Mondlandung: Takeoff [Gomez/Beck], 7. 6. 2010

Jul 08, 2012 19:45

Titel: Mondlandung: Takeoff
Pairing: Mario Gomez/Andreas Beck
Rating: P-16
Anmerkungen: Liebe Kruemelkeks, das hier gehört dir, weil du vor gefühlten hundert Jahren mal so tolle Werbung für Moritz/Holtby gemacht hast. Ich hoffe, es gefällt dir.



Es war, als hätte er die Landung nicht vollzogen.

Das Flugzeug streckte seine Räder aus, es rumpelte, die Motoren brummten. Harte Konfrontation, der deutsche Flieger küsste den spanischen Asphalt. Leidenschaftliches Ächzen, ein sanftes Rollen auf den letzten paar Metern und sie standen still.

Andreas fühlte sich benommen. Das ging ihm alles zu schnell, sein Kopf schwirrte. Er spürte den festen Boden unter den Sohlen, die Reisetasche klammerte sich verzweifelt an seine Hand. Die Schwerkraft wirkte im Süden doppelt, selbst die Luft lastete schwer in seinen Lungen.
Die hellen Sonnenstrahlen kollidierten mit ihm und für ein paar Momente sah er gar nichts. Dann kam die Hitze auf ihn zu, wie eine Schallmauer, wie eine große, heiße Wand aus Wasserdampf. Plötzlich schien er über und über mit Schweiß bedeckt zu sein, der aus jeder Pore troff.

Er schleppte sich vorwärts, sah zwischen allen Farben und Formen gerade noch den braunen Schopf seines Bruders. Wenn er die Augen zusammenkniff flimmerte seine Gestalt sogar ein bisschen.
Totalreflektion, fiel ihm auf einmal ein. Physik. Schule. Hier und jetzt, gelebt und bewegt, bunt unter der spanischen Sonne, in der schillernden Luft.

Seine Eltern standen schon im Schatten des Kleinbusses, fächelten sich mit den Händen Luft zu. Sie passten auf irrationalste Weise nicht ins Bild. Die kurze Kordhose, die aufgeknüpfte Bluse, die verrutschten Sonnenbrillen. Ferien, Andreas. Urlaub. Jetzt war Zeit, die Zeit zu vergessen. Keine engen Bürostühle, kein Broteschneiden am frühen Morgen. Nur die bezahlte Idylle, der Postkartenstrand, die überteuerte Limonade.

Andreas sagte nichts, stieg ein, fühlte sich wie ein erhitzter Ofen in der plötzlichen Kühle, die ihn umgab. Die Reifen quietschten, diesmal ohne den Aufprall, ohne das Rütteln. Ein sanftes Auf und Ab, während der Bus seine Kurven drehte, ihnen die silbernen Vögel in Reih und Glied noch einmal zeigte. Lufthansa war ein Stück weiter vorne geparkt als KLM.

Und am Ende gewinnen immer die Deutschen.

Dann fliegen sie in die Sonne, sprechen schlechtes Englisch und feiern. Feiern ihr Geld und das Leben.
Andreas hätte auch nicht anders gemacht, anders gewollt. Ihm schwirrte nur der Kopf, als hätte man Seifenwasser hinein geschüttet, und nun stiegen die Blasen hoch. Höher. Nahmen ihn mit.

Er war noch nicht gelandet.

Der Bus hielt an, sein Inhalt brodelte. Zerzauste Menschen, die Kälte und Unterkühlung gewöhnt waren, klopften ungeduldig mit den Fingern auf den Sitzlehnen. Jeder Minute war bezahlt.
Es war fast schon eine Erleichterung, aus dem klimatisierten Gefährt zu steigen. Wieder die Hitzewelle, wieder zerfloss er. Dabei war ihm noch kalt. Seine Fingerspitzen fühlten noch den klammen, internationalen Atem der Fahrgäste, während seine Lippen sich schon öffneten: einatmen, ausatmen, Luft, Wasser, Hitze, einatmen. Ausatmen.

Er ging seinem Bruder hinterher, starrte ihm auf den weißen Kragen. Rechts neben ihm sprach jemand Englisch. Die schnellen Töne vermischten sich unaufhaltsam mit den braunen Mustern des Fußbodens, dem leisen Rollen der Gepäckträger, den verdunkelten Brillengläsern.
Andreas sah auf seine Schuhe, die über spanisches Laminat gingen. Sein linker Arm fühlte sich wie ausgerissen. Die Schwerkraft, immer noch. Sie wirkte. Doppelt und dreifach. Hielt ihn dennoch nicht auf dem Boden.

Landung missglückt. Passagier auf dem Weg in den Himmel, um die Erde. Einmal Mond und zurück.

Seine Augen fühlten sich trocken an, ausgedörrt. Kein Blinzeln half. Er kniff sie einfach zusammen. Ich brauche, dachte er sich, ich brauche Mondwasser. Das ist das einzig Wahre.
Draußen flimmerte alles. Als hätte jemand mit voller Wucht gegen einen alten Bildschirm getreten. Das Bild zersprang, setzte sich für Sekunden wieder zusammen. Bunte Koffer. Tragetaschen. Weinende Kinder. Zerfledderte Flugtickets.

Andreas schreckte zusammen, als seine Mutter ihm die Tasche übergab. Sie lastete schwer auf seiner Schulter. Leichte Sommerkleidung konnte so viel wiegen.
Die Schritte bis zum wartenden Taxi zählte er mit, unbewusst, bewusst. Es waren insgesamt fünfunddreißig. Eine Glückszahl, eine, die man sich aufs Trikot flocken ließ.

Der Taxifahrer war genervt. Seine Mundwinkel zogen sich nach unten, die Lachfalten um seine Augen waren verblasst. Er sprach Englisch und schlechtes Deutsch, trommelte mit den Fingern auf seinem Lenkrad. Samba! Tango! Viva Espana. Und sein schroffer Ton war der Bass. Die falsch geblasene Trompete. In Andreas’ Kopf hallten die Töne wieder.
Er musste in der Mitte sitzen, mit dem blassen Ellenbogen seines Bruders in der Seite und der Handtasche seiner Mutter auf dem Schoß. Und? Schon fuhr der Wagen los.

Das war nicht Autofahren.

Das war ein Tanz.
Mit der Straße, mit anderen Fahrern, ein agressiver, offener Tanz. Man zog die Bremse und man ließ sie los. Andreas kippte nach links, nach rechts. Mal roch er das blumige Parfum seiner Mutter, mal den vertrauten Schweißgeruch seines Bruders. Irgend etwas duftete nach Pfefferminze. Er hörte die Kiefer des Taxifahrers die äußere Hülle des Kaugummis zermahlen. Straßen flogen vorbei. Teilweise war auch das Meer zu sehen. Mehr Meer, mehr Ozean. Blau, blau für die Augen, nur diese Unendlichkeit konnten sie ertragen.

Als sie quietschend hielten spürte Andreas die Lufthansa Lasagne in der Kehle brennen.

Er setzte seine Füße ins Freie und ließ sich von der Wärme überfluten. Ja, tatsächlich war es nicht mehr Hitze. Nur noch ein angenehm sanfter Strahl auf seiner Haut, streichelnd, weich. Er würde nicht goldbraun werden, nicht orange. Aber die Sonne liebte seine Haut. Liebkoste sie.

Er nahm seine Tasche und spürte sie kaum, ging seinen Eltern nach, die schon ihr zufriedenes Urlaubslächeln auf den Lippen hatten, folgte seinem Bruder, der das T-Shirt schon halb ausgezogen hatte.
Eine Reihe von strahlend weißen Gebäuden, Palmen und ein ovales Planschbecken begrüßten ihn. In der Sonne blitzte alles auf, so als würden sie, und alle anderen Touristen auf dieser Insel gleichzeitig auf den Auslöser drücken. Blitzlicht. Zack. Nie hatte etwas mehr gestrahlt.

Genau so blitzte ihn die Innenseite ihrer Ferienwohnung an. Die weißen Wände streckten sich, die Plastikblumen auf seinem neuen Nachttisch war ein einziger bunter Punkt in dem Zimmer.
Andreas stellte seine Tasche ab und warf sich aufs Bett, verzog das glatt gestrichene Laken, zerknüllte mit einer Faust die blütenweiße Oberdecke. Die Matratze war außergewöhnlich weich, federte, fing ihn ab, wackelte und zitterte dabei. Er rollte sich auf die Seite und beobachtete, wie sein Bruder den Wandschrank mit blumigen Hemden vollstopfte. Da, wo er gerade gelegen hatte, war nun eine kleine Mulde entstanden, der Stoff hatte rundherum Falten gebildet, als wäre er flüssig, als würde er gleich in kleinen Bächen und Strömen den Weg vom Bettgestell, durch die Ritzen und Rillen des Holzfußbodens, zurück nach draußen finden. In das ovale, hellblaue, vom Chlor gereinigte Schwimmbecken. Oder ins Meer.

Andreas stand auf, öffnete das Fenster. Ließ sich überfluten, stützte sich am Fensterbrett ab. Er schwebte davon.

Sie unternahmen ihre ersten Spaziergang gleich dreißig Minuten nach der Ankunft. Unerschöpfliche Energie erfüllte die, die sich planlos in die Sonne legen durften. Andreas zählte sich fast schon dazu.
In weiter Ferne konnte er die Boote im Hafen sehen, im Salzwasser schaukelnd. Braungebrannte Menschen waren zu sehen, überall. Unter der Sonne sahen sie ausnahmslos identisch aus. Die bunten Badesachen, die Sonnenschirme, die giftgrünen Getränke. Mit einem Blick stellte er fest, dass seine Eltern dazugehörten. Ihre entspannten Mienen angesichts des bunten Treibens waren fast schon friedlich, besonnen, erfüllt. Sieh nur, das ganze Jahr Arbeit hat sich gelohnt. Das alles gehört jetzt uns. Jede letzte Palme, jeder Löffel Eis, jeder Tropfen Chlorwasser.

Vielleicht hätte er seine Sonnenbrille wirklich mitnehmen sollen. Schutz vor den scharfen Sonnenstrahlen, Schutz vor diesen goldenen Menschen und ihre farbigen Getränken. Er hielt sich eine Hand über die Augen, ließ den Blick wandern, gleiten, auf den Wellen reiten, über die hellen Schiffsmaste, der Küstenlinie entlang. Ein sandiger Farbton, der heftig in das plötzliche Blau überging. Der Himmel streckte sich, die Wolken schwebten. Schafften es vereinzelt über seinen Kopf hinweg, warfen nur helle, weiche Schatten.

Seine Füße bewegten sich, ganz von alleine. Sie gingen dem kühlen Grau nach, suchten ihren Weg um die ihm entgegenkommenden Menschen herum, liefen einfach. Das Meer blinzelte ihm verschmitzt zu. Vielleicht rief seine Mutter nach ihm, vielleicht aber auch nicht. Hier sprachen so viele Leute Deutsch. Andreas hörte es nicht, wollte es nicht hören. Sein Kopf war schneller als seine Schritte, er ging, er spazierte, er schlenderte in eine undefinierte Richtung, während sich vor seinen Augen Bilder abspielten. Märchenhafte, fast schon utopische Bilder.
Ein einsamer, farbloser Strand. Graue Wellen und eine Krabbe, die sich durch den gräulichen Sand arbeitete. Wie in einer Dokumentation auf Discovery Channel. Die Sonnenstrahlen zwinkerten. Oder war er es selbst? Irgendwas flüsterte ihm ins Ohr, dass es diesen Strand gab. Dass das Meer hier nicht nur knallig blau war, sondern auch ganz andere Farbtöne besaß. Ganz andere Seiten. Sanftes Rauschen, leises Rascheln.

So etwas wie einen privaten Landeplatz für ihn.

Da war sein Urlaub. Nicht am Bierstand, nicht bei den flackernden Partylichtern, nicht zwischen seinen braungebrannten Landsleuten. Andreas schwirrte der Kopf, er suchte Halt unter den Füßen, fühlte die Seifenblasen in seiner Brust höher steigen, das federnde Gefühl, gerade durch Schichten von Wolken gefallen zu sein.
Das, dachte er sich, das ist es, wohin ich jetzt gehe. Oder auch nicht. Er schwebte. Ein Astronaut ohne All, mit meterdickem Helm und einem fliegenden Pulsschlag. So lebendig, aber zu nahe an die Sonne geraten. In den Augen das Mondwasser, in den Fingerspitzen die samtige Kälte.

Landung missglückt.

Andreas sah sich um.
Der Sand war nicht mehr der silbrige Puder, es zeichneten sich tiefere Abdrücke und kleine, spitze Hügel ab. Die Ansammlung von Miniatursteinen lebte.
Und da kam sie schon angestürzt, die Kugel, die für die Schlaglöcher verantwortlich war. Sie rollte nicht, sie streichelte den Sand behutsam mit schnellen, oberflächlichen Berührungen. Das Leder war dunkel und glänzte unter dem goldenen Tageslicht wie geölt.
Die Kugel rollte auf Andreas zu, wie ein Hund, der zu seinem Herrchen zurückfand. Und er bückte sich und nahm sie hoch, diesen nassen Mond, diese glühende Sonne. Andreas spielte den Fussball zurück in die Richtung, aus der er gekommen war.
Sein Blick folgte dem Leder. Eine schmale, flache Spur hinterließ es im Sand. Nun hatte auch er etwas markiert. Unterschrieben. Jetzt kannte die Insel ihn.

Was er als nächstes sah, war gebräunte Haut. Eine Farbe, die er nicht wirklich kannte und auch nicht definieren konnte. Es war auf keinen Fall die altbekannte Solariumbräune, aber auch kein normaler Sonnenbrand. Eine Mischung aus verschiedenen Tönen. Indianerröte. Sonnenuntergang. Lagerfeuer. Auch ein bisschen etwas von dem alten Holztisch, der bei ihnen im Wohnzimmer stand. Wie behutsam zusammengepinselt, als hätte sich ein Künstler Gedanken gemacht. Schlaflose Nächte, um sein Lebenswerk zu vollenden. Mit klaren, unkomplizierten Strichen und den tanzenden Flammen, der orange schillernden Meeresoberfläche, den verschlungenen Mustern. All das, all das bildete eine Schulter, einen Arm. Einen Torso. Ein Schlüsselbein, einen Adamsapfel.

Und Andreas stand da, mit den Augen eines Kunstbegeisterten und spürte die Hitze um sich. Die Kombination aus Farben, Strichen und Leben bewegte sich. Ein kurzer, dunkler Haarschopf sprang ihm ins Auge. Dunkelblaue Shorts, die alt und sandig wirkten. Als würde der Besitzer sie jeden Tag tragen und nur selten waschen. Er nahm all das wahr, aus fünf Meter Entfernung. Vom Mond aus. Er schwebte durchs All und sah, brach durch die Wolken. Hörte nicht auf, wahrzunehmen.

Die Erde kam näher. Sandiger, hügeliger Boden. Mit der Sonne im Nacken, der letzten Kälte, die er mitgebracht hatte, in den Fingerspitzen und dem Helm, der plötzlich verschwunden war.
Vielleicht war es bloß die Erdanziehungskraft. Im Süden wirkte sie doppelt, dreifach, wirkte, bis er am Boden lag. Oder auch nicht.

„Hey, willst mitspielen?“

Er landete hart.

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