Jan 15, 2020 11:13
Muckibuden-Musik
Wie Songs beim Sport helfen, selbst wenn man sie nicht mag
Ein Fitnessstudio steckt voller Reize, die Fluchtreflexe auslösen. Es fängt schon damit an, dass der Besuch einer solchen Anstalt oft Überwindung kostet. Wer trotzdem motiviert über die Schwelle tritt, trifft auf Gerüche, Geräte und Gestalten, die einen augenblicklich zum Trainingsmuffel werden lassen. Weitere Abschreckung löst häufig die musikalische Begleitung diverser Fitnessangebote aus. Egal ob das Ertüchtigungsprogramm Spinning, Zumba, Aquarobics oder Boxercise genannt wird, meistens läuft dazu penetrante Muckibuden-Musik.
Muss das sein? Es ist zum Besten der Trainierenden. Tatsächlich zeigen Studien, dass Musik Training erträglicher macht, die gefühlte Anstrengung reduzieren und die Leistung unter Umständen sogar leicht steigern kann. Diese Wirkung tritt offenbar sogar dann ein, wenn die musikalische Begleitung zum Sport den eigenen Geschmack verfehlt.
„Musik kann signifikante positive Effekte auf Sportler und Athleten haben“, schreiben Psychologen um Peter Terry von der University of Queensland in einer aktuellen Analyse im Fachmagazin Psychological Bulletin. Darin legen die Wissenschaftler aus Australien und Großbritannien einen Überblick zu 139 relevanten Studien aus mehr als 100 Jahren zu dem Thema vor. Darunter findet sich auch eine klassische Arbeit aus dem Jahr 1911, für die der Wissenschaftler Leonard Ayres damals die Leistung von Radsportlern während eines Sechs-Tage-Rennens in New York analysiert hatte. Rasten die Radler im Madison Square Garden über die Bahn, während eine Militärkapelle schmissig aufspielte, waren sie deutlich schneller unterwegs als in den Phasen, in denen die Musikanten pausierten.
Es klingt so eindeutig und offensichtlich, als sei seit 1911 aus wissenschaftlicher Sicht alles klar. Und doch zeigt die umfangreiche Arbeit der Psychologen, dass die Wirkung von Musik beim Sport komplex, vielschichtig und teils schwer zu durchschauen ist. Am eindeutigsten greifen Lieder in den Gefühlshaushalt von Trainierenden ein: Wer sich beim Joggen kleine Kopfhörer in die Ohren stöpselt und während des Laufs Musik hört, lenke sich ein wenig von der Anstrengung ab, sagen die Psychologen um Terry. Statt sich auf Puls, Atem und dieses leichte Stechen im Knie zu konzentrieren, öffnen Lieder einen Fluchtweg aus dem Unangenehmen. Vielleicht verhielt sich das 1911 im Madison Square Garden genauso. Der wichtigste Effekt von Musik besteht also wohl darin, dass Sportmuffel ein Training eher ertragen und durchziehen. So gesehen steigert Musik definitiv die Leistung.
Wenn sich beim Jogging dann Bewegungen zur Musik synchronisieren, könne auch das weitere positive Effekte haben: Werden Bewegungen flüssiger, erhöht dies die Energieeffizienz - in vermutlich minimalem Ausmaß, so die Forscher um Terry. Die gemessenen Effekte, das betonen die Psychologen mehrmals, seien alle klein und ließen allenfalls zurückhaltende Schlüsse zu. Von einer Art Messi-Effekt darf also keine Rede sein: Niemand wird zum Super-Fußballer, nur weil er Kondition und Technik zu Musik trainiert. Aber wenn ein paar Songs helfen, hin und wieder öde Übungen im Fitnessstudio durchzustehen, wäre das eine wesentliche Hilfe.
Sebastian Herrmann, Süddeutsche 15.1.2020
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