Recht unpreußisch Jacob Burckhardt, erklärt von der „Zeitschrift für Ideengeschichte“ Jetzt ist Jac

Feb 21, 2018 10:20

Recht unpreußisch
Jacob Burckhardt, erklärt von der „Zeitschrift für Ideengeschichte“

Jetzt ist Jacob Burckhardt doch noch in Preußen angekommen. 1872 hatte er die Möglichkeit ausgeschlagen, den Berliner Lehrstuhl Leopold von Rankes zu übernehmen. Der Mit- und Nachwelt blieb deshalb ein interessantes Schauspiel verwehrt: der Basler Eigenbrötler mit seinem hochdramatischen, ahnungsvollen Unterrichtsstil neben reichsdeutschen Kathederstars wie Heinrich von Treitschke, Johann Gustav Droysen und Theodor Mommsen, vor freundlich trampelnden oder kritisch scharrenden Studenten, die gern die „Wacht am Rhein“ anstimmten, wenn der Kaiser an der Universität vorbeiritt.

Sich das kontrafaktisch auszumalen, wäre ein schöner Einstand für die Erweiterung der Herausgeber-Zeile bei der Zeitschrift für Ideengeschichte (Heft XII,1 über „Welthistoriker, Dilettant, Burckhardt“, 130 Seiten, 14 Euro) gewesen, die nun nicht bloß aus Marbach, Weimar, Wolfenbüttel und Grunewald kommt - beschaulichen Residenzen humanistischen Fleißes -, sondern auch aus „Preußen“. Damit ist abkürzend die „Stiftung Preußischer Kulturbesitz“ gemeint, die institutionell das darstellt, was vom Staate Preußen übrig blieb. Die entsprechenden Witze bei Kulturjournalisten, die jahrelang mit einem Presseamt zu tun hatten, das eher einem misstrauischen Außenministerium glich, sind geläufig. Als 1870 der Kirchenstaat von der Bildfläche verschwand, spotteten preußische Diplomaten, der Staat des Papstes überlebe fortan als Antikensammlung. Je nun - auch hier ist die Geschichte genauer als die preußische Oberrechenkammer, wie Bismarck sagte. Der Spott kehrt zurück an den Ursprung.

Schade also, dass die ZIG den Moment nicht mit mehr Schmackes bespielt. Denn ihr Thema ist ja der gelegentlich herzhafte Spötter Burckhardt, dessen 200. Geburtstag im Mai neben dem von Karl Marx zu feiern ist. Die beiden saßen übrigens als Studenten nebeneinander in den Vorlesungen Schellings, zusammen mit Bakunin. Burckhardt kannte Berlin sehr gut, er erlebte noch den Salon der allwissenden Kulturdame Bettina von Arnim - Themen über Themen für einen preußischen Burckhardt.

Das Heft ist, man kann es nicht anders sagen, eher fad. Simon Strauß liest das berühmte Foto, das Burckhardt mit Bildermappe unterm Arm am Baseler Münster zeigt, allegorisch. Das ist hübsch. Christian Meier, später Nachfolger Burckhardts auf dem Baseler Lehrstuhl, bekennt sich in einem Gespräch zu Burckhardt als Anthropologe, als Historiograf, der nicht umhinkam, die Detailforschung zu übergehen. Denkwürdige Worte zur Missachtung historischen Darstellens als eigener wissenschaftlicher Leistung fallen. Burckhardts Dilettantismus wurde zu einer Maske, um die Schwärme der Positivisten zu durchqueren, das Schreiben für den Nachlass zu einer Strategie, die Nachwelt umso sicherer zu erreichen.

Der Rest indes ist unüberraschend. Ein Werkstattbericht zur Edition der althistorischen Vorlesungen (von Leonhard Burckhardt) erneuert das aus anderen Bänden bekannte Bild: Burckhardt arbeitete mit einem relativ knappen, aus Handbüchern geschöpften Grundtext, den er mit einem Pilzbewuchs von Zusatzzetteln aus Quellen und Detailforschung überwuchern ließ. Interessante Vielstimmigkeit ist das Resultat, grandios geübt in den Vorlesungen zum Revolutionszeitalter. Burckhardts Islam-Bild, das Martin A. Ruehl mit Griff in den Nachlass zeigt, ist weniger ablehnend, als die bisher bekannten Fragmente nahelegten. Ausgerechnet die egalitären Züge der islamischen Zivilisation beeindruckten den Europäer.

Stefan Rebenichs Überblick über Burckhardts Rezeption als „Prophet“ im 20. Jahrhundert ist erstaunlich blass. Ja, die wichtigsten Bücher - vor allem das von Karl Löwith - und etliche Reden und Aufsätze werden abgearbeitet. Aber wer die von Fritz Kaphan in der Sammlung Dieterich zusammengestellte dicke Briefauswahl nicht einmal erwähnt, der verpasst die wichtigste Quelle für Burckhardt als Inspirator einer prophetischen, kulturkritischen Opposition gegen den Nationalsozialismus.

Da standen ja Sätze wie diese: „Ich habe eine Ahnung, die vor der Hand noch völlig wie Thorheit lautet und die mich doch durchaus nicht loslassen will: der Militärstaat muß Großfabrikant werden. Jene Menschenanhäufungen in den großen Werkstätten dürfen nicht in Ewigkeit ihrer Noth und ihrer Gier überlassen bleiben; ein bestimmtes und überwachtes Maß von Misere und Avancement und in Uniform, täglich unter Trommelwirbel begonnen und beschlossen, das ist’s was logisch kommen müßte.“ Geschrieben am 26. April 1872, tausendfach weitergeflüstert unter Hitler.

Gustav Seibt, Süddeutsche Zeitung, Mittwoch, den 21. Februar 2018, Seite 12

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