Jul 25, 2018 08:47
Nichts geschenkt
„Ihr lebt in einem Land, in dem ihr eine Chance habt. Ergreift sie!“ - Die Bloggerin Tuba Sarica rechnet in ihrem Buch „Ihr Scheinheiligen“ mit Doppelmoral und Opfermythos in der deutschtürkischen Community ab
Interview: Jonathan Fischer
Tuba Sarica, 30 Jahre alt, hat Germanistik und Medienkulturwissenschaften studiert. Die politische Autorin setzt sich in ihrem Blog „Weltbewohner“ seit über einem Jahrzehnt mit dem Verhältnis der deutschtürkischen Community zur Demokratie auseinander. Nun hat sie ein Buch geschrieben: „Ihr Scheinheiligen! Doppelmoral und falsche Toleranz. Die Parallelwelt der Deutschtürken und die Deutschen“ (Heyne, München 2018, 224 Seiten, 14, 99 Euro).
Frau Sarica, seit Monaten steht der deutsch-türkische Fußballnationalspieler Mesut Özil in der Schusslinie - unter anderem weil er einen Autokraten wie den türkischen Präsidenten Erdoğan als „meinen Präsidenten“ hofiert hat. Jetzt hat er mit Verweis auf rassistische Anfeindungen seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft erklärt. Finden Sie das schade?
Tuba Sarica: Natürlich geht es nicht, dass Rassisten den Fall Özil für sich instrumentalisieren. Andererseits ist die Kritik an ihm berechtigt. Özil veranschaulicht wunderbar die Scheinintegration vieler Deutschtürken. Äußerlich ist er der Inbegriff der Integration, hat einen deutschen Pass. Aber für mich taugt er nicht als Vorbild. Denn er spielt der Deutschfeindlichkeit der Parallelgesellschaft in die Hände.
Woran machen Sie das fest?
Einerseits schüttelt er einem Mann wie Erdoğan die Hand, der selbst im Wahlkampf mit rassistischen Tönen arbeitet. Andererseits beschwert er sich über den deutschen Rassismus. In Özils Twitter-Botschaften zum Rücktritt aus der Nationalmannschaft erkenne ich eine für die Parallelgesellschaft typische Doppelmoral. Alles sei nicht politisch gemeint. Dabei weiß er genau, dass Erdoğan Tausende Journalisten, Gewerkschafter, Lehrer, ja alle, die es wagen, ihn offen zu kritisieren ins Gefängnis werfen lässt. Özil gibt da den schweigenden Mitläufer. Und stilisiert sich zum Opfer. Schon vor Jahren habe ich geschrieben, dass Özil nicht zum Posterboy der Integration taugt. Wenn er sich etwa weigert, die Nationalhymne mitzusingen, dann sendet er auch eine Botschaft an seine deutsch-türkischen Fans: Ihr müsst euch nicht zu Deutschland bekennen.
Haben Sie gar kein Verständnis für Özils Verhalten?
Verstehen möchte ich schon. Aber eben nicht als Vorwand, um etwas zu entschuldigen, sondern um Verantwortung einzufordern. Ich komme selbst aus einer klassischen deutschtürkischen Arbeiterfamilie aus Anatolien - und fühle mich trotzdem in Deutschland nicht diskriminiert.
Sie schreiben, dass Sie für Ihre Familie als Deutsche gelten und das nicht als Kompliment gemeint ist. Was hat Sie dazu bewogen, eine Abrechnung mit der deutschtürkischen Parallelgesellschaft zu schreiben?
Während meiner Schulzeit am Gymnasium habe ich die Integrationsdebatte mitverfolgt - und war andererseits mittendrin. Als Sarrazin sein Buch „Deutschland schafft sich ab“ herausbrachte, beschloss ich, das Feld nicht den Rassisten zu überlassen. Nein, das Problem liegt nicht an den Genen der Nicht-Deutschen. Andererseits fand ich es ungerecht, immer den Deutschen Fremdenfeindlichkeit vorzuwerfen, wo ich doch wusste, wie sehr die Fremdenfeindlichkeit in der eigenen deutschtürkischen Community jede Integration hemmt. Jedes Mal, wenn ein sogenannter deutschtürkischer Experte in einer deutschen Talkshow auftrat, war ich enttäuscht: Warum versteckt er sich hinter dem Opfermythos? Warum spricht er nicht die wirklichen Probleme der Parallelgesellschaft an? Da war eine Lücke, die ich füllen möchte.
Sie haben also bisher kaum selbstkritische Stimmen aus der deutschtürkischen Community vernommen?
Die modernen Muslime, die behaupten, sie seien integriert, stehen unter starkem Zwang, es den Religiösen recht zu machen. Ich habe das an meiner eigenen, eher fortschrittlich gesinnten Familie gesehen. Sobald die religiöseren und verschleierten Verwandten zu Besuch kamen, wurden oft frauenfeindliche und deutschfeindliche Ansichten geäußert. Ich wollte immer dagegen aufstehen. Aber meine Mutter bat mich, mir den Widerspruch zu verkneifen. Es gibt da ein weitverbreitete Ablehnung der liberalen Demokratie und ihrer Diskussionskultur - aber sie wird als „Loyalität“ verklärt.
Sie werfen der Community vor, es sich in der Opferrolle bequem einzurichten. Warum?
Es ist einfacher, das Bild vom „bösen Deutschen“ aufrechtzuerhalten. Damit gibt man die eigene Verantwortung ab. Ich habe als Türkin, die Abitur macht, vielen deutschtürkischen Kindern Nachhilfe gegeben. Viele waren total demotiviert. Sie schoben es auf die deutschen Lehrer. Am Ende aber waren es ihre Eltern, die ihnen eingeredet hatten, dass sie als Deutschtürken sowieso benachteiligt würden. Mein Buch hat deswegen eine Botschaft an meine Landsleute: Ihr lebt in einem Land, in dem ihr eine Chance habt. Ergreift sie! Und übernehmt endlich die Verantwortung für euch!
Sie schreiben, dass Ihr Leben erst anfing, nachdem Sie gegen Ihre Familie - und damit auch gegen die ungeschriebenen Regeln der deutschtürkischen Community - rebellierten. Was wurde Ihnen verwehrt, was Ihre deutschen Altersgenossen durften?
Selbst in der dritten Generation der Deutschtürken wird die Autorität der Eltern kaum infrage gestellt. Das bedeutet für eine junge Deutschtürkin: Nicht lange ausgehen, keinen Freund haben dürfen, viel zu früh heiraten. Dabei lohnt es sich, mit den Eltern zu streiten, statt alles nur heimlich zu machen. Einem deutschtürkischen Mädchen wird jedenfalls nichts geschenkt, es muss sich seine Freiheiten selber nehmen. Bei einem Praktikum in der Türkei aber merkte ich, wie viel weltoffener viele der Türken dort denken.
Aber haben die Deutschtürken nicht auch ganz real Anlass, Diskriminierung zu beklagen? Schließlich machen hierzulande Fremdenhass und Islamophobie immer wieder Schlagzeilen.
Natürlich gibt es Rassismus in Deutschland. Aber erstens ist das kein flächendeckendes Phänomen. Und zweitens pflegt die Parallelgesellschaft ihren eigenen Fremdenhass. Schon den Kindern wird beigebracht, dass alle Deutschen so und so sind. Jedes schreckliche Ereignis wird da zum Schutzschild gegen eine wirkliche Integration missbraucht. Erdoğan hat die Schwächen der Parallelgesellschaft, ihr Opferdenken, ihre unterdrückte Sexualität, ihre Neigung zu Gewalt und zu Gehorsam gegenüber allem Religiösen erkannt und für sich instrumentalisiert. In einer Rede sagte er: Die Türken in Deutschland müssen Qualen erleiden. Und: Ihr müsst euch nicht assimilieren. Das löste Begeisterung aus. Wenn Frau Merkel dagegen sagt „Ich bin auch eure Kanzlerin“, wollen das viele gar nicht hören.
Die Deutschen haben oft das Bild der armen, unterdrückten muslimischen Frauen. Haben Sie das ähnlich erfahren?
Meiner Meinung nach unterdrücken sich die meisten muslimischen Frauen vor allem selbst. In der Parallelgesellschaft werden Frauen dazu erzogen, Männer toll zu finden, die ihnen sagen, wie sie sich anzuziehen oder zu benehmen haben. Ein junges Mädchen macht sich da besonders beliebt, wenn es Kopftuch trägt. Alles Persönliche wird der Familie beziehungsweise dem Familienoberhaupt untergeordnet. Meine eigene Schwester etwa hat sich aus freien Stücken für einen erzkonservativen Mann entschieden. Jetzt darf sie ohne seine Erlaubnis nicht einmal ihre eigene Mutter besuchen. Frauen, die sich Freiheiten nehmen, werden dagegen als „Egoisten“ gebrandmarkt.
Ist der Islam in dieser Hinsicht Ihr Feindbild?
Nein, der Islam ist nicht mein Feindbild. Es geht mir vielmehr um die Menschen, die Religion instrumentalisieren, um anderen ihre Freiheit zu nehmen. In der Parallelgesellschaft fällt es schwer, zwischen Religion und Politik zu unterscheiden. Selbst deutschtürkische Studentinnen pflegen rückständiges Gedankengut à la „Wir Muslime müssen gegen die Deutschen zusammenhalten“.
Hat es Sie enttäuscht, dass bei den türkischen Präsidentenwahlen zwei Drittel der deutschtürkischen Wähler für Erdoğan gestimmt haben?
Nein es wundert mich nicht mehr. Erdoğan hat es geschafft, in diesem ständigen Wettbewerb der Deutschtürken, wer modern und wer zurückgeblieben ist, die Vorzeichen umzudrehen. Plötzlich dürfen sich die Mitglieder der Parallelgesellschaft, ohne irgendetwas dafür getan zu haben, als gesellschaftliche und religiöse Elite fühlen, die ihrem von Gott gesandten König folgt.
Sie schreiben: „Die Integration sollte nicht auf die Deutschen abgewälzt werden.“ Machen Sie es da den Deutschen nicht allzu leicht?
Nein, ganz im Gegenteil. Ich nehme die Deutschen in die Verantwortung, sich nicht bei jedem Rassismusvorwurf wegzuducken. Sie sollten kritisch nachfragen, die Intoleranz nicht tolerieren. Denn hinter dem modernen Äußeren, das viele quasi-integrierte Deutschtürken vor sich hertragen, herrschen noch immer undemokratische Zustände. Ein ehrlicher Dialog wäre besser. Integration scheitert in Deutschland nicht an der Diskriminierung. Sie scheitert da, wo Liebe und Individualität verhasst sind.
Tuba Sarica wurde 1987 als Enkelin eines türkischen Gastarbeiters geboren. Sie studierte Germanistik und Medienkulturwissenschaften und wohnt in Köln.
Süddeutsche 25.7.2018
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