Nichts wie weg Seit Jahren hetzen Politiker wie Viktor Orbán und Donald Trump gegen den Milliardär

Oct 24, 2018 14:49

Nichts wie weg

Seit Jahren hetzen Politiker wie Viktor Orbán und Donald Trump gegen den Milliardär George Soros. Die Mitarbeiter seiner Stiftung sind jetzt von Budapest nach Berlin gezogen. Zur Sicherheit

von Tobias Zick

Er wippt die Stufen hoch, vom 17. in den 19. Stock, „ich merke, wie viel freier ich hier atme“, sagt Goran Buldioski, während er die Außentreppe am Hochhaus hinaufsteigt, die Berliner Luft riecht hier oben tatsächlich gerade sehr frisch. Frischer als die in Budapest allemal.

Ein Großraumbüro über dem Potsdamer Platz, offene Küche, Designersessel. Goran Buldioski, fliederfarbenes Hemd und Hornbrille, hat hier für vorerst ein Jahr seinen Arbeitsplatz bezogen, in einer von zwei Co-Working-Etagen, bis etwas Festes gefunden ist. Mit ihm aus Budapest umgezogen sind 85 Mitarbeiter samt Familien, sie arbeiten für die Open Society Foundations, eine der größten politischen Stiftungen der Welt, gegründet 1984 in der ungarischen Hauptstadt, 2018 vor den Schikanen der dortigen Regierung geflohen.

So weit ist es gekommen: Eine kritische Organisation verlässt unter dem Druck der Regierung das Land. Nicht irgendein Land, sondern einen Mitgliedsstaat der Europäischen Union.

„Tja“, sagt der Büroleiter Buldioski, „vor zehn Jahren hätte ich noch beide Hände dafür ins Feuer gelegt, dass die liberale Demokratie in Europa sicher ist.“

Buldioski, gebürtiger Mazedonier, war einer von 200 „Soros-Söldnern“, deren Namen eine regierungsnahe ungarische Zeitschrift im April druckte, weiße Schrift auf schwarzem Grund: Professoren, Journalisten, Menschenrechtler, alles „Söldner“, weil finanziell unterstützt vom Milliardär George Soros, geboren 1930 als Sohn einer jüdischen Familie in Budapest, die mit gefälschten Papieren die Besatzung Ungarns durch die Nazis überlebt hat. Soros ging zum Studieren nach England, später in die USA, gründete einen Hedgefonds und begann, Opfer und Gegner von Regimen in aller Welt zu unterstützen: Stipendien für Schwarze aus dem Apartheid-Südafrika, Fotokopierer für Flugblattschreiber im Ostblock-Ungarn. Bis heute hat Soros einen Großteil seiner Spekulationsgewinne in seine Stiftungen fließen lassen, nach eigenen Angaben etwa 18 Milliarden Dollar. Unter den Geförderten sind so schwergewichtige Organisationen wie Chatham House, Transparency International, Human Rights Watch.

Was der ungarische Premier Viktor Orbán heute nicht mehr so gern erzählt: Er selbst hat Ende der Achtzigerjahre mit einem Soros-Stipendium studiert. Inzwischen hat er George Soros zum Staatsfeind Nummer eins erklärt, hat vor der letzten Wahl überall dessen Antlitz überall plakatieren lassen, mit dem Versprechen, einen angeblichen „Soros-Plan“ zur Flutung des Landes mit muslimischen Migranten zu stoppen. Die Rechtspopulisten dieser Welt haben den jüdischen Milliardär und Demokratenförderer zur Hassfigur erkoren, einer von ihnen sitzt im Weißen Haus: Die Proteste gegen seinen Kandidaten für den Obersten Gerichtshof, Brett Kavanaugh, seien „von Soros bezahlt“, twitterte US-Präsident Donald Trump kürzlich. Diesen Montag machte die Polizei vor Soros’ Haus bei New York eine Paketbombe unschädlich. „Eine beunruhigende Eskalation der aggressiven Rhetorik, mit der wir täglich konfrontiert sind“, sagt Buldioski.

Die Entscheidung, den Standort Budapest zu räumen, fällte die Stiftung, nachdem das ungarische Parlament im Frühjahr ein Gesetzespaket durchgewunken hatte, das Flüchtlingshelfer mit Strafen bedroht. Arbeitstitel des Pakets: „Stop Soros“. Mitarbeiter hätten bei Elternabenden nicht mehr gewagt zu sagen, wo sie arbeiten, sagt Buldioski: aus Angst, die Kinder könnten gemobbt werden. „Wir waren uns auch nicht mehr sicher, wie geschützt die Daten auf unseren Servern sind.“

Die Mitarbeiterin auf dem Platz gegenüber, man soll bitte ihren Namen nicht erwähnen, diese anonyme rothaarige Frau also schließt ihren Großraumbüro-Spind auf, zieht eine Zeitschrift heraus, die sie von einem Besuch in der Heimat mitgebracht hat, „so weit ist es inzwischen gekommen“. Auf dem Cover starrt die deutsche Kanzlerin mit hängenden Mundwinkeln zu Boden, umweht von dunklen Wolken, vor ihr schleppen sich Silhouetten von Flüchtlingen durchs Bild: „Merkels Niedergang - Die Krise der europäischen Eliten“ steht darunter. „Das war mal eines der großen liberalen Blätter in Ungarn“, sagt sie, Figyelő, der Beobachter. Heute ist es ein Kampfblatt des Regimes.

Ihre Zwillingstöchter gehen jetzt in eine dieser „Willkommensklassen“, die Berlin vor allem für Kinder aus Syrien und Afghanistan eingerichtet hat. „Sie tun sich schon noch etwas schwer mit der Sprache. Aber sie genießen die Freiheit.“ Auf dem Schulweg blicken die Mädchen nicht mehr auf Plakate, die den Arbeitgeber ihrer Mutter schmähen, beim Abendessen wird nicht mehr bleischwer über Politik diskutiert.

Nun kann man es, auch wenn man kein Rechtspopulist ist, ja durchaus bizarr finden, dass der Kampf für Demokratie und Menschenrechte mit Geld aus mitunter haarsträubenden Spekulationsgewinnen geführt wird. Man kann es pragmatisch gutheißen: Ist doch besser, als wenn das Geld für Mondraketen und Sportwagen ausgegeben wird, oder? Man kann es grundsätzlich sehen, wie Goran Buldioski: „Wir würden uns wünschen, dass die Staaten dieser Welt genug Geld aus ihren Steuereinnahmen in eine lebendige, offene Gesellschaft investieren. Aber das geschieht nun mal sehr oft nicht.“

Die ungarische Regierung hat Recherchen von Kritikern zufolge für ihre Anti- Soros-Kampagne allein 2017 mindestens 40 Millionen Dollar ausgegeben; etwa zehnmal so viel, wie die Stiftung zuletzt im Land jährlich an Fördergeldern verteilt hat. „Aber wir sind gerade dabei, unser Budget für Ungarn aufzustocken“, sagt Buldioski. „Von Berlin aus starten wir jetzt ganz neu durch.“

Süddeutsche 24.10.2018

soros, demokratie, ungarn

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