Nov 12, 2012 20:24
"Du weißt ja, dass es man mich bisweilen belächelt - gebe ich doch auch Philosophiekurse mit dem Titel „Die Sorge um die Seele“, während meine eigene von Unruhe geplagt ist. Obwohl es ein Leichtes für mich wäre, den Spott abzuschütteln, indem ich anführe, dass es ohne Philosophie noch schlimmer wäre, hinterfrage ich mich dennoch. Warum bleibt ein Individuum, das doch so viele Rückschläge überwunden hat, derart verletzbar? Montaigne hatte nicht unrecht , indem er feststellte, dass uns die „Häufung winziger Widrigkeiten [stärker zusetzt] als die Heftigkeit einer einzelnen“ (Essais, 3, Kap. 9, 261)
Es geziemt sich wohl, sich selbst zu kennen, um die eigenen Ressourcen nicht zu überschätzen. Bei Spinoza glaube ich doch einige Mittel zu finden, um mein Selbstverhältnis zu vertiefen. Spinoza erlaubte es mir, drückende Ansprüche abzulegen, um mein Streben auf das Realisierbare zu richten. Vor allem hat er mich aus mir selbst herausgeschält, aus diesem Willen ein Selbst zu konstruieren, das jenseits meiner Kräfte liegt. Weit davon entfernt, eine ferne Weisheit zu skizzieren, bietet er mir einige Werkzeuge, um mich freier dem zu widmen, was ich bin. Aus seinem Mund dringt keine Belehrungsrede. Er hütet sich davor, jene gewohnten wiederkehrenden Reden zum Besten zu geben, die eher hinabziehen als erbauen und für gewöhnlich eher Schuld und Selbsthass bewirken.
Das Lesen der Ethik enthebt mich dieser Plagen. Angesichts unseres Scheiterns und unserer Unfähigkeit, unsere Kränkungen endlich loszulassen, gelangen wir dazu, uns selbst zu hassen und uns im Namen eines Ideals abzulehnen. Spinoza bewahrt mich täglich davor."
Alexandre Jollien, La construction de soi, 133f.