Der Cellist - Teil 14

Jun 28, 2012 11:45


Teil 1


Clint liegt unter Phil, hilflos, erregt, panisch und unglaublich zufrieden in einem. Phils Gewicht über ihm, die Art und Weise, wie er ihn in die Matratze drückt, fühlt sich an, als seien sämtliche Phantasien, die er über die Jahre über den Mann gehabt hat, auf einmal wahr geworden.

Wenn Phil jetzt noch …

Phil beißt ihm sanft in die Unterlippe, und Clint presst den Kopf in den Nacken und stöhnt ungehemmt.

Sein Becken zuckt gegen Phils, einmal, zweimal, dreimal - und Phil bewegt sich ihm mit so glorioser Selbstverständlichkeit entgegen, dass es Clint kurz die Luft abschnürt.

Er öffnet den Mund weiter für Phil, gibt sich keine Mühe, leise oder schüchtern zu sein, und Phil belohnt ihn damit, dass er sich erfreulich enthusiastisch über ihn hermacht.

Falls Clint bisher den Verdacht gehabt haben sollte, dass Phil im Bett genau so ruhig, bedacht und vorsichtig ist wie im Einsatz, wird er jetzt eines Besseren belehrt. Wenn überhaupt ist Phil genau so fähig.

Allein seine Küsse schicken ein heißes Kribbeln durch Clints ganzen Körper hindurch. Aber Phil hält sich nicht damit auf, ihn nur zu küssen.

Phils Hände gleiten über ihn hinweg, als wolle er sich jeden Millimeter seines Körpers genau einprägen, sind im Wechsel zärtlich und entschlossen. Clint spürt, wie er sich unter ihnen entspannt, wie er hilflos und hemmungslos wird. Es macht ihm nicht halb so sehr Angst wie es ihn fasziniert.

Er hat nicht gewusst, dass er das kann.

„Verrätst du mir, was dein Gesichtsausdruck zu bedeuten hat?“ fragt Phil ihn plötzlich, mit ungewohnt rauer Stimme und einem Ausdruck in den Augen, der Clint einen Schauer über den Rücken jagt.

Clint räkelt sich unwillkürlich unter ihm. „Das hier gefällt mir“, erwidert er vage.

Phils Antwort besteht aus einem erregten Lächeln. Dann richtet er sich ein Stück auf, lässt seine Hände über Clints Oberschenkel gleiten. Der glatte Stoff seines Schlafanzuges lässt die Berührung unerträglich flüchtig werden.

Es fühlt sich so sehr an wie in seinem Traum, dass er nichts mehr will, als dass Phil ihn richtig anfasst, dass er am nächsten Tag blaue Flecken hat, damit er weiß, dass es real war - dass es wirklich passiert ist.

Ehe Clint weiß, was er tut, hat er Phils Hände gepackt und sie so fest gegen seine Schenkel gepresst, dass seine Fingerknöchel sich weiß unter seiner Haut abzeichnen. Aber es reicht nicht, ist nicht einmal ansatzweise genug. Er braucht mehr, muss Phil direkt an seiner Haut spüren.

Der Gedanke überkommt ihn mit solcher Vehemenz, dass er Phils Hände wieder loslässt, sein Becken in die Höhe stemmt, und sich in einer einzigen hastigen Bewegung Pyjamahosen und Shorts von den Hüften schiebt.

Phil blinzelt auf ihn hinab, nimmt den Anblick stumm in sich auf. Dann schließt er seine Hand um ihn.

Es ist nicht, womit Clint gerechnet hat, ist nicht, was er wollte - es ist viel zu viel.

Er stößt seine Hüften wie im Reflex in die Höhe, und dann nochmal, kann nicht anders, als Phil die ganze Zeit ins Gesicht zu starren. Phil blickt zurück - erregt und beruhigend und mit einem Lächeln in seinen Mundwinkeln.

Gerade, als Clint glaubt, der Druck auf seiner Brust könne unmöglich noch zunehmen, beugt Phil sich über ihn und küsst ihn.

Clint ist kurz davor, zu kommen. Aber er will nicht kommen - nicht so.

Phil kann offenbar seine Gedanken lesen. Er löst seinen Mund von Clints Lippen, gerade weit genug, um „Was ist los?“ wispern zu können.

„Ich … ich will“, beginnt Clint stockend, „ich will dich spüren.“

Jetzt hebt Phil seinen Kopf weit genug an, dass er ihm in die Augen sehen kann. „Spüren?“

Clint muss trocken schlucken. „Jah. Ich will nicht … nicht allein …“

Er blickt vielsagend an sich hinab und ist entsetzt, als er registriert, wie unglaublich heiß seine Wangen geworden sind. Phil hat Recht. Er führt sich wirklich auf wie eine katholische Jungfrau.

Phil nickt lediglich. „Ok. Kein Problem.“

Damit lässt er das offene Pyjamaoberteil von seinen Schultern gleiten und wirft es vom Bett. Clints Hals fühlt sich plötzlich an, wie ausgetrocknet. Das wird nicht unbedingt besser, als Phil auch den Rest seiner Kleidung loswird.

„Du siehst ein wenig überfordert aus“, sagt Phil leise, wirkt hin und her gerissen zwischen liebevollem Amüsement und Besorgnis, und Clint atmet tief durch.

„Bei allem Respekt, Sir“, sagt er dann mit allem Spott in der Stimme, den er aufbringen kann, „für diese Art von Einsatz bin ich nicht trainiert worden.“

Phils antwortendes Grinsen geht ihm durch und durch. „Das wäre jawohl noch schöner.“

Dann knöpft er Clints Pyjamaoberteil auf.

Clint kann nicht anders als auf seinen Schritt starren. Phil ist mindestens so hart wie er, ist mindestens so erregt - aber im Gegensatz zu Clint ist er das übliche Muster an Selbstkontrolle, an Gelassenheit.

„Ich führe mich albern auf, oder?“ murmelt Clint heiser.

Phil hebt eine skeptische Augenbraue und legt sich neben ihn, zieht an seiner Schulter, bis sie voreinander liegen. „Albern?“

Clint weiß nicht, warum er davon angefangen hat. Er will nicht wirklich ins Detail gehen.

Phil liest ein weiteres Mal seine Gedanken. Er rutscht dichter an Clint heran, bis sie Brust an Brust liegen, dann schließt er seine Hand um sie beide.

„Ich kann nur noch einmal betonen, dass ich dich ganz genau so will, wie du bist“, sagt er, im gleichen Moment, als er anfängt, seine Hand zu bewegen. Clint stöhnt rau auf und küsst ihn.

Tag 2

Thor und Steve sind in der Küche damit beschäftigt, die Katzen zu füttern, als Tony mit Pepper aus seinem Schlafzimmer auftaucht.

Thor trägt noch seinen Pyjama - Tony hat einen mit kleinen Hämmern drauf gefunden - und sieht aus als sei er nicht viel älter als zwölf. Steve ist bereits angezogen. Da es ein warmer Tag zu werden verspricht, hat er heute aufs grausige Karohemd verzichtet und trägt ein schlichtes weißes T-Shirt am Oberkörper.

Tony und Pepper räuspern sich synchron, als er unbewusst die Arme anspannt, während er die Wasserschüssel für die Katzen ausspült, ehe er sie frisch befüllt.

„Du sagst es ihm“, zischt Tony ihr ins Ohr. „Du kannst dich mit deinem Modebewusstsein rausreden!“

Pepper hebt eine perfekt geschwungene Augenbraue. „Ich werde ihm gar nichts sagen. Nicht das Geringste. Ich werde weiter den Anblick genießen, wie jede andere geistig gesunde Person auch.“

Steve wendet sich ihnen zu, einen verwirrten Ausdruck auf dem Gesicht, und Tony weiß, dass er jedes einzelne Wort gehört hat. Er räuspert sich ein weiteres Mal. „Guten Morgen, Steve!“

Die Verwirrung verschwindet von Steves Zügen und er lächelt, stellt die saubere Schüssel beiseite und macht einen Schritt auf sie zu, um Tony zu umarmen. „Guten Morgen, Tony … Pepper.“

Er nickt ihr unsicher zu, und sie schmunzelt und drückt ihn flüchtig. „Ich hab doch gesagt, dass es ok ist, Steve.“

Jetzt ist es an Tony, ein verwirrtes Gesicht zu ziehen. Er kommt jedoch nicht dazu, Pepper und Steve zu fragen, wovon zum Teufel die Rede ist.

Thor steht neben ihnen. Thor steht neben ihnen und betrachtet sie mit laserscharfer Aufmerksamkeit. Dann fängt er an zu grinsen.

„Es ist eine midgardische Tradition?“ fragt er eifrig. In Tony breitet sich ein gewisses Gefühl der panischen Vorahnung aus.

„Tradition?“ wiederholt er schwach, dann hat Thor sie alle drei in seine Arme geschlossen. Er ist überraschend sanft.

„Umarmungen um gemeinsam den jungen Tag zu begrüßen - Midgard ist ein Ort, an dem man seine Empfindungen stets offen zeigen kann, ja?“ fragt er leise, und Tony bringt es nicht übers Herz, ihm zu widersprechen.

„In diesem Haus schon“, sagt er also fest, und Thor drückt seine Schulter. „Dann ist dein Haus mir das Liebste in Midgard, Freund Tony.“

„Ich denke, das gilt für uns alle“, sagt Bruce mit einem Mal irgendwo links von Tony. Thor entlässt ihn aus seinen Armen, legt eine große Hand auf Bruces Schulter und drückt vorsichtig zu.

Tony kann nur verwundert blinzeln. Thor ist klar, dass er vorsichtig mit Bruce umgehen muss. Er will es nicht so recht begreifen. Offenbar muss er dem Mann - Gott von nun an weit mehr zutrauen.

Er hört Schritte und denkt automatisch, dass es sich bei dem Neuankömmling in der Küche um Natasha handeln muss. Aber als er den Kopf dreht, sieht er Phil - Phil in Jeans und einem grauen Pulli, der aussieht, als würde er Clint gehören.

Tonys Körper agiert völlig selbstständig. Er macht sich von Thor los, eilt durch die Küche und auf Phil zu und hat den Mann am Ellenbogen gefasst, ehe er auch nur zwei Schritte in die Küche hinein gemacht hat.

Phil blinzelt ihn verwundert an. Tony muss mit aller Gewalt ein Japsen unterdrücken. „Wozu hab ich dir einen Rollstuhl gebaut?“

„Auch ich halte es für verfrüht, dass du deinem Körper diese Anstrengung zumutest, Sohn des Coul“, lautet Thors Beitrag, und er taucht auf Phils anderer Seite auf, hält seinen anderen Ellenbogen fest.

Phil hebt eine Augenbraue. „Darf ich darauf hinweisen, dass ich den Weg zur Küche ohne den geringsten Zwischenfall zurückgelegt habe? Abgesehen davon waren meine Beine zu keinem Zeitpunkt in auch nur irgendeiner Weise geschädigt. Ihr könnt anfangen, euch zu beschweren, wenn ich eine Sportart erfinde, bei der ich vorrangig meine Brustmuskeln einsetzen muss.“

„Wo ist Clint?“ will Bruce von ihm wissen, während Thor und Tony ihn gemeinsam an den Küchentisch heran dirigieren und ihn mit sanfter Gewalt dazu zwingen, sich zu setzen. Tony begleitet diesen Akt mit einem beständigen Strom leiser Beschwerden über Phils plötzlichen Sinn für Humor und den unangebrachten Einsatz von Sarkasmus.

„Clint konnte sich nicht entscheiden, was er anziehen will“, sagt Phil trocken und zieht seinen Pulli glatt.

Pepper setzt sich neben ihn an den Tisch, mustert ihn aufmerksam von der Seite. Phil wendet ihr seinen Blick zu, und seine Augenbraue kommt erneut ins Spiel, als sie nach einer Weile plötzlich anfängt, wissend zu grinsen.

„Was?“

„Weiß er deswegen nicht, was er anziehen soll, weil er keinen Rollkragenpullover besitzt, Phil?“ fragt Tony ihn mit einem identischen Grinsen.

Phil blickt äußerst entschlossen nicht in Richtung Captain Americas. „Möglich.“

Bruce stößt ein amüsiertes Schnauben aus. Thor versteht nicht. „Ich verstehe nicht“ beschwert er sich dementsprechend mit der ihm eigenen Ehrlichkeit und blickt fragend in die Runde.

„Du hast noch nicht genügend Zeit auf der Erde verbracht, um solchen Unsinn nachvollziehen zu können“, sagt Natasha und betritt die Küche. „Ich nehme an, dass ihr in Asgard die Zeugnisse eurer sexuellen Errungenschaften stolz zur Schau tragt.“

Thors Miene klärt sich prompt auf. „Ah. Ja, das tun wir in der Tat.“

Wie aufs Stichwort stolziert Clint in die Küche, gehüllt in Jeans und ein schwarzes Muskelshirt, das nicht mal versucht, die eindeutigen Male an seinem Hals, seinem Schlüsselbein und seinen Handgelenken zu verbergen.

Tony stößt ein anerkennendes Pfeifen aus. Clint grinst ihm entgegen. „Ich brauche Kaffee!“

Tony nickt ihm zu. „Bekommst du. Was du außerdem bekommst, ist ein Frühstücksei. Vielleicht sogar zwei.“

Phil guckt noch viel entschlossener nicht in Richtung Captain Americas.

„Leute hatten Sex in den Vierzigern“, sagt Steve prompt mit einem trockenen Unterton, den Phil beim besten Willen nicht von ihm erwartet hat. „Sonst wärt ihr heute alle nicht hier.“

Phil stöhnt auf und vergräbt sein Gesicht in seinen Händen, und Tony wendet sich mit einem beinahe manischen Grinsen seiner Kaffeemaschine zu.

Clint hat sich etwas übergezogen, als es an der Tür klingelt. Denn Fury mag bereits wissen - oder zumindest eine gefestigte Ahnung haben - was ihn und Phil verbindet, aber das bedeutet nicht, dass er seinem Seelenklempner halbnackt gegenüber treten wird.

Ihm graust auch so schon genügend vor der Sitzung, und er hat ganz sicher nicht vor, Fragen über sein Liebesleben herauszufordern - ob er es für normal hält, wenn sein Partner ihn so brandmarkt, wie Phil es getan hat.

Clint reibt unwillkürlich über seine Handgelenke, schließt einen Moment lang die Augen und atmet tief durch, als der leise Schmerz ihn an die vergangene Nacht erinnert.

Erst dann öffnet er die Tür, nickt dem Mann davor unsicher zu. „Doktor Roberts.“

Doktor Roberts ist der dienstälteste der SHIELD Psychiater, und Clint hat mit niemand anderem gerechnet.

„Agent Barton“, gibt Roberts kühl zurück und betritt Tonys Villa, als Clint ihm auffordernd die Tür weiter aufhält. „Wie ich sehe, hat sich Ihre Wohnsituation bedeutend verbessert.“

Clint weiß nicht, was er dazu sagen soll, und presst die Lippen zusammen.

Der Großteil seiner Mitbewohner ist mit Thor zu Tonys Privatflughafen gefahren, um Doktor Foster und ihr Gefolge abzuholen. Nur Phil und Bruce sind geblieben. Phil hat sich nach dem Frühstück hingelegt, da es offenbar doch ein bisschen zu viel für ihn war, so früh schon selbständig zu laufen. Bruce wartet in der Küche darauf, dass Clint ihn zu seiner Sitzung dazu holt.

Clint hat es plötzlich sehr eilig, in die Küche zu kommen.

„Ich habe … eine etwas ungewöhnliche Bitte“, sagt er also unsicher und setzt sich in Bewegung. Er bringt es nicht über sich, Roberts anzusehen, während er sie formuliert. „Ein … ein Freund von mir hat … ich habe ihn darum gebeten … zuzuhören, während der Sitzung.“

Clint rechnet damit, dass Roberts ein Problem mit diesem Arrangement hat. Er rechnet damit, dass der Mann ihn darauf hinweist, dass das nicht seine übliche Vorgehensweise ist und seinem professionellen Ethos widerspricht, oder Ähnliches.

Stattdessen sagt er „Ein Freund?“ in einem Tonfall, als sei es äußerst unwahrscheinlich, dass Clint überhaupt weiß, was das ist.

Übelkeit legt sich wie eine Schlinge um Clints Eingeweide.

Bruce blickt von seinen Notizen auf, als Clint mit seinem Gast die Küche betritt.

Der Psychologe ist ein älterer Herr in seinen Fünfzigern, graue Strähnen ziehen sich durch sein dunkelbraunes Haar, und auf den ersten Blick macht er einen fähigen Eindruck.

Aber Clint wirkt alles andere als entspannt, und Bruce kommt mit einem leichten Stirnrunzeln auf die Beine, um den Mann zu begrüßen.

Er hat keineswegs erwartet, dass Clint dieser Sitzung vorfreudig entgegen blickt, aber dieses Maß an Anspannung scheint ihm einigermaßen kontraproduktiv zu sein.

„Der erwähnte Freund?“ sagt der Psychologe trocken, während er Bruce die Hand reicht, und Bruce nickt. „Mein Name ist Banner.“

Die Reaktion hierauf ist nicht weiter nennenswert. Bruce geht also davon aus, dass Fury seine zivile Identität entweder überraschend gut hütet, selbst unter seinen eigenen Angestellten - oder dass der Mann zu der seltenen Sorte Mensch gehört, die schlicht keine Angst vor ihm hat.

Der Psychologe stellt sich höflich als Doktor Roberts vor, dann blickt er Clint mit hochgezogener Augenbraue an. „Haben Sie sich Gedanken darüber gemacht, wo die Sitzung stattfinden soll?“

Clint beißt sich auf die Unterlippe und nickt.

Er wirkt einen Moment lang so unglaublich jung, dass Bruce sich zusammenreißen muss, nicht die Führung in dieser Interaktion zu übernehmen.

Aber er ist lediglich der Beisitzer, hat sich dazu bereiterklärt, der ganzen Angelegenheit schweigend beizuwohnen. Roberts ist für Clint hier, und er ist der Psychologe - nicht Bruce.

Sie gehen in eines von Tonys zahlreichen Wohnzimmern, ein kleineres und privateres als das, das sie für gewöhnlich gemeinsam mit den anderen Avengers nutzen. Bruce wählt einen Sessel am Fenster, zurückgezogen und außerhalb des Sichtfeldes von Doktor Roberts. Nur sichtbar für Clint, wenn er sich zur Seite dreht.

Clint dreht sich nicht zur Seite. Clint setzt sich aufs Sofa und zieht die Knie an, umschlingt seine Beine mit seinen Armen.

„Unsere letzte Sitzung liegt … anderthalb Jahre zurück“, sagt Doktor Roberts ohne jede Einleitung, den Blick auf die Unterlagen vor sich fixiert.

Clint nickt. „Das ist richtig.“

Roberts hebt eine Augenbraue. „Ihnen ist bewusst, dass Kontrollbesuche mindestens einmal pro Jahr üblich sind?“

Clint reibt unbewusst über sein Schlüsselbein, seine Handgelenke, macht sich noch kleiner. „Ich … war beinahe ununterbrochen im Einsatz.“

Doktor Roberts gibt einen unzufriedenen Laut von sich. „Nun gut. Die Ereignisse, wegen derer ich hier bin, liegen etwas über drei Wochen zurück. Haben Sie sich in der Zeit mit Ihren Taten unter Lokis Einfluss auseinander gesetzt?“

Clints Gesicht wird leer. „Ich …“

„Haben Sie darüber nachgedacht, die Familien jener zu kontaktieren, die direkt oder indirekt durch Ihr Mitverschulden ums Leben gekommen sind?“

Clint entkommt ein ersticktes Keuchen, und Bruce macht sich auf seinem Sessel ganz fürchterlich gerade. „Doktor Roberts.“

Roberts ignoriert ihn. „Sie sehen doch ein, dass Sie sich mit Ihren Handlungen auseinander setzen müssen, Agent Barton? Sie zu ignorieren macht Sie angreifbar, macht einen Rückfall möglich -“

„Doktor Roberts!“ Bruces Stimme ist leise, beherrscht, so ruhig wie nur möglich - Clint hebt trotzdem den Blick, dreht sich ihm zu und starrt ihn überrascht an.

Bruce atmet tief durch.

Roberts dreht sich auf seinem Platz zu ihm um, hebt eine vorwurfsvolle Augenbraue. „Ich denke, Sie sind hier, um zuzuhören, Mr. Banner?“

„Ich möchte Sie bitten, zu gehen, Doktor“, erwidert Bruce, ballt die Hände zu Fäusten und öffnet sie wieder - wieder und wieder. „Das hier wird nicht funktionieren.“

Roberts zieht ihm eine unbeeindruckte Grimasse. „Ich denke, das kann ich besser beurteilen, als Sie.“

„Und ich denke, dass Sie nicht der Richtige für die Ihnen zugeteilte Aufgabe sind.“

„Ach nein? Agent Barton wird Ihnen versichern können, dass ich bisher der einzige Psychologe bin, bei dem er sich dazu herabgelassen hat, den Mund aufzumachen. Alle anderen hat er behandelt wie Witzfiguren.“

Seine Worte lassen Clint tatsächlich zusammenzucken, und Bruce muss einen tiefen, beruhigenden Atemzug nehmen und die Augen schließen. „Sie sollten jetzt wirklich gehen, Doktor.“

Er kann nicht fassen, wie wütend ihn dieser Mann macht.

„Shit“, hört er Clint leise sagen, leise und doch durch und durch entsetzt - und als er die Augen wieder aufschlägt, steht Clint vor ihm, sichtlich hin und her gerissen, ob er es wagen kann, ihn anzufassen. „Bruce …“

Dann geht Clint vor ihm in die Hocke und nimmt seine Hände. Bruce war nicht einmal bewusst, wie sehr er sie verkrampft hat, ehe Clint ihn berührt, sanft seine Finger auseinander zieht und mit den Daumen über seine Handflächen reibt. „Reg dich nicht auf, Bruce“, sagt er flehend. „Es ist ok.“

Bruce muss die Zähne zusammenbeißen. „Es ist nicht ok.“

„Aber er hat Recht“, widerspricht Clint ihm, und der unglückliche Unterton in seiner Stimme macht Bruce regelrecht krank.

„Clint“, presst er eindringlich hervor, „mir ist egal, ob er Recht hat.“

Er weiß nicht, wie er Clint sagen soll, dass es schlicht keine Rolle spielt, ob Doktor Roberts Recht hat oder nicht. Der Mann ist hier, um Clint zu helfen - nicht, um ihm versteckte Vorwürfe zu machen, nicht, um anzudeuten, dass Clint einen verdammten Rückfall erleiden könnte. Rückfall zu was?

Loki ist nicht auf der Erde, das Zepter genau so wenig - wie zum Teufel soll Clint einen Rückfall erleiden?

Doktor Roberts räuspert sich vorsichtig. „Ich … muss mich entschuldigen.“

Bruce und Clints Köpfe rucken gleichzeitig zu ihm herum. Er erhebt sich von seinem Platz. „Sie haben ganz Recht, Mr. Banner. Ich bin ganz eindeutig nicht der Richtige für diese Aufgabe.“

Und damit geht er. Clint hält noch immer Bruces Hände in seinen. Falls überhaupt möglich, ist er jetzt noch bleicher als zuvor.

„Ich … Phil hat ihn doch extra … extra für mich …“

„Phil hat ihn herkommen lassen, damit er dir hilft, Clint. Es ist nicht schlimm, dass Roberts gegangen ist. Wir finden jemand Besseres. Ganz bestimmt.“

Zum ersten Mal seit Roberts ‚die Ereignisse vor drei Wochen’ angesprochen hat, klaren Clints Augen auf, und er sieht Bruce direkt an. „Versprochen?“

Bruce atmet erleichtert auf. Er entzieht Clint seine Hände, beugt sich auf seinem Sessel nach vorn und legt sie Clint auf die Schultern, drückt sanft zu. „Versprochen.“

Als Phil aufwacht, sitzt Clint auf dem Sofa ihm gegenüber und scheint mit sich zu ringen.

Phil mag erst halb wach sein, aber das hindert ihn nicht daran, seine Hand nach Clint auszustrecken. „Komm her.“

Clint rutscht sofort von seinem Platz und geht um den niedrigen Couchtisch herum, kniet sich neben Phils Sofa auf den dicken Teppich. Aber erst, als er sein Gesicht an Phils Brust vergräbt und zittrig ausatmet, wird Phil klar, dass etwas entschieden nicht in Ordnung ist.

„Was ist passiert?“ fragt er leise.

Clint atmet tief durch, einmal, zweimal. „Bruce hat Doktor Roberts weggeschickt“, sagt er dann leise.

Phil runzelt die Stirn. „Warum?“

Clint vergräbt seine Finger in Phils Pulli. „Er sagt, Roberts war nicht … objektiv.“

Phil beißt sich auf die Unterlippe. „Ok“, sagt er dann leise.

Denn er weiß genau, dass er Clint nicht fragen kann, ob er Bruce Recht gibt. Nicht in dieser Situation. Es sieht ganz so aus, als müsse er in der näheren Zukunft ein ernstes Gespräch mit Doktor Banner führen.

Vor allem aber muss er sich schon wieder bei dem Mann bedanken.

„Ok. Ich werde sehen, was ich tun kann. Fury wird jemand anders schicken müssen.“

Er hebt die Hand und streichelt Clint über den Kopf, lässt seine Finger durch sein Haar streichen, lässt Clint so lange vor sich verharren, bis er von allein den Kopf hebt und ihn ansieht. „Du bist nicht … Es ist wirklich ok?“

Phil nickt. „Ich bin nicht böse, und es ist wirklich ok. Und jetzt hilf mir doch mal eben hoch - wenn mich nicht alles täuscht, müssten die Anderen bald mit unseren neuen Mitbewohnern zurück sein.“

Clint lässt ein leises Schnaufen hören. „Wenn Tony so weiter macht, kann er ein Hotel aufmachen.“

„Bring ihn nicht auf dumme Ideen, Clint“, sagt Phil amüsiert, während Clint ihn sanft in die Höhe zieht. „Am Ende lässt er uns noch Miete zahlen.“

Es dauert exakt zehn Minuten, ehe JARVIS Phil und Clint mit ruhiger Stimme darauf aufmerksam macht, dass Tony und seine zahlreichen Gäste in der Villa eingetroffen seien. Es dauert fünf weitere, ehe die Heimkehrer das Wohnzimmer betreten.

Phil ist ein wenig überrascht. Er hatte damit gerechnet, dass Doktor Foster zu allererst ihr Labor begutachten wollen würde. Aber sie scheint nicht einmal ihre Taschen ins Haus gebracht zu haben.

Und der Ausdruck auf ihrem Gesicht, als sie auf ihn zu marschiert kommt, ist gleichzeitig unfassbar mitteilsam und kryptisch. Denn Phil versteht nicht, was sie so aufgeregt haben könnte.

Ihre Assistentin Darcy ist direkt hinter ihr, mindestens so aufgeregt. Phil steht auf, um beiden die Hand zu reichen, und als sie vor ihm ankommen, nimmt Jane seine Hand in ihre, drückt sie und starrt aus feuchten braunen Augen zu ihm auf.

Phil begreift endlich. „Es ist mir eine Freude, Sie wieder zusehen, Doktor Foster.“

Es scheint ihr komplett die Sprache verschlagen zu haben.

„Thor hat uns erzählt, was passiert ist“, sagt Darcy mit unsicherer Stimme - und dann drängelt sie Jane beiseite und nimmt Phil in die Arme. „Wir freuen uns auch, Sie zu sehen, Coulson. Sie schulden mir noch einen iPod.“

Jane räuspert sich vorwurfsvoll. Darcy drückt Phil lediglich etwas fester.

Phil braucht erschreckend lange, ehe er sich genügend gesammelt hat, um die Umarmung zu erwidern. „Ich bin ok“, sagt er leise an ihrem Ohr.

Sie hebt den Kopf und blinzelt stur ein paar Tränchen weg, starrt ihn vorwurfsvoll an. „Das will ich doch schwer hoffen.“

Damit löst sie sich von ihm, und Phil legt ihr die Hand auf die Schulter, dreht sie ein wenig herum, damit sie Clint ins Auge fassen kann. „Das hier ist Agent Barton.“

Darcys eben noch schrecklich ernste Miene löst sich in einem anerkennenden Grinsen auf. „Ich bin entzückt.“

Phil überkommt die leise Ahnung, dass Thor Jane und ihr von weit mehr erzählt hat als nur seiner unglücklichen Begegnung mit Loki.

„Ich ebenfalls“, gibt Clint lächelnd zurück, und Phil ist regelrecht begeistert, als er das ehrliche, warme Leuchten in Clints Augen entdeckt. Clint mag Darcy.

Phil drückt unwillkürlich Darcys Schulter.

Thor tritt an sie heran, während Jane und Clint einander die Hand reichen, und sein Gesicht ist ernst. „Es tut mir leid, wenn ich diese Tränen verschuldet habe.“

Jane blickt lächelnd zu ihm auf. „Das ist schon ok. Es ist besser, dass Darcy und ich Bescheid wissen.“

Thor legt den Arm um sie, und sie lehnt sich mit einer Selbstverständlichkeit an ihn, die Phil ein Lächeln entlockt. Dann sieht sie sich im Wohnzimmer um. „Ist Doktor Banner nicht hier? Ich hatte mich darauf gefreut, ihn kennen zulernen.“

Clint lässt prompt den Kopf hängen.

Der Rest der Heimkehrer, der sich bisher im Hintergrund gehalten hat, tritt wie aufs Stichwort dichter an sie heran.

„Was ist passiert?“ fragt Natasha leise.

„Er hat sich nicht mit meinem … mit … Doktor Roberts verstanden“, erwidert Clint ebenso leise. Natasha ist neben Clint und Phil die Einzige, die weiß, wer Doktor Roberts ist, und sie hebt eine strenge Augenbraue.

„Fury hat Roberts geschickt?“

Clints Kopf ruckt in die Höhe. „Ja. … Wieso?“

Natashas Mund ist eine unzufriedene, dünne Linie. Tony räuspert sich. „JARVIS, wo ist Bruce?“

Master Bruce ist in seinem Labor, sagt JARVIS mit einem Unterton wie Donnergrollen. Phil hat nicht gewusst, dass er über solch einen Unterton verfügt, und blickt überrascht gen Zimmerdecke - Jane und Darcy tun es ihm gleich.

„Wer“, fragt Darcy irritiert, „war das denn?“

Tony grinst sie flüchtig an. „Mein Butler. Im weitesten Sinne. Er kontrolliert das Haus. Naja … alle meine Häuser. Und meinen Anzug. Manchmal wüsste ich wirklich nicht, was ich ohne ihn tun sollte.“

Sie wären rettungslos verloren, Sir.

„Hätte ich nicht außerdem Pepper, Steve und Bruce wäre das vermutlich sogar der Fall“, gibt Tony leichthin zurück. „Und wenn es niemanden stört, werde ich Letzteren jetzt in seinem Labor aufsuchen. Es geht nicht an, dass er unseren Damenbesuch derartig ignoriert. Pepper, wenn du so gut wärst, den Damen Quartiere zuzuweisen - ich schwöre, ich verliere langsam den Überblick, welches Zimmer von wem belegt ist. Lass dir von JARVIS helfen.“

Pepper nickt. „Sicherlich. Kein Problem. Und jetzt geh zu Bruce.“

Tony lächelt ihr zu, bekommt einen Kuss und lässt sich von ihr aus dem Zimmer scheuchen.

Sir, ich muss Sie darauf hinweisen, dass Doktor Banner mich darum gebeten hat, niemanden zu ihm zu lassen, sagt JARVIS ernst, kaum dass Tony zwei Schritte den Flur hinab getan hat.

Tony runzelt die Stirn. „Muss ich dich darauf hinweisen, dass du deine Entscheidungen mehr oder weniger selbständig fällen kannst, und an keinerlei Befehle gebunden bist, JARVIS?“

Keineswegs, Sir. Ich wollte auch keinesfalls andeuten, dass ich Ihnen den Zutritt zu Doktor Banners Labor zu verwehren gedenke. Mein Bestreben war lediglich, Sie darauf aufmerksam zu machen, dass Doktor Banner allein zu sein wünscht.

„Ich bin mir dessen bewusst, JARVIS, und gedenke meinerseits, sein Bestreben zu ignorieren“, sagt Tony schnippisch, dann zögert er einen Moment. „Was ist eigentlich passiert?“

Ich bin mir sicher, Doktor Banner wird es Ihnen erzählen, wenn Sie ihn fragen, Sir.

Tony blinzelt gen Zimmerdecke, dann rollt er über sich selbst mit den Augen. Seine überforderten Hausgäste haben angefangen, auf ihn abzufärben. JARVIS wohnt nicht in den Decken.

„Seit wann so zurückhaltend, JARVIS? Für gewöhnlich kennst du keinerlei Hemmungen, sofort brühwarm weiter zu erzählen, was unter deiner Nase vor sich geht.“

Ich verfüge in diesem Fall nicht über die nötigen Hintergrundinformationen, um mir ein befriedigendes Bild machen zu können, Sir. Doktor Roberts hat sich Agent Barton gegenüber feindselig verhalten, und Doktor Banner bat ihn in der Konsequenz, das Haus zu verlassen. Das ist alles, was ich Ihnen berichten kann.

„Mhm“, macht Tony unzufrieden und öffnet die Tür zu dem Flur, in dem Bruces Labor liegt. „Ist Roberts Bartons Seelenklempner?“

JARVIS bleibt still.

Tony schnaubt. „Erzähl’s mir einfach, JARVIS.“

Sir, bei allem Respekt - das sollten Sie Agent Barton fragen.

Tony bleibt abrupt stehen. „Sowas kann ich ihn nicht fragen!“

Sir, sagt JARVIS und schafft es irgendwie, ein leidendes Seufzen in der einen Silbe unterzubringen, wenn Sie ihn das nicht fragen können, sollte ich Sie kaum darüber unterrichten. Nach dem, was heute passiert ist, möchte ich allerdings davon ausgehen, dass Doktor Roberts nicht Agent Bartons Therapeut ist.

Tony beißt sich auf die Unterlippe. „Damit muss ich mich wohl zufrieden geben.“

Das müssen Sie in der Tat, Sir.

Tony schnaubt ein letztes Mal, ehe er uneingeladen in Bruces Arbeitsbereich einbricht.

TEIL 15

fandom: avengers, autor: uena

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