnung abgeben, besonders im Herbst.

„Kommt ihr zum Frühstück?“ erkundigt sie sich, blickt fragend in die Runde. In ihrem Rücken gibt Volstagg ein Schnauben von sich und setzt sich langsam auf, schüttelt ein paar Blätter aus seinem Bart.

Fandral stemmt beide Hände in die Hüften. „Du könntest wenigstens so tun, als würde nicht schon die Erwähnung einer Mahlzeit ausreichen, dich aus dem tiefsten Schlummer aufzustören.“

Volstagg kommt schnaufend auf die Beine. „Warum sollte ich das tun?“

Fandral zieht ihm eine leidende Grimasse. „Du bist so berechenbar.“

„Ihr seid sowas von verheiratet“, sagt Darcy grinsend. „Und ihr wascht euch besser die Hände, ehe ihr euch an den Tisch setzt. Sonst gibt’s Ärger von Pepper.“

Eine Drohung, die sämtliche anwesenden Halbgötter mit angemessener Ehrfurcht erfüllt - wenn Volstagg Darcy auch darauf aufmerksam macht, dass er seiner Gemahlin in Treue ergeben ist.

Eine Aussage, die Fandral spöttisch schnauben lässt. „Eine reich gedeckte Tafel ist deiner treuen Ergebenheit weit sicherer als deine Gemahlin.“

Volstagg blinzelt ihn gutmütig an. „Du vergisst, mein lieber Fandral, dass meine Hilda eine äußerst reich gedeckte Tafel ist.“

Fandral bezeichnet ihn als schamlosen Genießer, eine Beleidigung, die Volstagg geübt an sich abprallen lässt. Er bezichtigt Fandral der Eifersucht, und lässt offen, ob er auf Hilda oder Volstagg selbst eifersüchtig sein soll.

Hogun und Sif werfen sich einen flüchtigen Blick der leidgeprüften Gottergebenheit zu, der Darcy laut auflachen lässt. Thor scheint wirklich zu wissen, wie er sich seine Freunde auszusuchen hat.

Der Küchentisch ist reich gedeckt, als Thor seine Liebsten vor sich her in die Küche schiebt, schon beinahe überladen, aber seine Aufmerksamkeit gilt allein Clint und Phil.

Nach den Geschehnissen am vergangenen Abend hatte er gefürchtet, Lokis Anwesenheit mit dem Verlust dieser Freunde bezahlen zu müssen. Sie in vertrauter Manier mit den Anderen am Tisch sitzen zu sehen, erfüllt ihn mit überschäumender Freude.

Er löst seinen Griff von Lokis Schulter und Janes Hüfte, eilt in den Raum hinein und schlingt seine Arme gleichzeitig um Clint und Phil, drückt sie mit einem erleichterten Seufzer an sich.

Phil hat es bisher geschafft, Thors Umarmungen zu entkommen, aber mit einer derartigen Attacke am frühen Morgen hat er nicht gerechnet. Er ächzt.

Clint hingegen lässt einen Seufzer hören, der beinahe so erleichtert klingt wie Thors. Phil nimmt sich im Stillen vor, Clint bei der nächsten Gelegenheit vorzuschlagen, seine Freunde weit häufiger zu umarmen.

Er weiß, dass Clint es insgeheim genießt, aber er weiß außerdem, dass Clint das erstens niemals zugeben wird, und zweitens wahrscheinlich davon ausgeht, Phil könne eifersüchtig werden, wenn er es tut.

Phil hat seine Eifersucht zu Bruce Banner überwunden, und den hat Clint halbnackt umarmt, während Phil im Koma lag. Phil schätzt, er wird mit voll bekleideten Umarmungen klar kommen.

„Es erfüllt mich mit großer Freude, euch zu sehen“, erklärt Thor seinen Überfall, und Phil erwacht aus seinen Überlegungen, um festzustellen, dass er nach wie vor umarmt wird.

„Wir sind auch froh, dich zu sehen, Kumpel“, erwidert Clint betont leichtherzig und tätschelt Thors goldenes Haupt.

Er ist sich Lokis Anwesenheit in seinem Rücken so bewusst wie der eines Messers, das sich gegen seine Wirbelsäule presst, aber auch er hat inzwischen Lokis Geschichte gehört, also beschließt er, das unangenehm kühle Stechen zu ignorieren.

Er würde Loki nach wie vor am Liebsten dafür umbringen, dass er ihm beinahe Phil weggenommen hätte, aber da er das nicht kann - Thor hätte da wohl ein Wörtchen mitzureden - bleibt ihm nur, Lokis Existenz so gut es eben geht zu ignorieren.

Clint ist unglaublich gut darin, die unnötigen und unangenehmen Aspekte seines Daseins auszublenden. Eine Fähigkeit, die ihn unter anderem zum besten Scharfschützen der Welt macht.

Thor richtet sich endlich wieder auf, und stellt fest, dass Jane bereits mit ihrer ersten - möglicherweise auch bereits der zweiten - Tasse Kaffee am Tisch sitzt, während Loki im Türrahmen verharrt ist.

Er erweckt den Eindruck, als habe er vor, das auch weiter zu tun. Thor unterdrückt ein Stirnrunzeln und geht zu ihm, fasst Loki am Ellenbogen und blickt sich am Tisch um. „Wo ist Darcy? Wo sind die Lady Sif und der Krieger Drei?“

„Wir sind hier, wir sind hier, kein Grund zur Panik!“ Darcy herdet ihre Schäfchen durch die Terrassentür in die Küche und wischt sich das leicht zerzauste Haar aus der Stirn. „Ich bin sowas von darauf vorbereitet, einem Rudel SHIELD Agenten Dampf zu machen, Phil - das glaubst du gar nicht!“

Er betrachtet ihre mitgenommene Gestalt, betrachtet den asgardischen Besuch - die Grasspuren an Sifs und Fandrals Aufmachung, die Blätter in Hoguns Bart - und hebt beide Augenbrauen. „Ich glaube.“

Pepper räuspert sich leise, aber Fandral kommt ihr zuvor, ehe sie Einwände gegen grasgespickte Rüstungen am Frühstückstisch erheben kann. „Wenn die Gesellschaft so gnädig wäre zu warten, bis wir uns angemessen hergerichtet haben, wären wir ihr sehr verbunden.“

Pepper neigt leicht den Kopf. „Nur zu gern.“

Er grinst und zwinkert Darcy zu, und sie scheucht ihn aus der Küche. „Dann mal los! Ihr wisst, wo eure Badezimmer sind? Hat euch jemand gezeigt, wie die Duschen - ach, wisst ihr was, ich komm mit …“

Damit sind sie allesamt verschwunden, und Thor lässt sich grinsend zwischen Loki und Natasha am Frühstückstisch nieder. „Darcy weiß mit Fandral umzugehen, so scheint mir.“

„Darcy hat letzte Woche Johnny Storm kennen gelernt“ bemerkt Tony trocken. „Fandral geht wenigstens nicht ohne Vorwarnung in Flammen auf.“ Er grinst ein wenig und wirft Steve einen kalkulierenden Blick aus dem Augenwinkel zu. „Bist du dir eigentlich völlig sicher, dass die Storms nicht entfernt mit dir verwandt sind, Steve? Johnny sieht dir wirklich auffallend ähnlich.“

„Völlig sicher“, erwidert Steve mit Nachdruck. „Und Johnny sieht mir nicht im Geringsten ähnlich.“

„Was redest du da - ihr könntet Zwillinge sein!“

„Johnny Storm“, sagt Steve mit einer Andeutung von Entrüstung, „hat versucht mit Pepper zu flirten!“

„Du flirtest die ganze Zeit mit Pepper!“

„Tony! Es würde mir nicht im Traum einfallen, mit deiner - mit irgendeiner Dame frivole Nichtigkeiten auszutauschen.“

„Frivole - frivole Nichtigkeiten? Hat JARVIS dir wieder Biedermeier-Romane zu lesen gegeben?“

Steve durchbohrt ihn mit einem halb entrüsteten, halb lachenden Blick, und Tony tätschelt seine Schulter. „Nicht verwandt mit Johnny Storm. Schon verstanden.“

Er wird sich bewusst, dass er angestarrt wird, dreht den Kopf und begegnet Lokis zwischen Fassungslosigkeit und Verwirrung schwankendem Gesichtsausdruck. Seine erste Reaktion wäre ein kaltes Hohnlächeln, aber Tony kann sich gerade noch so zusammenreißen. Stattdessen hebt er beide Augenbrauen in stummer Herausforderung - und Loki starrt prompt auf seinen Frühstücksteller hinab.

Auf seinen leeren Frühstücksteller.

Die Gesellschaft hat mit dem Frühstück angefangen, in dem Moment, als Janes Hintern das Sitzkissen ihres Stuhls berührt hat. Jetzt tatsächlich noch auf die Lady Sif und ihr Gefolge zu warten, hieße wirklich, sich einem grässlichen Hungertod auszuliefern. Darcy wird es hoffentlich verkraften, dass sie ohne sie angefangen haben.

„Jane, gib deinem Schwager ein Brötchen“, fordert Tony also betont leichtherzig. „Er sieht aus, als könne er eins gebrauchen. Vielleicht sogar zwei.“

Im ersten Moment ist Jane zu verdutzt, um seiner Aufforderung nachzukommen - also beugt Natasha sich zu dem Korb mit den Brötchen vor, nimmt zwei heraus und reicht sie Loki mit stummer Gelassenheit.

Loki nimmt sie entgegen, sein Gesichtsausdruck inzwischen eine Masse widerstreitender Emotionen - Thor hingegen sieht aus, als würde er jede Sekunde in Freudengesänge ausbrechen.

Das Frühstück ist überstanden, ohne dass von irgendjemandem auch nur der Versuch unternommen wurde, irgendjemand anders umzubringen, und die Stimmung in der Villa entspannt sich ein wenig.

Phil sitzt keine fünf Minuten in seinem Büro (das ehemalige Arbeitszimmer von Tonys Mutter ist jetzt ganz offiziell Phils ureigendster Bereich, selbst wenn Tony das nie direkt so sagen würde), einen lesenden Clint auf der Fensterbank in seinem Rücken, als ein energisches Klopfen Darcys Einbruch in ihre friedliche Stille ankündigt.

Phil macht sich gar nicht erst die Mühe, sie mit einem „Herein“ ins Zimmer zu bitten - der letzte Klopfer ist kaum verhallt, da wirft sie auch schon die Tür auf und marschiert ins Zimmer. „Wir gehen shoppen!“

Wir scheint aus ihr und Natasha zu bestehen, die im Türrahmen verharrt und die Arme vor der Brust verschränkt.

„Das freut mich für euch“, gibt Phil gelassen zu Protokoll und studiert weiter die Zeitungsreaktionen auf Tonys letzte Pressekonferenz. Tony hat Darcy vor geraumer Zeit mit einer Kreditkarte ausgestattet, die es ihr vermutlich ermöglichen würde, Neuseeland zu kaufen, und Darcy scheut sich nicht, ihren Reichtum mit all ihren Freunden zu teilen.

Phil hat Tony schwer unter Verdacht, dass das sein heimtückischer Plan war. „Bruces Tee ist alle. Ihr könnt neuen mitbringen.“

„Steht ganz oben auf der Liste!“ informiert Darcy ihn heiter, marschiert an ihm vorbei und zu Clint, packt ihn am Ellenbogen. „Hopp, hopp!“

„Hopp, hopp?“ wiederholt Clint empört, und Phil dreht sich in seinem Schreibtischstuhl herum, um beide im Auge behalten zu können.

Darcy lässt Clint los, stemmt die Hände in die Hüften und nickt. „Du kommst mit!“

„Ich komme nicht mit!“

„Ein bisschen frische Luft wird dir gut tun!“

„Ein bisschen Ruhe und Frieden wird mir gut tun!“

„Fälkchen, stell dich nicht so an - du kannst ruhig mal Natashas Einkäufe für sie tragen. Sei ein Gentleman!“

„Nenn mich nicht Fälkchen! Das ist ja noch schlimmer als Francis!“

„Aber du heißt doch Francis!“

„Schon! Aber da will man ja nicht ständig dran erinnert werden! Und wenn ihr jemanden braucht, der euch die Einkäufe trägt, dann nehmt unseren Besuch mit!“

„Der kommt sowieso mit“, gibt Darcy ungeduldig zurück, und ihr Gesichtsausdruck verliert einen Gutteil Entschlossenheit und wird durch pure, ganz schreckliche Besorgnis ersetzt. „Bist du sicher, dass du hier bleiben willst?“

Clint blinzelt zu ihr auf, plötzliches Verständnis in den Augen, nimmt ihre Hände in seine, drückt sie beruhigend. „Ich bin ok, Darce.“

„Wirklich?“ erkundigt Natasha sich von der Tür her. „Du warst ... still während des Frühstücks.“

„Du kannst auch kaum von mir erwarten, dass ich mit ihm am Tisch sitze und aus jeder Pore strahle“, gibt Clint zurück - die Schärfe in seiner Stimme ungewollt, wie Phil vermutet.

Natasha stößt sich vom Türrahmen ab und kommt ins Zimmer hinein, und Clint blickt ihr mit einer gewissen Aufregung entgegen. Wenn es jemanden gibt, den Clint niemals, wirklich niemals anschreien will - völlig egal wie verdient - dann ist das Natasha.

Aber Natasha, als sie bei ihm angekommen ist, neigt sich vor und presst ihre Lippen gegen seine Schläfe. „Ja, ich weiß.“

Clint hält still und schließt die Augen, während er noch immer Darcys Hände in seinen hält, und Phil wechselt einen flüchtigen Blick mit Darcy.

„Sollen wir dir irgendwas mitbringen?“ fragt sie Clint leise. „Irgendwas?“

Natasha richtet sich auf, und Clint öffnet die Augen, entlässt Darcys Hände aus seinen „Das ist wirklich nicht nötig. Ich hab hier alles, das ich brauche.“

Wärme steigt in Phils Brust auf, als Clint ihm während dieser Worte den Blick zuwendet. Es sind nicht einfach nur seine Worte, es ist vor allem das unbewusste Lächeln, das in seinen Augen liegt, während er sie ausspricht.

„Alles, das du brauchst, hn?“ wiederholt er liebevoll - und Clint hält prompt sein Buch in die Höhe, das Grinsen auf seinem Gesicht mindestens genau so liebevoll. „Absolut. Dieses Buch ist der totale Oberknaller.“

TEIL 28

fandom: avengers, autor: uena

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