Gen.
Kalle geht schon seit gut zwanzig Jahren zur Borussia.
Das wird er dir auch erzählen, wenn du ihn fragst. Er wird von den Höhen und den Tiefen sprechen. Dir seine Sammlung an Schals zeigen und stolz auf die verschiedenen Autogramme hinweisen. Sein Sohn geht in die vierte Klasse und leidet zeitweilig an Verwirrung. Jonas mag den VfL Bochum. Hat sich zum Geburtstag gewünscht, ins Ruhrparkstadion gehen zu dürfen. Kalle tröstet sich damit, dass es wenigstens nicht die Blauen sind, denen sein Junge verfallen ist. Dabei ist er doch ganz talentiert, kriegt die Freistöße immer schön vor das Tor, die Flanken sind auch nicht von schlechten Eltern. Er will mal versuchen, gleich bei der nächsten Chance, ihn in einer der Jugendmannschaften unterzubringen.
Das wird dir Kalle erzählen.
Nicht viel zu sagen hat der alte Kurt. Aber wenn er mal den Mund aufmacht, kommen die schönsten Geschichten heraus. Über die Helden der Sechziger, über den schleichenden Niedergang der Siebziger. Wie er als junger Bursche zum Pokalfinale nach Hannover gefahren war und fast Friedhelm Konietzka die Hand schütteln durfte. Jetzt schafft er es nicht mehr jeden Spieltag ins Stadion, aber wenn er mal da ist, dann musst du ihn ansprechen. Er ist nicht schwer zu übersehen, lächelt immer und schließt die Augen wenn ein Tor für seine Borussia fällt.
So wirst du Kurt sehen.
Nicht leicht zu finden ist Selina. Sie hat seit dieser Saison ihre erste Dauerkarte und steht mitten auf der Süd. Dort hat sie Überblick, genießt die Fangesänge aus bester Nähe und sieht die Bälle ins Netz zischen. Ihr Freund steht nur ein paar Blocks weiter und ist normalerweise für die Fahne zuständig. Wenn du nachfragst, wird sie dir bereitwillig sagen, dass der Hummels ihr Lieblingsspieler ist. Nicht, weil er hübsch ist, sondern weil er der verdammt nochmal beste Innenverteidiger der Bundesliga ist und verdammt nochmal ins Nationalteam gehört. Hummels für Deutschland, wird sie dir vorsingen und dabei stetig nicken.
Und da bist ja noch du.
Niemand fragt dich, doch du streckst die Arme in die Luft und lässt einen Jubelschrei los. Dein Bier schwappt über und benetzt deine Winterjacke und den Schwarzgelben Schal, den du um den Hals geschlungen hast. Ein paar Leute weiter siehst du Selina, die sich noch alle Nägel ins Gesicht gekrallt hat und nun erleichtert aufkreischt. Kalle findest du nicht, doch er hat Jonas auf der Schulter und stimmt mit in die Gesänge ein. Ist begeistert. Ist verliebt, mit sechsundvierzig. Aber du kannst ihn ja nochmal fragen, er wird dir erzählen, dass er sich Woche für Woche immer wieder neu verliebt. Seit zwanzig Jahren. Kurt hat seine Frau mitgenommen, steht auf der Osttribüne, mitten zwischen den Rollstühlen und lächelt versonnen in die Kälte hinein.
Und du, du stehst da.
Du stehst da.