Der Cellist - Teil 18

Jul 23, 2012 08:31


Teil 1 - Teil 17


Darcy wartet, bis Natasha die Trainingshalle verlassen hat, dann wendet sie sich Thor zu. „Mit dir alles in Ordnung, Großer?“

Sein Blick, als er ihn auf sie richtet, ist ein wenig traurig. „Ich habe mich mit der Schwarzen Witwe über Loki ausgetauscht.“

„Mhm“, lautet ihre Reaktion. „Ich kann verstehen, dass das Thema ein ziemlicher Stimmungskiller ist.“

Sie macht zwei Schritte auf ihn zu und lässt sich direkt ihm gegenüber auf den Boden sinken, tätschelt sein Knie. „Nimm es nicht so schwer. Jeder von uns hat Verwandtschaft, auf die er nicht unbedingt stolz ist. Mein Großonkel Bob ist schrecklich rassistisch. Wir reden nicht mehr mit ihm.“

„Jane reagiert äußerst emotional, wann immer ich seinen Namen auch nur erwähne“, sagt Thor leise, und Darcy zieht eine mitfühlende Schnute und tätschelt sein Knie ein weiteres Mal. „Jane hat dich sterben sehen, Thor - indirekt durch seine Hand. Du musst einer Frau zugestehen, dass sie darüber nicht allzu leicht hinweg kommt.“

Thor nickt, sichtlich betrübt, und Darcy runzelt die Stirn. „Du hast ihn immer noch lieb.“ Es ist eine Feststellung, keine Frage, und er nickt.

Sie atmet tief durch. „Du, mein lieber Thor, bist die großzügigste, versöhnlichste Seele, die mir je untergekommen ist. Ich schwöre, selbst Captain America ist nachtragender als du.“

Es mag eine ganze Menge auf Gottes weiter Erde geben, das er nicht begreift, aber selbst Thor weiß offenbar, dass Captain America das absolute Nonplusultra ist. Seine Mundwinkel zucken, und er blickt sie durch seine Wimpern hinweg an. „Ich fürchte, das ist zu viel des Lobes, Darcy.“

Sie schüttelt vehement den Kopf. „Auf gar keinen Fall. Und jetzt setz deinen göttlichen Hintern in Bewegung - wir besuchen Bruce und Jane, und versuchen, sie aus dem Labor heraus zu zerren. Ich schwöre, sollten die zwei jemals Kinder kriegen, werden die direkt in Laborkitteln und mit Brille geboren.“

Sie hievt sich auf die Füße, während sie es sagt, und Thor stößt ein leises Grollen aus. „Ich bringe dem Doktor nichts als Verehrung und Bewunderung entgegen, aber ich möchte mich ausdrücklich dagegen aussprechen, dass er gemeinsam mit meiner Liebsten Nachwuchs in die Welt setzt.“

Er erhebt sich ebenfalls, und Darcy klopft ihm genüsslich auf den göttlichen Hintern. „Dann ab ins Labor, damit du ihnen das mitteilen kannst, ehe es zu spät ist.“

Natasha kommt gerade rechtzeitig in der Küche an, um Clint dabei beobachten zu können, wie er mit unglaublich konzentrierter Miene Rinderhackfleisch mit einem Hauch Pfeffer und Salz bestreut.

„Mehr“, sagt Phil prompt. „Ich hätte gern, dass es nach was schmeckt.“

Clint wirft ihm einen giftigen Blick zu. „Wenn du mir andere Mengenangaben als ‚ein Bisschen’ und ‚ein Wenig’ geben würdest, wäre diese Angelegenheit wesentlich einfacher.“

Phil haucht ihm tatsächlich einen Luftkuss zu.

Würde Natasha zu leidenschaftlichen Gefühlsregungen neigen, ihre Begeisterung hätte sie direkt auf der Schwelle niedergestreckt. So wie die Dinge stehen, muss sie lediglich mit einem liebevollen Grinsen fertig werden.

„Du wolltest mich sprechen, Phil?“

Er steht inzwischen neben Clint am Herd, lässt ihn zusehen, während er höchstpersönlich das Fleisch würzt, und wendet ihr flüchtig den Blick zu.

„Du wirst Darcys Selbstverteidigungstraining übernehmen“, setzt er sie gelassen in Kenntnis. „Du hast sie uns eingebrockt, also wirst du diese Aufgabe ohne Wenn und Aber übernehmen.“

Natasha hebt leicht die linke Schulter und äußert folgsam weder ein Wenn noch ein Aber.

Phils Blick wird ein wenig schärfer. „Ich erwarte, dass sie in zwei Wochen einen angreifenden Messerstecher schreiend in die Flucht schlagen kann.“

Natasha nickt. „Selbstverständlich. Kein Problem.“

Ihre ruhige Bestimmtheit scheint ihn zu besänftigen, und sie lächelt in sich hinein. Wenn es etwas gibt, das sie ganz besonders an Phil Coulson schätzt, dann ist es sein ehrliches Interesse an der Gesundheit seiner Agenten. Er ist eine schreckliche Mutterglucke.

„Hat Fury irgendwas erzählt, das für mich von Interesse ist?“ erkundigt sie sich und tritt näher an die Küchenzeile heran.

Clint stößt ein tiefes Seufzen aus. „Wir sind pleite, Tasha. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, ehe wir uns zur Volksbelustigung erniedrigen müssen, um über die Runden zu kommen.“ Er lässt seinen Blick an ihr auf und ab gleiten. „Wir können die Esmeralda-Tanznummer aus Disneys Glöckner von Notre Dame abziehen. Ich mach den Ziegenbock. Wir werden ein Vermögen verdienen!“

Phil räuspert sich nachdrücklich. „So weit muss es nicht kommen. Ganz so schlimm ist es nicht.“

Natasha schnaubt. „Wenn man den Gerüchten im Hauptquartier trauen kann, ist es noch viel schlimmer.“

Phil schickt einen durchbohrenden Blick in ihre Richtung und scheint sich nicht einmal darüber zu wundern, dass sie bereits Bescheid weiß, obwohl sie seit Wochen nicht in der Zentrale gewesen ist. „Ach so? Wieso hast du keinen Ton gesagt?“

Sie zieht ihm eine vorwurfsvolle Schnute. „Weil du bis vor drei Tagen im Koma gelegen hast, und ich Aufregung vermeiden wollte?“

„Och, Tasha“, überbrückt Clint Phils akute Sprachlosigkeit, „du hast Phil lieb!“

Natasha macht sich nicht die Mühe, ihm zu widersprechen. „Wie lautet der Plan?“ erkundigt sie sich stattdessen.

Phil räuspert sich. „Öffentlichkeitsarbeit.“

Natasha hebt beide Augenbrauen. „Erklär mir den Unterschied zwischen Öffentlichkeitsarbeit und Volksbelustigung.“

Phil fixiert sie mit einem spöttischen Blick. „Clint muss nicht den Ziegenbock machen.“

Steve wartet, bis Tony den Lötkolben für einen Moment ausschaltet, dann schiebt er sich von der Seite an ihn heran. „Tony.“

Tony stößt einen entsetzten Laut aus, der verdächtig nach einem ersticken Schrei klingt, und Steve greift nach seinem Handgelenk, als er im Reflex den Lötkolben in seine Richtung schwingt.

„Großer Gott, tu das nicht ständig!“ fährt Tony ihn an, starrt ihn aus zu großen, weit aufgerissenen Augen an, und Steves Finger schließen sich automatisch fester um sein Handgelenk. „Entschuldige bitte.“

Tonys Gesicht wird erst starr und dann ausdruckslos, dann schließt er die Augen. „Ich … das … du hast mich erschreckt.“

Als er die Augen wieder aufschlägt, sieht er müde aus, abgekämpft und seltsam erschöpft, und Steve lässt seinen Daumen an seinem Handgelenk auf und ab streichen, ohne dass er sich dessen bewusst wäre.

„Schlechte Erinnerungen?“ erkundigt Steve sich vorsichtig, und weiß genug, um nicht nachzufragen, als Tony einfach nur nickt.

„Was wolltest du?“ fragt Tony ihn mit einem entschuldigenden Unterton, der Steve beinahe ein wenig schlecht werden lässt, und er legt seine freie Hand auf Tonys Schulter, kümmert sich nicht um die Ölstriemen und den getrockneten Schweiß auf der nackten Haut.

„Ich weiß, dass du nicht darüber reden willst“, sagt er ernsthaft, sieht Tony fest in die Augen, „aber wenn du deine Meinung ändern solltest -“

„Dann bist du da. Ich weiß, Steve“, unterbricht Tony ihn mit einem leichten Zittern in der gezwungen ruhigen Stimme. „Was wolltest du?“

Steve beißt sich auf die Unterlippe. „Ich wollte dich darauf aufmerksam machen, dass es bald Zeit zum Abendessen ist. Pepper müsste auch gleich aus der Stadt zurück sein. Ich dachte, du willst vielleicht … duschen.“

Tony blickt unwillkürlich an sich hinab, runzelt leicht die Stirn, als er sich in seiner ganzen ölverschmierten Glorie betrachtet, und Steve wird bewusst, dass er den Mann noch immer mit beiden Händen festhält. Er lässt ihn trotzdem nicht los.

„Das wäre vielleicht keine schlechte Idee“, bemerkt Tony leise. Er hebt seinen Blick wieder zu Steve an, betrachtet erst die Hand, die um sein Handgelenk liegt, dann die auf seiner Schulter. „Hast du Angst, dass ich dir weglaufe?“

„Bei dir weiß man nie“, erwidert Steve ebenso leise. „Ist meine Angst unbegründet?“

Einen Moment lang sieht Tony aus, als würde er jetzt in der Tat jede Sekunde vor ihm weglaufen, dann scheint er sich in den Griff zu bekommen und sieht Steve fest an. „Völlig unbegründet.“

Ein kleines Seufzen lässt sich nicht unterdrücken, dann zieht Steve seine Hände doch noch von Tony zurück. „Ok. Dann darfst du jetzt offiziell gehen.“

Das entlockt Tony ein zumindest ansatzweise fröhliches Zwinkern, und Steve beobachtet mit einer nicht zu leugnenden Besorgnis Tonys Rückzug aus der Werkstatt.

„Er ist ok, oder JARVIS?“ fragt er leise, nachdem sich die Tür hinter Tony geschlossen hat.

So weit ich es beurteilen kann, ja, Captain.

Steve blickt sich in der Werkstatt um. „Hier ist so weit alles abgeschaltet?“

Alles, was keine laufende Stromversorgung benötigt, ist ausgeschaltet, Captain Rogers.

„Nichts wird in die Luft fliegen oder anfangen zu brennen?“

Die Möglichkeit besteht immer, Captain, aber ich glaube, für den Moment sind wir sicher.

Steve grinst anerkennend und nickt, holt sich seinen Zeichenblock und verlässt Tonys Werkstatt.

Darcy hat Jane nicht mehr so wütend gesehen, seit SHIELD in New Mexiko aufgetaucht ist, und ihr ohne Vorwarnung all ihr Equipment geklaut hat. Ihr war nicht wirklich bewusst, dass die Vereinigung seitdem das sprichwörtliche rote Tuch für die ansonsten so friedfertige Doktor Foster ist.

„Und jetzt trittst du ihnen bei!“ fährt Jane sie wie aufs Stichwort an. „Diese Leute haben uns bestohlen! Hast du das schon vergessen? Sie haben uns behandelt, als hätten wir keine Rechte, nicht die Geringsten - haben alles mitgenommen, woran wir so hart gearbeitet hatten … sogar deinen iPod! Wie kannst du jetzt -“

Thor fasst Jane sanft am Ellenbogen, und sie unterbricht sich, atmet tief durch. Darcy steht mit hängenden Schultern vor ihr und kaut auf ihrer Unterlippe. Sie ist unwillkürlich froh, dass Bruce beim ersten Anzeichen von Streit das Labor verlassen hat. Wenn sie ihn richtig einschätzt, dann ist er jemand, der Konfrontationen nach Möglichkeit aus dem Weg geht - und das nicht nur, weil sie ihn aufregen.

„Ich dachte, du magst Phil“, bringt sie schließlich unsicher hervor.

„Ich mag Phil!“ schießt Jane augenblicklich zurück. „Das bedeutet nicht, dass ich die Art und Weise, wie ich ihn kennen gelernt habe, sonderlich zu schätzen weiß! Ich wusste nicht, dass du dich mit mir so unwohl fühlst, dass du lieber einem Verein leisetreterischer, diebischer, rücksichtsloser Geheimagenten beitrittst!“

Darcy weiß es besser, als ausgerechnet jetzt zu versuchen, SHIELDs Methoden vor Jane in Schutz zu nehmen. „Ich fühle mich nicht unwohl mit dir“, sagt sie stattdessen vorsichtig. „Ich fühle mich aber auch nicht nützlich.“

Jane runzelt die Brauen. „Du warst immer nützlich. Du warst es doch, die Thors Abbild in den Aufnahmen in New Mexiko entdeckt hat. Du hast meine Theorien vor Erik unterstützt und verteidigt! Ohne dich hätte ich die ganze Sache vielleicht nie weiter verfolgt!“

Ein ungläubiges Schnauben von Seiten Darcys lässt sich nicht unterdrücken. „Selbstverständlich hättest du sie weiter verfolgt. Du bist sturer als jeder Maulesel.“

Jane verschränkt die Arme vor der Brust. „Ich brauche dich hier. Ich will nicht, dass du SHIELD beitrittst!“

Es braucht Darcys ganze Selbstkontrolle, um nicht selber wütend zu werden. Um Jane nicht an den Kopf zu werfen, wie selbstsüchtig ihre Einwände sind.

„Ich will nicht, dass dir etwas passiert!“ fügt Jane dann hinzu - leise und weniger aufgeregt als richtiggehend verzweifelt. Darcy blinzelt sie überrascht an.

Thor scheint mindestens so überrascht zu sein, wenn man seinem bestürzten Gesichtsausdruck trauen kann. Darcy gibt ihrem ersten Impuls nach, macht zwei hastige Schritte nach vorn und schließt Jane in die Arme.

Sie muss die Augen schließen, als Jane sich prompt mit beiden Händen in ihren Pulli krallt. Manchmal vergisst sie, wie besitzergreifend Jane sein kann, wie wichtig ihr die Menschen in ihrem Leben sind - manchmal macht sie den Fehler zu glauben, dass Jane ihre Wissenschaft über alles geht.

„Ich will auch nicht, dass mir was passiert“, sagt sie heiser in Janes Haar hinein.

„Warum trittst du ihnen dann bei?“ fragt Jane sie mit zitternder Stimme. „Es ist schlimm genug, dass ich mir Sorgen um Thor machen muss - aber du bist kein Gott, Darcy … du bist … Selbst Agent Coulson hätte fast sein Leben verloren!“

Darcy drückt sie fester an sich. Sie weiß nicht wirklich, was sie darauf erwidern soll. Es ist ein gefährlicher Job, da macht sie sich keine Illusionen.

„Jane“, sagt Thor dann leise, „Darcy ist nicht darauf aus, die Gefahr zu suchen und herauszufordern. Aber wenn die Gefahr zu ihr kommt, wenn sie keine andere Wahl hat, als sich ihr entgegen zu stellen - dann wird sie über die nötigen Fähigkeiten und Waffen verfügen, um sich gegen sie zur Wehr zu setzen. Sie wird Gefährten an ihrer Seite haben, um sie in ihrem Kampf zu unterstützen.“

Darcy spürt, wie Jane einen hastigen Atemzug nimmt, und dann krallen sich Janes Finger etwas weniger fest in ihren Pulli. Sie muss Thor bei Gelegenheit einen ganzen Lastwagen voller Poptarts besorgen.

„Öffentlichkeitsarbeit?“ wiederholt Steve in einem Ton, als habe Phil ihn dazu aufgefordert, eine Rentnerin samt Gehhilfe vor einen Bus zu stoßen, und Phil geht auf, dass es nicht unbedingt leicht sein wird, ihn von dem Konzept zu überzeugen.

„Ich … will nicht wieder zu einem Maskottchen werden“, sagt Steve dann auch entschuldigend, mit hochgezogenen Schultern und gesenktem Kopf - und Phil stellt entsetzt fest, dass Steve Rogers kein Problem damit zu haben scheint, seinen Charme und sein geballtes Charisma zum Wohle von Tony Stark einzusetzen, dass die Sache aber ganz anders aussieht, wenn es darum geht, sich selbst zu bewerben.

Phils Plan, Steve als Ersten mit ins Boot zu bekommen, um mit seiner Hilfe den Rest der Avengers darum zu ersuchen, die Sache zu unterstützen, geht damit ziemlich spektakulär in Flammen auf.

Phil kann kaum fassen, dass er diese Möglichkeit nicht in Betracht gezogen hat. Er wünscht sich unwillkürlich, dass er allein mit Steve wäre, um in Ruhe darüber reden zu können. Aber er ist nicht allein mit ihm. Natasha mag sich aus der Küche zurückgezogen haben, um vor dem Abendessen zu duschen, aber statt ihrer hat Doktor Banner sich zu ihm und Clint gesellt.

Bruce räuspert sich prompt leise. „War die Öffentlichkeitsarbeit Darcys Idee?“

Phil schenkt ihm ein flüchtiges Nicken. „Sie hegt den Plan, die Allgemeinheit durch diverse Akte der Nächstenliebe von SHIELDs Wert für die Gesellschaft zu überzeugen - in Kombination mit Interviews für ausgewählte Magazine“, erklärt er ruhig, und Steve scheint sich ein wenig zu entspannen. Phil wird mehr oder weniger klar, wo das Problem liegt.

„Nicht in der Uniform“, sagt er also fest. „Keine Musik, kein Zirkus - der Gedanke ist, weniger die heldenhafte Seite der Avengers in den Mittelpunkt zu rücken, als ihre menschliche.“ Er zögert einen Moment. „Oder in Thors Fall seine göttliche. Was wir mit ihm machen, weiß ich noch nicht.“

Steve wirkt prompt sehr viel weniger unbehaglich.

Doktor Banner hingegen ist ein bisschen grau um die Nase geworden. „Ich … eigne mich nicht unbedingt als Werbeträger.“

Clint blinzelt ihn verdutzt an. „Wieso das denn nicht?“

Bruce blinzelt zurück. „Ich bin … langweilig?“ fragt er vorsichtig.

Clint plustert sich empört auf. „Du - Langweilig? Langweilig?!“

Tony sucht sich diesen Moment aus, um die Küche zu betreten, und Clint fährt wie angestochen zu ihm herum. „Stark! Zähl Bruce die mannigfaltigen Gründe auf, warum er nicht langweilig ist!“

Fünf Minuten später hat Tony immer noch nicht aufgehört zu reden, und Bruce ist tatsächlich ein bisschen rot geworden. „Das reicht“, sagt er schließlich leise. Tony nimmt einen tiefen Atemzug. „Ok. So wahrheitsgetreu das gerade auch gewesen sein mag - wieso hab ich das gemacht?“

Steve erklärt es ihm. Tonys erste Reaktion hierauf ist ein konsterniertes Stirnrunzeln, seine zweite ein manisches Grinsen.

„Fury hat gesagt, du darfst nicht mitmachen“, teilt Clint ihm mit - einen Hauch gedankenlos, wie Phil findet.

Aber statt der lauten, empörten Reaktion, die Phil erwartet hat, wird Tonys Gesicht glatt, betont gleichgültig. „Oh. Ach so. Na gut. Dann eben nicht.“

Phil ist nicht weiter überrascht, dass Clint plötzlich mehr oder weniger entsetzt aussieht. „Du hast doch nicht etwa vor, auf ihn zu hören?“

Tony zuckt mit den Schultern. „Doch, genau das habe ich. Und jetzt entschuldigt mich. Ich habe nämlich außerdem vor, meine Liebste in der Lobby abzuholen, und sie müsste jeden Moment eintreffen.“

Damit geht er. Clint sieht noch viel entsetzter aus, als ohnehin schon. „Was war das gerade? Wieso hat er keinen Rumpelstilzchentanz aufgeführt und geschworen, dass er Fury voller Genuss einen Herzinfarkt verursachen wird? Ist er krank?“ Clint macht sich mit einem Ruck gerade. „Mit seinem Herzschrittmacher ist doch alles in Ordnung?“ Er wendet sich Phil zu, sein Blick hoffnungsvoll davon überzeugt, dass er ihm Antworten liefern wird. Aber Phil hat keine Antworten.

„Tony ist … ein wenig empfindlich, was seine öffentliche Persönlichkeit betrifft“, erklärt Bruce Clint stattdessen.

„Du lässt das klingen, als sei er schizophren“, gibt Clint verwirrt zurück. Bruce schenkt ihm einen vielsagenden Blick.

„Als Natasha einen Bericht über seine Eignung für die Avengers Initiative angefertigt hat, hat sie Iron Man als wertvolles Mitglied eingestuft - von Tonys Rekrutierung hat sie abgeraten“, sagt Phil betont gleichgültig.

Clint runzelt die Stirn. „Aber das ist Schwachsinn. Tony ist Iron Man.“

Bruce seufzt. „Nicht wirklich. Nicht für Tony. Ich fürchte fast, er vergleicht seine Situation mit meiner. Du würdest ja auch nicht sagen, dass ich der Hulk bin.“

Clint starrt ihn an. „Doch, würde ich. Aber ich glaube, ich verstehe, was du meinst.“ Er fährt sich mit der Hand durchs Haar. „Soll ich … soll ich ihm nachgehen?“ Diesmal trifft sein hoffnungsvoll fragender Blick auf Bruce. „Obwohl ich nicht weiß, was ich zu ihm sagen soll, wenn ich ehrlich bin.“

„Ich möchte anmerken, dass ich auf keinen Fall ‚Öffentlichkeitsarbeit’ leisten werde, wenn es Tony untersagt ist, das ebenfalls zu tun“, sagt Steve, ehe Bruce dazu kommt, eine Antwort abzugeben. Seine Stimme mag einigermaßen ruhig sein, aber er hat seine Kiefermuskeln auf eine Weise angespannt, die äußerst alarmierend ist. „Entweder, wir bestreiten diese Aufgabe als Team, oder gar nicht.“

Mit diesen Worten marschiert er an Phil vorbei, und verlässt ebenfalls die Küche. Bruce atmet tief durch, lässt den Kopf hängen und reibt sich mit der Hand übers Gesicht.

„Ist er jetzt auch sauer auf mich?“ erkundigt Clint sich mit kleiner Stimme.

Phil kann Bruces Erschöpfung nur allzu gut nachvollziehen. „Niemand ist sauer auf dich, Clint.“

Clint fährt sich ein weiteres Mal mit der Hand durchs Haar, stößt ein „Ach, verdammt!“ aus und eilt Steve und Tony hinterher.

Phil tauscht einen verständnisinnigen Blick mit Bruce. „Wie in einer Seifenoper“, sagt er müde.

„Sie hätten sie vor drei Wochen erleben sollen“, gibt Bruce mit einem erschöpften Lächeln zurück. „Wenigstens scheinen wir jetzt das Kindergarten-Stadium hinter uns gelassen zu haben.“

Phil bietet ihm endlich das Du an. Wenn es jemand verdient, sich mit ihm auf gleichberechtigter Ebene zu unterhalten, dann ist es Bruce Banner.

Als Clint die Lobby erreicht, ist Tony damit beschäftigt, Steve anzuschreien. Es ist eine überraschend entsetzliche Erfahrung - erinnert ihn viel zu sehr an seine Kindheit, an Nächte, die er zitternd unter seinem Bett verbracht hat in der fruchtlosen Hoffnung, dass sein Vater ihn dort nicht finden würde, wenn er des Streits mit seiner Mutter überdrüssig geworden ist.

Aber anders als sein Vater stinkt Tony nicht nach Alkohol, er hat nicht die Hände zu Fäusten geballt - er sieht auf seltsame Art hilflos aus. Und anders als seine Mutter hat Steve sich nicht so klein wie möglich gemacht, hat sich nicht in sich selbst zusammengekauert. Er steht groß und mit gespannten Schultern vor Tony, weicht nicht vor ihm zurück, nicht einen Zentimeter - und er schreit zurück.

„Wenn Fury nicht will, dass ich mein Gesicht zum Wohle SHIELDs in der Öffentlichkeit zeige, dann werde ich es auch verdammt noch mal nicht tun! Ich würde vermutlich sowieso mehr Schaden als Gutes anrichten!“

„Ich weiß nicht, woher du diese absurde Überzeugung nimmst! Die Öffentlichkeit liebt dich!“

„Nein, Steven, die Öffentlichkeit liebt dich! Du bist hier der Held ohne Furcht und Tadel! Ich bin ein ehemaliger Waffenhändler mit Alkoholproblemen, der Frauen wie - wie Dreck behandelt!“

„Du bist kein Waffenhändler, noch bist du jemals einer gewesen! Du bist Erfinder! Und du hast nur deswegen hauptsächlich Waffen erfunden, weil du das Geschäft von deinem Vater übernommen hast! Ich habe dich nicht einen Schluck trinken sehen, seit ich hier eingezogen bin, und du behandelst Pepper ganz gewiss nicht wie Dreck!“

Tony hält einen Moment inne, um einen tiefen Atemzug zu nehmen - dann wird er Clints gewahr und dreht ihm ruckartig den Rücken zu. Clint braucht einen Moment, um zu begreifen, dass Tony sich vor ihm schämt. Die Realisation ist beinahe zu viel für ihn.

Sie ist wahrscheinlich auch der Grund, warum die ersten Worte aus seinem Mund „Mein Vater war ein Säufer“ sind.

Steve blickt ihn fassungslos an. Tony bleibt weiter mit dem Rücken zu ihm stehen, lässt den Kopf hängen, als erwarte er, dass Clint nach dieser Einleitung zum alles vernichtenden Schlag ansetzen will.

„Er hat meine Mutter geschlagen“, sagt Clint stattdessen. Es ist das erste Mal, dass er die Worte ausspricht. Selbst Doktor Roberts hat sie nie von ihm gehört. „Meinen Bruder auch. Und mich.“

Tony dreht sich immer noch nicht zu ihm um. Steve sieht gefährlich danach aus, als werde er ihn gleich in die Arme nehmen. Also beeilt Clint sich, auf den Punkt zu kommen.

„Du schlägst niemanden, Stark, Alkoholprobleme hin oder her. Ich muss zugeben, dass ich deine Abenteuer in der Klatschpresse nicht sonderlich aufmerksam verfolgt habe, aber ich denke nicht, dass Pepper all die Jahre bei dir geblieben wäre, wenn du Frauen gegenüber gewalttätig wärst. Oder … oder Kindern.“

Tony atmet tief durch und dreht sich endlich zu ihm um.

„Du wirst nicht brutal, wenn du getrunken hast“, sagt Clint leise. „Du wirst nicht gemein.“

Tony sieht aus, als sei er den Tränen gefährlich nahe. Aber Clint kann sich jetzt nicht mehr stoppen, hat schon viel zu viel offenbart. „Für jemanden mit Alkoholproblemen bist du ein verdammt guter Kerl.“

Tonys Kehle entkommt ein erstickter Laut, und die Tür zur Lobby öffnet sich, und Pepper erscheint im Rahmen.

Clint sieht zu, dass er Land gewinnt.

Pepper bleibt stehen, wo sie ist, den Türgriff noch in der Hand, und macht sich sehr gerade.

Sie sieht Clint praktisch die Flucht vor ihr ergreifen, sieht Steve einen Moment lang die Augen schließen, als müsse er sich sammeln - sieht Tony mit einer Andeutung von Tränen in den Augen, die er hastig wegblinzelt, als er sich zu ihr umwendet.

„Willkommen Zuhause, Pepper“, sagt er mit gefährlich brüchiger Stimme. „Dein Timing war noch nie derartig schlecht. Ich fürchte, ich muss es Steve überlassen, dich ins Haus zu geleiten. Entschuldige mich einen Moment.“

Er fasst sie an den Schultern, drückt ihr einen Kuss auf die Wange - und dann macht er auf der Stelle kehrt und marschiert davon.

Pepper blickt ihm bestürzt nach. Sie braucht einen Moment, ehe ihr bewusst wird, dass Steve nach wie vor an ihrer Seite steht und darauf zu warten scheint, dass sie ganz ins Haus kommt.

„Was zum Teufel ist passiert?“ fragt sie ihn mit schwankender Stimme und macht die Tür hinter sich zu.

Er nimmt ihr den Koffer mit Unterlagen ab, die sie sich mit nach Hause genommen hat, und sie hakt sich bei ihm ein, äußerst dankbar für den dringend benötigten Halt. Dann erzählt er es ihr.

Pepper gewinnt den starken Eindruck, dass er eine Menge weglässt, dass er ihr nur die Aspekte des Geschehens erzählt, die Tony betreffen. Er deutet auch nur an, was Clint zu Tony gesagt hat, ehe sie herein gekommen ist. Sie kann nicht sagen, ob ihr das Sorgen macht, oder ob sie ihn dafür direkt noch ein bisschen besser leiden kann.

Als sie die Küche betreten, finden sie dort nur Bruce, Phil und Natasha vor, die sich mit identisch besorgten Mienen nach Tony und Clint erkundigen.

Steve gibt einen weiteren Bericht ab.

Phil wird bleich. „Wo ist Clint jetzt?“

Steve legt ihm eine beruhigende Hand auf die Schulter. „Ich wäre dir dankbar, wenn du … wenn du Tony das regeln lassen könntest.“

Phil sieht nicht aus, als würde er von dieser Idee sonderlich viel halten, und Pepper rechnet ihm hoch an, dass er das nicht laut ausspricht. Stattdessen räuspert er sich einmal, dann sieht er Steve fest in die Augen. „Ich gebe zu, dass ich Stark viel zu oft unterschätze, aber ich weiß wirklich nicht, ob er dieser Situation gewachsen ist.“

„Ist er“, mischt Bruce sich unerwartet ein. „Ganz bestimmt.“

Phil lässt ein schweres Seufzen hören. „Natasha?“

Pepper ist überrascht, sie auf Phils unüberzeugten Ton hin tatsächlich Lächeln zu sehen. „Bruce hat Recht. Tony mag absolut unfähig sein, das Gute in sich selbst zu sehen, aber er ist überraschend erfolgreich dabei, andere dazu zu bringen, sich besser zu fühlen.“

Pepper kann sich selbst gerade noch daran hindern, die versammelten Personen darauf aufmerksam zu machen, dass Tony außerdem sehr gut weiß, wie es ist, mit einem oft betrunkenen, gelegentlich sehr gemeinen Vater aufzuwachsen.

Tony steht derweil vor der Tür zu Bruces Labor, die Hand auf dem Türgriff, und zögert. Es würde ihn nur ein paar Sekunden kosten, den Code zu knacken und in das Labor einzubrechen - das ist es ganz gewiss nicht, was ihn innehalten lässt.

Sir, meldet JARVIS sich überraschend zu Wort, wenn Sie einzutreten wünschen, bin ich gern bereit, den Sicherheitsmechanismus für Sie außer Kraft zu setzen.

Tony atmet tief durch. Wenn JARVIS diese Sache für eine gute Idee hält, kann es nicht völlig verkehrt von ihm sein, dass er Clint zu seinem ‚Geheimversteck’ verfolgt hat.

„Dann mal los“, gibt er JARVIS grünes Licht. Eine halbe Sekunde später ertönt ein aufmunterndes Ping, und Tony drückt die Tür zu Bruces Allerheiligsten auf.

Tony wartet einen Moment, ehe er weiter in den Raum hinein geht, will Clint genügend Zeit geben, sich auf sein Nahen vorzubereiten - zählt stumm bis drei, und erst dann setzt er sich in Bewegung und geht auf den Labortisch zu und darum herum.

Clint hockt wie erwartet darunter, zusammengekauert, die Arme um seine Knie geschlungen, und seine Augen im Halbschatten unter dem Tisch sind voll kindlicher Verwunderung darüber, dass Tony ihn gefunden hat.

Tony überkommt die Angst, ob es doch ein Fehler war, Clint zu folgen, wie eine Welle voller Übelkeit. Er beißt die Zähne zusammen und schluckt sie hinunter. Jetzt ist es eindeutig zu spät für einen Rückzieher.

„Dein alter Herr war also ein Säufer und ein Schläger?“ sagt er leichthin und setzt sich im Schneidersitz auf den Boden, Clint direkt zugewandt. „Welch ein seltsamer Zufall - meiner hat zu betrunkenen Schimpftiraden geneigt.“

Clint blinzelt ihn überrascht an, dann nickt er langsam. „Meiner auch.“

„Meiner hat mir außerdem nie gesagt, dass er mich liebt - oder mich auch nur gern hat“, schickt Tony hinterher, ehe er es sich ausreden kann.

Clint zuckt mit den Schultern. „Meiner auch nicht. Er hat immer gesagt, ich und Barney seien nichts wert - dass es besser gewesen wäre, wenn wir nie geboren worden wären.“

Tony schluckt trocken und schließt kurz die Augen. „Ok, du gewinnst. Deiner war schlimmer.“

Seine Belohnung für dieses Eingeständnis ist ein geisterhaftes Grinsen, und Clint nickt langsam. „Er war ein Arschloch.“

Er klingt beinahe, als wäre ihm das gerade erst bewusst geworden. In Tonys Eingeweiden breitet sich ein unangenehmes Ziehen aus.

„Ich finde, wir sind trotzdem ganz gut gelungen“, sagt er mit weitaus mehr Überzeugung, als er fühlt. Er sieht, wie Clints Arme sich fester um seine Beine zusammenziehen und muss sich zusammenreißen, nicht die Hand nach ihm auszustrecken.

„Ich hab mir versprochen, dass ich nie so werden würde wie er“, gesteht Clint ihm plötzlich leise, und Tony bleibt beinahe das Herz stehen, als er die verzweifelte Wut in seiner Stimme hört. „Ich hab mir geschworen, dass ich nie … nie so die Kontrolle über mich verlieren würde. Dass ich nie jemanden verletzen würde, der es nicht verdient hat.“

Die Realisation, dass dieses Gespräch ihn plötzlich ganz gewaltig überfordert, lässt Tony auf einen Schlag eiskalt werden. Er hat keine Ahnung, was er dazu sagen soll.

Er sieht Clint die Augen schließen und seine Stirn an seine Knie legen, und kommt endlich dem Impuls nach, ihn anzufassen, legt ihm vorsichtig die Hand auf die Schulter. „Ich hab mir geschworen, nie einen Tropfen Alkohol anzurühren“, sagt er heiser. „Ich war außerdem Herr meiner Sinne und dazu in der Lage, meine Handlungen zu kontrollieren, als ich meinen Schwur gebrochen habe.“

Clints Schultern fangen an zu zucken, und eine Sekunde später hat er seine Knie losgelassen, sich zur Seite geneigt und Tony halb mit unter den Labortisch gezogen. Noch vor drei Wochen hätte Tony vermutlich eher schreiend die Flucht ergriffen, als zuzulassen, dass Clint sich ihm in dieser Form an den Hals wirft. Aber wenn er in den letzten drei Wochen etwas gelernt hat, dann ist es, dass Umarmungen - ob freiwillig oder unfreiwillig - schlicht helfen.

Es braucht eine ganze Weile, ehe Tony sich ausreichend entspannt, um Clint anständig in seine Arme nehmen zu können, aber als es endlich so weit ist, drängt Clint sich derartig bereitwillig an ihn heran, dass es Tony endgültig aus dem Gleichgewicht bringt. Als Clint anfängt, in seine Schulter zu schluchzen, muss er ein paar tiefe, beruhigende Atemzüge nehmen und mehrfach resolut blinzeln, um seine eigenen Tränen zurückzuhalten.

„Wenn ich nicht ständig daran zweifeln würde, dass Situationen wie diese hier tatsächlich real sind“, sagt Clint nach einer Weile mit unsicherer Stimme in seine Schulter hinein, „wäre alles nur halb so schlimm.“

Tony reibt ihm fest über den Rücken und räuspert sich, um ganz sicher zu gehen, dass seine Stimme keinen verräterischen Schwankungen unterworfen ist. „Du denkst, das hier ist nicht real?“

Clint zieht seinen Kopf ein paar Millimeter von ihm zurück. „Ich bin es nicht gewöhnt, dass mir … dass mir Gutes widerfährt. Vielleicht hat Loki mich in meinem eigenen Kopf eingesperrt. Vielleicht bilde ich mir das alles nur ein.“

Tony blinzelt auf ihn hinab. „Du gehst ernsthaft davon aus, dass du dir einbilden würdest, mit mir zu kuscheln, damit es dir besser geht? Mit mir?“

Clints Reaktion auf seine Frage besteht aus einem mürrischen Schnüffeln. „Machen deine Träume immer Sinn?“

Tony rubbelt ihm ungewollt liebevoll über den Kopf. „Frag mich nicht nach meinen Träumen, Barton. Von denen willst du wirklich nichts hören.“ Sein Gesicht wird ernst. „Aber das hier ist wirklich real. So merkwürdig es dir auch vorkommen mag.“

„Das würdest du auch dann sagen, wenn du ein Fragment meines Unterbewusstseins wärst.“

Tony stöhnt leise auf. „Ach, hör doch auf. Das Spiel können zwei spielen. Vielleicht bin ich damals in dieser Höhle in Afghanistan gestorben, und mein jetziges Leben ist meine Version der Vorhölle - ein kurzer Blick auf den Himmel vor der ewigen Verdammnis.“

Clint boxt ihn gegen die Schulter. „Wir brauchen beide einen Seelenklempner, Stark.“

Tony schnaubt. „Im Gegensatz zu dir zweifle ich nicht an den guten Zeiten, Barton. Ich zweifle lediglich daran, dass sie anhalten werden.“

Clint betrachtet ihn plötzlich mit einem Blick, der zu gleichen Teilen spekulierend und zögernd ist. Für gewöhnlich sind solche Momente die einzigen, in denen Tony seinen Mund zu halten weiß, damit die andere Person so lange wie nur möglich auf Kohlen sitzt - diesmal fühlt er sich großzügig. „Was möchtest du mich fragen?“

Seine Belohung besteht darin, dass Clint nicht eine Sekunde lang um den heißen Brei herumredet, sondern ihn einfach fragt - direkt, ohne Ausflüchte und ohne jede falsche Scham.

Zu sagen, die Stimmung beim Abendessen sei ein wenig gedämpft gewesen, hieße die Angelegenheit stark untertreiben.

Aber Steve hat Darcy von ganz allein darauf angesprochen, wie sie sich die Sache mit der Öffentlichkeitsarbeit nun genau vorstelle, also war für Gesprächsstoff gesorgt - selbst wenn Tony während der resultierenden Debatte auffallend still war.

Phil fürchtet beinahe, dass er noch einmal mit ihm über das Thema reden muss. Nichts böte sich mehr an, als ein derartiges Gespräch auf Steve oder Pepper - oder besser noch auf Steve und Pepper abzuschieben - aber Phil ist sich unangenehm bewusst, dass es höchste Zeit für ihn wird, sich selbst Tony Stark gegenüber wie ein verantwortungsbewusster Handler zu benehmen.

Er verfügt über die leise Ahnung, dass die Tatsache, dass er jetzt außerdem über eine Darcy verfügt, bei diesem Gespräch von unschätzbarem Vorteil sein wird.

Wenn er jetzt noch wüsste, wie er Clint auf seinen Zusammenprall mit Tony ansprechen soll, ohne wie ein neugieriger Wichtigtuer zu klingen, wäre Phils Leben sehr viel entspannter.

Er steht mit Clint im Bad, Schulter an Schulter, während sie sich die Zähne putzen, und es lässt sich nicht abstreiten, das auch Clint beim Abendessen alles andere als lebhaft war.

Aber seine Stille war nicht so bedrückt, wie Phil befürchtet hatte, seine Augen weder zu leer noch zu wild, sondern einfach nur traurig. Clint war bisher noch nie traurig, wenn er an seine Kindheit erinnert worden ist.

Phil mustert ihn nachdenklich aus dem Augenwinkel.

Clint erwidert seinen Blick ein paar Atemzüge lang, dann spült er sich den Mund aus und stellt seinen Zahnputzbecher beiseite. „Ich hab mit Tony gesprochen.“

Phil blinzelt ihn an. „Ich … hab mir sowas gedacht.“

Clint nickt. „Die Sache mit Doktor Scotts geht klar.“

Phils Blick wächst sich zu einem Starren aus, ohne dass er etwas dagegen tun kann. „Bitte?“

Clint reibt sich die Nase - eine unbewusste Angewohnheit, die Phil schon immer unglaublich anziehend fand - und blickt auf seine Füße hinab. „Ich hab ihn gefragt ob er … ob er für sie bezahlt. Er hat Ja gesagt.“

Einen Moment lang ist Phil absolut sprachlos. „Du hättest ihn nicht selbst fragen müssen, Clint. Ich hätte das tun können.“

Clint schüttelt den Kopf. „Es war ok. Er … er hat mich nicht damit aufgezogen. Er hat sofort Ja gesagt.“ Das plötzliche Grinsen auf seinem Gesicht ist beinahe zu viel für Phil. „Er hat sogar gefragt, ob er sich mit ihr in Verbindung setzen soll - hat behauptet dass es sicherlich niemanden erstaunen würde, wenn Tony Stark sich eine zertifizierte Kinderpsychologin ins Haus holt.“

„Du hast ihm selbst das gesagt?“ hakt Phil nach, und kann nicht verhindern, in welch fassungslose Höhen seine Stimme dabei abdriftet. Clint zuckt mit den Schultern. „Wieso nicht? Alles andere hatte ich ihm auch schon erzählt.“

Clint starrt nach wie vor auf seine Füße, und Phil stellt sein eigenes Zahnputzzeug beiseite und tritt dichter an ihn heran. „Alles?“

Clint nickt und hebt den Kopf, sieht ihm bierernst in die Augen. „Alles. Von der Entstehung der Welt bis zum heutigen, gloriosen Tag. Nur die Eiszeiten hab ich ausgelassen.“ Er zögert einen Moment. „Für das Thema konnte ich mich nicht erwärmen.“

Phil schnauft leise, ganz wie Clint es von ihm erwartet, und zieht ihn an sich heran. „Du hast ihm hoffentlich klar gemacht, dass ich mich um alles Weitere kümmern werde?“

Clint nickt und lässt sich bereitwillig umarmen. „Ich bin doch nicht so verrückt, ihn meine Termine machen zu lassen. Pepper würde vermutlich nie darüber hinweg kommen.“

Phil nickt und streichelt ihm über den Kopf. „Kluger Junge.“

Clint brummt zustimmend und drückt sich enger an ihn heran. „Das Wort des Tages in meinem Kalender war Empathie. Ich arbeite dran.“

TEIL 19

fandom: avengers, autor: uena

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