„Wir werden die Mondbesiedelung erleben“
Von Judith Lembke , Redakteurin in der Wirtschaft der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Astronautin Insa Thiele-Eich über die Herausforderungen, im All zu wohnen, Häuser aus dem 3D-Drucker und Fischzucht im Weltraum.
Den Traum, ins All zu ziehen, hegen Menschen schon sehr lange. Ist es in näherer Zukunft denkbar, dass dauerhafte Siedlungen jenseits der Erde entstehen, oder ist das Science-Fiction?
Ich glaube, dass wir das in den nächsten fünfzig Jahren erleben werden. Im Moment gibt es schließlich wieder ganz konkrete Pläne, auf dem Mond eine Basis zu errichten.
Woher rührt dieses Streben, ins All zu ziehen? Auf der Erde ist es doch auch schön.
Es gehört zur Kultur des Menschen, sich zu fragen, wo er noch leben kann außer an dem Ort, an dem er schon ist. Es ist die Neugier, unser Entdeckergeist, der uns Menschen ins All treibt. Und wenn man eines Tages zum Mars kommen möchte, braucht man auf jeden Fall eine Mondstation auf dem Weg dorthin.
Und was macht den Mond selbst als Wohnort attraktiv?
Schon die Vorstellung an sich stößt bei vielen Menschen auf Begeisterung, immerhin hat man vom Mond aus noch den wunderschönen Blick auf die Erde. Zudem ist es natürlich wissenschaftlich interessant, sich dort länger aufzuhalten und zu forschen. Andere hoffen auch, dass es auf dem Mond Rohstoffe gibt, die sich wirtschaftlich ausbeuten lassen. Dieser Aspekt ist für mich persönlich als Motivation aber nicht so wichtig. Ich will vor allem wissen: Geht das überhaupt, dort zu leben?
Sie sind von der Ausbildung her Klimaforscherin und haben Ihre Doktorarbeit über die Auswirkungen des Klimawandels auf Bangladesch geschrieben. Spielt der Klimawandel bei den Gedankenspielen ums Leben im All auch eine Rolle, nach dem Motto: Wenn es hier zu heiß wird, wandern wir aus?
Es gibt keine Erde 2.0. Wir haben keine Ausweichmöglichkeit. Selbst wenn ein paar Menschen irgendwann auf den Mond ziehen können, ist das noch lange keine Lösung für die ganze Menschheit. Aber ich glaube, dass es unterbewusst bei manchen ein Gedanke ist, auf dem man sich ausruht: Wenn die Erde unbewohnbar wird, ziehen wir eben auf den Mars. Vielleicht eine Vision, die auch von Science-Fiction- Filmen gefüttert wird?
Auf welchen Planeten wären Siedlungen denn jenseits der Erde überhaupt denkbar?
Am naheliegendsten ist der Mond als Trabant der Erde und danach der Mars als Planet. Venus und Merkur kommen vorerst nicht in Frage, sie liegen zum Beispiel zu nah an der Sonne.
Wem gehört der Mond eigentlich? Darf dort einfach jeder bauen?
Im Moment haben sich mehr als hundert Nationen im Weltraumvertrag von 1967 auf bestimmte Regeln geeinigt, zum Beispiel, dass keine Militärbasis auf dem Mond gebaut werden darf. Aber sobald jemand dort siedeln möchte, besonders mit eventuellen Gewinnabsichten, sind noch viele Fragen zu klären. Bisher scheiterten weitere Versuche, diese Lücken zu schließen.
Und wenn der Rechtsrahmen geschaffen ist: Wo würde man dann auf dem Mond bauen?
Da gibt es verschiedene Möglichkeiten, je nachdem, was man auf dem Mond vorhat. An den Polen finden sich Gebiete mit interessanten Rohstoffvorkommen, dort ist aber die Kommunikation mit der Erde nicht dauerhaft möglich. Am Äquator besteht zwar die Möglichkeit, besser mit der Erde zu kommunizieren, aber dafür ist es dort in der Mondnacht schwieriger, eine Energieversorgung über Solarpaneele sicherzustellen. Ob am Pol oder mehr in Äquatornähe, sicher ist es sinnvoll, bereits bestehende Felstunnel als Basis zu nutzen.
Was für Dinge muss man auf dem Mond im Gegensatz zur Erde bedenken?
Da der Mond keine Atmosphäre hat, müssen sich die Menschen dort besonders gut vor Strahlung und auch Meteoriteneinschlägen schützen. Und selbstverständlich benötigt man Lebenserhaltungssysteme zum Druckausgleich und für die Versorgung mit Atemluft.
Wie würde man das konkret anstellen, ein Monddorf zu bauen?
Man würde versuchen, schon vorhandenes Material zu nutzen, da es natürlich unglaublich teuer und aufwendig ist, Dinge ins All zu transportieren. Es gibt aktuell Forschungen dazu, etwas aus Regolith zu bauen. Das ist ein lockeres Material, das sich auf der Mondoberfläche befindet, man kann sich das als eine Art Staub oder feinen Sand vorstellen. Aus diesem Material könnte man mit 3D-Druckern etwas drucken, das man als Behausung nutzen kann. Oder man könnte aus Regolith in Sonnenöfen Ziegelsteine brennen. Dazu wird bereits ganz konkret im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt geforscht.
Aus diesen Ziegelsteinen ließe sich dann ein Haus bauen?
Theoretisch schon, allerdings dauert es im Moment noch mehrere Stunden, einen einzigen Ziegelstein zu brennen. Ein Fließbandprodukt sind diese Ziegelsteine in absehbarerer Zeit noch nicht...
Dann also lieber die Behausung aus dem 3D-Drucker...
...auch dazu gab es schon Ideenwettbewerbe, die ja immer am Anfang solcher visionären Vorhaben stehen. Eine Idee einer Unterkunft für den Mars war zum Beispiel, dass man die Kapsel, mit der man auf den Mars geflogen ist, als Behausung nutzt und dann weitere Strukturen aus dem 3D-Drucker drum herum baut.
Und die Versorgung?
Ob man aus bestehenden Eisvorkommen Wasser gewinnen kann, ist noch unklar. Deshalb wird auch Wasser ein kostbarer Rohstoff sein und bestimmt stark aufbereitet werden, wie das auch schon auf der Raumstation geschieht. Dort sagt man „Der Kaffee von gestern ist der Kaffee von morgen“, weil Urin nicht einfach ins All geleitet, sondern wiederaufbereitet wird.
Hat sich dieser Kreislaufgedanke auch bei der Nahrungsmittelproduktion im All schon durchgesetzt?
Es wird geforscht, wie man Nahrung im All produzieren kann. Es gibt zum Beispiel ein Lebenserhaltungssystem, das „Advanced Closed Loop System“, das bei Airbus gebaut wird und an dem wir im Oktober ein Training hatten. Dort wird CO2 bei der Luftreinigung abgeführt. Damit können dann Algen angefüttert werden. Mit diesen, so ist die Idee, könnte man Fische füttern, die die Astronauten essen könnten. Die menschlichen Ausscheidungen könnten wiederum als Dünger verwendet werden.
Lässt man auch Pflanzen unter LEDs wachsen? In dunklen Kellern wird das schließlich schon gemacht.
Das wird auf der Raumstation auch schon gemacht, ist allerdings nicht so ertragreich. Deshalb reden wir eher von ein paar Salatblättern, als von im All gewachsenen Drei-Gänge-Menüs. Daher ist es auch eher realistisch, dass wir innerhalb der nächsten fünfzig Jahre dauerhaft auf dem Mond siedeln und nicht innerhalb der nächsten fünf.
Und wie sieht es mit Siedlungen auf dem Mars aus?
Ich bin mir ziemlich sicher, dass innerhalb der nächsten fünfzig Jahre Menschen auf den Mars fahren werden. Ob sie dort länger bleiben werden, hängt allerdings stark davon ab, wie gut es mit der Besiedelung des Mondes klappt.
Gibt es etwas, das man im All für die Erde lernen kann?
Es gibt kein Projekt, bei dem international so gut zusammengearbeitet wird wie auf der Internationalen Raumstation, mir fällt zumindest keines ein. Es wird gemeinsam an etwas geforscht, es wird zusammen gebaut und zusammen betrieben, und zwar ohne nennenswerte Konflikte, egal wie die politische Situation auf der Erde ist. Davon könnte man sich durchaus etwas abschauen. Letztendlich ist die Erde auch nur ein sehr großes Raumschiff mit genauso knappen Ressourcen.
Quelle: F.A.S. 28.01.2020,
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